Bibliographie
Singer, Margaret Thaler:
Sekten: Wie Menschen ihre Freiheit verlieren
und wiedergewinnen können / Margaret Thaler Singer/Janja Lalich,
Übers. aus dem Amerikan. von Gabriele Kuby. Bearb. von Karl Pichler. -
1. Aufl.- Heidelberg: Carl-Auer-Systeme, Verl. und Verl.- Buchh., 1997
ISBN 3-89670-015-4
Das Erscheinen dieses Buches in deutscher Sprache geschieht zu einem
Zeitpunkt, zu dem in Deutschland das öffentliche Interesse an der
Sektenproblematik durch die Aktivitäten von Scienology gegen
führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und die
Bundesregierung geweckt worden ist. Es stellt ein wichtiges Ereignis in der
wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen "Sekte" im
Kontext der aktuellen Entwicklungen auf diesem Gebiet in Deutschland dar.
Dem Verlag ist um so mehr zu danken, als es sich bei dem vorgelegten Werk um
die Frucht eines fünfzigjährigen Forscherlebens handelt, eines
Lebens, welches den Opfern von Gehirnwäsche und mentaler
Programmierung, von Heilsbringern, Scharlatanen und Führern von Sekten
sowie von Gruppen, die durch soziale Kontrolle und mentale Programmierung
Menschen in völlige Abhängigkeit bringen, gewidmet ist.
Die Autorin ist in Deutschland nur einer Handvoll von Experten bekannt,
obwohl sie durch ihre Publikationen und Beratungstätigkeit zu den
weltweit anerkanntesten Forschern auf diesem Gebiet gehört. Sie ist die
große alte Dame der Sektenforschung und der Anti-Cult-Bewegung in
Amerika, die in ihren Arbeiten nicht müde wird, darauf hinzuweisen,
daß Sekten ... durchaus keine Randerscheinung ...[a.a.O.
S. 21] sind und daß die ... Probleme, mit denen uns solche
Gruppen konfrontieren, ... die grundlegenden Probleme unden mit einem
massiven Gruppendruck, der bis zur Ausübung von Gewalt gehen kann,
aufbaut. Der Gebrauch von sozialem und psychologischem Druck, die Isolation
des Neuankömmlings von seiner Vergangenheit und die Untergrabung seines
Selbstbewußtseins gehören zum Standartrepertoire manipulativer
Beeinflussung. Dabei spielt die Täuschung über die wahren Ziele
der Gruppe eine bedeutende Rolle.
Ob das verborgene Ziel mittels plumper Täuschung bei der Anwerbung
oder vieler kleiner Täuschungen im Laufe der Zeit angestrebt wird,
spielt keine Rolle. Die verborgene Zielsetzung ist auch das, was Sekten von
anderen Gruppen unterscheidet, die sich um Mitglieder bemühen, wie
Schulen, Kirchen, Militär und Verbände. Sekten wissen, daß
Sie niemals Mitglied werden würden, wenn Sie von vornherein
wüßten, auf was Sie sich einlassen und was man mit Ihnen vorhat.
So einfach ist die ganze Sache. [a.a.O. S. 156]
Sekte sei ... letzlich nur ein Werkzeug im Dienst der Bedürfnisse,
der Launen und der verborgenen Ziele des Führers. Die Ideologie hat
eine Doppelfunktion: Sie ist der Kleber, mit der die Mitglieder an die
Gruppe gebunden werden, und ein Werkzeug, das vom Führer dazu
mißbraucht wird, seine Ziele durchzusetzen. [a.a.O. S. 43]
Der Schaden, der von diesen Sektenführern angerichtet werde,
beträfe nicht so sehr den ideologisch-religiösen Bereich als
vielmehr die Integrität der Persönlichkeit des Individuums.
In vier Kapiteln umreißt Margret Singer ihren Forschungsgegenstand,
indem sie ausgehend von einer Definition von Sekten über einen
zwanzigseitigen historischen Abriß sich den Fragen von
Gehirnwäsche, psychologischem Zwang und mentaler Programmierung
zuwendet, um am Schluß die Frage zu stellen, was an Sekten schlimm
sei.
als wesentlich an.
