Scientology in der Stadtbücherei

von Winfried Müller

Inhalt

  1. Großzügige Geschenke?
  2. Worum geht's bei Scientology?
  3. Scientology-Werbung als Hintergrund der Hubbard-Bücher-Schwemme
  4. Beweisproduktion durch Bücherverbreitung
  5. Die Verkaufs-Anmache und ihre Folgen
  6. Literaturempfehlungen

Bibliotheken werden von Scientology zur Erlangung von Respektabilität kostenlos mit Büchern beliefert. Der Beitrag beleuchtet die Hintergründe einer bisher zu wenig beachteten Form der Öffentlichkeitsarbeit von Scientology

Großzügige Geschenke?

In den vergangenen Monaten bin ich immer wieder von Bibliothekaren aus den neuen Bundesländern darauf hingewiesen worden, daß deren Bibliotheken unaufgefordert Geschenke eines ihnen unbekannten "New Era Verlages" erhielten. Titel wie "Dianetik", "Was ist Scientology?", "Das Grauen" u.a.m. wurden als "Bereicherung" des Bestandes der Bibliothek angepriesen. In der Regel lag den Bücherspenden ein freundlicher Brief bei, der auf die Uneigennützigkeit dieser Spende hinwies, zugleich aber verbunden mit der Bitte, diese Bücher doch in den Bestand einzuarbeiten.

Hinter dieser Aktion, die sehr viele Stadtund Kreisbibliotheken der neuen Bundesländer betraf, steht die oben erwähnte Scientology-Organisation.

NEW ERA Publications International ApS ist ein von Scientology betriebenes Verlagsunternehmen, welches seinen Sitz in Kopenhagen hat. Von dort aus wird Europa mit der Literatur dieser Gruppe überschwemmt.

Worum geht's bei Scientology?

Anhänger bezeichnen Scientology als die am schnellsten wachsende religiöse Bewegung der Erde, als angewandte Philosophie, als Wissenschaft des Überlebens und Leitfaden des menschlichen Verstandes.

Kritiker sehen in Scientology dagegen einen gefährlichen, persönlichkeitsverändernden Kult, einen Kult der Gier, eine Pseudo- Religion für Sieger, die in einem totalitären System münde. (Vergl. Literaturhinweise am Schluß dieses Beitrags.)

Um den Damen und Herren der Erwerbungsabteilungen die Entscheidungsfindung zu erleichtern, seien an dieser Stelle kurz Geschichte und die Ziele von Scientology im Zusammenhang mit den Bücheraktionen dargestellt:

Scientology geht auf den amerikanischen Schriftsteller Lafayette Ronald Hubbard zurück, der zuerst unter Pseudonymen Abenteuer- und Detektivromane, später dann Science-Fiction-Romane schrieb. Sein Lebenslauf ist von ihm selbst und dann seinen Anhängern mit vielen Legenden umgeben worden. Deshalb ist es schwer, irgendwelche Einzelheiten historisch exakt aufzuzeigen, nachzuprüfen oder zu beweisen. Fest steht, daß Hubbard eine durchschnittliche amerikanische Schulbildung genossen hat. Über eine akademische Bildung und einen angeblichen Doktortitel liegen von Hubbard selbst widersprüchliche Angaben vor. Allerdings wiesen selbst Kritiker immer wieder auf sein schriftstellerisches Talent hin, das sich in Grusel- und Western-Romanen, aber vor allem in Science-Fiction-Stories niederschlug.

1950 erscheint Hubbards Buch "Dianetik: Der Leitfaden für den menschlichen Verstand". In diesem Buch erhebt er den Anspruch, eine unfehlbare Methode gefunden zu haben, dem Leser die Summe alles Wissens über den menschlichen Geist zu vermitteln.

