Das Glückseligkeitskonzept der Scientology-Sekte
Ganze Romane könnte man schreiben, und doch würde es
kaum gelingen, die Organisation in ihrer Tragweite zu beschreiben.
Scientology ist eine Ansammlung von auf Expansion ausgerichteten
Wirtschaftsunternehmen, ein Verbund zahlloser Vereine, vielleicht
eine Kirche, aber in erster Hinsicht eine Sekte, die sich aller
erdenkbaren undenkbaren Mittel bedient, Menschen zu vereinnahmen
und auszubeuten - nicht nur finanziell, sondern vor allem geistig.
Das Besondere ist die Methode, mit der sie Mitglieder rekrutiert
und damit versucht, in allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
und politischen Ebenen Macht zu gewinnen - und dies gelingt ihr
erstaunlich gut.
Der Religionsstifter
Angefangen hat alles mit Lafayette Ron Hubbard, geboren 1911 in
Tilden, Nebraska: Die zahlreichen Lebensläufe über ihn
in einschlägiger Literatur von und über Scientology
sind voller Mythen, Ammenmärchen und Wundergeschichten. Fest
steht, daß er ein Science-Fiction-Autor war, als solcher
erfolgreich, daß er 1950 in bester Science-Fiction-Tradition
ein Machwerk namens "Dianetik - Der Leitfaden für den
menschlichen Verstand" den psychotripbegeisterten US-Amerikanern
präsentierte. Was er damit ins Rollen brachte, ist schier
unglaublich: Ein Science-Fiction wurde Wirklichkeit, eine
künstliche
Welt zog Menschen in ihren Bann und verschaffte der Organisation
Macht, Reichtum und weltliche Gewalt. L. Ron Hubbard lebte seinen
Anhängern die Scientology-Realität vor, erfand immer
neue "Stufen geistiger Freiheit", die er als erster
erreichte und die die Sektenjünger durch ein kommerzielles
Kurssystem erreichen sollen. Das Buch "Dianetik" ist
geschickt geschrieben: Kann man eine der Allmachtsphantasien Hubbards
mangels Verständnis gegenüber dem psychisch verwirrten
Autor nicht nachvollziehen, liegt das am mangelnden Studium seines
Werkes. Zudem bedient er sich einer Kunstsprache: Feststehende
Begriffe erhalten neue Bedeutungen, neue Begriffe werden erfunden
und auf fast jeder Seite im Fußtext angemerkt.
Wahrscheinlich verstarb L. Ron Hubbard 1986, aber so genau weiß
das keiner: Am 11. Mai 1963 veröffentlichte er, daß
er zwei Tage zuvor "abends um zehn Uhr und eine halbe Minute
für 43.891.832.611.117 Jahre, 344 Tage, zehn Stunden, 20
Minuten und 40 Sekunden" den Himmel besucht habe.
Was macht diese Sekte so erfolgreich?
Die Scientology beansprucht für sich selbst, eine Kirche
zu sein. Sie hat Niederlassungen in fast allen Ländern dieser
Erde. Ihre Hauptsitze befinden sich in einem ehemaligen Hotel
"Ford Harrison" in Clearwater, Florida, und in einem
alten Herrensitz "Saint Hill Manor", East Grindstead,
Sussex, U.K. Es gibt sogenannte Scientology-Kirchen,
Scientology-Missionen,
Dianetik-Informations- und Beratungszentren und Celebrity Center.
Die Scientology unterhält einen eigenen "Geheimdienst",
der sich mit der Überwachung von Sektenmitgliedern, deren
Angehörigen und Sektenkritikern beschäftigt. Dieser
Geheimdienst ist das "Department für spezielle
Angelegenheiten",
das gegenüber den Medien als Abteilung für Public Relations
und Öffentlichkeitsarbeit verkauft wird. Die Überwachung
übernimmt der sogenannte Ethik-Offizier.
Ziel ist der freie, selbstbestimmte Mensch, frei von psychischen
Störungen. Diesen optimalen Menschen nennt die Scientology
einen "Clearer", alle anderen sind sogenannte
"Pre-Clears".
Um clear zu werden, muß man unzählige kostspielige
Seminare belegen, von denen einige durchdacht, einige
gesundheitsschädlich,
und einige einfach nur dumm sind. Zu den durchdachten gehört
der 'Kommunikationskurs', den die scientology-eigene Firma U-Man
International als Managerkurs unzähligen Konzernen und
mittelständischen
Unternehmen anbietet. Alles, was Rang und Namen in der deutschen
Wirtschaft hat, schickte ihre Manager dorthin, so daß heute
etliche Sekten-Kritiker ihren Broterwerb darin finden, die Unternehmen
wieder von der Sekte zu säubern. Unterwandert werden Firmen,
Parteien, regionale Parlamente und andere gesellschaftliche
Organisationen
- im Namen von Tarnfirmen. Auf dem weiteren Weg der Glückseligkeit
kann der "Clearer" dann zum "Operierenden Thetan"
(OT) werden. Die meisten schaffen es nicht einmal zum "Clear".
