Physik und New Age (I)

Können sich New Age, Parawissenschaften und Esoterik auf die moderne Physik stützen?

von Martin Lambeck

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Klassische Physik Quantenphysik
  3. Der Beobachter
  4. Der Begriff "Beobachter"
  5. Der Begriff "Beeinflussung"
  6. Literatur

Einleitung

Wissenschaftlich erscheinende Argumentationen aus dem Bereich der Physik sollen die Behauptungen der New-Age-Bewegung bestätigen. Besonders physikalische Laien zeigen sich durch angeblich wissenschaftliche Beweise für die weltanschaulichen Positionen der New-Age-Bewegung beeindruckt. Martin Lambeck, Physikprofessor an der Technischen Universität und Mitglied unseres wissenschaftlichen Beirats, untersucht in einer Serie für den BERLINER DIALOG die behaupteten Verbindungen. In dem ersten Beitrag unserer Serie "Physik und New Age" geht es um die Inanspruchname der "Klassiker" der modernen Physik für die New-Age-Bewegung.

Physik als Wissenschaft ist definitionsgemäß die Lehre von der unbelebten Natur. Demgegenüber machen die ziemlich heterogene Geistesströmung des New Age, die Parawissenschaften und die Esoterik philosophisch-religiöse Aussagen über das Wesen des Menschen als Einzelnen und in der Gesellschaft sowie über sein Verhältnis zur Transzendenz. Man würde daher annehmen, daß die genannten Lehren nicht das geringste mit Physik zu tun haben könnten. Tatsächlich scheint jedoch das Gegenteil der Fall zu sein: Immer wieder werden Physiker als Kronzeugen parawissenschaftlicher Behauptungen und als New-Age-Befürworter ins Feld geführt.

Dabei stützen New Age und Parawissenschaften ihre Aussagen und Ansprüche weitgehend auf die Bücher des Physikers Fritjof Capra. Sein Buch "The Tao of Physics" ("Der kosmische Reigen. Physik und östliche Mystik - ein zeitgemäßes Weltbild") wurde ein überwältigender Erfolg und eröffnete der New Age-Bewegung den Weg, ihre Weltanschauung mit der Quantenphysik zu verbinden. Es folgten die Bücher "The Turning Point" ("Wendezeit") und "Das Neue Denken", die jahrelang auf den Bestsellerlisten standen bzw. stehen. Das Buch "Wendezeit" wurde unter dem Titel "Mind Walk" verfilmt (mit Liv Ullmann in der Hauptrolle). Ein Buchhandelsprospekt bezeichnet Capra als "Galilei unserer Zeit". Capra kann sich mit vollem Recht als "internationaler Bestsellerautor" bezeichnen.

Capra stützt sich insbesondere auf die Quantenphysik und auf die Äußerungen prominenter Physiker wie Bohr, Heisenberg und Bell. Im folgenden soll untersucht werden, ob die so beanspruchten Verbindungen zwischen Physik und Weltanschauung zu recht bestehen.

Klassische Physik Quantenphysik

Die klassische Physik (darunter versteht man die Physik vor der Entwicklung der Quantenphysik etwa im Jahre 1925) ist nach dem Vorbild des Billardspiels aufgebaut: Kennen wir Lage und Geschwindigkeit einer Billardkugel, so können wir ihren Lauf und den aller ihrer Stoßpartner beliebig genau im Voraus berechnen. Jeder Vorgang geht ursächlich eindeutig auf die Vorgänge der Vergangenheit zurück; dies ist das Kausalprinzip der klassischen Physik. Aufgrund dieser perfekten Gültigkeit des Kausalprinzips kann die Stellung der Gestirne perfekt berechnet werden; dies gilt für in der Zukunft eintretende Ereignisse wie z.B. Mond- und Sonnenfinsternisse ebenso wie für die Vergangenheit, etwa die Stellung der Planeten zur Zeit Jesu Geburt. Kausalität heißt also, daß aus dem bekannten Zustand eines Systems vollständig auf dessen zukünftige Entwicklung geschlossen werden kann.

Die seit 1925 insbesondere von Bohr, Heisenberg, Pauli und Born entwickelte Quantentheorie (die heutige Lehrbuchphysik) sagt im Gegensatz dazu, daß dieses strenge Kausalprinzip nur für makroskopische Gegenstände wie Planeten oder Billardkugeln gelte, im Mikrobereich (Elektronen und Photonen) jedoch seine Gültigkeit verliere.

