(Bild) Pai Balu, Oberpriester (paide santo) eines Umbanda-Hauses (terreiro) mit mehr als 1000 Mitgliedern in Sao Paulo
Einmal im Jahr machen sich Sektenbeauftragte der "Konsultation Landeskirchlicher Beauftragter" (KLB) aus Deutschland auf, um durch Recherche und in Form teilnehmender Beobachtung Erfahrungen mit religiösen Gruppen in deren Ursprungsländern zu machen. "Aufsuchende Apologetik" gehört seit den legendären Reisen von F.W. Haack und Rüdiger Hauth zu den Arbeitsformen von KLB und Dialog Center International. Nach Indien, Amerika, Japan und Korea war diesmal Brasilien das Ziel der Reise. Afro-brasilianische Kulte, Spiritismus und radikale Pfingstsekten galt es zu erforschen, Erscheinungen, die auch nach Deutschland übergreifen. - Red.
Nach dem Start in Frankfurt am 28. Dezember 1995 erwartete uns Rio de Janeiro als erste Station der Reise. Mit dieser modernen Millionenstadt verbinden sich vor allem die Vorstellungen von farbenprächtigem Karneval, Samba, den Traumstrand der Copacabana, dem Zuckerhut als Wahrzeichen der Stadt und dem segnenden Christus hoch auf dem Corcovado. Sehr schnell lernten wir aber auch das andere Gesicht dieser Stadt kennen. Nahe unserer Unterkunft, einem röm.-katholischen Gästehaus, klebten die Hütten einer Favela (Elendsviertel) an einem Berghang und unter den Brükkenpfeilern einer Schnellstraße hausten unter Pappkartons Straßenkinder.
Alles stand bei unserer Ankunft bereits unter dem Eindruck der Vorbereitungen zur Silvesterfeier an den kilometerlangen Stränden. Riesige Bühnen waren an mehreren Stellen aufgebaut, auf denen die bekannten Größen der brasilianischen Unterhaltungsszene auftreten sollten. Absperrungen wurden errichtet und überall patrouillierten berittene Polizeieskorten. Ab Mittag des 31. 12. ruhten die Geschäfte und Menschenmassen schoben sich zur Copacabana, Richtung Hauptbühne.
Devotionalien für die Meergöttin
Bei einem Bummel am Vormittag fiel uns auf, daß viele der Cariocas, - so
werden die Einwohner Rios genannt, in den zahlreichen
Devotionalienläden, die Figuren, Kerzen, Bilder und
Ritualgegenstände anbieten, Opfergaben für Iemanja, die
Meergöttin, kauften.
Typischer Laden für Kult-Gegenstände in Rio de Janeiro Am Abend konnten wir dann am Strand erfahren, wofür diese bestimmt waren: in weiße Kleider gewandet gingen viele Menschen ein Stück in das Meer, um dort Blumen ins Wasser zu werfen, kleine Boote mit Opfergaben auf die Wellen zu setzen und am Strand im Sand kleine Kultstätten zu errichten, in denen Trankund Speiseopfer dargebracht wurden, um den Schutz von Iemanja für das kommende Jahr zu erlangen. Uns erstaunte, daß die Verehrung der Meeresgöttin von vielen Weißen vollzogen wurde, die, so ließ Kleidung und Schmuck vermuten, dem bürgerlichen Mittelstand entstammten. Am Morgen warteten die Menschen gespannt darauf, ob das Meer die Gaben wieder an den Strand zurückwirft.
Dann nämlich hat Iemanja die Annahme der Gaben verweigert und das Glück im neuen Jahr steht in Frage. Die ursprünglich schwarzhäutig dargestellte Iemanja repräsentiert im Candomble_[ Weiblichkeit, Schönheit und Fruchtbarkeit. Zur Zeit der Sklavenhalterei in Brasilien, wurden alle Sklaven auf den Schiffen oder bei der Ankunft zwangsgetauft. Den nun "katholischen" Sklaven war die Verehrung ihrer ursprünglichen Götter verboten. So verehrten sie pflichtgemäß vordergründig Maria, die Mutter Jesu, im Hintergrund aber weiterhin Iemanja. Dieser Prozeß, biblischen Personen und röm.-katholischen Heiligen jeweils einen Orixa, einen Ahnengeist unterzuschieben, ist ein weit verbreitetes Phänomen in den afro-brasilianischen Kulten. Dieses Unterschieben machte es möglich, trotz Verboten und drastischen Strafen Reste ursprünglicher Stammesreligion unter dem Deckmantel des Katholizismus weiter zu pflegen. Heute läßt sich nun beobachten, daß die vorgegebene synkretistische Tendenz sich in zwei Richtungen entwickelt: Bei den Schwarzen zu einer Suche nach den "ursprünglichen Wurzeln" ihrer Religiosität im Ursprungsland Afrika und bei den Weißen in der Übernahme der bisher verdeckten Religiosität in ihre eigenen Lebensund Glaubensvorstellungen.
Soziologie und Candomblé
Der Suche nach Eindeutigkeit und Ursprünglichkeit auf der einen Seite,
steht eine bereitwillige synkretistische Übernahme auf der anderen Seite
gegenüber. Diesen Trend bestätigte ein Besuch im Professor
Portugal mit dem Orixa-Pepe privaten Terreiro (Kultstätte, Kulthaus)
von Prof. Portugal.
Portugal lehrt Soziologie an der Universität in Havanna. Er empfängt uns in seinem Büro mit Faxgerät und gleich mehreren drahtlosen Telefonen, die zu Anfang ständig klingeln, bis ein Assistent die eingehenden Gespräche annimmt.