Wer je in der Lage war, das Phänomen Sekte definieren zu müssen,
der wird den Ansatz von Margret Singer begrüßen, bietet er doch
die Möglichkeit, sich den Vorgängen in einer Sekte
systematisch zu nähern. Dadurch, daß sie den
Interaktionsprozeß zwischen Sektengruppe und Individuum
herausarbeitet, bietet sie der Forschung die Möglichkeit,
sektiererische Abhängigkeiten über die Fachgrenzen hinaus zu
bearbeiten. Mit Recht verweist die Autorin darauf, daß nicht die
Glaubensinhalte einer Sekte von Bedeutung sind, sondern die Art des
Interaktionsverhältnisses von Gruppenführer, Gruppe und
Individuum.[vgl. a.a.O. S. 34f.] Hiermit stützt sie auch die
Erfahrung deutscher Ausstiegsberater und Sektenexperten, die im Laufe ihrer
Arbeit immer wieder mit sektiererischen, aber nichtreligiösen Gruppen
konfrontiert werden. So kann man mit dem methodischen Rüstzeug von
Margret Singer auch ohne Probleme die Wirtschafts- und
Managementtrainingsgruppen bearbeiten, die sich bisher mit
religionswissenschaftlichem Handwerkszeug nicht bearbeiten ließen.
Eine Sekte kann sich um jede Art von Inhalt bilden, sei es Politik,
Religion, Handel, Selbstvervollkommnungs-Techniken, modische
Gesundheitsrezepte und -artikel, Science-fiction, Psychologie,
Weltraumphänomene, Meditation, asiatischer Kampfsport,
Öko-Lebensstil und so fort. Die Fehleinschätzung, alle Sekten
seien religiös, hat jedoch zur Folge, daß vielen nicht klar ist,
welch unterschiedliche Inhalte Sekten vertreten können, und daß
nicht wahrgenommen wird, wie sehr große und kleine Sekten in unserer
Gesellschaft schon verbreitet sind. ... Ein Rattenfänger, der über
genügend Entschlossenheit, ein bißchen Charme, Charisma und
Verführungskunst verfügt oder einfach nur ein guter Verkäufer
ist, kann bei ausreichendem Einsatz von Zeit und Mühe für so gut
wie jedes Thema Anhänger gewinnen. Egal, welche Art von Sekte er
aufzieht, einem Sektenführer gelingt es immer, traurige, einsame und
alleinstehende Menschen an sich zu binden, er hat aber auch Erfolg bei
Personen, die einfach nur einer Einladung Folge leisten, weil sie in ihrem
Leben gerade mit einer Verletzung fertig werden müssen. [a.a.O.
S. 41]
Inhaltlich gliedert Margret Singer die Sektenwelt in zehn Kategorien:
Sie weist aber daraufhin, daß diese Kategorisierung nach Inhalt und
Zielsetzung der jeweiligen Gruppe nur ein formales Kriterium darstellt, denn
jede Sekte sei ... letzlich nur ein Werkzeug im Dienst der
Bedürfnisse, der Launen und der verborgenen Ziele des Führers. Die
Ideologie hat eine Doppelfunktion: Sie ist der Kleber, mit der die
Mitglieder an die Gruppe gebunden werden, und ein Werkzeug, das vom
Führer dazu mißbraucht wird, seine Ziele durchzusetzen.
[a.a.O. S. 43] Der Schaden, der von diesen Sektenführern
angerichtet werde, beträfe nicht so sehr den
ideologisch-religiösen Bereich als vielmehr die Integrität der
Persönlichkeit des Individuums. Die Gefahren, die von Sekten ausgehen
und der Schaden, den sie anrichten sind ... letztlich auf die Methoden
der mentalen Programmierung zurückzuführen, mit denen geschickte
Manipulateure bei ihren Anhängern Unterwürfigkeit und Gehorsam
erzeugen. [a.a.O. S. 43]
Diese Art der fast vollständigen Abhängigkeit gestandener
Persönlichkeiten von einem "Führer" ist es, die betroffene
Angehörige von Sektenmitgliedern, aber auch die Öffentlichkeit
immer wieder beschäftigt. Ich bekomme bei meinen Vorträgen auch
immer wieder die Frage gestellt, wieso denn "normale" Menschen einen solchen
Unsinn glauben können. "Mich könne niemand dazu bringen, so etwas
zu glauben!" sagen sie. Ehe ich mich in meiner Beantwortung dann den
psychologischen Zusammenhängen zuwende, mache ich immer einen zugegeben
banalen, aber doch wirksamen Versuch:
Ich greife mir aus dem Publikum zwei oder drei Personen heraus und sage
ihnen, ohne daß es die anderen hören, ich würde dem Publikum
jetzt eine Frage stellen, die es mit dem Wort "lila" beantworten wird. Ich
würde das Auditorium so manipulieren, daß es mir in der
Beantwortung meiner Frage willfährig sei. Danach sage ich den
Anwesenden: "Ich werde Sie jetzt mit einem Satz konfrontieren, aus dem ich
eine Frage ableiten werde, deren Beantwortung ich den zwei oder drei
Freiwillen vorher vorausgesagt habe." Daraufhin sage ich den Satz: "Die
zarteste Versuchung ..." um gleich die Frage: "An welche Farbe denken Sie?"
