Öffentliches Recht und Jugendsekten
Jugendreligionen und Grundrechtsschutz
Artikel 4 I,II des Bonner Grundgesetzes garantiert die "Freiheit des
Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses" sowie die "ungestörte
Religionsausübung". Damit ist der größte Teil der hier
behandelten Sekten und Kulte diesem Grundrecht unterstellt. 145) Das hat erhebliche Auswirkungen. Der Begriff "Religion"
ist im Lichte dieses Freiheitsrechts weit auszulegen. Nach der
Rechtsprechung "reicht es aus, daß eine Vereinigung gemeinsame
religiöse oder weltanschauliche Auffassungen von dem Sinn und der
Bewältigung der menschlichen Existenz in umfassender Weise bezeugt. 146) Religion bedeutet also vor allem ein einheitliches
Grundkonzept vom Sinn der menschlichen Existenz und die Deutung der
Stellung des Menschen innerhalb dieses Kontextes. Dabei wird als Religion
nicht nur das verstanden, was traditionellem mitteleuropäischem
Gedankengut entspricht 147), sofern sich die betreffende Weltanschauung nur
auf dem Boden gewisser Fundamentalnormen bewegt (also keine
Hexenverbrennungen, Polygamie etc.). Die Grenzen der freien religiösen
Betätigung liegen also vor allem dort, wo in Grundrechte anderer
eingegriffen wird 148).
Konsequenzen für Handlungsbefugnisse des Staates
Die Grundrechte schützen primär den Bürger vor staatlichen
Eingriffen 149). Sie sollen also gewährleisten, daß der Staat
nicht willkürlich in den Freiheitsbereich des Einzelnen eingreift.
Für Religionsgemeinschaften ist anerkannt, daß dieses
Abwehrrecht ihnen als Personengesamtheit gewährleistet ist 150).
Sofern also einer der hier behandelten Kulte unter den Begriff der
Religionsgemeinschaft fällt, sind dem Staat in weitem Umfang die
Hände gebunden. Eingriffe in das Wirken dieser Gruppen bedürfen
einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Zudem unterliegt der Staat dem
Gebot religiöser und weltanschaulicher Neutralität 151). Man mag
das bedauern, vor allem vor dem Hintergrund der Auswirkungen, die im
Sektenreport ja skizziert wurden. Wenn man sich aber zur freiheitlichen und
rechtsstaatlichen Grundordnung bekennt, so muß man auch in Kauf
nehmen, daß Freiheiten entgegen ihrem eigentlichen Zweck ausgelebt
werden. Eine Verfassung, welche die Grundfreiheiten garantiert, anerkennt
bis zu einem gewissen Punkt eben auch die Freiheit des Einzelnen, seine
Freiheit negativ auszuüben, das heißt sich in
Abhängigkeiten zu begeben. Bei alledem hat der Staat aber doch
gewisse Möglichkeiten, die verstärkt zu nutzen wären. Viele
Lebensbereiche werden durch Informationshandeln des Staates erfaßt.
Auch im Bereich der Jugendsekten darf der Staat die Bürger
informieren, ja sogar warnen. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß
Grundrechte nicht nur Abwehrrechte gegenüber dem Staat sind, sondern
auch einen Schutzauftrag an den Staat erteilen, die Grundrechte in ihrem
Bestand zu sichern. Unter gewissen Umständen kann sich dies sogar zur
Pflicht des Staates verdichten, Maßnahmen zum Schutz von Grundrechten
zu ergreifen; so vor allem, wenn höchstrangige Grundrechtspositionen
anderer auf dem Spiel stehen 152). Im Bereich der Jugendsekten wurden auf
den vorangegangenen Seiten zahlreiche Beispiele gezeigt, wie Jugendsekten
und -kulte ihre Mitglieder in Abhängigkeiten treiben, welche Gefahren
objektiv von ihnen ausgehen. Der Staat darf nach der Rechtsprechung vor
diesen Gefahren warnen 153). Der Staat ist also nicht auf bloße
Information beschränkt, sondern darf versuchen, seine Bürger von
einer Mitgliedschaft bei diesen Bewegungen abzuhalten.
Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für dieses Engagement des
Staates ist in der Aufgabe des Staates verankert, gesellschaftliche
Entwicklungen zu verfolgen und darüber zu informieren. So wurde es z.
B. als zulässig angesehen, daß die Bundesregierung vor der
Transzendentalen Meditation warnte. Dies sei von der Öffentlichkeit
der Bundesregierung gedeckt 154). Begrenzt werde diese Informationsarbeit
des Staates nur durch das Verhältnismässigkeitsprinzip, wonach
eine Warnung vor einer Jugendsekte geeignet, erforderlich und angemessen
sein muß 155). Dies bedeutet vor allem, daß staatliche Stellen
nicht Tatsachen verzerren oder auf sachfremden Erwägungen beruhende
Werturteile abgeben dürfen. Diese Rechtsprechung wird zwar in der
juristischen Literatur angegriffen 156); dennoch ist sie zu
begrüßen, weil sie staatlichen Führungsorganen die
Möglichkeit gibt, in sachlicher Weise den Problemen mit Jugendsekten
und -kulten zu begegnen. Mittlerweile ist in der Rechtsprechung anerkannt,
daß auch auf kommunaler Ebene eine Kompetenz angesiedelt ist, vor
Aktivitäten von Jugendsekten zu warnen 157). Diese Kompetenz ergibt
sich aus dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, welches jedenfalls auch
den Bereich der örtlichen Jugendhilfe erfaßt. Dabei ist eine
Gemeinde ebenfalls nicht auf typische Verwaltungshandlungen
beschränkt. Begrenzt wird diese Kompetenz der Gemeinden gleichfalls
nur durch das Verhältnismässigkeitsprinzip 158). Zu hoffen
bleibt, daß staatlicherseits in verstärktem Maße von
diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird.
Staatliche Unterstützung von Privatinitiativen gegen
Psychokulte
Ein Großteil der Aufklärungsarbeit gegen Jugendsekten wird von
Privatinitiativen (z.B. Elterninitiativen) getragen, meist mit erheblichem
Mittelaufwand. Daher stellt sich die Frage, ob staatlicherseits nicht eine
Unterstützung dieser Initiativen möglich ist. In vielen
gesellschaftlich wichtigen Bereichen wird ja bekanntermaßen der Staat
nicht unmittelbar selbst tätig, sonder mittelbar durch Förderung
privaten Engagements (Beispiel Vereinssportförderung). Dieses Modell
ist aber nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. 3. 1992 159)
nicht ohne weitere Voraussetzungen auf die Initiativen gegen Jugendsekten
übertragbar. Danach stellt die finanzielle Unterstützung eines
Vereines, der vor Psychokulten warnt, zum einen einen Eingriff in das
Grundrecht des Psychokultes dar. Zum anderen sieht das BVerG hier (anders
als bei den Warnungen durch den Staat selbst) die Grundrechte des Kultes in
nicht mehr gerechtfertigter Weise als verletzt an. Dies vor allem, weil der
Staat dafür eine gesetzliche Grundlage schaffen müßte, die
die Privatinitiativen bei ihrer Tätigkeit bindet. Anders als
staatliche Stellen selbst, könne eine Privatinitiative mit ihren
Aktionen nämlich bis an die Grenze der "Schmähkritik" 160) gehen.
Der Staat kann sich nicht mittels Unterstützung Privater seiner
Verantwortung für sachlich gerechtfertigte Äußerungen
bezüglich dieser Psychokulte entledigen. Damit wird ein Auftrag an
den Gesetzgeber deutlich, die Förderung von Elterninitiativen und
ähnlichen Vereinen zur Aufklärung gegen Jugendsekten auf eine
gesetzliche Grundlage zu stellen. Insoweit muß ein politischer
Prozeß in Gang gesetzt werden. Fraglich dürfte dann allerdings
werden, ob die Gesetzgebungskompetenz beim Bund oder bei den Ländern
liegt 161).
