Verirrt in eine totalitäre Gruppe

Erlebnisse mit LaRouches Politsekten "EAP" und "Schillerinstitut"

von Aglaja Beyes-Corleis
Ich war jung, begeisterungsfähig und wild entschlossen, dazu beizutragen, diese Welt bewohnbarer zu machen. Das war 1974. In wenigen Monaten hätte ich mein Abitur in der Tasche, ich wollte in meinem Geburts- und Wohnort Hamburg studieren. Ich liebte diese Weltstadt ihrer Internationalität wegen, als "Tor zur Welt" und "Tor zum Osten". Ich strebte einen akademischen Abschluß an, um später in der Wissenschaft oder Publizistik zu arbeiten. Meine Schulfreunde kannten mich als Leseratte, Bücher waren meine Welt. Schreibend wollte ich helfen, diese Welt zu verbessern. Als Linke beeindruckte mich Bertold Brechts Credo und Aufruf: "Ändere die Welt, sie braucht es", wie kaum etwas anderes. Schreiben, das wußte ich schon als Schülerin, war meine Leidenschaft und Stärke. Doch es kam alles ganz anders.

Ich schloß mich einer Politsekte an, in der ich sechzehn Jahre lang wie gefesselt und gebannt verharrte. Ich zog fort von meiner Familie, meinen kleinen Geschwistern, verließ Hamburg, hauste mit zwei "Genossen" in einer Dachbodenkammer oberhalb einer Hannoveraner Puddingfabrik. Wir hatten kaum Geld zum Leben und vor allem keine Zeit zum Lesen. Stück für Stück verlor ich die Kontrolle über mein Leben und meine Zeit, ließ meinen Tagesablauf von früh morgens bis spät in die Nacht von anderen "einteilen", nahm es hin, daß mein Studium immer stärker litt.

Inhalt

  1. Von "Links" nach "Rechts"
  2. Die LaRouche-Partei
  3. Warum man nicht austreten kann
  4. Der Austritt
  5. Das Leben "danach"
  6. Literaturhinweis

Von "Links" nach "Rechts"

Und dann kam es noch schlimmer: Langsam veränderte ich mich, ganz langsam, aber stetig. Offene Gehirnwäsche, wie sie Kriegsgefangene erlebt haben, fand nicht statt. Und dennoch: Ich änderte meine Überzeugungen, machte den Schwenk vom Sozialismus zur Propagierung einer "Arbeiter-Industrie-Allianz" und schließlich zu konservativen Werten, zu einer immer rechtslastigeren Ideologie mit. Innerlich trennte ich mich von dem liebsten Schriftsteller meiner Jugend, Bert Brecht, dessen Gedichte ich einst spontan in den großen Schulpausen Schülern und Lehrern vorgetragen hatte. Unreflektiert machte ich die Verketzerung Erich Frieds mit. Gedichte, Dramen und Romane las ich erst wieder, als die "Partei" dazu grünes Licht gab, und auch da lange nur die parteigenehmen. Das war Friedrich Schiller, dann kam lange nichts, dann kam wieder Friedrich Schiller. Doch zu unserem großen Glück war auch Heinrich Heine "genehm".

Was ist das für eine Partei, daß sie auf mich als junge Abiturientin eine solche Fesselung ausüben konnte? Was war geschehen?

Ich war hineingerissen und beflügelt vom Strudel der 68er Bewegung. Büffeln fürs Abitur und familiäre Verpflichtungen reichten mir nicht. Ich sehnte mich nach mehr. Ich suchte eine linke Organisation, die international arbeitete, in und mit der ich Verantwortung übernehmen könnte.

Die LaRouche-Partei

Da traf ich an der Hamburger Universität auf die Organisation des Amerikaners Lyndon LaRouche. Sie nannte sich damals International Caucus of Labor Committees (ICLC). Ein halbes Jahr später ging in Deutschland daraus die EAP hervor. Anders als die mir von der Universität bekannten Initiativen behaupteten die Mitglieder des ICLC, weltweit zu operieren, und ein Programm für die ganze Welt zu besitzen. Eine neue gerechte Weltwirtschaftsordnung, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle Menschen unserer Erde gelte es zu verwirklichen, so verkündeten sie. Fasziniert besuchte ich ihre öffentlichen Veranstaltungen in Hamburg, die in den ersten Monaten noch in den Räumen der Evangelischen Studentengemeinde stattfanden. Und ich erklärte mich bereit zu "Rekrutierungsgesprächen". Hier saß ich zwei Führungsmitgliedern gegenüber, die feierlich-ernst verkündeten, die Alternative in den nächsten zwei Jahren sei weltweiter Sozialismus oder weltweiter Faschismus. Uns bleibe nicht viel Zeit. Sie, die Organisation, operiere auf drei Kontinenten, habe ein weltweites Informationsnetzwerk aufgebaut. Binnen Minuten könne man eine Information weltweit verbreiten. Keine andere sozialistische Organisation verfüge über diese Schlagkraft. Doch der Einzelne müsse sich der Sache voll und ganz verschreiben.

Wir seien Kader. Das war das Leitmotiv interner Mitgliederschulungen, die folgten. Manche Mitglieder schleppten noch ein "Beiboot" mit sich herum, in das sie notfalls abspringen könnten, ihr Studium, ihre Familie, Hobbys, Interessen. Wir sollten unser Beiboot fahren lassen.

Warum man nicht austreten kann

Heute, zwanzig Jahre später, halte ich das, was damals mit mir und meinen "Parteigenossen" vorgegangen ist, für Verhaltens- und Gedankenmodifikation. Damals entrüstete ich mich, wenn mir jemand sagte: "Ihr seid ja wohl gehirngewaschen." Und ich amüsierte mich über die Spekulationen in den Medien, ob CIA oder KGB hinter dem Netzwerk LaRouches stünden. Jeder Angriff gegen "meine Organisation" trieb mich nur fester in ihre Arme und verfestigte meinen Glauben, sie müsse wichtig sein.