hinterher zu schieben. Natürlich antwortet das Publikum, in Anlehnung
an die bekannte Milka-Reklame, fast einhellig: "Lila!" Von den Freiwilligen
wird dann bestätigt, daß ich ihnen vorher gesagt hätte, ich
würde das Publikum durch einen manipulativen Trick dazu bringen,
daß es auf meine Frage mit "lila" antwortet. An diesem Beispiel zeige
ich dann, daß jeder Mensch manipulativ beeinflußbar ist, es
kommt nur darauf an, sich der notwendigen Aufmerkamkeit der Zuhörer zu
versichern.
Wir wissen aus der Literatur und den Erfahrungen der Sektenausstiegsberater,
daß etwa zwei Drittel der Mitglieder in Sekten vor ihrer
Sektenmitgliedschaft ein altersgemäßes Verhalten an den Tag
legten und nicht ernsthaft gestört waren. Warum Menschen, die scheinbar
gesund und normal sind, sich plötzlich von einem Tag auf den anderen
einer skurrilen Sekte anschließen, beantwortet Margret Singer wie
folgt und belegt das auch anhand von Beispielen:
Ich selber habe festgestellt, daß es vor allem zwei Bedingungen
sind, die eine Person für die Anwerbung durch eine Sekte besonders
anfällig machen, nämlich Depressionen und
Übergangssituationen [a.a.O. S. 49]
Sie macht hier auf Bedingungen aufmerksam, die wir im täglichen Leben
sehr oft nicht sehen oder verdrängen, die aber im Leben eines jeden,
zwar mit unterschiedlicher Intensität, doch zum normalen Erleben
gehören. Wer von uns war noch nie niedergeschlagen? Wer hat noch nie
unter dem Verlust eines nahen Angehörigen oder Freudes gelitten? Wer
hatte noch nie Liebeskummer? Wer wurde noch nie von einem Freund
enttäuscht, verraten oder gekränkt? Wenn in solch einer Zeit des
Niedergeschlagenseins jemand kommt, der Wärme und Zuneigung suggeriert,
dann ist wohl jeder gern bereit, in die scheinbar offene Hand einzuschlagen,
diese Hand festzuhalten. Wenn sich dann später herausstellt, daß
diese scheinbar so offene Hand von jemandem ausgestreckt wurde, der die
momentane Unsicherheit erkannt und benutzt hatte, Macht und Herrschaft
über einen zu erlangen, dann kommen zu dieser Erkenntnis noch Scham und
Selbstvorwürfe hinzu. Diese Gefühle verhindern nach unserer
Kenntnis dann aber wieder die Betroffenen, einen Schlußstrich unter
solche Abhängigkeit zu ziehen. Wir wissen aus dem Umgang mit ehemaligen
Sektenmitglieder und betroffenen Angehörigen, daß
Sektenmitglieder in der Regel ohne fremde Hilfe aus diesem Teufelskreis von
Abhängigkeit, Scham und Selbstvorwürfen alleine nicht mehr
herausfinden.
Hinzu kommt noch, daß die Öffentlichkeit nur zu gerne bereit ist,
dem Opfer auch die Schuld für seine Situation zuzuschreiben. Die
Schuldzuweisung an das Opfer ist eine nahezu überall anzutreffende
Reaktion, wenn anderen Unglück zustößt. So wird Frauen, die
vergewaltigt werden, oft die Schuld zugeschoben. Warum, so fragen die Leute,
hat sie auch ein kurzes Kleid getragen, war nach zehn Uhr abends auf der
Straße oder befand sich in einem Stadteil, in den sie nicht hätte
gehen sollen? [a.a.O. S. 54]
Alle diese Faktoren tragen dazu bei, daß einem Sektenopfer der
Ausstieg so schwer wird. Natürlich weiß das Opfer, daß es
einen Fehler gemacht hat, es fühlt sich mies und niedergeschlagen, und
hat Angst, daß dieser Fehler bei einem eventuellen Ausstieg dann in
der Öffentlichkeit schonungslos diskutiert wird. Und wer blamiert sich
schon gerne vor aller Augen? ...