Jugendsekten und Gewerberecht
In einem Verfahren vor dem VG Hamburg 162) ging es um die Frage, ob eine,
unter dem Namen "College für angewandte Philosophie, Hamburg e. V."
firmierende Gruppe der Scientology,
verpflichtet ist, ihren Verkauf von Büchern und E-Metern 163) als
Gewerbe anzuzeigen ($14 GewO). Das Gericht sah in dieser Tätigkeit des
Vereins eine Gewerbeausübung und bejahte somit die Anzeigepflicht
gemäß $14 GewO. Breit legte das Gericht in der Begründung
das Spannungsverhältnis zwischen Religionsfreiheit und Gewerberecht
dar. Auffällig an der Entscheidung ist, daß sie an vielen
Stellen den Charakter der Scientology als Religion anzweifelt, die Frage
letztendlich aber offenläßt 164).
Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der Scientology-Verein mit Gewinnerzielungsbsicht seinen Verkauf von Materialien der Scientology betreibt. Somit sah es die Gewerbeordnung auch im Hinblick auf Art 140 GG in Verbindung mit Art 137 III WRV für anwendbar an. Diese Entscheidung zeigt, daß sich staatliche Stellen auch im Geltungsbereich des Gebots religiöser Neutralität einer Einordnung der Tätigkeiten von Jugendsekten nicht enthalten müssen. Sie dürfen und müssen prüfen, ob im Einzelfall Religionsausübung, oder aber bloße gewerbliche Betätigung vorliegt. In erfreulicher Offenheit geht das Urteil auch die Einordnung des klagenden Scientology-Vereins unter den Religionsbegriff an 165). Damit eröffnet es die Möglichkeit, die Tätigkeiten von, sich selbst als Religion bezeichnenden Gruppen, unter dem Aspekt der Religionsfreiheit, aber auch unter anderen gesetzlichen Aspekten kritisch zu würdigen. Dies könnte auch in Zukunft ein brauchbarer Ansatzpunkt sein, die vorgeblich religiöse Tarnung von letztlich auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmungen von Jugendsekten zu entlarven 166).
Jugendsekten und Vereinsrecht (167)
Zivilrechtliche Aspekte
Erbrechtliche Probleme
Vor allem bei erbrechtlichen Fragen können Probleme auftreten, wenn ein
zukünftiger Erbe in eine Sekte abrutscht. Man stelle sich nur folgenden
Fall vor: Der einzige Sohn eines Unternehmers gerät in eine Sekte, die auf
sein Geld aus ist. Dann stehen langfristig die Interessen des Unternehmens,
unter Umständen Arbeitsplätze auf dem Spiel.
1. In einem, om OLG Düsseldorf entschiedenen Fall 168) ging es um die
Tochter einer Unternehmerin, die der Scientology-Sekte beigetreten war. Die
Mutter ordnete die Testamentsvollstreckung über den dieser Tochter
zustehenden Erbteil an. Dies hat gemäß $2211 BGB erhebliche Beschränkungen
des Erben im Hinblick auf das Erbe zur Folge. Das Gericht hatte nun zu
prüfen, ob die Anordnung der Testamentsvollstreckung durch die Mutter und
Erblasserin gegen die guten Sitten verstieß. Dies wurde von der betroffenen
Tochter damit begründet, durch die Testamentsvollstreckung solle sie zum
Austritt aus der Sekte bewegt werden, ein Motiv, welches sie in ihrem
Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit beeinträchtige.
Das OLG Düsseldorf wies diesen Einwand der Tochter zurück. Es verneinte
die Sittenwidrigkeit, weil nicht die "Beendigung der Beziehungen dieser
Tochter zur Scientology-Church vorrangiges Ziel" der Mutter war, sondern
- als "mindestens gleichrangiger, billigenswerter Berweggrund ... die
Sicherung des Fortbestandes der einen wesentlichen Teil des Nachlasses
ausmachenden Firma ..." 169).
Diese Argumentation läßt sich auf das gesamte Erbrecht folgendermaßen übertragen: Die Testierfreiheit dessen, der mit erbrechtlichen Mitteln auf den Bestand seines Vermögens nach dem eigenen Tod einwirken möchte, ist dahingehend eingeschränkt, daß Beschränkungen der Erben nicht als Druckmittel dienen dürfen, um allein auf deren religiöse/weltanschauliche Einstellungen Einfluß auszuüben. Allerdings gilt dies nur bei offensichtlich und ausschließlich in der Absicht der religiösen Beeinflussung vorgenommenen Beschränkungen.
