In der späteren Kirchen- und Dogmengeschichte bezeichnete man alle
Lehren, die von der offiziellen katholischen Kirchenmeinung abwichen, als
"Häresie". Bei der Beurteilung ist jedoch zu berücksichtigen, dass
im Prozess der historischen Konsolidierung der christlichen Kirche immer die
Fragen im Zentrum standen: "Was ist christlich? Und was ist nicht mehr
christlich?" So ist denn die Kirchen- und Dogmengeschichte eine Geschichte
der Auseinandersetzung der unterschiedlichen und widersprüchlichen
Lehrmeinungen bis auf den heutigen Tag gewesen. Dabei wurde ein Art
"gemeinsamer Nenner" (opinio communis) vor allen auf den grossen Synoden des
4. und 5. Jahrhunderts herausgearbeitet, die letztendlich die Grundlage
für den historischen Erhalt der Kirche über die Jahrtausende
sorgte. Die Auseinandersetzung der Kirche mit Häresien führte zur
Findung des eigenen theologischen und gesellschaftlichen Standpunktes. Der
Kirchenhistoriker Karl Heussi hat in seinen Vorlesungen immer wieder auf die
Bedeutung der Häresien für den Konsolidierungsprozess der
christlichen Kirche hingewiesen, denn gerade die "Ketzer" haben immer auf
die Defizite im Leben und in der Lehre der Kirche besonders hingewiesen.
Dass sie dabei über das Ziel hinaus schossen, dass sie sich von der
Gemeinschaft der Christen in der Lehre und organisatorisch trennten, machte
sie zu Ketzern bzw. Sekten. Historisch wurde diese Auseinandersetzung aber
mit erbarmungsloser Härte geführt, einer Härte, die dem
Doppelgebot der Liebe im Christentum Hohn spricht. In der Moderne wird
besonders von Sektierern auf diese Mord- und Gewalttaten immer wieder
hingewiesen. Die moderne christliche Theologie schätzt aber diese Taten
als das ein was sie gewesen sind:
Als Verbrechen an den Menschen vor
Gott.
Im heutigen Sprachgebrauch wird "Häresie" synonym für "ketzerisch", "abweichlerisch" und "verdammenswert" gebraucht.