Die Autorin weist immer wieder darauf hin, daß Sektenführer, aber
auch Demagogen um diese Gefühle bei ihren Opfern wissen. Sie nutzen das
schamlos aus, um ihren "Anhängern" den Ausstieg so schwer wie
möglich zu machen. Margret Singer widmet der Erläuterung dieser
Situation ein ganzes Kapitel in dem sie in einem historischen Abriß am
Beispiel konkreter Sekten dem Leser deutlich macht, wie das seit über
150 Jahren immer wieder hervorragend klappt, wie die Verkäufer von
Sehnsüchten Menschen in den Abgrund gezogen haben.
Sekten sind, so hat sich gezeigt, Variationen über ein Thema, und
ihr sich ständig wandelnder Sprachgebrauch ist ein Zeichen ihrer
Anpassungsfähigkeit an den Zeitgeist. Aber wie im griechischen Mythos
die einen Segler vom Gesang der Sirenen in den Abgrund gezogen wurden,
wurden andere, denen Odysseus die Ohren verstopft hatte, gerettet. Wir
müssen auf der Hut sein vor verheißungsvollen Schlagwörtern,
die den Arglosen in ihren Bann schlagen. Wir müssen wissen, wann Worte,
die in uns die Sehnsucht wecken, jemandem zu folgen, ein Gesang der Sirenen
sind.
Dieser Gesang der Sirenen, der den Arglosen in den Abgrund reißt, ist heute
ein Konzert, bestehend aus Gehirnwäsche, psychologischem Zwang und mentaler
Programmierung. Margret Singer arbeitet in zwei Kapiteln [vgl. S. 82
-- 134] heraus, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, welche
Methoden angewandt werden und was an Sekten so schlimm ist. Neben
Persönlichkeitsveränderungen, Geldgier, Leid und Krankheit, sei
der Totalitarismus die größte Gefahr, die von Sekten ausginge.
Mit den Sekten dringen -- in unterschiedlichsten Verkleidungen --
totalitäre Sozialstrukturen in unserer Gesellschaft vor. Dies sollte
nicht nur für die Sozialwissenschaft von Interesse sein, sondern auch
für ganz normale Bürger, denen ihre Freiheit am Herzen liegt.
Dem ist wohl angesichts der aktuellen Entwicklungen in Deutschland nichts
mehr hinzuzufügen. Aus diesem Grunde versuchen die Sektenexperten
Deutschlands in ihrer Arbeit die Welt der Sekten nicht als Kaleidoskop der
Merkwürdigkeiten zu sehen, wie das leider immer wieder in laienhaften
Mediendarstellungen geschieht [Man verfolge in diesem Zusammenhang die
Behandlung des Sektenthemas und der Esoterik in den verschiedenen Talkshows
vieler Fernsehstationen!]. Wenn Sekten unter dem Tarnmantel
seriöser Trainingsprogramme statt Fähigkeiten auszubilden und
Wissen zu vermitteln, Methoden der mentalen Programmierung anwenden, um neue
Mitglieder zu werben und Geld zu machen, dann geht das jeden in unserer
Gesellschaft an. Unsere Aufmerksamkeit sollte sich nicht so sehr auf die
Glaubensinhalte der Gruppe oder die "Firmenphilosophie" richten, als
vielmehr darauf, welche Verhaltensweisen die Personen an den Tag legen, die
unter dem Einfluß solcher Gruppen stehen. Werden Bürgerrechte
verletzt, wird betrogen und manipuliert unter dem Motto: "Der Zweck heiligt
die Mittel!" dann ist es Zeit, die Stimme zu erheben und solchem Treiben ein
Ende zu machen. Dabei ist es dann gleichgültig, ob sich eine Gruppe
selbst als "Religion" bezeichnet. Wenn sie sich nicht wie eine Religion
verhält, dann verdient sie diesen Titel nicht!
Auf fast 150 Seiten arbeitet Margret Singer die Mechanismen heraus, die
Sekten am Leben erhalten. Die Rekrutierung neuer Mitglieder, die
physiologischen Methoden der Beeinflussung und die psychologischen
Überzeugungstechniken lassen diese Gruppen in unsere Arbeits- und
Lebenswelt eindringen, führen aber auch zu Drohungen und
Einschüchterungen aller derer, die sich kritisch mit deren
Machenschaften auseinandersetzen.