Entscheidend ist hierfür der Begriff der Unbestimmtheit. Es erscheint uns entsprechend der Alltagserfahrung als völlig selbstverständlich, daß wir beim Billardspiel sowohl die Lage als auch die Geschwindigkeit einer Kugel unabhängig voneinander beobachten und beeinflussen können. Um es an einem anderen Beispiel aus der Erfahrungswelt zu verdeutlichen: Wir wissen und setzen als selbstverständlich voraus, daß wir mit einem Fahrrad zielgerichtet und willensgesteuert fahren können, unabhängig davon, ob wir uns auf einem weiten Platz oder auf einem schmalen Radweg befinden.

Im Gegensatz dazu lehrt die Quantenphysik, daß im Mikrobereich nicht alle Größen unabhängig voneinander beobachtet und eingestellt werden können. Vielmehr stehen einige Größen paarweise in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander dergestalt, daß sie nicht gleichzeitig genau bekannt sein können. Solche Paare von Größen unterliegen der Unbestimmtheitsrelation. Am Beispiel des Fahrrades: Im Mikrokosmos könnten wir nur auf einem weiten Platz zielgerichtet fahren (dann ist die Richtung des Fahrens genau bestimmt, der Ort des Fahrrades jedoch nicht) , auf einem schmalen Radweg würde jedoch das Lenkrad unkontrollierbare Bewegungen nach links und rechts ausführen (Ort genau bestimmt, Fahrtrichtung unbestimmt).

Durch die Unbestimmtheitsrelation erschüttert die Quantenphysik den Kausalbegriff: Im Mikrobereich kann die "Fahrt des Fahrrades" nicht vollständig bekannt sein; daher ist die Zukunft nicht vollständig vorhersagbar, sondern auch vom Zufall abhängig.

Der Beobachter

Es ist eine naheliegende Annahme, man könne die Unbestimmtheits- relation dadurch überwinden, daß man nur genau genug "beobachtet". Hierzu argumentiert jedoch Heisenberg, daß man zur Beobachtung Licht verwenden muß, dessen Lichtteilchen (Photonen) ebenfalls der Unbestimmtheitsrelation unterliegen und daher das zu untersuchende Objekt in einer unkontrollierbaren Weise stören. Dieser Begriff des Beobachters bildet einen wesentlichen Teil der Argumentation Capras.

Capra stellt einen Zusammenhang zwischen dem Beobachter, dessen Bewußtsein und der östlichen Mystik her:

"Die moderne Physik ... machte mit der Atomtheorie einen großen Schritt in Richtung auf die Weltanschauung der östlichen Mystiker. Die Quantentheorie hat den Begriff von grundsätzlich selbständigen Objekten abgeschafft, hat den Begriff des Teilnehmers eingeführt, der den Begriff des Beobachters ersetzen soll, und mag es sogar notwendig finden, das menschliche Bewußtsein in ihre Beschreibung der Welt einzubeziehen. Sie sieht jetzt das Universum als zusammenhängendes Gewebe physikalischer und geistiger Beziehungen, dessen Teile nur durch ihre Beziehung zum Ganzen definiert werden können." (S.143)

"Das entscheidende Kennzeichen der Quantentheorie ist, daß der Beobachter nicht nur notwendig ist, um die Eigenschaften eines atomaren Geschehens zu beobachten, sondern sogar notwendig, um diese Eigenschaften hervorzurufen. Meine bewußte Entscheidung, wie ich beispielsweise ein Elektron beobachten will, wird bis zu einem gewissen Maße die Eigenschaften des Elektrons bestimmen. Stelle ich ihm eine Teilchen-Frage, wird es mir eine Teilchen-Antwort geben; stelle ich ihm eine Wellen-Frage, wird es mir eine Wellen-Antwort geben. Das Elektron besitzt keine von meinem Bewußtsein unabhängigen Eigenschaften. In der Atomphysik kann die scharfe kartesianische Unterscheidung zwischen Geist und Materie, zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten, nicht länger aufrechterhalten werden." (S.9O,91)

