Jesusfreaks

Bei den Jesusfreaks handelt es sich um eine Erweckungsbewegung der letzten Jahre des 20. Jahrhunderts. Auf der Basis jugendlicher Subkultur kritisieren sie das staatsamtliche Auftreten der Großkirchen. Dabei spielt die Beziehung des Einzelnen zu Gott und Jesus eine herausragende Rolle.

  1. Die Überzeugung der Jesusfreaks in Selbstdarstellungen
  2. Beurteilung

Die Überzeugung der Jesusfreaks

Online im Internet: URL: http://www.jesusfreaks.com/Page/unsueb.htm [Stand 21. 11. 1998]

Ja, wir sind der Überzeugung, daß trotz Papst, Hexenverbrennung, geldscheffelnden TV-Predigern und klerikalen Langweilern, hinter der Sache mit Jesus etwas wahres und sehr phantastisches steht. Um ehrlich zu sein glauben wir sogar, daß es nichts radikaleres gibt, als mit Jesus zu leben, nichts was dem Leben mehr Qualität geben könnte. Dabei geht es nullstens um Religion oder irgendwelche Wahrheiten bzw. Lebensregeln, sondern vielmehr um eine Beziehung mit Ihm.

Wir gehen davon aus, daß Jesus, der ja gelebt hat und irgendwann gestorben ist, tatsächlich, sagen wir einmal in einer anderen Form, wieder zum Leben kam und noch heute existiert!

Wir verstehen, daß er sich im besonderen Maße den Kaputten, Fertigen, Kranken, Abhängigen, Verarschten, Verstoßenen, Armen zugewandt hat, denen, die außerhalb der Wertnormen dieser Gesellschaft liegen. Darum wollen wir mit unseren Verein, "Kirche" für solche Leute möglich machen. Unser Ziel ist dabei nicht, irgendwie Unterhaltung zu bieten oder nur Not zu lindern, sondern vor allem viele mit diesem auferstandenen Jesus bekannt zu machen, der uns heute liebt und jedem einen völlig neuen Lebensanfang geben kann.

Unser Gebet ist es, eine neue Bewegung unter jungen ausgeflippten Leuten in ganz Deutschland auszulösen, die ähnlich der "Jesus-People-Bewegung" in den 60er und 70er Jahren, ein radikales Leben mit Jesus als das coolste, feurigste, intensivste und spannendste überhaupt verwirklichen. Diese "Jesus-Bewegung der 90er Jahre" soll zur Entsehung neuer Gemeinden, ähnlich der Jesus Freaks führen.

Wir erleben, daß das "ach so alte Buch" die Bibel, Worte mit Explosionskraft hat, und in ihren Aussagen über das Leben mit Gott absolut war ist. Jesus ist der einzige, der die Mauer zwischen uns und Gott zerstören kann: nur er vergiebt unsere Schuld, die wir verbockt haben, nur er kann uns befreien.

Wir freuen uns über alle anderen Gemeinden in der Welt, die Jesus im Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft haben. Wir suchen die Einheit und Zusammenarbeit mit ihnen, und wollen trotz unserer Eigenartigkeiten, uns nie über andere Christen erheben, auch wenn uns ihr Stil oder ihre Theologie nicht gefällt.

Schrill und laut sein

Online im Internet: URL: http://www.jesusfreaks.com/Page/frea1.htm [Stand 21. 11. 1998]

Jesus hat heftige Bilder benutzt, die die damalige Gesellschaft zutiefst schockierten. Er sprach mit Prostituierten, aß mit den verhaßten Sündern und schwang die Peitsche im Gotteshaus. Ich glaube Gott hat die Jesus-Freaks berufen, schrill und laut, unüberhörbar in ihrer Stadt zu sein. Wir planen öffentliche Erschießungen, Fernsehtempel, die verbrannt werden, und anderes, um die Menschen wachzurütteln und ihnen den Weg zu Gott zu zeigen. Es kostet Mut, schrill und Laut zu sein, aber macht auch ungemein Spaß.