Am Anfang einer Sektenmitgliedschaft steht der erste fatale
Schritt. [a.a.O. S. 143f.] Werber filtern aus der Menge
ihrer Zielgruppe mit Charme und Schmeichelei die heraus, die arglos,
interessiert, verletzlich und vielleicht auch in einer aktuellen seelischen
Umbruchsituation sind. Sie laden sie ein, bildlich gesprochen, sie
öffnen ihre Arme weit, um das Opfer später dann um so fester zu
umklammern. Diesem ersten Schritt folgt dann der erste Kontakt mit der
Sekte, bei dem der Neuankömmling mit Freundlichkeit und Aufmerksamkeit
gleichsam überschüttet wird: Es wird bei ihm das Gefühl
induziert, man tue alles nur um seinetwillen. Das löst ein Gefühl
der Dankbarkeit aus, auf dem dann die weitere Programmierung durch die
Führer der Gruppe, verb. [a.a.O. S. ?] Diese Art der fast
vollständigen Abhängigkeit gestandener Persönlichkeiten von
einem "Führer" ist es, die betroffene Angehörige von
Sektenmitgliedern, aber auch die Öffentlichkeit immer wieder
beschäftigt.
... Jahrhundertelang wurden Meditationsübungen innerhalb eines
spezifischen aus Wissen und Glauben zusammengesetzten Weltbildes gelehrt. Im
Gegensatz zu diesen altehrwürdigen Traditionen, in denen
verantwortliche Lehrer ihre Schüler individuell geführt haben, so
daß schädliche Wirkungen vermieden werden konnten, wird
Meditiation heute als Ware auf dem Massenmarkt angeboten. Wie die Beispiele
gezeigt haben, birgt die Massenanwendung eines Prozesses, der
bekanntermaßen destabilisierende emotionale Wirkungen haben kann,
Gefahren für den einzelnen. Aber wie es in Sekten üblich ist,
denkt der Führer nur an sich und seinen Erfolg ("Millionen praktizieren
meine Meditationstechnik") und ignoriert die schädlichen
Wirkungen auf bestimmte Anhänger [a.a.O. S. 180]
In diesem Kontext ist es auch zu verstehen, warum die Enquete-Kommission des
Bundestages, die sich mit dem Einfluß der Sekten in Deutschland
befaßt, einen Verbraucherschutz für die Verbraucher
psychologischer und meditativer Techniken fordert. Meditation ist ein
mächtiges Werkzeug. In der Hand des Verantwortlichen und Erfahrenen
kann es hilfreich sein und inneren Frieden stiften, aber in der Hand des
Gewissenlosen wird sie zur furchtbaren,
persönlichkeitszerstörenden Waffe.
Nach Cialdini kann man den größten Teil der unzähligen
verschiedenen Taktiken, mit denen die professionellen Manipulateure
arbeiten, sechs Kategorien zuordnen, von denen jede auf einem
psychologischen Prinzip beruht, das das menschliche Verhalten steuert. Diese
sechs Prinzipien sind folgende:
An Beispielen belegt die Autorin nun die Wirksamkeit dieser Mechanismen, um
dann in den letzten beiden Kapiteln des zweiten Teiles des Buches sich dem
Eindringen von Sekten in die Arbeitswelt und dem Thema der Drohung und
Einschüchterung der Sekten gegenüber Kritikern zuzuwenden. Besonders dankbar
wird der Leser zur Kenntnis nehmen, daß Margret Singer dem Eindringen von
Sekten in die Arbeitswelt ein besonderes Kapitel widmet, wobei sie besonders
das Gebiet der Managementkurse im Blick hat. Die Notwendigkeit
hierzu leitet sie aus folgendem ab:
Dabei wird oft so getan, als ob das in solchen Programmen angebotene
dümmliche New-Age-Geschwafel das Modernste vom Modernen sei. Wenn dann
noch Chefs ihre Machtposition gegenüber ihren Angestellten ausnutzen,
um diese zu solchen Kursen zu schicken, dann wird das Problem vollends
deutlich.