Gleichzeitig stelle die Dianetik eine therapeutische Technik dar, mit der alle "nichtorganischen Geistesstörrungen und alle organischen psychosomatischen Leiden mit Gewißheit geheilt werden könnten". Das Buch ist zwar wie ein wissenschaftliches Werk aufgemacht,jedoch sind die vertretenen Theorien bombastisch aufgepeppte Banalitäten. Das Buch traf jedoch in eine Marktlücke, wurde schnell zum Bestseller. Hubbard entwickelte seinen Ansatz in den nächsten Jahren weiter und gründete 1952 den "Hubbard Internationalen ScientologenVerband", wobei er sich den Namen "Scientology" als Warenzeichen eintragen ließ.

Offensichtlich aus sekundären, u.a. steuerlichen Beweggründen wandelte er in den folgenden Jahren Scientology zu einer "Church" (= "Kirche") um. Der Ausformung und Stabilisierung seiner Organisation widmete er dann sein ganzes späteres Leben. Mit der Darstellung seiner Organisation als "Kirche" konnte er sich auf den besonderen Schutz der US-Verfassung berufen. Gleichzeitig war der Grundstein zu einem erfolgreichen Unternehmen gelegt. Es wird berichtet, daß Hubbard am Ende seines Lebens etwa eine Million Dollar pro Woche verdient hat. Dem Ziel des Geldverdienens ist die gesamte Organisation untergeordnet, es gibt "Dienstleistungen" (natürlich gegen Entgelt), man engagiert sich wirtschaftlich in allen Wachstumsbranchen. Kritiker kennzeichnen die Gruppe als PowerReligion, die Gott Mammon anbetet, gleichsam als die Perversion der Marktwirtschaft. Die Gier nach Geld hat Scientology dann auch folgerichtig immer wieder in die Schlagzeilen gebracht.

Ein amerikanischer Kritiker von Scientology schreibt hierzu: "Es gibt zwei Gesichter von Scientology, eins für den öffentlichen Gebrauch, und ein vollständig anderes, verborgen vor dem öffentlichen Zugriff, für diejenigen, die ,im Wissen- sind. Der Öffentlichkeit wird erzählt, daß Hubbard ein ,einfaches menschliches Wesensei und daß der Kult die Religion nicht bedrohe.

Aber Tatsache ist, daß Hubbard für diejenigen Gott zu sein beansprucht, die in den ,oberen Stufen- indoktriniert worden sind." (Martin G. V. Hunt, Äußerung im Internet am 3. 9. 1994).

Scientology-Werbung als Hintergrund der Hubbard-Bücher-Schwemme

Scientology ist gegenwärtig in Deutschland mit einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit konfrontiert. Dazu haben Berichte in der Presse, Monographien von Autoren wie Friedrich-Wilhelm Haack, Liane v. Billerbeck und Frank Nordhausen und die Arbeit von Vereinen und Initiativen beigetragen. Gegenwärtig ist Scientology damit beschäftigt, ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit durch PR-Methoden aufzubessern. Angeblich humanitäre Aktionen wie Drogenprävention, Hilfe für Erdbebenopfer und Engagement im Bildungsbereich be sonders in den Staaten des ehemaligen Ostblockes werden werbemäßig herausgestellt. Allerdings lassen sich die Ergebnisse dieser Aktionen nicht nachvollziehen und es bleibt ungesichert, ob irgendwelche Hilfe Betroffenen zugute kommt oder nur denen, die sich den Zielen von Scientology unterordnen oder ob es sich vielleicht gänzlich um Werbe- und PRAktivitäten handelt.

Beweisproduktion durch Bücherverbreitung

In diesem Zusammenhang haben die Büchereiaktionen aber noch einen besonderen Stellenwert, denn mit den Bücherspenden versucht Scientology, einen Autoritätsbeweis zu führen. Im PR-Material von Scientology findet man immer wieder den Hinweis, daß die Schriften des "bedeutenden Forschers, Pädagogen und Menschenfreundes" Hubbard anerkannt und respektiert seien und darum auch in jeder besseren Buchhandlung und Bibliothek zu finden seien.

