ZEGG

Ein anderes Bild vom ZEGG

von Felix Andreas Ihlefeld
eMail: fanihl@berlin.snafu.de
Berlin, im Dezember 1996

Inhalt

  1. Stellungnahme zum Artikel von Winfried Müller
  2. Warum das alles?
  3. Wie ist das denn nun im ZEGG mit der freien Liebe?
  4. Und - gibt es nun in diesem Sinne eine Art Gruppenzwang zu freier Liebe?
  5. Geht es nun immer nur um das Eine?
  6. Und für wen ist das ZEGG eher nicht geeignet?
  7. Literaturhinweise


Stellungnahme zum Artikel von Winfried Müller

Im Gegensatz zu Herrn Müller, der an keiner Stelle seines Textes erkennen läßt, jemals selbst im ZEGG gewesen zu sein, bin ich bereits häufig dort zu Gast gewesen. Ich bin ebenfalls (ehemaliger) Theologe, derzeit als Sozialtherapeut in der Psychiatrie tätig und von daher wenig anfällig für manipulierende Systeme oder gar Gruppenzwänge. Ich will an dieser Stelle nicht auf alle Mißverständnisse bei der Beschreibung des Projektes eingehen , ich beschränke mich auf einige, besonders auf die, die immer wieder zu spektakulären Presserfindungen Anlaß geben. Um es gleich zu sagen:

Es gibt ihn nicht, - den sogenannten Gruppendruck oder Zwang zu promiskuem Sex. Dafür gibt es auch in der von Herrn Müller zitierten Literatur, soweit es sich um Originalquellen handelt, keinerlei Belege. Es wäre auch etwas absonderlich, etwas als frei zu propagieren und gleichzeitig Zwang auszuüben. Außer - Herr Müller versucht aufgrund der nun schon zum x-ten Male in den Medien versuchten Parallele zwischen AAO und ZEGG diesen Zwang zu konstruieren.

Ja, Dieter Duhm war einige Zeit auf der Suche nach alternativen Modellen unterwegs und in diesem Zusammenhang auch Gast bei der AAO. Ebenso war er Gast in Taize , dies müßte dann der Vollständigkeit halber eben auch erwähnt werden. Nur wird deshalb keiner auf die Idee kommen, das ZEGG mit einem protestantischen Orden zu vergleichen, auch wenn er sich z.B. in Blick auf die Bedeutung von Musik und Gesang für die Gemeinschaftsbildung dort hat inspirieren lassen. Geradezu absonderlich mutet für mich die Schlußfolgerung an, das ZEGG wolle den zusammengebrochenen Sozialismus wiederbeleben (Auch Bahro will das nicht!).

Einen Sozialismus, der so wie er ursprünglich gemeint war, nie existiert hat, kann keiner wiederbeleben, ganz zu schweigen davon ,daß die innersten Themen des Menschen, um die es im ZEGG gerade geht, noch in keinem Sozialismusmodell befriedigend gelöst wurden. Zurück zur freien Liebe. Wer ins ZEGG fährt, weil er glaubt, dieser Ort würde ihm sexuelle Highlights wie ein Pärchenklub oder gar ein Superbordell bescheren, der sollte besser gleich zu Hause bleiben. Ich selbst habe dort manchmal häufige, manchmal wenige und oft überhaupt keine sexuellen Begegnungen. Dafür werde ich weder gelobt, noch getadelt , denn es gibt keine Norm im Sinne von Quantität. Statt dessen gibt es einen hohen Anspruch in puncto Qualität.

Und dieser lautet: Werde der du bist. Oder anders gesagt - lerne authentisch der zu sein, der du sein kannst. Lerne also , dich in deinen Möglichkeiten zu entfalten und ein realistisches Verhältnis zu deinen Begrenzungen als eine Last der Vergangenheit einzunehmen und sie, wenn möglich, zu überwinden. Niemand wird dafür verurteilt, wenn er für sich die Entscheidung gefällt hat, monogam zu leben. Wer aber mit dem Grundgedanken des ZEGG konfrontiert war, der wird diese Entscheidung dann aber auch bewußt fällen und sich über die Risiken und Chancen klarer sein, als vorher , - als er vielleicht nur deshalb monogam war, weil man das eben so macht. Ebenso wird derjenige, der nach neuen Lösungen und einem neuen Konzept in der Liebe sucht, hier wertvolle Anregungen bekommen.

Warum das alles?

