Wir erklärten, daß es da keine Immunität gibt, und daß die Vorbedingungen überall da existieren, wo zu blind gehorcht und zu blind geglaubt wird. Es waren erschöpfende Tage. Kultbeobachter in anderen Ländern haben sicherlich ähnliches erlebt. Hoffentlich aber nicht das Nachspiel, mit dem wir hier beglückt wurden: Die Sonntagspresse, die wir ebenfalls mit Informationen versorgt hatten, "biß in die fütternde Hand" und stellte sich gegen uns. Auf einmal hieß es in den Zeitungen: "Anti-Kult-Gruppen gespalten durch Schismen und bittere Fehden" (Independent on Sunday, 9.10.), "Fanatismus wirft Schatten auf die Arbeit von Kultbrechern" (Sunday Telegraph, 16.10.) und "Kulte: wer beobachtet die Beobachter?" (Church of England Newspaper, 14.10.).
Die Anschuldigungen waren absurd und irreführend. Z.B. wurde im Telegraph behauptet, daß die Telefonnummer von FAIR geheimgehalten würde. Die 96 Reporter, die uns im Zeitraum von drei Tagen über die Sonnentempler ausfragten, scheinen uns aber ohne Schwierigkeiten gefunden zu haben!
Im übrigen waren die unfreundlichen Artikel darauf ausgerichtet, die Kompetenz der als "sogenannte Experten" beschriebenen Kultbeobachter in den Augen der Leser herabzusetzen. Unsere Qualifikationen wurden angezweifelt und unsere Bemühungen und unser Einsatz mit großen Fragezeichen versehen. Protestbriefe an die Redaktionen wurden weder gedruckt noch beantwortet.
Vielleicht müßte man zunächst einmal festlegen, was eigentlich ein "Experte" ist. In meinem Lexikon steht "jemand mit Wissen und Erfahrung auf einem bestimmten Gebiet". Universitätskurse für Kultforschung gibt es nicht, wenigstens nicht in Britannien, und einen Doktortitel kann man sich dafür bisher auch nicht erwerben. Stattdessen gibt es Menschen, die sich seit vielen Jahren mit dem Problem befassen, die große Archive zusammengetragen haben und mit so vielen Betroffenen gearbeitet haben, daß sie nun reich an Erfahrung sind und viel um Rat gefragt werden.
FAIR (Family, Action, Information & Rescue = Familie, Aktion, Information & Hilfe) besteht seit 1976 und hat im Laufe der Jahre das Vertrauen von vielen gewonnen. Das macht uns natürlich in Kultkreisen unbeliebt. Es läßt sich zwar nicht nachweisen, aber es würde mich nicht wundern, wenn überraschende Medienfeindseligkeit auf Kulteinfluß zurückzuführen wäre, und mit so etwas muß jeder rechnen, der sich in die Kultarbeit begibt, und anfängt, Erfolge zu erzielen. Kritik und Schmierkampagnen der Kulte sind immer als Anzeichen zu werten, daß die Arbeit effektiv ist. Deshalb sollte sich niemand abschrecken lassen, wenn er sich plötzlich auf der Kultzielscheibe findet und seinen Namen auf "schwarzen Listen". Wichtig ist aber, daß man den Gegnern nicht in die Hände spielt. Ob "greenhorn" oder "an old hand" (d.h.: egal ob Anfänger oder erfahren), man muß immer damit rechnen, daß man scharf beobachtet wird und daß alles, was man sagt, auf die Goldwaage gelegt wird. Und, daß es Anfragen gibt, die darauf zielen, den Kultbeobachter hereinzulegen.
Da gab es bei uns z.B. den Anruf eines Herrn Henry Dom, der dringend Information und Hilfe suchte. Laut eigener Angabe kam er von Südafrika und war 14 Tage in London, um seinen 17jährigen Bruder zu finden, der möglicherweise bei den Hare Krishnas untergetaucht war.
"Gräßlicher Kult mit greulicher Gehirnwäsche, finden Sie nicht auch?" sagte er zu mir. Bei mir gab es sofort inneren Alarm. Warum war der Herr so erpicht darauf, daß ich diese und andere schrille Redewendungen bestätigte? "Wie hole ich meinen Bruder nun heraus? Sie arrangieren doch so etwas?" Wieder so eine lauernde Frage. Ohne darauf einzugehen, erinnerte ich ihn daran, daß er ja gar nicht wüßte, ob der Junge überhaupt bei den Krishnas wäre. Ich gab ihm die Telefonnummer des ISKCON-Tempels und schlug vor, dort direkt anzufragen und vielleicht ein Treffen zu organisieren. "Ist das alles, was Sie mir raten können?" Er hatte offensichtlich auf drastischere Vorschläge gehofft. "In diesem Falle, ja".
Statt ihm "sämtliches ISKCON-Material" zu schicken, wie er es verlangt hatte, beschränkte ich mich auf unser eigenes Informationsblatt. Aber am nächsten Tag probierte ich die Telefonnummer, die er mir gegeben hatte, aus und fragte nach Henry Dom. Mir wurde mitgeteilt, er wäre nicht in seinem Büro. Hört, hört! Ist nur 14 Tage im Lande, hat aber ein eigenes Büro! Gut, daß ich Zurückhaltung geübt hatte. Erleichtert legte ich den Fall zu den Akten, aber kurz darauf sah ich ein ISKCON-Dokument mit der Unterschrift von Henry Dom: er hatte eine leitende Stellung bei der Gruppe. Als ich andere Kultbeobachter warnte, war es für einen schon zu spät. Er hatte ausgiebig mit Henry Dom gesprochen und ihm Berge von Material geschickt. Mein Beschwerdebrief an den hiesigen Tempelpräsidenten wurde, wie zu erwarten, nicht beantwortet.
Es gibt Kultorganisationen, die viel raffinierter vorgehen als ISKCON. Mit so etwas muß man immer rechnen. Es gehört einfach zum Alltag unserer Arbeit. Es soll sich aber niemand dadurch einschüchtern lassen.
Helfer werden dringend gebraucht, bei uns, bei Ihnen, und in anderen Ländern. Das Kultproblem ist nach wie vor vorhanden und wird so bald nicht verschwinden. Die Arbeit ist schwer, aber sehr wichtig, selbst wenn sie nicht jeder anerkennt. Albert Schweitzer hat einmal sehr treffend gesagt: "Wer Gutes tun will, darf nicht erwarten, daß ihm deshalb Steine aus dem Weg geräumt werden". Manchmal werden sogar noch mehr Steine aufgehäuft! Trotzdem wünsche ich allen in der Arbeit viel Erfolg.
Ursula MacKenzie, London