Scientology: Helnwein färbt schön

Eine Ausstellung des Düsseldorfer Comic-Künstlers Gottfried Helnwein im Prenzlauer Berg sorgt für Wirbel. Der 47jährige wird von der dubiosen Scientology-Sekte umjubelt

TAZ, 10.2.1996

Von Frank Nordhausen

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Es hängt seit kurzem auf U-Bahnhöfen und hat schon heftige Proteste hervorgerufen - das Bild eines gefesselten Kindes, dem ein Stahlrohr wie ein Phallus im Mund steckt. Die grausige Szene stammt von dem Düsseldorfer Schock- und Blutmaler Gottfried Helnwein und wirbt für das Theaterstück »A und K oder ein Brudermord wieder gut gemacht«, das am 11. Februar in der Kulturbrauerei (Prenzlauer Berg) uraufgeführt wird. Der 47jährige Helnwein hat das Bühnenbild gestaltet und präsentiert dort auch eine Ausstellung.

Am Donnerstag hatte die Kulturbrauerei mit Regisseur Gert Hof und dem exzentrischen Pop- Künstler geladen. Als der Maler mit Stirnband und Sonnenbrille auftauchte, nannte er seine schockierenden Bilder von gequälten Kindern eine "Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt und Mißbrauch". Er wollte die Gewalt aber nicht ästhetisieren, sondern Widerstand dagegen mobilisieren. Als weiteren Beitrag zum Thema will er am Sonntag eine hundert Meter lange Bilderstraße mit dem Titel "Selektion" im Hof der Kulturbrauerei aufstellen - eine Serie von überlebensgroßen Kindergesichtern, die an die Nazimorde erinnern soll und "der Reichskristallnacht gewidmet" sei. Als er das bekanntgab, mußte er sich einige unangenehme Fragen anhören. Der evangelische Sektenbeauftragte Thomas Gandow wies darauf hin, daß die totalitäre Scientology-Organisation Helnwein noch vor kurzem als "Klasse-IV-Auditor" und Werbeträger in ihren Broschüren aufführte - mit Foto und Zitat ("Scientology ist der größte Durchbruch in der Geschichte des menschlichen Denkens"). Gandow: "Der Begriff Selektion wird heute nur noch von einer politisch- extremistischen Gruppe proklamiert, und das ist "Scientology". Scientology rechne 20 Prozent aller Menschen zu den bloß "Humanoiden" (menschenähnliche Wesen); in ihrem Programm propagiere sie offene Gewalt. Wie denn Helnweins Engagement für die "faschistoide Ideologie" des Scientology-Gründers Hubbard zusammenpasse mit der geplanten Ausstellung gegen Gewalt und Faschismus?

Helnwein erklärte daraufhin, er gehöre keiner Sekte an und habe auch nie einer angehört: "Ich bin kein Mitglied von Scientology". Er sei sogar gewalttätig gegen Scientology vorgegangen. Das jedoch, so sagte Gandow, sei nur eine "Schutzbehauptung", die der Maler seit Jahren aufstelle und nie habe belegen können. Auf die Nachfrage, ob er sich nicht nur von der Organisation, sondern auch der Hubbard-Ideologie distanziere, wollte Helnwein dann auch nichts Konkretes sagen und erging sich in Beschimpfungen. Helnwein: "Ich muß nicht zu jedem Scheißdreck Stellung beziehen".

Ist er nun, oder ist er nicht? Unter Hubbard-Jüngern gelten Helnweins Schockbilder jedenfalls als "das Beste, was die Gegenwart zu bieten hat", wie der Scientologe Horst Mehler in seinem Buch "Selfmadeerben und Millionäre" schreibt. Die Veranstalter in der Kulturbrauerei wollen nun mit einer kleinen Ausstellung über Scientology informieren. Die könnte leicht zur ständigen Einrichtung werden. Denn Helnwein plant inzwischen, seine Comicsammlung auf Dauer in der Kulturbrauerei auszustellen - gesponsert vom Land Berlin.