Ich will versuchen , es so kurz und prägnant wie möglich darzustellen: Nach Auffassung des ZEGG kann es auf der Welt solange keinen Frieden geben, wie in der Liebe Krieg ist (s. Dieter Duhm, Der unerlöste Eros, Vlg. Meiga 1991). Nicht entfaltete , ungelebte Sexualität führt zu Aggression und zu verschiedensten Formen der Ersatzbefriedigung. Wer seine Möglichkeiten nicht lebt, sondern unterdrückt, unterdrückt auch andere. Ebenso - wer sich selbst nicht liebt, kann auch andere nicht lieben (Liebe deinen Nächsten wie dich selbst bzw. vgl. Augustin : Ama et quod vis fac - liebe, und was du dann willst tue). Übrigens - auch eine therapeutische Binsenweisheit, die nur in ihrer Bedeutung allgemein unterschätzt wird.

Schuld (ich verwende mal diesen vereinfachenden Begriff) an dieser Misere ist das kulturelle System des Patriarchats, mit dessen Einführung der Mensch begonnen hat, dualistisch (also im Sinne von linearen Ursache- Wirkung-Zusammenhängen) zu denken, die Frau als primär ganzheitlich denkendes Wesen zu unterdrücken und sich selbst zur Schöpfung in einen Gegensatz zu stellen (die Natur beherrschen wollen ,sich untertan machen), statt sich die simple Tatsache bewußt zu machen, daß jede Zelle des menschlichen Körpers letztlich ein Teil des Univerums (und nicht etwa einer Kultur oder Gesellschaft) ist.

In diesem Sinne HABEN WIR TEIIL AM LEBEN als einem universellen Prinzip und in diesem Sinne müssen wir uns die Frage stellen, welche Form von Kultur oder Gesellschaft unserem universellen Kern am ehesten entspricht. Wer diesen Ansatz gedanklich konsequent nachvollzieht, wird bemerken, daß das sehr radikale Gedanken sind. Um es auf den Punkt zu bringen: Die derzeit lawinenartig wachsenden Weltprobleme können mit den Mitteln patriarchal - dualistischen Denkens und Handelns nicht mehr gelöst werden , da sie durch dieses hervorgerufen wurden. Das legt den Schluß nahe, daß wir eine neue Kultur brauchen. Wie diese aussehen kann, dies herauszufinden hat sich das Projekt Meiga,von dem das ZEGG ein Teil ist, seit 1978 zur Aufgabe gemacht. Deswegen Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung (ZEGG). Das ZEGG also ein experimenteller Ort ohne Anspruch auf bereits allgemeingültige Lösungen, aber mit der Ernsthaftigkeit von Menschen, die etwas Neues beginnen wollen.

Wie ist das denn nun im ZEGG mit der freien Liebe?

Als Gast fällt einem auf den ersten Blick erst einmal nicht viel auf. Außer vielleicht, daß viele Bewohner Klarheit ausstrahlen und wie Menschen wirken, die mit beiden Füßen fest in der Welt stehen. Dann sieht man, daß Franz gerade Margarethe umarmt und später vielleicht Barbara einen intimen Kuß gibt. Das wirkt weder inszeniert noch künstlich, sondern spontan und natürlich. Wer nachfragt, erfährt von Franz bespielsweise, daß er beide Frauen liebt. Ist das nicht zuviel? Wie machst du denn das?

Franz würde dann zum Beispiel antworten:
Hier habe ich zum ersten Mal im Leben die Möglichkeit, meine Sympathie und Liebe voll auszudrücken, ohne dafür verurteilt zu werden. Das ist mir nicht leicht gefallen, denn natürlich habe ich wie die meisten gelernt, daß man nur eine Frau lieben darf und sich daher entscheiden muß. Hier habe ich erfahren, daß nur eine Art von Entscheidung zählt: Die für die Liebe. Und da spielt es keine Rolle, ob ich eine, zwei oder mehrere Frauen liebe. Das gilt für die Frauen umgekehrt natürlich auch." Ja, aber ist das nicht wahnsinnig kompliziert? Sind die Frauen dann nicht doch aufeinander eifersüchtig? (und die Männer dann natürlich auch)? Ja, es gibt Eifersucht. Das sitzt tief in uns. Aber wir haben uns entschieden anders damit umzugehen. Wir reden offen darüber, dafür gibt es das Forum. Niemand löst mehr seine intimen Liebesprobleme allein im stillen Kämmerchen. Alle nehmen Anteil. Und so unterstützen wir uns. Was die Eifersucht betrifft, sie ist Ausdruck der Angst, verlassen zu werden. Objektiv gibt es für diese Angst hier keinen Grund mehr. Denn hier in der Gemeinschaft wird niemand mehr verlassen, solange er sich entschieden hat zu lieben. Ich persönlich habe aufgehört, mein Glück von einem anderen Menschen, von einer Frau, abhängig zu machen. Ich bin verantwortlich. Ich allein. Das war eine erste und wichtige Erkenntnis für mich. Und wenn ich so lebe, bin ich frei, Liebe zu geben, statt zu fordern. So oder ähnlich wird einem Gast im ZEGG geantwortet.