Neue Sachen ausprobieren

Online im Internet: URL: http://www.jesusfreaks.com/Page/frea2.htm [Stand 21. 11. 1998]

Ich glaube, Gott möchte uns neue Sachen schenken, neue Formen von Gottesdienst, neue Lobpreislieder, neue Musik, neue Arten zu beten. Gebet war nicht immer gleich. Mose betete zu Gott mit Opfern, David in Psalmen und Hymnen. Die Kirche erfand Liturgien, mit deren Hilfe man zu Gott reden konnte. Beten ist weit mehr als fromme Worte sprechen. Ich möchte kreativ sein, um Gott meine Liebe auszudrücken. Wir machen Gottesdienst mit Lasershows, Rauchbomben, Diashows, gerapte Abendmahlsliturgien, Trash-Metal-Lobpreislieder. Man läuft Gefahr, es zu übertreiben. Das ist mir klar. Doch diese Gefahr sollten wir ruhig wagen.

Kopf sein, und nicht Schwanz

Online im Internet: URL: http://www.jesusfreaks.com/Page/frea3.htm [Stand 21. 11. 1998]

Kopf sein und nicht Schwanz! Wir können stolz darauf sein, weil wir mit dem Captain des Universums befreundet sind. Wie stolz wärst Du, wenn Du mit dem Bundespräsidenten befreundet wärst oder irgendein Rockstar, der ständig auf MTV zu sehen ist, Dich seinen besten Freund nennte, oder Albert Einstein Dein Vater wäre? Du würdest es bestimmt rumerzählen und Dich mit dem so oft wie möglich sehen lassen. Doch Du bist mit dem zusammen, der Präsident der Präsidenten ist, der Rockstar der Rockstars, das Genie der Genies, JESUS CHRISTUS !

Raus aus dem christlichen Ghetto

Online im Internet: URL: http://www.jesusfreaks.com/Page/frea4.htm [Stand 21. 11. 1998]

Wenn wir das verlorene Schaf finden wollen, müssen wir an Verlorene-Schaf-Orte gehen, wo sich verlorene Schafe nun mal aufhalten. Wir müssen lernen, die Sprache der verloren Schafe zu sprechen (falls wir sie schon verlernt haben). Wir müssen uns für die Nöte der Verlorenen Schafe interessieren und uns manchmal sogar für sie in den Dreck begeben (Math. 18,12 ff.). Dasselbe hat Jesus für uns auch getan. Oder können wir erwarten, daß verlorene Schafe pünktlich und gewaschen am Sonntagmorgen um zehn zu unseren Gottesdiensten kommen, um sich zu bekehren?

Brücke sein!

Online im Internet: URL: http://www.jesusfreaks.com/Page/frea5.htm [Stand 21. 11. 1998]

Das Ziel einer Jesus-Freak-Gruppe oder Gemeinde sollte sein, diese Schwelle so niedrig wie irgend möglich zu halten. Das betrifft zum Beispiel auch das Gebäude. Wir haben eine Kneipe auf der Reeperbahn, in der wir - vollprofessionell - einen Kneipenbetrieb haben. Viele Nichtchristen kommen, weil ihnen die Kneipe gefällt, sie sich dort wohlfühlen. Außerdem haben wir den Musikclub "Marquee", der voll in der Szene steht, wo geile und angesagte Bands spielen. Keiner der zu uns kommt muß sich davor fürchten, daß gleich eine Frau mit Dutt ihnen eine Bibel über den Kopf knallt. Doch jeder weiß es: Dies ist eine Kneipe, ein Musik-Live-Club der Jesus-Freaks. In denselben Räumen finden auch die Sonntagsgottesdienste statt. Den Nichtchristen fällt es leichter, dorthin zu kommen, denn sie kennen die Räume ja, fühlen sich relativ zu Hause. Wir müssen Brücken bauen, um die Verlorenen zu retten.

