Der Brief aus London

von Ursula MacKenzie
London, 11. August 1995

Inhalt

  1. Yogi-Flieger übernehmen ehem. US-Flugplatz in England
  2. Non olet: Ex-Premier Heath bei der Munbewegung
  3. "Uns fehlt einer wie Fritz"

Es wird uns immer wieder erzählt, daß der "kalte Krieg" vorüber ist und daß wir uns entspannen können. Es gibt darüber zwar geteilte Ansichten; aber für manche ist es vielleicht beinahe symbolisch, daß ein militärischer Flugplatz in England, den die Amerikaner verlassen haben, an eine Organisation verkauft worden ist, die plant, auf dem Gelände eine "Universität des Friedens" zu errichten.

Yogi-Flieger übernehmen ehem. US-Flugplatz in England

Die Presse berichtete davon, ohne Stellung zu nehmen. Im Daily Telegraph, 9. 2. 1995, gab es aber wenigstens eine ironische Schlagzeile: "Yogic fliers take over US airbase." Es läßt sich nicht verleugnen: Die Amerikaner haben große Lükken hinterlassen. Da die RAF auch stark beschnitten wurde, werden die leeren Flugplätze nicht gebraucht, und Käufer sind schwer zu finden. So kann man schon verstehen, daß das Verteidigungsministerium dem Angebot des Maharishi Mahesh Yogi von TM nicht widerstehen konnte. Der Kaufpreis wurde allerdings nicht veröffentlicht.

In der geplanten "Universität" wird Natural Law gelehrt werden, aber Studenten sollen auch andere Kurse belegen können. Jamie Cann, Labour Abgeordneter für Ipswich, in dessen Nachbarschaft in Suffolk das umstrittene Unternehmen errichtet wird, nahm kein Blatt vor den Mund: "Das Ministerium übergibt den Flugplatz einem Haufen von Knallköpfen, so daß sie auf dem Hintern rauf- und runterhopsen können." Gemeint ist das sogenannte yogische Fliegen, das aus dem Stadium des "Froschhüpfens" noch nicht herausgekommen ist.

Vielleicht bringt die Maharishi Universität wirklich Arbeit und Verdienst mit sich. Aber sollte man nicht trotzdem wählerischer sein? Die Reaktion der Bevölkerung ist noch abzuwarten.

In London wurde auch verkauft. Laut Observer vom 4. 6. 1995, erstand die brasilianische "Worldwide Church of the Kingdom of God" (nicht zu verwechseln mit Herbert Armstrongs Imperium mit ganz ähnlichem Namen!) die Brixton Academy, bisher Konzerthalle für Rockmusik.

Bob Dylan und die Rolling Stones traten wohl auch dort auf. Rock-Enthusiasten sind entsetzt über den plötzlichen Verlust ihrer Halle. Aber der Besitzer der Brixton Academy benahm sich wie das Verteidi gungsministerium: Er fand das Angebot von 4,5 Millionen Pfund unwiderstehlich.

Die brasilianische Kirche, gegründet vor 18 Jahren von Edir Mecado, damals Verkäufer von Lotteriekarten, jetzt Bischof, verspricht Reichtum und Heilung von allen Krankheiten. Zur Zeit gibt es nur 20 britische Mitglieder. Die Brixton Academy hat Sitzplätze für 4500.

Non olet: Ex-Premier Heath bei der Munbewegung

Wer Geld hat - Kulte und Sekten scheinen da keinen Mangel zu leiden - kann sich tatsächlich alles kaufen, sogar einen ehemaligen britischen Premierminister als Sprecher auf Konferenzen. Sir Edward Heath (Sunday Express, 15. 1. 1995) gab zu, daß er sich für Ansprachen auf Tagungen von drei verschiedenen Abteilungen der Mun-Bewegung bezahlen ließ. Wieviel ihm geboten wurde, ist nicht bekannt, aber selbst weniger berühmte Sprecher sollen bis zu 50.000 Pfund ausgezahlt be kommen haben.