2. Die Enterbung durch Testament ist sittenwidrig, wenn im Testament selbst "eine unredliche, also verwerfliche, Gesinnung des Erblassers zum Ausdruck kommt und eine Verwirklichung erstrebt" 170). Hierbei ist der Begriff der Sittenwidrigkeit eng auszulegen, der Wille des Erblassers ist - bis auf extreme Ausnahmefälle - unbeschränkt. Ob für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Beschränkung des Erben 171) - wie es scheint - ein geringerer Maßtab anzulegen ist, als bei der Enterbung wäre einmal eine eingehende Untersuchung wert (gerade im Hinblick auf Probleme mit Jugendsekten). Jedenfalls ist die Testierfreiheit des Erblassers insoweit eingeschränkt, als ein sektenzugehöriger Erbe einen Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil aus dem Erbe einen Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil aus dem Erbe geltend machen kann. Diesen Pflichtteilsanspruch ($$ 2303 ff BGB) zu beschränken oder auszuschließen, hat der Erblasser nur in krassen Ausnahmefällen (vgl. $2333 BGB) das Recht 172).
3. In diesem rechtlichen Rahmen besteht also die Möglichkeit, auf
einen Familienangehörigen, der Sektenmitglied geworden ist,
einzuwirken. Dabei ließe sich auch noch daran denken, das
Sektenmitglied zu einem Erbverzichtsvertrag zu bewegen ($$ 2346 ff BGB).
Sinn eines solchen Vorhabens könnte sein, das Sektenmitglied dadurch
zum Nachdenken zu bringen. Es wird sich in diesem Falle sicher mit der
Sekte absprechen, diese wird ihm strikt abraten; dadurch könnten dem
Sektenmitglied die Augen für, auf sein Geld ausgerichtete Motive der
Sekte geöffnet werden.
Rückzahlungsansprüche bei Austritt aus einer
Sekte
Einen interessanten Fall entschied das LG München I 173). Es ging
darum, daß ein Scientology-Mitglied bei seinem Austritt aus der Sekte
aufgrund einer Regelung der Sekte über 9.000 DM an die Scientology
zahlte. Dieser Betrag erfaßte sogenannte Leistungen der Sekte
während der Mitgliedschaft. Beim Austritt wurde gemäß
dieser Satzungsbestimmung ein Betrag fällig. Das Ex-Mitglied zahlte
zunächst, forderte dann aber in der Klage vor dem LG München I
den Betrag zurück 174) und zwar erfolgreich. Das Gericht gab dem
Rückzahlungsanspruch mit der Begründung statt, die Regelung der
Sekte, beim Austritt seien die Leistungen zurückzugewähren,
stellten eine unzulässige Erschwerung des Austritts aus der Sekte dar.
Dies sei zum einen nicht mit $ 391 BGB vereinbar, wonach Mitglieder eines
Vereins zum Austritt berechtigt sind. Zum anderen verstoße die
Vorschrift der Sekte gegen Art. 4 GG, der auch das Recht auf Austritt aus
einer Religionsgemeinschaft schütze. Damit hatte der Ex-Scientologe
den Betrag rechtsgrundlos geleistet und konnte ihn über $ 812 BGB
zurückfordern.
Damit ist ein Bereich angesprochen, der nach Durchsicht der Rechtsprechung offensichtlich noch keine allzu große Rolle gespielt hat 175): Die Rückforderung von Beiträgen und Leistungen während der Sektenmitgliedschaft beim Austritt. Bezieht man in diese Überlegungen die in den vorangegangenen Teilen dargestellten verheerenden finanziellen Auswirkungen einer Sektenmitgliedschaft mit ein, so kann sicher dieser Aspekt nicht vernachlässigt werden. In der Regel dürfte es aber im Einzelfall schwer sein, Beiträge, die ein Sektenmitglied während der Mitgliedschaft geleistet hat, zurückzufordern. Dazu müßte nachgewiesen werden, daß die Sekte arglistig getäuscht hat 176), oder daß sich das Sektenmitglied zur Zahlung in einem Zustand dauernder und krankhafter 177), oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit 178) verpflichtet hat. Dafür dürfte der Nachweis in der Regel schwierig sein.