Fehlt das Geld zum Besuch der Kurse, erhält der Gläubige
tatkräftige Unterstützung bei der Auflösung seiner
Wohnung, bei der Aufnahme eines Bankkredits und wird für
den Verkauf von Büchern oder als "Auditor" (einer
Art Glaubensüberwacher), der mittels des sog. "E-Meters",
eines Lügendetektors, den einzelnen Gläubigen kontrolliert
und ihn danach in die nächste Kursstufe entläßt
angestellt. Mit einem rechtskräftigen Arbeitsvertrag, einer
tariflich eingruppierten Vergütung nimmt die Scientology
es dabei nicht so genau.
Die Ideologie
Um den Wahnwitz dieser Lehre zu verdeutlichen, hier ein kleiner
Überblick: Die zehn Prozent des geistigen Potentials, die
der einzelne Mensch laut Scientology lediglich benutzt, nennt
die Sekte das "analytische Mind", quasi das Bewußtsein.
Die restlichen 90% sind folglich das Unbewußte, genannt
"reaktive Mind". Der reaktive Mind ist voll von Ängsten
und schmerzhaften Eindrücken (sog. "Engramme"),
z.B. aus der Kindheit eines Menschen. Durch das Auditing werden
diese Engramme im Unterbewußtsein aufgespürt und
gelöscht.
Der Mensch wird zum "Clear". 1951 publizierte Hubbard
ein Buch zur "Geschichte des Menschen", eingeleitet
mit dem Satz: "Dies ist ein kaltblütiger Tatsachenbericht
über die vergangenen sechzig Milliarden Jahre". Demnach
lebten einst im All die "Thetanen" (Geistwesen), die
auf die Erde kamen und die Menschen besetzten, jeden einzelnen
hundertfach. Diese Wesen sind unsterblich und dazu verdammt, mit
Hunderten von Engrammen des Wirtsmenschen gequält zu werden.
Stirbt ihr Wirtsmensch, suchen sie sich einen neuen. Ziel ist
es nun, diese Thetanen zu befreien und sich selbst damit zum
"Operierenden
Thetan" zu machen. Beschäftigt sich die Dianetik noch
mit dem Aufspüren von Engrammen, gelingt es durch Scientology
letztendlich, zu einem unsterblichen Wesen zu mutieren - frei
von Raum, Zeit und Körperlichkeit. Das Mittel zum Zweck bleibt
unverändert. Der Gläubige besucht seine Seminare und
Kurse, wird weiter auditiert, zahlt brav seine Kursgebühren,
um die nächste "Stufe der geistigen Freiheit" zu
erlangen, deren letzte bis heute noch keiner erreicht hat.
Wer sind die Anhänger?
Sind Scientologen überwiegend labile Persönlichkeiten,
von einfacher Herkunft, ungebildet oder einfach ,"nicht ganz
richtig im Kopf"? Die Scientology rekrutiert ihre Gläubigen
quer durch alle Gesellschaftsschichten, bemüht sich dabei
jedoch insbesondere um die Anwerbung von Akademikern, selbständigen
Unternehmern, leitenden Angestellten, Personen des öffentlichen
Lebens, wohlhabenden Menschen und natürlich auch jungen Menschen,
die sich noch in ihrer Berufsausbildung befinden oder zur Schule
gehen. Junge Menschen lassen sich leichter begeistern, sind leichter
zu beeinflussen.
Gerne schmückt sich die Sekte mit Prominenz aus der Glitzerwelt
des Showbusiness. Ihr Motto: "Seht her, ich bin erfolgreich
durch Scientology". Erklärte Scientologen sind z.B.
Tom Cruise, Priscilla Presley, Shirley MacLaine, Kirstie Alley,
Brad Pitt, Linda Blair, Chick Corea, Al Jarreau, Julia Migenes,
John Travolta, Gottfried Helnwein. Prominente erfahren bei Scientology
eine Sonderbehandlung, ihr Bekenntnis macht sie für die Sekte
unbezahlbar. Albert Einstein war kein Scientologe. Leider ist
er tot und kann nichts gegen die Verunglimpfungen seines Namens
unternehmen.
Der Allmachtsanspruch
Eine Forschungsgruppe der Universität Bremen untersucht die
möglichen Beweggründe von Menschen, der Sekte beizutreten.
Viele Wege führen dorthin: Über die Anwerbung auf der
Straße mit dem geheimnisumwittenen Persönlichkeitstest,
durch eine Dianetik-Informationsveranstaltung, über den
Zwangsbeitritt
als Arbeitnehmer in einem scientologisch geführten oder
unterwanderten
Betrieb oder durch Rekrutierung guter Bekannter oder Lebenspartner
- der rein formelle Weg endet jeweils dort, wo der Gläubige
feststellen muß, daß hier seine Lebensideale, sein
Lebensziel, seine Moralvorstellungen, seine Religion, sein ganzes
bisheriges Leben in Frage gestellt werden. An diesem Punkt wird
es für den Nicht-Scientologen schwer, einen Sekteneinstieg
nachzuvollziehen. Die Wahnvorstellungen und
"wissenschaftlichen"
Erkenntnisse Hubbards und seiner Nachfolger allein können
für den Erfolg der Sekte nicht verantwortlich sein. Die Bremer
Forschungsgruppe geht von einer anderen Grundannahme aus: Die
Scientology tritt in der Öffentlichkeit als geschlossene,
totalitäre, ja geradezu verschworene Gruppierung auf.