"Die Quantentheorie hat gezeigt, daß subatomare Teilchen nicht einzelne Körnchen von Materie sind, sondern Wahrscheinlichkeitsstrukturen, Zusammenhänge in einem unteilbaren kosmischen Gewebe, das den menschlichen Beobachter und sein Bewußtsein einbezieht. Die Relativitätstheorie hat dieses kosmische Gewebe zum Leben erweckt, indem sie gewissermaßen dessen ureigensten dynamischen Charakter enthüllt und gezeigt hat, daß seine Aktivität sein eigentliches Wesen ist. Die moderne Physik verwandelte das Bild vom Universum als einer Maschine in die Vision eines unteilbaren dynamischen Ganzen, dessen Teile grundsätzlich in Wechselbeziehungen zueinander stehen und nur als Muster eines kosmischen Prozesses verstanden werden können." (S. 97)

Die Fehldeutungen der Quantenphysik lassen sich letzlich auf zwei Ur-Irrtümer zurückführen.

Der Begriff "Beobachter"

Heisenberg stellte fest, daß im Bereich der Mikrophysik jeder Akt der Beobachtung eine prinzipiell unvermeidbare Störung des Meßobjektes bewirkt. Der erste Ur-Irrtum besteht darin, die Beobachtung mit der Mitwirkung eines Beobachters zu verwechseln und diesen Beobachter als einen mit Bewußtsein ausgestatteten individuellen Menschen anzusehen.

Der Begriff "Beeinflussung"

Heisenberg sagt, daß die Beobachtung eine Störung des Meßobjektes bewirkt, die prinzipiell unvermeidbar ist und das Meßobjekt in einer prinzipiell unvorhersehbaren Weise beeinflußt, d.h. stört. Der zweite Ur-Irrtum besteht darin, unter "beeinflussen" eine erfolgreiche willensgesteuerte, zielgerichtete Einflußnahme zu verstehen (siehe die weiter unten behauptete Beeinflussung des radioaktiven Zerfalls). Das ist genau das Gegenteil von Heisenbergs Aussage.

Zum Beleg zitiere ich dieselben Physiker wie Capra, hier jedoch sinngerecht:

HEISENBERG: "Natürlich darf man die Einführung des Beobachters NICHT dahin mißverstehen, daß etwa subjektivistische Züge in die Naturbeschreibung gebracht werden sollten. Der Beobachter hat vielmehr nur die Funktion, Entscheidungen, d.h. Vorgänge in Raum und Zeit zu registrieren, wobei es NICHT darauf ankommt, ob der Beobachter ein Apparat oder ein Lebewesen ist...." (S.128)

BOHR: "Entscheidend ist es, daß in KEINEM Fall die geeignete Ausweitung unseres begrifflichen Rahmens eine Berufung auf das beobachtende Subjekt in sich schließt, was eine eindeutige Mitteilung von Erfahrungen verhindern würde." (S. 110)

BOHR: "In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, daß - eben durch das VERMEIDEN solcher Hinweise auf das bewußte Subjekt, mit denen die Umgangssprache so stark durchsetzt ist - die Anwendung mathematischer Symbole insbesondere dazu dient, die für eine objektive Beschreibung unentbehrliche Eindeutigkeit der Definitionen sicherzustellen." (S.77)

BOHR: "Äußerungen solcher Art (daß wir im Drama des Daseins sowohl Schauspieler als Zuschauer sind) könnten natürlich bei manchen den Eindruck eines dem Geiste der Wissenschaft FREMDEN MYSTIZISMUS erwecken; deshalb versuchte ich 1936 ... solche Mißverständnisse aus dem Wege zu räumen ... Dabei WARNTE ich insbesondere vor häufig in der physikalischen Literatur vorkommenden Wendungen wie z.B. "Störung der Phänomene durch Beobachtung" oder "den atomaren Objekten durch Messungen physikalische Attribute beilegen"... da Worte wie "Phänomene" und "Beobachtungen" ebenso wie "Attribute" und "Messungen" hier in einer Weise gebraucht werden, die mit der Umgangssprache und praktischen Definitionen kaum vereinbar ist." (S.62,63)

Ebenso betont C. F. v. Weizsäcker:

"Er (der Beobachter) wird in der Beschreibung der Experimente nicht mitbeschrieben. Er ist vielmehr derjenige, der es beschreibt. Dabei kommt es aber auf ihn als diese individuelle Person gerade NICHT an." (S.5)

Der grundlegende Unterschied zwischen Heisenberg und Capra wird aus der Gegenüberstellung zweier Zitate deutlich:

HEISENBERG: "Die "Bahn" des Elektrons entsteht erst dadurch, daß wir sie beobachten ..." (S.6)

CAPRA: "Das Elektron besitzt keine von meinem Bewußtsein unabhängigen Eigenschaften..." (S.90,91)

Heisenbergs Aussage bedeutet, daß die Bewegung des Elektrons durch die Beobachtung in einem Mikroskop durch das Licht des Mikroskops in nicht voraussehbarer Weise beeinflußt wird. Jeden-falls ist aber das Elektron mit all seinen unveränderlichen Eigenschaften unabhängig vom Bewußtsein eines menschlichen Beobachters vorhanden. Es hat auch in jedem Fall eine Bewegung, wenn es sich dabei auch nicht um eine Bahn wie die eines Fußballs handelt. Das "wir" bedeutet, daß jeder Beobachter, auch jeder Apparat, die gleiche Art der Störung verursacht. Es kommt weder auf einen bestimmten Menschen an noch auf dessen individuelles Bewußtsein.

Capras Behauptung wird nach Auflösung der darin enthaltenen doppelten Verneinung besonders deutlich. Dann heißt der Satz: "Alle Eigenschaften des Elektrons hängen von meinem Bewußtsein ab." Es kommt bei ihm also auf eine bestimmte Person und deren Bewußtsein an. Tatsächlich sprechen jedoch die Zitate der Autoritäten eindeutig dagegen; es ist auch später niemals beobachtet worden.

Es ist also folgende Gedankenkette von Mißverständnissen entstanden:

HEISENBERG: Durch eine Beobachtung wird die Bewegung eines Elektrons geändert. f Durch eine Beobachtung werden die Eigenschaften eines Elektrons geändert. f Durch einen Beobachter werden die Eigenschaften eines Elektrons geändert. f Durch einen menschlichen Beobachter werden die Eigenschaften eines Elektrons geändert. f Durch das Bewußtsein eines menschlichen Beobachters werden die Eigenschaften eines Elektrons geändert. f Durch mein Bewußtsein werden die Eigenschaften eines Elektrons geändert. f CAPRA: Alle Eigenschaften des Elektrons hängen von meinem Bewußtsein ab.

Übertragen auf das obige Bild des Fahrrades sagt Heisenberg, daß wir das Schwanken des Fahrrades in keiner Weise verhindern können: Wir können im Mikrokosmos unseren Willen nicht vollständig durchsetzen. Demgegenüber behaupten Capra und Nachfolger die Möglichkeit ei nes willensgesteuerten Eingriffs in den Mikrokosmos, also genau das Gegenteil der Heisenbergschen Aussage. Ebenso beweisen die obigen Zitate, daß die Autoritäten jede subjektivistische und mystifizierende Deutung der Physik ablehnen.

Prof. Dr. Martin Lambeck, 60,
ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des BERLINER DIALOG. Nach Studium des Wirtschaftsingenieurwesens und der Physik in Berlin 1959 Diplomingenieur der Fachrichtung Physik, 1964 Promotion zum Dr. Ing, 1969 Habilitation für Physik (Habilitationsschrift veröffentlicht bei de Gruyter, Berlin: "Barkhausen Effekt und Nachwirkung in Ferromagnetika). Seit 1970 Professor am Fachbereich Physik der TU Berlin. Veröffentlichungen auf den Gebieten Optik, Magnetismus, zerstörungsfreie Werkstoffprüfung, PhysikDidaktik, Zusammenhang der Physik mit dem geistesgeschichtlichen Umfeld, Übersetzungen aus dem Englischen.

Literatur

F.Capra:
Der kosmische Reigen. Physik und östliche Mystik - ein zeitgemäßes Weltbild. Scherz Verlag Bern München Wien für Otto Wilhelm Barth Verlag 7. Auflage (1983)

F.Capra:
Wendezeit, Scherz Verlag, Bern, München, Wien, 13. Auflage (1986)

W.Heisenberg:
Physik und Philosophie, S.Hirzel, Stuttgart 1959

N.Bohr:
Atomphysik und menschliche Erkenntnis, Vieweg, Braunschweig, Wiesbaden 1985.

C.F.v.Weizsäcker:
Aufbau der Physik, Hanser, München (1985), S.53O

W.Heisenberg, N.Bohr:
Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie, Ernst Battenberg Verlag, Stuttgart 1963 S.22


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