Wir sind eine Gang

Online im Internet: URL: http://www.jesusfreaks.com/Page/frea6.htm [Stand 21. 11. 1998]

Als letzten Punkt will ich kurz etwas zum Gruppengefühl sagen. Vieles bei den Freaks erinnert mich im positiven Sinn an eine Gang. Wir sind wie eine Familie, haben unseren Boss. Es ist kein Spiel, sondern Ernst. Nicht jeder kann in die Gang aufgenommen werden: Mutprobe ist eine Hingabe an Jesus. Uns verbindet ein Ziel: unseren Ruf, unserer Gebiet zu verteidigen und auszubauen - Gottes Reich auszuweiten. Wir sind stolz darauf, Teil dieser Gang zu sein, tragen unsere Gangklamotten und Jesus-Freaks T-Shirts. Das wirkt anziehend auf andere. Man will gerne dabei sein.

Vielleicht wird der Zeitpunkt kommen, wo unter den gängigen Jugendgruppen im Soziologie-Lehrbuch neben den Punks, den Rappern, den Streetkids und den Hippies auch die Gruppen der Jesus-Freaks auftauchen, eine Gang, die sich als Ziel gesetzt hat, ein radikales Leben mit Jesus zu verwirklichen.

Beurteilung

Die zitierte Grundlage der Jesusfreaks macht deutlich, daß hier in radikaler jugendlicher Manier jegliche Tradition auf kirchlichem Gebiet abgelehnt wird. Nun ist es sicher verständlich, daß überkommene kirchliche Liturgie und Tradition, womöglich auch die "Sprache Kanaans" für Jugendliche, die außerhalb kirchlicher Tradition aufgewachsen sind, unverständlich und obsolet dastehen. Der Versuch, zu den Wurzeln christlichen Glaubens ohne "Kirchenstaatsamt" vorzustoßen, ist auch für Erwachsene nachvollziehbar. Wird doch gerade im zunehmend säkularisierten Leben der Gegenwart das volks- und staatskirchlich orientierte Selbstverständnis der Kirchen beider Konfessionen zunehmend fragwürdig. Die Amtskirchen träumen von einem Einfluß auf die gesellschaftliche Gegenwart, den sie realiter nicht mehr haben. Das wird gerade zum Ausgang unseres Jahrhunderts mit den dramatisch fallenden Mitgliederzahlen der Gliedkirchen besonders deutlich.

Diese Situation ist für die christlichen Kirchen aber nichts grundsätzlich Neues. Immer wieder wurden sie im Verlaufe der letzen zweitausend Jahre grundsätzlich in Frage gestellt, immer wieder befanden sie sich in existenziellen Krisen. Die Kirchengeschichte ist voll von Berichten über Machtmißbrauch und ungerechtfertigter politischer Einflußnahme katholischen und protestantischen Christentums. In diesen Zeiten wurde auch immer wieder der Ruf nach radikaler Veränderung laut, oft genug schoß man aber über das Ziel hinaus: Aus Veränderung wurde Sektierertum. Das war in der Zeit der Reformation des 16. Jahrhunderts mit seinen Gegensätzen von Schwärmertum und Reformation genauso wie es heute ist. Auch das Konzept der Jesusfreaks steht in der Gefahr, die Gemeinschaft der christlichen Kirchen zu verlassen, weil sie radikal alles Überkommenes ablehnt. Doch man sollte in der Auseinandersetzung immer daran denken, daß diese Ablehnung nur dann Sinn macht, wenn die ökumenische Gemeinschaft der Kirchen nicht verlassen wird. Geschieht das, dann ist der Weg zur Sekte gegangen, dann hat eben der kleinste gemeinsame Nenner aller christlichen Kirchen, das Glaubensbekenntnis, keine Bedeutung mehr.

Ich würde die Jesusfreaks nicht als Sekte bezeichnen, sondern als schwärmerische und erweckliche Jugendbewegung. Es bleibt abzuwarten, ob diese durchaus kleine Gruppe in den nächsten Jahren eine größere Bedeutung erlangen wird. Dann ist auch zu fragen, wie sich die Ökumene der christlichen Kirchen zu dieser Bewegung stellt. Momentan scheinen sie von den Kirchen nicht zu Kenntnis genommen zu werden. Das könnte aber auch zur Folge haben, daß den Jesusfreaks dann nur noch bleibt, einen eigenen Weg außerhalb der ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen zu gehen. Das wäre gleichbedeutend mit dem Abrutschen ins Sektierertum.