Dreifach totalitär
1. Die Sekte in sich ist totalitär organisiert. Hubbard beschreibt
in "Dianetik" die vier sogenannten Dynamiken des
Überlebens.
"Die erste Dynamik ist der Drang des einzelnen zu seinem
optimalen Überleben ... Die zweite Dynamik ist der Drang
des einzelnen zum optimalen Überleben durch die Fortpflanzung...
Die dritte Dynamik ist der Drang des einzelnen zum optimalen
Überleben
für die Gruppe... die vierte Dynamik umfaßt den Drang
des einzelnen zum optimalen Überleben für die gesamte
Menschheit... Die dritte Dynamik ist für die Scientology
die wichtigste, also: Geht es der Gruppe gut, geht es dir gut.
Den Interessen der Gruppe (sprich der Sekte bzw. ihrer Leitungsgremien)
hat sich jedes Sektenmitglied bedingungslos unterzuordnen. Zweifel
oder Kritik werden rücksichtslos unterdrückt oder
bekämpft.
Demokratische Organe oder Mitarbeitervertretungen gibt es nicht.
2. Die Sekte strebt die Weltherrschaft an. Stückweise sollen
ganze Staaten scientologisch werden. Das bedeutet, daß der
Begriff des Totalitarismus bei der Betrachtung der Scientology
auch als Totalität im Sinne von staatlichem Faschismus zu
sehen ist. Da erscheint es paradox, wenn die Sekte versucht, sich
als verfolgte religiöse Minderheit in der Bundesrepublik
darzustellen, und auch vor einem Vergleich mit dem Judentum im
Dritten Reich nicht zurückschreckt. 3. Das einzelne Mitglied
lebt einen umfassenden Glauben, denkt und handelt allein nach
den Regeln der Scientology und richtet sein ganzes Leben danach
ein.
Scheinlösung
Letztendlich stellt sich die Frage, was die Scientologie denn
nun so Phänomenales und Neuartiges verkauft. Die Antwort
der Bremer Forscher lautet: Nichts. Betrachtet man unsere moderne
Industrie-, Massen-, Konsum-, Wegwerf- und Ellenbogengesellschaft,
so entdeckt man schnell einen Zwiespalt, der quer durch alle
gesellschaftlichen
Schichten erkennbar ist. Auf der einen Seite steht die Gesellschaft
als Synonym für Geborgenheit und Schutz in der Gruppe selbst,
auf der anderen Seite das Streben des einzelnen zu Selbstverwirklichung
und Individualität. Jeder möchte sein Leben frei leben,
gerät aber immer wieder an gesellschaftliche Konventionen
und Normen und muß schließlich erkennen, daß
er auch nur ein Gefangener seiner Umwelt ist: Wir leben in einer
modernen Industriegesellschaft, die sich nur auf Kosten ihrer
selbst als die einzig überlebende Massengesellschaft in
Abhängigkeit
eines kapitalistischen Wirtschaftssystems etablieren konnte. Akzeptieren
muß man zweifelsohne viele negative Begleiterscheinungen:
Hohe Bevölkerungsdichte, Vereinsamung, steigende Kriminalität,
Arbeitslosigkeit, Polarisierung der Gesellschaft, Umweltzerstörung
etc. Die Scientology verhält sich zunächst absolut
gesellschaüskonform.
Der potentielle "Kunde" erhält das Angebot, seine
nicht gelebte Individualität in ein gesellschaftliches System
zu integrieren und dadurch Selbstverwirklichung zu erfahren. Der
Gläubige akzeptiert die Unvollkommenheit der Gesellschaft,
um paradoxerweise darin eine Vollkommenheit zu finden: Die absolute
geistige Freiheit, die optimale Individualität des einzelnen,
die eine optimale Gesellschaftsform schaffen soll. Die Scientology
als herkömmliche Sekte abzustempeln und als Hauptargument
gegen sie anzuführen, daß sie ihren Jüngern eine
Unmenge an Geld abknöpft, ist nicht der richtige Weg, sie
zu bekämpfen. Die Sekte hat ganz recht, wenn sie in Frage
stellt, ob es nicht sinnvoller ist, Geld in die eigene persönliche
Entwicklung zu investieren, als sich einen sündhaft teuren
Sportwagen vor die Tür zu stellen. Nur leider bietet Scientology
nicht die richtige Ware dafür an und ist auch nicht im geringsten
an ihren verführten Gläubigen selbst interessiert, sondern
einzig an Geld und damit an Macht.
Quelle: BLZ - Zeitschrift der GEW. Der Autor ist der Redaktion
bekannt. Da er aufgrund seiner Nachforschungen Schwierigkeiten
mit der Scientology hat, möchte er nicht, daß sein
Name bekannt gegeben wird.