Niemand kann Unwissenheit vorschützen; denn die Sektenszene wird laufend von den Medien in den Vordergrund gerückt. Der "Observer" brachte kürzlich einen langen Bericht mit zwei Fortsetzungen. Aber den größten Eindruck machte hier eine Fernsehserie "Zeichen und Wunder". Es geht darin um das Phänomen Glauben im allgemeinen, aber die Haupthandlung befaßt sich mit einem kultbetroffenen Mädchen, dessen Mutter nach Amerika fliegt, um es zu "retten". Es handelt sich zwar um eine erfundene Gruppe, aber der orientalische "Vater" ist unverkennbar. Alle Beteiligten reagieren in sehr authentischer Weise. Was manche Fernsehzuschauer nicht erwartet hatten, war die letzte Szene: Das heimkehrende Mädchen wirkt geistesgestört. Sie kann ihren Vater, einen anglikanischen Pfarrer, nicht von dem Kult-"Vater" unterscheiden, bekommt Tobsuchtsanfälle und ist in einem völlig verwirrten Zustand. Den Eltern wird klar, daß der Heilungsprozeß viel Zeit und Geduld erfordern wird und sie sind zutiefst beunruhigt. Hoffentlich waren es die Zuschauer auch!

Wenn nur unsere Regierung und die Kirchenleitungen Stellung nehmen würden zu dem Sektenproblem! Immer wieder kommen Bücher und Hefte in meine Hand, herausgegeben von deutschen Landesregierungen, mit Auskunft über Kulte und Sekten, sowie Information über Beratungsmöglichkeiten, und Ihre Kirchen in Deutschland haben sogar Sektenbeauftragte. Deutsche Pfarrer auf Besuch in London können immer schwer glauben, daß es so etwas hier nicht gibt. Dabei könnten wir dringend jemanden gebrauchen, der klar und deutlich aus spricht, was gesagt werden muß, und der dazu bevollmächtigt ist.

"Uns fehlt einer wie Fritz"

Unwillkürlich denkt man da an Pfarrer Friedrich-Wilhelm Haack, den 1991 verstorbenen Münchener Sektenbeauftragten, der am 11. August seinen 60. Geburtstag gefeiert hätte. Wer Fritz, wie ihn seine Freunde nannten, gekannt hat, wird zustimmen, daß er eine ausgesprochene Persönlichkeit war. Seine Fachkenntnis, erworben auf Sektenschauplätzen rund um die Welt, war fast allumfassend. Vieles da von ist nachzulesen in den Schriften der "Münchener Reihe". Aber das richtig besondere an Fritz war seine völlige Furchtlosigkeit. Er hatte viele gefährliche Feinde in der Kultwelt. Aber ihre Attacken erschütterten ihn überhaupt nicht. Seine Ärmel waren gewissermaßen ständig hochgekrempelt in Bereitschaft, und er ließ sich von niemandem den Mund verbieten.

Ich kannte Fritz von vielen Begegnungen auf internationalen Konferenzen und von seinen gelegentlichen Besuchen in London. Aber am meisten beeindruckte er mich auf der Tagung für Lehrer in OstBerlin im November 1990. Er wußte damals, daß seine Tage gezählt waren. Das Fortschreiten einer tückischen Krankheit ließ keinen Raum für Zweifel. Aber Fritz gab sich ganz gelassen, als wäre das alles nicht sehr wichtig. Während der Tagung sprach er mit großer Dringlichkeit und machte tiefen Eindruck auf seine Zuhörer. Er wußte, daß er noch viel zu geben hatte, aber nur kurze Zeit dafür blieb. Wenige haben ihn nach dieser Tagung wiedergesehen. Er wird jetzt noch von vielen vermißt.

Wir brauchen hier in England dringend Leute, die wie Fritz keine Angst haben, die Wahrheit zu sagen, die sich nicht hinter diplomatischen Kompromißlösungen verstecken, die Wissen und Erfahrung haben und bereit sind, beides mit denen zu teilen, die noch viel lernen müssen.

Die Lage in Deutschland ist viel besser als hier: Es gibt bei Ihnen zahlreiche Sektenberater - aber hier fehlt es an solchen Leuten.

Wir brauchen vor allem jemanden wie Fritz, der Politikern und Maklern auf die Finger haut, wenn sie mit Sekten Geschäfte betreiben, und der die Seelenfänger entlarvt. Es sieht so aus, als müßten wir uns ohne solche Hilfe durchbeißen. Vielleicht spornt Fritz uns an? Sein Vorbild bestimmt uns weiter.


Ursula MacKenzie
Ursula MacKenzie, 65, stammt aus Chemnitz und lebt seit 1955 in England. Nach über 16 Jahren Arbeit für FAIR (Family, Action, Information & Rescue), die britische Elterninitiative, die zugleich Beratungs- und Hilfsdienst für Familien und Freunde von Kultbetroffenen ist. Sie lebt jetzt im Ruhestand in London und schreibt exklusiv für den BERLINER DIALOG ihre regelmäßige Kolumne.


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