Professor Portugal arbeitet literarisch, um seine Candomblé-Tradition zu erhalten, die er durch synkretistische Mischformen bedroht sieht. Er erklärt: "Candomblé ist die Religion der Orixas (Ahnengeister) und der Caboclos (ursprünglich von den Indianern stammende Geister, die den Orixas untergeordnet sind)." Professor Portugal biete innerhalb der römisch-katholischen Gesellschaft eine spezielle Dienstleistung zur individuellen Problemlösung an. Die Menschen, die seine Hilfe suchten, litten in der Regel unter Beziehungsproblemen, Arbeitslosigkeit, emotionalen Problemen. Die von ihm angebotene Hilfe beziehe sich dabei nicht auf Heilung, - Heilangebote darf in Brasilien ein medizinischer Laie nicht anbieten, sondern auf Herstellung des inneren Gleichgewichts. Um diese zu erreichen veranstalte er oft ein "Bori-Ritual". In der ursprünglichen Yeruba-Tradition in Afrika steckt hinter jeder Krankheit eine Disharmonie der Beziehung zu einem Orixa. Daran kann man selbst schuld sein, aber auch ein Dritter kann die Störung durch einen Schadzauber hervorgerufen haben. In der Bori Zeremonie wird die Harmonie wieder hergestellt. Grundsätzlich kann die Zeremonie von jedermann für sich selbst vollzogen werden. Sie ist nicht an eine bestimmte Initiation gebunden. Leiten darf allerdings eine solche Zeremonie, wenn sie für andere bestimmt ist, nur ein initiierter Priester. Für das Ritual braucht man Kräuter, Blätter, Baumrinde, Wurzeln und ein lebendes junges Tier. Diese Zeremonie, die Portugal anwendet, spielt im Candomble_[ keine besondere Rolle, ist aber in Brasilien, Kuba und Nigeria bis heute weit verbreitet. Die meisten Klienten kämen zu ihm und wollten eine schnelle Initiation, um ihre Probleme zu lösen. Demgegenüber müsse er erklären, daß hinter vielen gesundheitlichen Problemen in Brasilien nicht ein spirituelles Problem stecke. "Wenn einer Bauchschmerzen hat liegt es meist an Würmern und selten an den Orixas." Deshalb seien die vorgebrachten Probleme als Lebenshilfe auch zunächst ganz praktisch, kontextuell zu analysieren und zu behandeln.
Gelegentlich kommen auch Menschen zu ihm, die ihn um einen Schadzauber, z.B. gegen den Liebhaber einer Frau bäten. Er selbst vollziehe solche Schadzauber nicht, aber jeder Terreiro habe da seinen eigenen Moralkodex. Jeder Schadzauber schade auch dem, der ihn vollzieht. Er habe es öfter erlebt, daß Kultleiter, die mit schlechter Energie umgingen, selbst in Schwierigkeiten gekommen seien. Da helfe es dann oft nur noch, sich an einen älteren Kollegen zu wenden und ihn um Wiederherstellung der Harmonie zu bitten.
Das Muschel-Orakel
Durch ein Orakel nimmt Portugal vor jeder Behandlung
zunächst eine Problemanalyse vor: 16 Kauri-Muscheln werden geworfen und
aus der Lage der Muscheln, je nachdem ob die Muscheln mit der geschlossenen
oder offenen Seite nach oben liegen, erkennt der Babalo, der Orakel-Priester
die Gegenwart eines bestimmten Orixas.
Das Kauri-Orakel Als alternatives "diagnostisches" Mittel dient der Orixa-Pepe, ein Bambusfächer, der auf Alternativfragen "antwortet", oder die nur von Männern benutzte, Opele, eine Kette aus Kokosholz. Im Ritual geht es jeweils darum, negative Energie wieder in positive umzuwandeln. Danach wird ein Dankopfer dargebracht. Portugal entstammt einer ursprünglich afrikastämmigen röm.-katholischen Familie, die aber auch in der UmbandaTradition verankert ist. Mit 19 Jahren wurde er im Candomble_[ initiiert. Aus Interesse, auch an seinen eigenen Wurzeln, leitet er heute das Zentrum für Studien der Yeruba-Kultur in Brasilien. Während in seinem Programm durchaus noch christliche Elemente enthalten sind, war das in anderen Terreiros, die wir besuchten, nicht mehr der Fall. (Näheres siehe Teil II im BERLINER DIALOG 3-96)
Donna Ana
Donna Ana wäre auf einer Esoterikmesse in Europa sicher nicht
aufgefallen. Routiniert deutete sie uns die Zukunft. Fehler in ihren
Aussagen, zum Beispiel zum Familienstand der Teilnehmer - wir hatten uns als
Pfarrer vorgestellt, sie ging aber wohl davon aus, daß wir unverheiratete
röm.-katholische Priester seien - konnten sie nicht erschüttern:
Böse Geister versuchten die Sitzung zu stören und mußten durch
einen magischen Kreis gebannt werden. Diese "Lebenshilfe" kam uns sehr
bekannt vor und 10 Dollar ärmer aber keineswegs um tiefe Erkenntnis
reicher verließen wir dieses Kulthaus.
Pfr. Eduard Trenkel, 46,
ist der Beauftragte der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck für Sektenund
Weltanschaungsfragen. Er amtiert außerdem als Geschäftsführer der
KLB.
Der Exkursionsbericht wird im BERLINER DIALOG 3-96 (Michaelis) fortgesetzt mit dem Beitrag: "Xango, Blitz und Donner" von Pfr. Trenkel und einem Beitrag von Dr. Behnk über pfinstlerische Gruppen.