Sofern also nicht in den Satzungen der Sekten ungültige
Zahlungsansprüche normiert sind - wie im obigen
Rechtsprechungsbeispiel - dürfte die Rückforderung von Zahlungen
an die Sekte im Einzelfall schwierig sein. Auch hier muß wieder
betont werden, daß grundsätzlich jeder selbst über die
Verwendung seiner Kapazitäten bestimmen kann und muß.
Bedauerlich ist dies vor allem dann, wenn ehemalige Sektenmitglieder sich
finanziell für die Sekte dermaßen verausgabt haben, daß
sie nach dem Austritt der Sozialhilfe anheimfallen. Ob und inwieweit die
Verarmung eines Sektenmitglieds als Indiz für die Unwirksamkeit der
Leistungen an die Sekte heranzuziehen ist, wurde bisher - soweit
ersichtlich - nicht geklärt. Ein interessanter Aspekt ist es aber
schon, zumal dann, wenn eine Sekte den Mitgliedern vorgaukelt, sie im Leben
erfolgreicher zu machen, andererseits dann aber zu deren Verarmung
führt. Eine Täuschung liegt in solchen Fällen meines
Erachtens auf der Hand 179).
Arbeits- und sozialrechtliche Aspekte
Arbeitsrecht
Zahlreiche Beispiele könnten für die arbeitsmäßige
Vermarktung von Sektenmitgliedern angeführt werden. Ob man nun an den
DJ in der Sekten-Disco denkt, oder an den Buchverkäufer, oder ... 180)
Hier stellt sich zunächst unter rechtlichen Gesichtspunkten die Frage,
ob zwischen Mitglied und Sekte ein Arbeitsverhältnis im juristischen
Sinne vorliegt. Bei einormer Arbeitszeit werden Sektenmitglieder weit unter
ihrer Leistung bezahlt. So stellte das Arbeitsgericht München 1985 in
einem Urteil fest 181), daß ein Scientology-Mitglied für die
Sekte 2 1/2 Jahre lang 48 Wochenstunden arbeitete und dafür insgesamt
wenig über 8000,- DM erhielt.
Zum einen wurde dieses Verhältnis zwischen Sekte und Mitglied als Arbeitsverhältnis bewertet. In der Begründung betont das Gericht die Abhängigkeit des Mitglieds, die auch dazu führte, daß es seine Arbeitskraft nicht mehr anderweilig zur Verfügung stellen konnte. Ferner grenzte das Gericht diese Tätigkeit ab zu den Tätigkeiten in gemeinnützigen oder kirchlichen Verbänden, die dort keine Arbeitsverhältnisse im rechtlichen Sinne sind, wenn der beschäftigende Verband den Mitarbeiter "von allen Sorgen um die wirtschaftliche Existenz freistellt" 182), was speziell bei der Scientology nicht der Fall sei.
Zwar ist dieser Rechtsprechung der Sache nach völlig zuzustimmen. Die
darin liegende Gefahr ist aber unübersehbar: Sekten könnten auf
die Idee kommen, ihre arbeitenden Mitglieder quasi zu kasernieren, um sich
eventuelle arbeitsrechtliche Entgeltansprüche vom Halse zu halten.
Wenn sich diese erschreckende Vision realisieren sollte, so wäre die
Gefahr, die von den Jugendsekten ausgeht, noch einmal eine Stufe höher
gekommen: Sie würden dann - motiviert aus arbeitsrechtlichen
Sachzwängen - regelrechte Klöster aufbauen. Die Konsequenzen
für die Mitglieder und für die Allgemeinheit sind unschwer
vorstellbar. Das Arbeitsgericht München hat folgerichtig das von der
Sekte geleistete Entgelt als sittenwidrig und wucherisch ($ 138 I, II BGB)
bewertet und sprach dem ehemaligen Mitglied einen Anspruch auf angemessenes
Entgelt aus $ 612 II BGB zu, das sich der Höhe nach an entsprechenden
Tarifverträgen orientierte.
