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BERLINER DIALOG 27, Orakel 2003

Spiritistische Praktiken

"Lieber ……!
Wir bitten Sie, diesen Brief ernst zu nehmen, denn es ist die reine Wahrheit, was wir Ihnen berichten.

Alles fing so an: Letztes Jahr, als ich im Zeltlager war, habe ich zum ersten Mal an einer Geisterbeschwörung teilgenommen. Die erste Frage war immer: Bist du ein böser Geist? Wenn 'er' auf ja rutschte, haben wir das Glas schnell mit einem Stein zerschmettert, damit uns nichts passierte. Denn es heißt, wenn man das Glas nicht zerschmettert, passiert (dreht das Medium durch) ihm etwas. (Da ist der böse Geist in ihm.) Er muss raus, in dem man irgendwo bluten muss.

Ich versuchte es mit ein paar Freunden zu Hause. Wir mussten viel Geduld aufbringen, bis wir Kontakt zu den 'guten Geistern' fanden. Aber jetzt (es ist schon fast ein Jahr her), haben sie sehr viel Vertrauen zu uns, wir auch zu ihnen. Wir brauchen kein Glas mehr, sondern wir können es mit einem Deckel, Geldstück und mit anderen Gegenständen machen. Konzentrieren brauchen wir uns auch nicht mehr. Sie haben auch schon bei vielen schlimmen Situationen geholfen. Blödsinn machen wir mit ihnen auch.

Wir fassten einmal unseren ganzen Mut, und sprachen mit den bösen Geistern. Seitdem können wir mit allen reden. Wir haben ein Super-Verhältnis zusammen. Am Anfang hatten wir auch Angst ins Bett zu gehen. Wir glauben trotzdem sehr an Gott. Sie sagten uns nämlich, es ist nichts gegen Gott, wenn wir mit ihnen reden. Wir haben ein Blatt [Anm.: Ouija-Board], wo wir alles mögliche darauf stehen haben. Wir machen es ohne Komplikationen. Es kann laut sein, wir tun nur den Finger drauf, und schon geht´s los! Wir rufen aber nie Satan! Sie sind sonst alle gute Freunde von uns, und helfen uns, wenn wir Hilfe brauchen.

Mit freundlichen Grüßen …"

Dieser Bericht zweier Mädchen über ihre Erfahrungen mit der spiritistischen Methode des Gläserrückens ist nur ein Beispiel von vielen, wie durch Neugierde und gruppendynamische Prozesse in Zeltlagern, Schullandheimen oder auch in Klassenzimmern ein erster Kontakt zu Praktiken des Spiritismus hergestellt werden kann.
Unter Spiritismus 56  ist das Bemühen zu verstehen, mit Geistern Verstorbener in Verbindung zu treten, die man in einer jenseitigen Welt vermutet. Als Hilfsmittel werden hierzu u.a. Pendel, Gläser, das Ouija-Board, die Planchette aber auch Tonbänder verwendet. Weiterhin wird versucht, den "Kontakt" zur "Geisterwelt" mittels menschlicher Medien oder Recorder herzustellen.

Das siderische Pendel
Dem Einsatz des siderischen Pendels 57 sind bezüglich der Themengebiete keine Grenzen gesetzt.
Das Spektrum reicht von der Wahl des Partners über Lottozahlen, Schulnoten bis hin zur Diagnose von Krankheiten und den zur Therapie nötigen Medikamenten. Das Pendel, ein an einem Faden hängender Gegenstand (Ring, Schraube, Lot u.a.), soll ruhig zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten werden. Es wird über Gegenständen, Fotos, Pendelkarten mit mehreren Auswahlmöglichkeiten, einem Ouija-Board oder auch über Körperregionen, Medikamenten usw. zum Einsatz gebracht. Anleitungen zum Bau und den Einsatz eines Pendels lassen sich, ebenso wie Pendelkarten, u.a. in Jugendzeitschriften finden. Nicht zuletzt aus diesem Grund erfreut sich das "Auspendeln" großer Beliebtheit bei Jugendlichen.

