Es scheint nichts Neues unter der Sonne zu geben. Wer die für die heutige Zeit typische, sehr bunte religiöse Szene bei uns beobachtet, in der es häufig auch um Synkretismus, d. h. die Vermischung verschiedener christlicher, weltanschaulicher und okkult-esoterischer Überzeugungen geht, wird an die alttestamentlichen Geschichten des Propheten Elia erinnert:
Unter König Ahab und seiner Frau Isebel breitete sich der syrisch-phönizische Götzenkult des Ba'al über das ganze Land aus. Viele aus dem Volk Israel ließen sich verführen und beteten an den überall (häufig vom König selbst) errichteten Altären und Standbildern den Götzen Ba'al und die Fruchtbarkeitsgöttin Aschera an. Vielleicht waren sie der Meinung, es könne nicht schaden, wenn man den Gott Israels für die allgemeine Frömmigkeit und Feierlichkeit, die verschiedenen heidnischen Götter aber für die konkreten Gegebenheiten des Alltags zur Verfügung habe. Daß so etwas nicht geht, machte der Prophet Elia deutlich, als er die Götzen als "Nichtse" entlarvte. Dem Volk stellte der "Mann Gottes" dabei die entscheidende Frage: "Wie lange wollt ihr auf beiden Seiten hinken?"
Seitdem sind mehr als 2500 Jahre vergangen, aber die Frage des Elia ist wieder aktuell, gerade auch in 'christlichen Landen'. Es sind nicht unbedingt aus Stein bzw. Holz geschnitzte Götzen wie Ba'al oder Ascheram denen gehuldigt wird. An deren Stelle ist heute die Verehrung von Gurus und Wunderheilern, die Urlaubs- Pilgerfahrt in die Zentren und Ashrams selbsternannter "Propheten" und "Heiliger Meister" getreten. Neben dieser bunten Szene der Sekten und Kulte ist noch etwas sehr Merkwürdiges entstanden, das schlechthin als Beispiel für Synkretismus gelten kann: die "City- Religion" (dieser Begriff wurde von einem Soziologen geprägt). Es geht dabei um eine nicht-verfaßte, "vagabundierende Religiosität", der immer mehr Zeitgenossen anhängen. Sie möchten sich nicht mehr festlegen, weder in einer Kirche noch in einer Sekte, sondern jeweils auswählen, was einem gefällt und paßt, zu vergleichen mit Leuten, die durch eine Ladenpassage bummeln, überall hineinschauen, dieses und jenes erwerben und dann weitergehen.
Ein erster wichtiger Grundsatz der "City- Religion" ist die Nützlichkeitserwägung: Was oder Wer hilft mir bei der Lebensbewältigung? Wie erlange ich Heilung, spirituelles Wachstum, Glück oder Selbstverwirklichung? So begibt man sich an einem Abend zu einem esoterisch arbeitenden "Therapeuten", am nächsten Wochenende zu einem indischen Meditationslehrer und dann zu einem "holistischen Persönlichkeitstraining"; nebenbei läßt sich noch ein Zen- oder Astrologiekurs in einem New-AgeCenter absolvieren. Therapeutisch-weltanschauliche Angebote und ganz unterschiedliche reli- giöse Traditionen werden miteinander vermischt und instrumentalisiert, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, gesundheitliche Probleme zu lösen, existentielle Krisen zu überwinden oder Fitneß, Kraft und innere Harmonie zu erlangen. Ein weiteres Merkmal der "City-Religion" ist das Tempo. Alles muß sehr schnell gehen: man sucht Instant-Mystik und religiösen Sofort-Service. Was in der christlichen Gemeinde ein lebenslanger Prozeß ist und mit dem Stichwort "Christ werden - Christ bleiben" zu umschreiben wäre, wird dort zu einer zweitägigen "Einweihung" abgekürzt. Ein Erfahrungswochenende muß genügen, den konkreten Weg zum "Heil" zu finden, wobei es keine große Rolle spielt, ob dieser Weg mit Magie oder Schamanismus gepflastert ist, mit neuer Gnosis, "esoterischem Christentum" oder mit allem zusammen, Hauptsache es "wirkt".
Synkretismus und Findhorntänze
Wenn solche Dinge nur außerhalb des christlichen Raumes geschehen würden, könnte man sie als modernes und doch uraltes Phänomen zur Kenntnis nehmen. Aber auch dort, wo Eindeutigkeit im Sinne des neutestamentlich orientierten christlichen Glaubens gefordert ist, wird Synkretismus für unproblematisch gehalten. Selbst in Kirchengemeinden begegnen sich Leute, die von sich behaupten: Ich bin Christ und Esoteriker, Christ und Anthroposoph, Christ und Geistheiler usw. Manchmal hat man auch das Gefühl, es gäbe bei einigen Gemeindegliedern eine schleichende Hinduisierung des christlichen Glaubens, wenn sie wie ganz selbstverständlich den Glauben an "Karma und Reinkarnation" neben die Auferstehungshoffnung stellen und fernöstliche Meditationstechniken praktizieren, sich aber nicht für die eine oder andere Seite entscheiden wollen. Aber auch "ganz offiziell", in manchen kirchlichen Bildungsstätten und Kirchengemeinden hat Synkretistisches eine Chance, wenn esoterisches Heilen, Bewußtseinserweiterungstraining oder indianische Schwitzhütten-Rituale, das Mantra-Chanting der Babaji-Anhänger und Findhorntänze Bestandteile des Programms werden. Wie hatte doch Elia einst gefragt: "Wie lange wollt ihr auf beiden Seiten hinken?"
Pfr. Dr. Rüdiger Hauth, 54, ist Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Ev. Kirche von Westfalen und Vorsitzender der Konferenz der landeskirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).