Sekten und Kirche
Autor: Thomas Gandow
Haben Sie schon einmal gezählt, wie viele andere Religionsgemeinschaften in
Ihrem Wohnbezirk werben? Haben Sie einmal darauf geachtet, welche anderen
Gotteshäuser, Versammlungsstätten, Tempel, Gebets- und Meditationsräume
es bei Ihnen "neben" Ihrer Kirche gibt? - Wenn man aus einer Hochhauswohnung
blickt, sind Kirche und Sektenzentrum vielleicht gleich unscheinbar und
gleich weit entfernt. (Möglicherweise aber sind die Werber der Sekten, der
neuen Religionen usw. öfter in den Häusern und schneller bei Neueingezogenen als die Vertreter der Kirchengemeinde.)
Seit über hundert Jahren haben sich die Kirchen schon mit den Angriffen der
"klassischen Sekten" und ihrer Werbung beschäftigen müssen. Allein die
(christliche) Sekte "Jehovas Zeugen" z.B. hat heute ca. 100 000 (aktive!)
Mitglieder in (West-)Deutschland, darunter, wie jeder sehen kann, viele
junge Leute.
Was bedeutet das Wort "Sekte"?
Das Wort "Sekte" kommt wohl von dem lateinischen Wort "sequi"=jemandem folgen (wie z.B. in "konsequent") und hat ursprünglich die Bedeutung von Gefolgschaft, Partei, Schulrichtung. Sekte hat nichts mit secare = schneiden
wie z.B. "Sektor" zu tun.
Mit dem Wort "Sekte" können wir ohne abwertenden Beigeschmack ein zu einer
bestimmten Religion gehörenden Nebengruppe bezeichnen. So gibt es auch
buddhistische und islamische Sekten. Wenn wir eine religiöse Gruppe als
christliche Sekte bezeichnen, so drücken wir damit vor allem Nähe und so
etwas wie "Verwandtschaft" aus; sie gehört damit für uns im weiteren Sinne
zur christlichen Religion.
Was sind Kirchen?
Im weiteren Sinne zur christlichen Religion können die
unterschiedlichsten Gruppen, Gemeinschaften, Wohltätigkeitsorganisationen
usw. gerechnet werden. "Eine heilige christliche Kirche ... ist die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die
heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden", besagt die "Augsburgische Konfession". Zu den christlichen Kirchen können solche Gemeinschaften gezählt werden, "die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen
Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des
Heiligen Geistes", formuliert die "Basis" des "Oekumenischen Rates der Kirchen".
Sind Freikirchen etwas Besonderes?
Eigentlich nicht. "Freikirchen" sind, im
Gegensatz zu den alten Staats- und Landeskirchen, Kirchen mit (staats-) unabhängiger Verwaltung. Zum Beispiel sind, auf Grund der staatlichen Ordnung,
in den USA alle christlichen Kirchen Freikirchen.
"Kirche" von griechisch "kyriakon"=dem Herren gehöriges (Haus) sind demnach
diejenigen Gemeinschaften, die
- als ihren Herrn und Heiland Jesus Christus
- gemäß der Heiligen Schrift bekennen und in
- gemeinsamem Dienst zur Ehre Gottes wirken wollen.
Und die Sekten?
Demgegenüber bezeichnen wir als christliche Sekten solche religiösen
christlichen Gemeinschaften, die gegen die anderen, insbesondere gegen die
Kirchen, Werbung und Mission betreiben auf Grund von für sie maßgeblichen,
außerbiblischen Wahrheits- und Offenbarungsquellen.
Zumeist haben sie auch den Anspruch, ein besseres oder vollständiges Wissen
über die Person, die Botschaft oder die Taten Jesu Christi zu besitzen, als
wir es im Neuen Testament und in altkirchlichen Bekenntnissen finden können.
Nicht selten ergibt sich aus diesem Anspruch dann auch eine Veränderung und
Verminderung der Rolle Jesu Christi.
Auch wird die Geschichte der Christenheit von vielen Sekten abgelehnt, weil
und soweit dort die von der jeweiligen Sekte gefundenen "Wahrheiten" nicht
vorhanden sind.
Für die Auseinandersetzung mit
Sekten und Sektenlehren gilt der
Toleranzgrundsatz Augustins (350 -
430): "Liebe die Irrenden, (darum)
hasse die Irrlehren."