Damit das auch der Fall ist, werden die Bücher, die Scientology ansonsten an die eigenen Anhänger für hunderte von Mark verkauft, als Bücherspende an Bibliotheken und ausgewählte Privatpersonen versandt, teilweise von Anhängern gespendet, deren Namen sich dann als Sponsoren in den Büchern finden, und die man auf diesem Wege mit weiteren erheblichen Beiträgen zur Finanzierung der Organisation heranziehen kann.

Ziel dieser Aktion ist es, mit einer "Gestiefelter-Kater-Aktion" den Beweis für die Behauptung (hier: die Behauptung der allgemeinen Verbreitung und Akzeptanz) zu schaffen.

Die Verkaufs-Anmache und ihre Folgen

Möglichst viele Personen sollen für Hubbard und Scientology interessiert werden. Durch Kontaktadressenlisten und Rücklaufkarten in den "uneigennützig gespendeten" Büchern werden Leser dafür interessiert, ihre Anschrift an den direkt zum Scientology-System gehörenden Verlag einzusenden. Massive Werbezusendungen bis hin zu "persönlich" aufgemachten Anschreiben können folgen. Diese "Anmache" kann mit der Unterordnung unter ein totalitäres System enden. "Wer sich querlegt, bekommt 'Schwierigkeiten': Ein eigener Geheimdienst kümmert sich um Aussteiger und Kritiker. Die Ausgeburt des Science-Fiction-Autors L. Ron Hubbard ist inzwischen zu einem riesigen Kraken geworden. Will die Gesellschaft diese mafiaartige Organisation stoppen, muß sie handeln - juristisch, politisch und erzieherisch." schreiben Liane von Billerbeck und Frank Nordhausen.

Die Einstellung von Hubbard-Büchern in die Bibliotheken, selbst die Aufnahme der hubbardschen Science-Fiction Romane, kann auf diesem Hintergrund unabhängig von ihrer (zweifelhaften) literarischen Qualität - aus genau diesen politischen und erzieherischen Erwägungen nicht empfohlen werden. y

Winfried Müller,
Theologe, Fachmann für wissenschaftliche Information, befaßt sich seit 25 Jahren mit dem Gebiet neureligiöser Phänomene. Seit 3 Jahren beobachtet und dokumentiert er die Aktivitäten neureligiöser Gruppen im Internet, dem weltweit größten Zusammenschluss von Rechnernetzen. Er publiziert hauptsächlich im World-Wide-Web (WWW) und hat zu diesem Zweck eine elektronische Fachbibliothek zusammengetragen und eine elektronische Publikationsplattform mit dem Namen RELIGIO geschaffen. Diese ist unter der Adresse:

http://www.thur.de/religio/index.html

für jedermann, der Zugriff auf die Dienste des Internets hat, zu erreichen.

e-mail: Winfried.Mueller@jena.thur.de

Literaturempfehlungen

Da Scientology ihre Bücher unaufgefordert zusendet, können wir uns hier darauf beschränken, auf die maßgeblichen kritischen Veröffentlichungen hinzuweisen, die in keiner Bibliothek fehlen sollten. Sie enthalten zahlreiche Hinweise sowohl zu den Quellen als auch zu weiterer Sekundärliteratur.

Liane von Billerbeck, Frank Nordhausen:
Der Sekten-Konzern.
Scientology auf dem Vormarsch.
Mit einem Rechtsratgeber von Ralf Bernd Abel.
München 1994, Knaur Taschenbuch 80051,
ISBN 3-426-80051-9, 12,90 DM

Friedrich-Wilhelm Haack:
Scientology: Magie des 20. Jahrhunderts.
3. durchgesehene und erweiterte Auflage
1995, Claudius-Verlag München,
ISBN 3-532-62003-0, 44,- DM
392 S. (Standardwerk)

Friedrich-Wilhelm Haack und Thomas Gandow:
Scientology, Dianetik und andere Hubbardismen
mit Findungshilfe Scientology von A-Z,
München 1993,
Münchener Reihe 650, 9,80 DM

Elke Nietsche:
Alptraum Scientology.
Ein Tagebuch aus Leipzig.
Wichern-Verlag Berlin 199
5, ISBN 3-88981-077-2, 24,- DM
(Erfahrungsbericht)

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