Sozialrecht
In der Regel kommen hier zwei Fragenkomplexe zum Tragen. Zum einen ist zu
klären, ob es sich bei der Mitarbeit in einer Jugendsekte um eine
religiös oder sittlich motivierte, gemeinnützige Tätigkeit
handelt. Dann nämlich käme Versicherungsfreiheit in der
Krankenversicherung gemäß $ 6 I Nr. 7 SGB V in Betracht. Nach
Ansicht des Bundessozialgerichts fehlt es aber dabei in der Regel an der
erforderlichen festen Bindung an die Sekte (die etwa durch ein
Gelöbnis bekräftigt werden müßte), Vor allem aber
dürfte die Gemeinnutzbezogenheit der Tätigkeit fehlen 183). Des
weiteren kommt es für die Versicherungspflicht regelmäßig
auf Mindesteinkommen und eine Mindestarbeitszeit (15 Wochenstunden) an
(vgl. $ 8 i.SV. m. $ 18 SGB IV). In Anbetracht der erheblichen
Sozialrelevanz der Sozialversicherungspflicht sollte man bei der Bemessung
des Arbeitsentgelts nicht auf tatsächlich geleistetes, sondern auf das
angemessene Arbeitsentgelt abstellen, welches Mitglieder von Jugendsekten
beanspruchen können. Man stelle sich nur vor, daß ansonsten
allein aufgrund geringer Arbeitsentgelte Mitglieder von Jugendsekten
hinsichtlich einer 15-stündigen Wochenarbeitszeit von der
Sozialversicherungspflicht befreit wären (vgl. etwa für die
gesetzliche Krankenversicherung $ 7 SGBs V) 184). Dies würde dem
Normzweck der Regelungen zur Versicherungsfreiheit völlig
widersprechen.
Zusammenfassung
Es hat sich gezeigt, daß der Staat den Jugendsekten nicht hilflos
ausgeliefert ist. Es bestehen staatlicherseits zum einen
Möglichkeiten, gegen Jugendsekten mit informellen Mitteln vorzugehen.
Ferner sollten sich Verwaltung und Rechtsprechung in Einzelfällen
nicht davon abhalten lassen, genau zu prüfen, ob tatsächlich
Ausübung eines Bekenntnisses vorliegt oder reine
Geschäftemacherei. In allernächster Zukunft muß aber auf
juristischer wie politischer Ebene eine Diskussion über
verstärkte Maßnahmen gegen diese Psycho-Kulte in Gang kommen.
Zum einen ist die Förderung von Privatinitiativen durch die
öffentliche Hand zu ermöglichen. So richtig es ist, jeden
Fussballverein zu unterstützen, so unverständlich erscheint es
zum Schluß dieses Sektenreports, daß z. B. Elterninitiativen
vom Staat bisher keine finanzielle Unterstützung erfahren dürfen.
Wenigstens auf dieser Ebene könne die öffentliche Hand den
Betroffenen ein paar Sorgen abnehmen und redliche Informationsarbeit
unterstützen.
Außerdem ist über eine verstärkte staatliche Kontrolle auf dem Psycho-Markt zu diskutieren 185). Wenn für seriöse Heilberufe Ausbildungs- und Zulassungsverfahren vorgeschrieben sind, so sollte man sich auch den angeblich therapeutischen Umtrieben von Psychokulten in dieser Hinsicht verstärkt zuwenden. Gerade angesichts der zum Teil verheerenden psychischen Wirkungen, die bei ehemaligen Sektenmitgliedern festzustellen sind, sollte man ohne Scheu über Zulassungsverfahren nachdenken. Weder Religionsfreiheit, noch andere Grundfreiheiten beinhalten das Recht, der Allgemeinheit durch ihre Ausübung erheblich beschädigte Menschen zu hinterlassen.
Es ist also Mut angesagt, Mut sich gegen die Aushöhlung von Freiheitsrechten durch Mißbrauch zu wehren !