Und - gibt es nun in diesem Sinne eine Art Gruppenzwang zu freier Liebe?

Nein. Es kommt aber vor, daß besonders neue Gäste meinen. sie müßten jetzt entweder mal nachholen, was sie bisher versäumt haben oder daß besonders Frauen glauben, sie dürften im ZEGG nicht nein sagen, wenn jemand mit ihnen ins Bett will. Aber das sind Zwischenstationen und mitunter wichtige Etappen auf dem Weg zu mehr wirklicher Freiheit, die die Fähigkeit Nein-Sagen zu können mit einschließt. Das klingt alles doch wohl wesentlich nüchterner, als es gewisse Berichte glauben machen wollen. Freier Sex, um das noch mal klar zustellen, wird nicht gefördert im Sinne geistlosen Herumvögelns. Man bekommt aber sofort dann Unterstützung, wenn man seine eigene Kraft und Lust liebevoll zum Ausdruck bringt. Und das hat schon mal eine ganz andere Qualität als in einem Bordell oder Pärchenklub.

Geht es nun immer nur um das Eine?

Ja und nein. Ja, weil Sexualität und Liebe elementare Kraftquellen sind, die in jedes andere Thema einfließen. Nein, weil es natürlich auch um andere wichtige Themen geht: Wie können wir ein neues, gewaltfreies Verhältnis zur Natur finden. Was müssen wir dafür ökologisch, physikalisch, biologisch, technologisch, spirituell an neuen Erkenntnissen finden? Zu diesen Fragen gibt es Seminare. Und, nicht zu vergessen, Kunst. Kunst, besonders Malerei und Musik spielen im ZEGG eine große Rolle. Kunst nicht im Sinne von Können, sondern im Sinne von freiem Selbstausdruck. Und wer gern singt, kann an Chorwochenenden teilnehmen. Ich selbst habe das oft getan.

Und für wen ist das ZEGG eher nicht geeignet?

Das ZEGG ist nicht geeignet:

  1. Für Menschen, die so tief in ihre Probleme verstrickt sind , daß sie eigentlich eine Therapie brauchen. Denn das ZEGG bietet ausdrücklich keine Therapie.

  2. Für Menschen, die nichts dazulernen wollen.

  3. Für Menschen. die mit der bestehenden Kultur zufrieden sind und keinen Anlaß für grundlegende Veränderungen sehen.

  4. Für Menschen, denen es nur vordergündig um schnellen Sex geht.

  5. Für Menschen, die im ZEGG eine Art Paradies auf Erden sehen wollen,

  6. Für Menschen, die Befreiung oder Erlösung von ihren Problemen ausschließlich von anderen erwarten.

  7. Und natürlich - wer der Meinung ist, daß die Welt oder auch nur unsere deutscher Anteil daran so wie sie ist, völlig in Ordnung ist, wer glaubt, daß wir mit unseren alten Rezepten schon alles in Griff bekommen werden, wenn wir uns nur auf unsere hergebrachten Werte neu besinnen, für den ist das ZEGG vielleicht sogar eine Gefahr.

Das alles ist meine persönliche Meinung und Erfahrung nach 5 Jahren ZEGG-Besuch. Die Darstellung ist um der Prägnanz willen weder vollständig, noch ist der Inhalt offiziell vom ZEGG autorisiert worden.

Literaturhinweise:

Duhm, Dieter:
Der unerlöste Eros, Verlag Meiga , 1991

Duhm, Dieter:
Politische Texte für eine gewaltfreie Erde, Verlag Meiga 1992

Lichtenfels, Sabine:
Der Hunger hinter dem Schweigen, Annäherung an sexuelle und spirituelle Wirklichkeiten, Verlag Meiga 1992

Lichtenfels, Sabine:
Weiche Macht , Verlag Berghoff & friends 1996

Eisler, Riane:
Kelch und Schwert, Goldmann Verlag 1993

...und wer Zugang zu Pressearchiven hat:
tip, taz und Wiener , sowie immer wieder die Märkische Allgemeine haben positiv über das ZEGG berichtet, stern, spiegel, u.a. meist gleichlautend negativ.