Ich ermahne euch aber, liebe Brüder:
Nehmt euch in acht vor denen, die Zwietracht und
Verwirrung anrichten im Widerspruch zu der Lehre,
die ihr gelernt habt, und meidet sie. Römer 16,17
Schon zu den Zeiten der Apostel hat es Sekten und Irrlehrer gegeben. Die
Briefe des Neuen Testaments spiegeln die lebhafte Auseinandersetzung mit
ihnen wider. Die Sprache des Neuen Testaments gegenüber den Sektierern ist
deutlich und bestimmt. Es geht ja auch um das Heil der Gemeinde, die durch
die Irrlehrer auf falsche Sicherheiten gelockt werden soll. Die Apostel halten die Frage der Sekten nicht für eine Geschmacksfrage, sondern sie meinen,
daß es um ewiges Leben oder ewigen Tod geht.
Auch heute geht es bei der Auseinandersetzung mit Sekten nicht um Konkurrenzneid oder Rechthaberei, sondern es geht um die geistliche Auseinandersetzung
mit denen, die eine ganz andere, verdrehte oder verfälschte Botschaft vertreten.
Viele "uralte" Irrlehren haben sich bis heute erhalten oder treten heute
wieder neue auf.
Einige ihrer Hauptangriffspunkte sind:
- die Verkündung neuer Offenbarungen, die die Bibel herabsetzen oder er-
gänzen.
- die Veränderung oder Herabsetzung der Rolle Christi,
- Angriffe auf die Verwurzelung des christlichen Glaubens im Alten Testament
und der Geschichte des jüdischen Volkes.
Vielen aber ist gemeinsam, daß erstes Anliegen der Angriff auf die christliche Kirche und Gemeinde ist. Liest man so manche Sektenzeitung, stellt man
fest, daß der Kampf gegen die Kirchen und ihre angeblichen Fehler und tatsächlichen Versäumnisse die Seiten füllt und vielfach die Sache ausmacht.
Deshalb bemühen sich diese Sekten auch nicht, an der gemeinsamen Aufgabe zu
wirken, der Welt das Evangelium zu bringen, indem sie zum Beispiel in vom
Christentum noch unberührte Gebiete gehen, sondern sie betreiben ihre Arbeit
da, wo sie Menschen aus den Gemeinden abwerben können.
Bibel - Kirche - Oekumene
Auch wenn die Sektenprediger, die wir treffen, viel auf die Kirche schimpfen:
Die vielgeschmähte Kirche hat auch ihnen die Bibel überliefert. Mit all den
auch für die Kirchen manchmal unbequemen Wahrheiten. Wer aber besondere
Offenbarungen oder Einsichten hat, muß sie an der Bibel messen lassen. Sie
ist der Maßtab auch für angeblich höhere Einsichten.
Die Kirchengeschichte mit all ihren Irrungen und Wirrungen, Fehlern und Versäumnissen ist zugleich Ermutigung, weil sichtbar wird, wie Gott in dieser
schwachen, das heißt menschlichen Kirche immer wieder Menschen zu seinen
Zeugen macht und in die Nachfolge ruft.
Christen stellen sich in die Gemeinschaft mit denen, die uns im Glauben
vorangegangen sind.
"Die Kirchengeschichte ist kein Ballast für die Kirche, sondern in erster
Linie Zeugnis vom Wirken Gottes in der Geschichte der Welt. Auch dann, wenn
die Gläubigen sich auf kurze oder längere Strecken ihres Weges von falschen
Leitbildern führen liessen" (F.W.Haack).
Die kirchliche Tradition, die altkirchlichen Bekenntnisse sind Zeugnisse
der Erfahrung der Gemeinde mit Gott und Orientierung für uns.
Christen stellen sich aber auch in die Gemeinschaft der Oekumene, der
Kirchen neben ihnen und auf der ganzen Welt, lernen von ihren Erfahrungen
und Leiden, ihrem Zeugnis und Dienst und erfahren so Bereicherung und
Korrektur.
Gebet:
Herr Jesus Christus,
die Zerrissenheit Deiner Kirche macht uns schwach.
Schenke uns deine Einheit, damit die Welt glaubt.
Stärke rechte Lehre und Gemeinschaft in deiner Kirche in der ganzen
Welt.