Siderisches Pendel
Siderisches Pendel
Foto: Studio Schmidt-Dominé

Das Ouija-Bord
Das Ouija-Board ist auch bekannt unter der Bezeichnung Hexenbrett (engl. witchboard). Die Buchstaben des Alphabets müssen ebenso vorhanden sein, wie die Ziffern von 0-9 und die Worte "Ja" und "Nein". Zur "Befragung" können unterschiedliche Gegenstände zum Einsatz kommen, wie Gläser oder eine Planchette u.a.m. Neben Ouija-Boards aus Holz lassen sich gerade bei Jugendlichen auch schnell hergestellte Ausführungen auf Papier finden.

Die Planchette
Die Planchette (franz.: "Brettchen"), die auch als "schreibendes Tischchen" bekannt ist, besteht aus einem oft herzförmigen Brett mit drei Rollen an der Bodenseite und einem Loch in der Mitte, durch das der für das automatische Schreiben notwendige Stift gesteckt werden kann. Dieser kann aber auch Ersatz für die dritte Rolle an der Spitze der Planchette sein. Sie wird neben der Verwendung beim automatischen Schreiben auch auf dem Ouija-Board eingesetzt.

Gläserrücken
Zur Vorbereitung müssen die Buchstaben des Alphabets, die Ziffern 0-9 und die Worte "Ja" und "Nein" auf einem Tisch angeordnet werden. Eine weitere Variante wäre die Verwendung eines Ouija-Boards. Die Anwesenden setzten sich um den Tisch und stellen darauf ein Glas mit der Öffnung nach unten. Alle Teilnehmer sollen nun einen Finger auf das Glas legen und damit beginnen, Fragen zu stellen. Sollte sich das Glas bewegen, was als "Anwesenheit eines Geistes" verstanden wird, so werden die angelaufenen Buchstaben protokolliert. Das Ergebnis wird dann als Botschaft des "anwesenden Geistes" interpretiert.

Siderisches Pendel,  Foto: Studio Schmidt-Dominé

Gläserrücken

Botschaft

Schreibendes Tischchen
Mit Hilfe des "schreibenden Tischchens" (Planchette) sollen Botschaften direkt auf Papier gebracht werden. Wie beim Gläserrücken sitzen die Teilnehmer um einen Tisch. Das Medium ("Mittler" zwischen Diesseits und Jenseits) legt die Hand auf das Brettchen. Daraufhin werden auch hier Fragen gestellt. Die "Antworten" müssen hier aber nicht mitgeschrieben werden, sondern sind gleich vom Blatt zu interpretieren.

Botschaft,  Archiv Dürhold

Die Faszination und der Versuch ihrer Erklärung
Es ist faszinierend, wenn sich das Pendel bewegt, das Glas auf Buchstaben zugeht, deren Kombination am Ende vielleicht noch etwas halbwegs Sinnvolles ergibt und die Planchette das Blatt bekritzelt. Mit der Anwesenheit oder dem Eingreifen von Geistern während einer spiritistischen Sitzung (Séance) hat dies aber keineswegs etwas zu tun. Für die beobachteten Bewegungen und die Frage, warum sich die Gegenstände genauso bewegt haben, lassen sich mehrere Faktoren nennen.58 
- Der Mensch ist nicht dazu in der Lage, durch Muskelkraft eine absolute Ruhigstellung zu erreichen. Vielmehr erzeugen die antagonistischen Kräfte ein unmerkliches Zittern.
- Der Puls, der logischerweise auch in den Fingerspitzen zu messen ist, verstärkt diese Schwingungen ebenso wie die Atmung.
- Durch den Bewegungsinput kommt es zu resonantem Verhalten des Pendels.
Stimmt dabei "die Erregerfrequenz mit der Frequenz der Eigenschwingung [Anm.: des Resonators] überein, so schaukelt sich die Schwingung des Federpendels immer mehr auf (Resonanz)" 59 .

Als weitere Erklärung dafür, warum sich das Pendel (Glas, Planchette) nicht unabhängig bewegt, sondern genauso, wie man es erwartet hat, wird der so gen. Carpenter-Effekt (Ideomotorik) herangezogen. "Ideomotorische Phänomene bilden eine interessante Sonderklasse von Ereignissen, bei denen unwillkürliche Körperbewegungen durch Wahrnehmungsinhalte induziert werden." 60  Das heißt, schon die Vorstellung einer Bewegung bewirke unbewusst einen Input zu ihrer motorischen Umsetzung.