145) Zweifelnd im Hinblick auf Scientology: VG Hamburg, NVwZ 1991, 806ff. (810) 146) OVG Münster, NVwZ 1989, S. 878 (879) mit Angabe von BVerwGE 61, 152 147) Vgl. BVerfGE 41,50 148) Vgl. zuletzt: BVerwG, NJW 1991, S. 1770, BVerfG, NJW 1989, S. 3269 (3270). 149) Vgl u. a. Richter/Schuppert, Casebook Verfassungsrecht, 2. Auflage (1991), S. 40 ff 150) BVerfGE 42, S. 322 151) vgl Art 4 I, 140 GG i. V. m. Art 136, 137 I Weimarer Reichsverfassung woraus nach BVerfGE 33, 28ff das Gebot zur Neutralität des Staates in weltanschaulichen und religiösen Fragen folgt. 152) So schon BVerfGE 39, S. 1ff; vgl auch Casebook Verfassungsrecht (Fn. 5), S. 21 153) vgl. zuletzt BVerwG NJW 1991, S. 1770ff mit zahlreichen Rechtsprechungsbeispielen. 154) BVerfG, NJW 1989, S. 3269 ff. 155) BVerfG, NJW 1989, S. 3269 (3270f) 156) Schatzschneider (NvwZ 1991, S. 3202f) z.B. sieht den Bund nicht als zuständig an; die Länder wären nach dieser Ansicht zuständig. Andere Autoren z. B. Heintzen, VerwArch 1990, S.532 (550f) sehen in der Argumentation des VerwG und des BVerfG einen unzulässigen Rückschluß von einer Aufgabe der handelnden staatlichen Stelle auf eine entsprechende Eingriffsbefugnis. 157) OVG Münster, NVwZ 1991, S. 176f (177) 158) OVG Münster, a.a.O. S. 178 159) BVerwG, DVBl. 1992, S. 1038 ff. 160) BVerwG, a.a.O., S. 1042 161) Vgl. dazu Schatzschneider, NVwZ 1991, S. 3202 f. 162) NVwZ 1991, S. 806 ff. (noch nicht rechtskräftig); vgl Besprechung dazu von Görlich, NVwZ 1991, S. 751 ff. 163) Vgl. dazu das Kapitel "Scientology" 164) Vgl. näher dazu Angaben im Abschnitt "Scientology" 165) Vgl. NVwZ 1991, S. 810 f. 166) Ähnliche Ansätze in der Literatur zusammenfassend: Franz, NVwZ 1985, S. 81 ff (S.83) 167) Vgl. dazu NJW 1989, 2497 168) OLG Düsseldorf, NJW 1988, S.2615 169) OLG Düsseldorf, a.a.O. 170) Palandt / Edenhofer, $ 1937, 5 171) Vgl. dazu sub 1. 172) Zur Frage, ob ein Testament nach dem Erbfall angefochten werden kann (vgl $ 2078 II BGB), wenn der Erbe sich der Hare-Krishna-Bewegung zuwendet: Bejahend, OLG München, NJW 1983, 2577f. 173) NJW 1987, S. 847f. 174) Anspruchsgrundlage: $ 812 I 1 1.Alt.BGB 175) Vgl. auch Schatzschneider, BayVBl. 1985, S. 32 (325) 176) mit der Folge der Anfechtbarkeit der getätigten Rechtsgeschäfte, $ 123 BGB 177) $ 104 Nr. 2 BGB; Rechtsfolge: Geschäftsunfähigkeit 178) Vgl $ 105 II BGB: Die Beweislast trägt aber auch hier das ehemalige Mitglied (vgl. BGH WPM 1980, kS. 521). Zu $ 105 II BGB zahlen beispielsweise die Fälle, in denen eine Willenserklärung unter Hypnose abgegeben wurde (vgl. Pal./Heinrichs, 3 zu $ 105 BGB) 179) Vgl. Palandt /Heinrichs, Nr.2 zu $ 123 BSGB: Arglistige Täuschung setzt "eine Täuschung zum Zweck der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus". 180) Vgl. insgesamt zu diesem Komplex: Scholz, ZfSH/SSGB 1992, S. 619 ff. 181) ArbG München, Urt. vom 9. 4. 1985 -3- CA 14663/82. 182) Vgl. Scholz in ZfSH /SGB 1992, S. 618 ff. 183) So BSGE 59, S. 219 ff (S. 225f) für die Tätigkeit in einer Druckerei der TM (vgl. dazu oben 11.1.). 184) Vgl dazu insgesamt Scholz in ZfSH/SGB 1992, S. 619 ff (S. 622f). 185) Vgl. dazu schon das Interview mit Herrn Hauser, oben sub 8.