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OSTEN










119034 Moskau, Reine Gasse 5

28. April 1998, TbNr. 2003
An Herrn Pfarrer Thomas Gandow

Den Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Deutschland

Sehr geehrter Herr Pfarrer Thomas Gandow!

Ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 7. März d.J., in dem Sie die Unterstützung der Position der Russischen Orthodoxen Kirche in ihrem seelsorgerlichen Dienst im Ganzen und in ihrem Widerstand gegen die Angriffe von Seiten der Kräfte, die Unruhe und Verwirrung in die Seelen und Köpfe der Menschen hineintragen, die bemüht sind, der Lehre Christi treu zu folgen, ausdrücken.

Wir sind froh über Ihre Unterstützung darin, daß - wie Sie sagen - die Auseinandersetzung mit Sekten und Kulten eine der wichtigsten Aufgaben für alle Kirchen ist. Und wir stimmen mit Ihnen darin überein, daß "der offene ökumenische Erfahrungsaustausch in dieser Auseinandersetzung für alle Seiten nützlich sein kann".

Im Geiste dieser Offenheit haben wir von Ihrer Position unserer kirchlichen Presse Mitteilung gemacht, und ich bin überzeugt, daß dies ein guter Beitrag in der Fortsetzung der ökumenischen Verständigung zwischen den traditionellen christlichen Gemeinschaften ist.

Ich wünsche Ihnen jeglichen Erfolg in Ihrer Tätigkeit.

Gez. Alexij Patriarch von Moskau und ganz Russland


Aus einem Interview mit Patriarch Alexij II von Moskau

(Interview von Monika Kemmen, WDR 1, 26.11.1995)

Frage: "Es ist kein Geheimnis, daß die Beziehungen zwischen der Russisch-Orthodoxen Kirche und den westlichen Kirchen gespannt sind. Ich denke da an Ihre Bemühungen um eine Novellierung des geltenden russischen Religionsgesetzes. Sollen solche Gesetzesänderungen nur den Spielraum ausländischer Sekten beschneiden, wie der Scientology-Church, der Moon-Sekte oder der Aum-Sekte - gefährliche Sekten, die jetzt nach Rußland eingedrungen sind - oder richten sie sich auch gegen die traditionsreichen großen westlichen Schwesterkirchen wie die katholische und evangelische Kirche, denen Sie ja Proselytenmacherei, also die Abwerbung orthodoxer Gläubiger, vorwerfen?"

Patriarch Alexij: "Wir meinen, daß alle traditionell in Rußland tätigen Religionen bzw. Konfessionen über gleiche Rechte verfügen müssen. Allerdings sind Gesetzesänderungen Sache des Gesetzgebers. Aber wir meinen, daß Ordnung geschaffen werden muß in bezug auf pseudoreligiöse und häufig totalitäre Sekten, damit sie der Gesellschaft und den einzelnen Menschen keinen Schaden zufügen können. Was aber die Kirchen und Religionen betrifft, mit denen wir gute Beziehungen haben, mit denen wir schon zusammenarbeiten, so sind wir für die Vertiefung einer solchen Zusammenarbeit. Der Erfahrungsaustausch findet ja bereits statt, ebenso wie wechselseitige Hilfeleistungen. Und mit diesen Kirchen sind wir uns auch darüber einig, daß es keine Proselytenmacherei geben darf. Das ist ja auch in vielen offiziellen Dokumenten festgeschrieben, in den Dokumenten des Ökumenischen Rates der Kirchen ebenso wie in denen der Konferenz Europäischer Kirchen. Noch einmal: Wir sind für die Weiterentwicklung der Beziehungen mit den Kirchen, mit denen wir traditionell im Austausch stehen, mit denen wir auch lange schon den theologischen Dialog führen. Ich möchte hier besonders die Evangelische Kirche in Deutschland erwähnen, mit der wir diesen Dialog schon seit 40 Jahren pflegen. Seit zehn Jahren findet dieser Dialog auch mit der Deutschen Bischofskonferenz statt. Aber unsere Beziehungen mit der katholischen Kirche sind doch in letzter Zeit schwierig geworden durch das Vorgehen der mit Rom unierten griechisch-katholischen Kirche in der West-Ukraine, wo die orthodoxen Bistümer von Lemberg, Ternopol und Iwano-Frankovsk von den Unierten mit Unterstützung nationalistischer Kräfte völlig zerstört worden sind. Und wir stellten uns die Frage, ob damit die katholische Kirche nicht von ihren eigenen ekklesiologischen Grundsätzen abweicht, die das Zweite Vatikanische Konzil festgeschrieben hat. Denn dieses Konzil hat doch die orthodoxen Kirchen als Schwesterkirchen bezeichnet. Aber so wie sich die Unierten in der West-Ukraine verhalten haben, so verhält man sich nicht gegenüber einer Schwesterkirche. Wir führen jährlich regelmäßge Gespräche mit hochrangigen Vertretern der römisch-katholischen Kirche und wir wünschen uns, daß die Vereinbarungen, die dort getroffen werden, nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch mit Leben erfüllt werden."


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