So ist der Arbeitsplatz zu einer Arena geworden, wo mehrere soziale
und psychologische Phänomene zusammentreffen: Die New-Age-Bewegung, das
Streben der Wirtschaft, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein, und die
Neigung unserer Nation, an Selbstvervollkommnung zu glauben. Diese Situation
machen sich gewisse Sekten zu nutze, um in die Arbeitswelt
einzudringen. [a.a.O. S. 223]
An Fallbeispielen und konkreten Gruppen stellt die Autorin dar, wie sich aus
der Teilnahme an solchen Trainings psychische Zusammenbrüche,
Entgleisungen und massive Streßsymptome ergeben können. Der
Protest richtet sich nicht gegen echte berufsbezogene Fortbildungsprogramme,
sondern dagegen, daß Arbeitnehmer ohne ihre Zustimmung zu Trainings
abgeordnet werden, die sie nicht ihre berufliche Arbeit ausbilden, sondern
ihre religiösen und persönlichen Überzeugungen
erschüttern und ihre Persönlichkeit, ja ihr innerstes Selbst
attackieren und schädigen. [a.a.O. S. 248]
Die wachsende wirtschaftliche und finanzielle Potenz von Sekten führt
in der Gegenwart dazu, daß diese Gruppen sehr wohl in der Lage sind,
Kritiker zum Schweigen zu bringen. Jeder, der auf dem Gebiet der
Sektenprävention und der Ausstiegsberatung arbeitet, hat schon mit
Repressalien und Drohungen zu tun gehabt. So führen bestimmte Sekten
Prozesse, nicht um zu gewinnen, sondern um Zeit und Geld bei den Kritikern
zu binden. Verlage, die kritische Literatur verlegen, werden in teure
Prozesse verwickelt.
In manchen Fällen sind Bücher über Sekten nur deswegen
erschienen, weil Verleger und Autoren finanziell in der Lage waren, sich dem
Versuch gewisser Sekten zu widersetzen, die Veröffentlichung von
Forschungsergebnissen zu hintertreiben. Viele der großen
internationalen Sekten verfügen über fast unbegrenzte finanzielle
Mittel und die Macht, Verleger, Zeitungen, Fernsehproduzenten, akademische
Forscher, Fachkräfte und jeden anderen einzuschüchtern, der
öffentlich gegen Sekten Stellung nimmt. Wenn es Sekten und ihren
Sympatisanten gelingt, die Veröffentlichung von wissenschaftlichen
Studien über ihre Gruppen und die Biographie ihrer Führer und
offene kritische Anmerkungen von Sozialwissenschaftlern zu blockieren, dann
werden die Sekten selbst zu Schiedsrichtern darüber, was die Welt
erfahren darf. Ohne eine freie Presse, wissenschaftliche
Veröffentlichungen, offene kritische Stellungnahmen und ohne die
Möglichkeit der freien Meinungsäußerung sind wir alle der
Willkür von Sektenführern ausgeliefert, die darüber
bestimmen, was wir lesen, was wir sagen, was wir denken dürfen.
Orwells 1984 könnte dann Wirklichkeit werden.
Gerade auf diesem Gebiet toben zur Zeit in ganz Europa erbarmungslose
Kämpfe. Margret Singer ist von einem sympatischen Optimismus
geprägt, daß Ehrlichkeit, berufliche Verantwortung und
Integrität in den meisten Fällen die Oberhand behalten wird. Dem
können wir nur zustimmen. Doch es ist auch klar, daß das nicht
ohne Kampf und Rückschläge geschieht. Je mehr Menschen sich dem
totalitären Machtwahn sektiererischer Demagogen widersetzen, um so
freier kann seriöse Forschung und Meinungsäußerung leben.
Dabei schildert sie die erschütternden Biographien geschundener Kinder,
die außer der Sektenwelt nichts kennengelernt haben. Die, wenn sie
dann aus diesem Ghetto herausgekommen sind, sich in der realen Welt nicht
mehr zurechtfinden. Innerhalb der Sekten war es in Ordnung, Nichtmitglieder
zu belügen und zu täuschen, und nun sollen sie auf einmal ehrlich
sein? Margret Singer weis, daß Ausstiegsberatung bei Kindern
eigentlich das Nachholen eines Erziehungsprozesses von zehn, zwölf
Jahren im Schnelldurchlauf ist. Hier treten Probleme auf, die auch die
Fachleute nur mit Mühe meistern können. Sie sagt: "Sektenkinder
sind Überlebende!" Das gilt aber nicht nur für die Kinder, sondern
für alle Aussteiger.