Zweimal versuchte ich den Austritt -- und scheiterte. Mein Studium war mir lieb und wichtig. Ich litt unter den täglichen Angriffen gegen "Akademismus" und gegen Intellektuelle. Ich wollte mehr sein als ein Multiplikator der Gedanken anderer, der Gedanken LaRouches und seiner Ehefrau Helga Zepp-LaRouche. Ich wollte zu denen gehören, die selbst die Programme entwickelten. Doch mein Glaube an die Ehrlichkeit der verkündeten hehren Ziele, allen voran die neue gerechte Weltwirtschaftsordnung, war noch unerschüttert. So trieb mich ein Gefühl der Schuld und inneren Leere zurück in die Arme des LaRouche-Ladens. Dennoch schwor ich mir 1980, mich niemals wieder als Verkäufer der Parteiliteratur einsetzen zu lassen. Und ich wollte auch niemanden mehr rekrutieren, da ich niemandem ein Leben zumuten wollte, wie wir es führten.

Dennoch verharrte ich weitere zehn Jahre in LaRouches Organisation. Die Arbeit in der Zentralredaktion machte mein Leben erträglicher. Doch wenn ich heute an die Struktur und Funktionsweise unserer "Redaktion" denke, frage ich mich: Muß es so oder ähnlich nicht auch im Stalinismus gewesen sein?

Der Austritt

1990 schaffte ich endlich den Austritt, beim dritten Anlauf und engültig. Mein Mann, der mit mir den schwierigen Schritt in den Neubeginn wagte, hatte einen schweren Unfall, der ihn monatelang arbeitsunfähig machte. Wir hatten zwei kleine Kinder. Der älteste war zwei Jahre alt, das jüngste noch ein Säugling. Die Feindschaft innerhalb der Organisation gegen Kinder war mir unerträglich geworden. Loyale Kader sollten keine Kinder haben, einige ließen sich zur Abtreibung überreden. Gleichzeitig propagierte die "Partei", Abtreibung sei Mord. (Damals hieß die Partei übrigens "Patrioten für Deutschland", 1991 veränderte sie ihren Namen wieder einmal, in "Bürgerrechtsbewegung Solidarität".)

Mir gingen die Augen auf: Waren am Ende die großen hehren Ziele nur Zweckpropaganda? Und die Mitglieder belogen und betrogen? Die Heiligkeit des menschlichen Lebens. Für uns galt sie nicht! Und was war mit den anderen großen Zielen? Der neuen Weltwirtschaftsordnung? Mich durchfuhr ein Schauer, als ich erkannte, daß sie mit solch illustren Gestalten wie Nicolae Ceaucescu und Saddam Hussein verwirklicht werden sollte. Lyndon LaRouche hatte Saddam Hussein seit Anbeginn propagandistisch unterstützt, seit 1974. Die Massaker an den Kurden hatten "wir" verharmlost, hatten Saddam Hussein über zwei Jahrzehnte die Treue gehalten. Wo waren wir gelandet?! Wo war ich gelandet?! Hatte ich das gewollt?

Es war ein großer Glücksfall, daß wir in der europäischen Zentrale mehrere waren, die gleichzeitig zu zweifeln anfingen, und daß wir offen miteinander sprechen konnten. Die Hälfte der deutschsprachigen Redaktion verließ 1990 LaRouches Organisation, und mit meinem Mann auch jeder zweite Programmierer. In endlosen Gesprächen gemeinsam den Dingen auf den Grund gehen zu können war sehr hilfreich für den großen Schritt heraus aus einer vermeintlichen "geistigen Heimat", die uns bis in alle Lebensbereiche hinein erfaßt hatte.

Das Leben "danach"

Und was kam dann? Familiäre Verpflichtungen, zwei Kleinkinder, hätten mich ausfüllen können. Doch ich hatte niemals Hausfrau sein wollen. Ich begriff, daß ich nie etwas anderes gewollt hatte, als zu schreiben. Frei, unzensiert zu schreiben. Und ich begriff auch, daß das, was ich erlebt hatte, so ungeheuerlich war, daß ich darüber nicht zur Tagesordnung übergehen konnte. So entstand mein autobiographisches Buch . In schonungsloser Offenheit und authentisch zeichnete ich ein Bild von dem, was vorgefallen war. Damit möchte ich nicht nur dazu beitragen, aufzuklären, sondern auch allzu glatte Vereinfachungen umstoßen: Nicht jedes Sektenmitglied ist labil, unselbständig, ängstlich. Politsekten rekrutieren mitten unter den engagiertesten, unabhängigsten, verantwortungsbewußtesten, sozial sensibelsten Menschen um uns herum. Hier liegt die Bedrohung für unsere Gesellschaft!

Aglaja Beyes-Corleis, 40,
war von 1974 bis 1990 Mitglied der Organisation LaRouches. Die letzten zehn Jahre arbeitete sie dort in der europäischen Zentralredaktion. Nachdem sie die Strukturen der Politsekte durchschaute, schrieb sie über ihre Erfahrungen ein Buch (siehe Literaturhinweis). Sie lebt heute mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern als freie Autorin in Wiesbaden, hält Vorträge und Lesungen und ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS).

Literaturhinweis:

Aglaja Beyes-Corleis hat ihren Weg ausführlich in ihrem Buch geschildert:

Beyes-Corleis, Aglaja:
Verirrt - Mein Leben in einer radikalen Politorganisation,
Herder/Spektrum, Freiburg im Breisgau 1994


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