Helnwein-Korrektur -betr.: "Scientology: Helnwein färbt schön", taz vom 10. 2.1996

TAZ, 12.2.1996

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In dem Artikel "Scientology: Helnwein färbt schön" vom Samstag sind der Redaktion mehrere Fehler unterlaufen. Zunächst ist Helnwein nicht "gewaltsam" sondern "anwaltlich" gegen Scientology vorgegangen. Das Buch des Scientologen Horst Mehler heißt nicht "Selfmadeerben und Millionen", sondern "Selfmademen und Millionen". Schließlich ist Helnwein kein Comic-Künstler, sondern nur Besitzer einer Comic- Sammlung. taz


"Ich brauche weder einen Guru noch Pfaffen oder Papst"

TAZ, 29.02.1996

betr.: "Scientology: Helnwein färbt schön", taz vom 10./11. 2. 96

Leserbrief von Gottfried Helnwein

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Als ich den Artikel von Frank Nordhausen gelesen habe, der über mich in der taz erschienen ist, habe ich mir gedacht - wenn Frank zu den elektronischen Medien wechseln würde, könnte er sich mit seinem Talent bei "Stern-TV" eine goldene Nase verdienen.

Unbelastet durch irgendwelche lästige Recherche phantasiert er munter dahin: "Der Düsseldorfer Comic-Künstler Gottfried Helnwein sorgt für Wirbel". - Daß ich Düsseldorfer bin, höre ich zum ersten Mal - wie kommt er darauf? (Wien liegt doch ungefähr 1.200 Kilometer weiter südöstlich - und nicht mal in Deutschland.)
Da ich noch nie in meinem Leben auch nur einen einzigen Comic strip gezeichnet habe, frage ich mich, wieso ich ein Comic-Künstler sein soll. Oder hat Frank wieder etwas verwechselt? - Denkt er, ein Künstler, der eine Comic-Sammlung hat, ist ein Comic-Künstler?

Unter der Abbildung eines Aquarelles von mir steht: "Helnweins Schock-Plakat - von Scientology-Gründer Ron I. Hubbard inspiriert?" Leider stammt dieses Bild aus dem Jahre 1970, und da ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas von Scientology und dessen Gründer gehört hatte, kann ich ja nicht gut von ihm inspiriert worden sein.
Da Frank unaufmerksam ist und nicht zuhört, wenn man ihm was sagt, will ich es gerne wiederholen: Ich distanziere mich von Scientology und allen Sekten und Kirchen, welcher Art auch immer, und von deren Ideologien - dies gilt übrigens auch für die Sekte des Pfarrers Gandow. Ich brauche weder einen Guru noch einen Pfaffen oder Papst, der mir sagt, was ich denken, tun oder lassen soll.

1988 habe ich zur Erinnerung an die sogenannte "Reichskristallnacht" vor 50 Jahren eine Bilderstraße zwischen Museum Ludwig und dem Kölner Dom errichtet. Ich habe zirka vier Meter hohe Kindergesichter fast 100 Meter lang aneinandergereiht und den Anfang der Reihe mit dem Nazi- Begriff "Selektion" versehen. Dies war ein Versuch, daran zu erinnern, wie diese Wahnsinnsidee vom lebenswerten und lebensunwerten Leben Millionen Menschen in diesem Land das Leben gekostet hat. Folgerichtig verübten Neonazis einen Anschlag auf diese Bilder und zerstörten sie, indem sie die Kindergesichter mit Messern aufschlitzten.

Wenn nun Pfarrer Gandow versucht, diese Bilder geheimnisvoll mit irgendwelchen angeblichen Sektenideologien in Verbindung zu bringen, und behauptet, sie propagierten offene Gewalt, dann kann ich ihm nur empfehlen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wie krank muß jemand sein, der den Anblick eines Kindergesichtes als Aufruf zur Gewalt versteht!

Außerdem empfehle ich dem Pfarrer, sich auch mit der Geschichte seiner eigenen Sekte im Tausendjährigen Reich zu beschäftigen. Vielleicht erklärt er uns dann, was die offizielle Parole der evangelischen deutschen Christen, "Wir sind die SA Jesu Christi", bedeuten soll.

Gottfried Helnwein