Die Gründe, warum Sektenmitglieder nach einer kürzeren oder
längeren Zeit der Mitgliedschaft wieder aussteigen sieht Margret Singer
in drei Punkten:
Ist der Prozeß des Ausstieges einmal in Gang gesetzt, dann bedarf das
ausgestiegene Mitglied professioneller Hilfe. Sprach man früher von
"Deprogramming", so verwendet die Autorin lieber den Begriff
"Ausstiegsberatung", der viel besser deutlich macht, worum es bei diesem
Prozeß geht: Der Hilfe zur Selbsthilfe. Eins stimmt den Leser immer
wieder optimistisch, daß die Autorin aus ihrer Erfahrung immer wieder
berichtet, wie erfolgreich ein solcher Ausstiegsprozeß in der Regel
ist. Sie weiß darum, daß die in der Sekte erworbene
Pseudopersönlichkeit eben nur angelernt ist, sie wird verschwinden,
sobald das Mitglied aus der Sektenumgebung entfernt worden ist. Dabei sieht
sie natürlich, daß dieser Prozeß für die Betroffenen
sehr schmerzhaft und teilweise auch sehr dramatisch verläuft. Gerade
deswegen ist Hilfe von Spezialisten notwendig.
Margret Singer schließt ihr Buch mit einer Hommage an die Opfer von
Sekten. All die Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, die in Sekten
hineingegangen und wieder herausgekommen sind und die Erfahrungen durchlebt
haben, welche ich in diesem Buch beschrieben habe, gehören zu den
inspirierendsten Menschen, denen ich begegnet bin. Sie wollten sich selbst
besser machen und sie wollten die Welt besser machen. Sie waren
altruistisch, fürsorglich und hilfsbereit, uns sie wurden betrogen --
denn sie glaubten einem Scharlatan. Mich begeistert, daß Menschen den
Absprung geschafft haben, nachdem sie zu ihrer bitteren Enttäuschung
feststellen mußten, daß ihr Führer sie belogen hat, Kokain
von dem Geld gekauft hat, das sie auf den Straßen erbettelt haben,
Kinder mißbraucht und Feinde ermordet hat, und daß nichts von
dem, was sie in der Sekte tatsächlich taten, irgend etwas mit den
ursprünglichen hohen Zielen zu tun hatte.
Ich kann nur hoffen, daß dieses Buch eine zahlreiche Leserschaft
findet und daß auch in Deutschland die Zahlen der Aussteiger so
groß werden, daß unser Land kein Nährboden für Gurus
und Scharlatane mehr ist.
Einleitung
Mit dem vorliegenden Werk liegt nunmehr die deutschsprachige Ausgabe des
Buches "Cults in Our Midst. The Hidden Menace In Our Everyday Lives",
welches von der gleichen Autorin in San Francisco: bei Jossey-Bass Publishers,
1995 erschienen ist, vor.
Definition von Sekten
Die Autorin verwendet den Sektenbegriff nicht so sehr im Sinne einer
religionsphänomenologischen Beschreibung, sie spricht vielmehr von
"Sektenbeziehung", um die in solchen Gruppen ablaufenden
Interaktionsprozesse zu beschreiben. Dabei kennzeichnet sie diese
Sektenbeziehung darin, daß ... eine Person bewußt und
gezielt auf andere einwirkt, um sie in allen wichtigen Lebensentscheidungen
vollständig oder beinahe vollständig von sich abhängig zu
machen, und die Anhänger glauben macht, sie verfüge über eine
besondere Gabe oder außergewöhnliches Wissen.[a.a.O. S.
3] Hierbei sieht sie die Faktoren
Physiologische Methoden der Beeinflussung
Es ist seit langem bekannt, daß bestimmte Techniken, vorhersagbare
physiologisch Reaktionen hervorrufen. Dazu zählen Hyperventilation,
repetitive Bewegung, Eingriffe in Ernährung, Schlaf und Streßniveau,
Körpermanipulationen und enspannungsinduzierte Angst.
Hyperventilation
Dieser Zustand einer Übersättigung des Blutes mit Sauerstoff
führt zu einem Abfall des Kohlendioxydspiegels im Blut, was zu einem
Überschuß an Alkali im Blut führt. Die Folge ist eine
respiratorische Alkalose, die in milder Form zu Schwindelgefühl und
Benommenheit bis zu einem rauschähnlichen Zustand in schweren
Fällen führt, der über krampfartige Schmerzen und
Herzrhytmusstörungen in einer Ohnmacht münden kann. Diese Symptome
sind beispielsweise Bergführern wohlbekannt, die ungeübte
Touristen auf Bergwanderungen im Hochgebirge führen. Von den
Sektenführern werden diese Symptome dadurch herbeigeführt,
daß sie die Gruppe lang anhaltend laut singen und schreien lassen. Die
Symptome der Hyperventilation werden aber nach Abklingen der Symptome als
"Gottensnähe" oder "wahre Gefühle" gedeutet, was natürlich
blanker Unsinn ist.