Gib überall deiner Kirche Kraft und Mut, das Evangelium rein
und offen zu verkündigen.
Schütze deine Gemeinde vor Kleinglauben und Verzweiflung.
Schütze sie vor falschem Sicherheitsdenken, das sich auf
Aeußerlichkeiten und menschliche Berechnung stützt.
Herr, wir bitten für uns und alle anderen, für Glaubende und
Zweifelnde, Irrende und Kleingläubige:
Herr, wir glauben, hilf unserem Unglauben.
Amen.
Längst gibt es nicht nur die traditionelle Werbung durch den Verkauf von
Büchern und Zeitschriften von Haus zu Haus. Trauernde werden auf Friedhöfen angesprochen oder erhalten "persönliche" Briefe. Jugendliche werden zu Sportveranstaltungen oder Sprachkursen eingeladen. Famielenabende
mit Gesellschaftsspielen werden gestaltet. Bibelfernkurse werden angeboten.
Kaum ein Bereich unseres Lebens wird von den Sekten und anderen religiösen
Gruppen nicht für ihre Werbung benutzt. Dabei wird nicht immer der religiöse und organisatorische Hintergrund offengelegt.
So kommen wir an der Auseinandersetzung mit den Sekten nirgends vorbei.
Wie soll man sich verhalten?
Für unser Verhalten gegenüber den zahlreichen und vielfältigen religiösen Angeboten ist gründliche Information die wichtigste Voraussetzung.
Deshalb sollten wir uns ruhig gelegentlich die Zeit für ein Gespräch
nehmen.
Toleranz und Klarheit
Wir können auch ohne alle Aengste im Sinne der Nächstenliebe tolerant
(ertragend, erduldend) sein, das heißt, wir können den andern Menschen
lieben und annehmen, auch wenn wir mit seinen Ansichten nicht übereinstimmen. Toleranz gegenüber Menschen anderen Glaubens gehört zu einer
sachgerechten Kritik an den vielleicht nicht zu akzeptierenden Ansichten
und der nicht hinnehmbaren Praxis. Dazu gehört freilich auch, daß wir
über unsere eigene Position Klarheit gewonnen haben. Gelegentlich kann
es wichtig sein, die Standpunkte deutlich zu machen. Dabei geht es nicht
darum, Redegefechte mit Sektierern an der Haustür zu suchen. Gerade hier
sollte man aber mit Freundlichkeit, Offenheit und Klarheit entgegnen. Meist
werden wir "überrascht" oder sogar überrumpelt. Dann ist es kein "Kneifen",
wenn wir freundlich sagen: "Ich kann mich jetzt nicht mit Ihnen unterhalten,
bedanke mich aber für die Mühe, die Sie sich wegen mir machen wollten."
Freundlichkeit und Liebe gerade zur Irrenden bei unmißverständlicher
Ablehnung der Irrlehre gehen über das Ertragen noch hinaus. Zur Freundlichkeit gehört auch, daß man wo immer möglich das eigene Zeugnis nicht
schuldig bleibt. ("Es ist gut gemeint, daß Sie sich um mich bemühen. Nun
werden Sie sich sicherlich auch interessieren, was ich glaube. Gern würde
ich jetzt etwas über meinen evangelischen Glauben erzählen!")
Wie kann man sich schützen?
Der beste Schutz davor, auf den Irrweg einer Sekte zu geraten, ist eine
lebendige, aktive Mitgliedschaft in der eigenen Gemeinde und der
regelmäßige Gottesdienstbesuch. Hier ist man mit seinem Glauben, aber auch
mit seinem Fragen und Zweifeln nicht allein; hier findet man hoffentlich
gute Gemeinschaft. Gerade wenn uns manches in unserer Gemeinde nicht
gefällt: Gott hat uns sein Evangelium und seine Gnade in irdenen Gefäßen
gegeben; Menschen wie dich und mich, mit all unseren Unvollkommenheiten,
hat er beauftragt, sein Evangelium weiterzusagen.
Seid allezeit fröhlich,
betet ohne Unterlaß,
seid dankbar in allen Dingen.
Den Geist dämpfet nicht.
Weissagung verachtet nicht.
Prüfet aber alles,
und das Gute behaltet.
1. Thessalonicher 5