Kritische Einschätzung
Bei den "Jenseitsbotschaften" des Spiritismus handelt es sich um Illusionen, nicht um Offenbarung im christlichen Sinne. "Quelle der Offenbarung ist für Christinnen und Christen allein das Wort Gottes, wie es in der Heiligen Schrift bezeugt ist. Geistliche Erfahrungen, die vom christlichen Glauben durchaus bejaht werden sollen, müssen sich an diesem Maßstab messen lassen." 61 
Spiritistische Praktiken gelten bei vielen Menschen als interessanter Zeitvertreib. Neugier, Lust auf Außergewöhnliches, Anleitungen in Zeitschriften (sehr häufig in Jugendzeitschriften) können Gründe für einen ersten Kontakt damit sein. Für die meisten verliert diese Beschäftigung schnell an Reiz.
Für andere kann der Einstieg aber auch zu einer längeren Beschäftigung mit diesem Thema und u.U. auch zu massiven Problemen, wie Angstzuständen, führen, insbesondere dann, wenn negative "Botschaften" (Eintritt einer Krankheit oder gar das Todesdatum) den Inhalt darstellen.
In der Aufklärung und Verarbeitung entstandener Probleme können medizinische und physikalische Erklärungen sehr hilfreich sein.
Mit einer reinen "Entzauberung" dieser Phänomene ist es aber nicht immer getan. Menschen, die Angst vor dem Eintreten eines Ereignisses haben, werden sich rationalen Argumenten oft verschließen. In solchen Fällen ist seelsorgerliche und häufig auch psychotherapeutische Hilfe unerlässlich.

Quellen
Kallenberg, Friedrich:
Offenbarungen des siderischen Pendels, Jos. C. Huber, Diessen, 1913.
Roesermueller, Wilhelm Otto: Der Pendel in Deiner Hand, Karl Rohm, Bietigheim, 8. Aufl., o. J.
Roselius, W./Weckner, W.: Wer pendelt weiß mehr - Pendeln leicht gemacht, Karl Rohm, Bopfingen, 1966.

Literatur
Hemminger, Hansjörg/Harder, Bernd:
Was ist Aberglaube?, Quell, Gütersloh, 2000.
Hund, Wolfgang: Alles Fauler Zauber? Okkulte Phänomene - Was steckt dahinter?, Verlag die Schulpraxis, Mülheim, 1988.- Okkulte Phänomene - erfahren und hinterfragen, Verlag an der Ruhr, Mülheim, 1991.

- Falsche Geister - Echte Schwindler?, Echter,  Würzburg, 2000.
Reller, Horst, Krech, Hans, Kleiminger, Matthias (Hg.): Handbuch religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2000, 636-652.

Anmerkungen
56 vgl. hierzu die ausführliche Darstellung in Reller, H., Krech, H. und Kleiminger, M. (Hg.): Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 5. Aufl. 2000, 636-652.
57 von lat. pendulum: das Hängende; unklar ist die Deutung von siderisch (von griech. sideros: "Eisen" oder von lat. sidus: "Stern")
58 vgl. Hemminger, H., Harder, B.: Was ist Aberglaube?, Quell, Gütersloh, 2000, 65 ff.; Hund, Alles fauler Zauber - Okkulte Phänomene - was steckt dahinter?, Verlag Die Schulpraxis, Mülheim, 1988, 43ff.,
59 Fendt, Walter: Erzwungene Schwinungen (Resonanz),
http://home.a-city.de/walter.fendt/phd/resonanz.htm , Ausdruck vom 19.09.2001.
60 de Maeght, S. u.a.: Ideomotorik,
http://www.mpipf-muenchen.mpg.de/CA/RESEARCH/ideomotor_g.htm , Ausdruck vom 19.09.2001.
61 Reller H., Krech, H., Kleiminger, M. (Hg.): Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2000, 649.


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