Repetitive Bewegung
Langanhaltende Schaukelbewegungen, verbunden mit monotoner Musik, wie das
beispielsweise bei bestimmten hinduistischen Sekten praktiziert wird,
führt zu einem veränderten Bewußtseinszustand. Das kann im
Extremfall zu einer Extase führen, die dann in tiefer Trance endet.
Eingriffe in Ernährung, Schlaf und
Streßniveau
Werden die Ernährung, der Schlafrhytmus und das allgemeine
Streßniveau einer Person plötzlich verändert, treten
vorhersagbare physiologische Reaktionen auf. Auftretende
Magen--Darmstörungen werden dann von den Sektenführern als "Satan
im Leib" gedeutet, den es auszutreiben gilt. Einige Gruppen, besonders
hinduistische und östlich--religiöse Gruppen verlangen von ihren
Mitgliedern eine einseitige vegetarische Ernährung. Das führt zum
Eiweiß-Mangelsyndrom und hormonellen Veränderungen. Gerade das
ist besonders bei Mitgliedern von Hare Krishna oft zu beobachten. Andere
Gruppen setzen exzeßhaften Saunabesuch, Einläufe und extreme
Vitamingaben ein, um den Stoffwechsel der Mitglieder zum Entgleisen zu
bringen. Der hieraus folgende Zustand des Unwohlseins und der
Körperveränderungen wird dann von den Führern als Beweis
ihrer Lehre interpretiert.
Körpermanipulation
Einige Gruppen verwenden Körpermanipulationen, um Schmerzen zu erzeugen.
Diese Schmerzen werden benutzt, die Mitglieder auf die Lehren des Führers zu
konditionieren. "Ohne Schmerz kein Fortschritt!"
Entspannungsinduzierte Angst
Aus religiöser Praxis der Meditation ist schon seit Jahrhunderten
bekannt, daß Meditierende auch schlimme Angst erleben können.
Statt Entspannung kann immer auch furchtbare Angst auftreten. In der
seriösen Meditation wird dann durch den Meister diese sofort
abgebrochen, um unerwünschte Symptome zu vermeiden. Sekten nutzen das
aber aus, um ihre Anhänger zur Abhängigkeit zu konditionieren.
Diese Symptome werden als Entstessungssymptome interpretiert, denen man, so
sagen diese Quacksalber, nur durch weitere intensivere Meditation begegnen
könne.
Psychologische Überzeugungstechniken
Sekten arbeiten mit einem Bündel von psychologischen
Überzeugungstechniken, die hochwirksam sind, aber in der Hand des
gewissenlosen Quacksalbers zu einer Gefahr werden. Trance, Hypnose, Revision
der persönlichen Lebensgeschichte, emotionale Manipulation und Gruppendruck
-- das sind die Mittel, um Macht über Persönlichkeiten zu erlangen.
Margret Singer weist im Anschluß an Robert Cialdini darauf hin,
daß jedes Individuum dazu neigt, sich in fixierten Verhaltensmustern
zu bewegen. Diese Verhaltensmuster stellen eine Art "gelerntes
Sozialverhalten" dar, mit dem wir uns in der Welt bewegen. Werden diese
Verhaltensmuster nun von Manipulateuren mißbraucht, so bemerkt das der
Betroffene kaum.
[vgl. a.a.O. S. 218ff.]
Wie können wir Sektenmitgliedern helfen, zu entkommen und zu
genesen?
Margret Singer widmet diesem Thema über einhundert Seiten ihres Buches.
Aus ihrer jahrzehntelangen Beratungspraxis schildert sie dem Leser die
Schwierigkeiten aber auch die Erfolge der Ausstiegsberatung. Ein besonderes
Gewicht widmet sie den Kindern, die als unschuldige Opfer in Sekten
mißhandelt und manipuliert worden sind. Sie sind Opfer der
hemmunglosen Phantasien und Begierden der Führer. Eine Sekte ist
ein Spiegel der Innenwelt des Führers. Er kennt keine Schranken. Er
lebt seine Phantasien und Begierden in der Welt, die er um sich herum
schafft, hemmungslos aus. Er weiß, wie er die Menschen dazu bringen
kann, ihm hörig zu werden. [a.a.O. S. 293f.]