Colonia Dignidad

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Subj: Nach Kindesmißbrauch und Folter wächst Druck auf Colonia Dignidad
Date: 97-05-14 18:56:49 EDT
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Von Hendrik Groth, dpa

Santiago de Chile/Buenos Aires (dpa) - Jahrzehntelang genossen sie die wohlwollende Duldung und offene Freundschaft der Mächtigen in Chile, schließlich ging es um Sauberkeit, Moral und gegen die Linken. Unter Diktator Augusto Pinochet wurden in der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad im Süden des Andenstaates Regimegegner gefoltert und möglicherweise ermordet.

Nachdem nun aber bewiesen wurde, daß auf dem berüchtigten Anwesen seit Jahren Kinder von alten Männern vergewaltigt werden, wollen auch einflußreiche Kreise in Chile nicht mehr ihre schützenden Hände über den Deutschen Paul Schäfer halten. "Schäfer soll sich besser heute als morgen den Behörden stellen", sagt Senator Hernan Larrain von der Pinochet-Partei UDI, deren Mitglieder sich gerne als Saubermänner darstellen.

Schäfer befindet sich seit acht Monaten auf der Flucht, nachdem gegen ihn ein Haftbefehl wegen des Mißbrauchs eines zwölfjährigen Jungen ausgestellt worden ist. Die Polizei fahndet landesweit nach ihm, obwohl es als sicher gilt, daß sich der 76jährige auf dem 1 300 Quadratkilometer umfassenden Gebiet verschanzt hat.

Dieses Gelände, knapp 400 Kilometer südlich von Santiago gelegen und dreimal so groß wie Bremen, ist von einem kombinierten Maschen- Stacheldrahtzaun umgeben. Mit Hochsitzen und elektronischen Überwachungsgeräten können die Wachmannschaften problemlos Eindringlinge kontrollieren oder eine Flucht von Sektenmitgliedern verhindern. Sollte die Polizei das Grundstück stürmen, gehen Beobachter davon aus, daß es Tote geben wird.

"Binnen kurzer Zeit wird nun etwas geschehen", sagt optimistisch Hernan Fernandez, Anwalt verzweifelter Eltern, deren Kinder in der Colonia Dignidad mißbraucht wurden. In der Colonia Dignidad, auch als Villa Baviera - bayerisches Dorf - bekannt, wird ein Internat für chilenische Kinder aus armen Verhältnissen geführt.

Die gibt es in der nahegelegenen Kleinstadt Parral zuhauf, aktuelle Schätzungen gehen davon aus, daß derzeit über 140 Kinder in dem Internat stecken. Sind die Kinder erst einmal in der Colonia Dignidad, werden die Kontakte zu ihren Eltern massiv eingeschränkt. Nur mit der Klage auf Kindesentführung gelang es einer Mutter, ihren verstörten Sohn zurückzubekommen.

Auch die auf dem Gelände geborenen Kinder durchleben ein Martyrium. Die Zeitung "La Tercera" druckte eine Zeugenaussage nach der "die Jungen und Mädchen wie Roboter aufwachsen, gänzlich ohne Zuneigung der Eltern". Stromschläge auf die Hoden, Injektionen oder Drogensäfte seien eine häufige Bestrafung.

In Siegburg bei Bonn hatte Schäfer vor 40 Jahren eine "Jugendheimstadt" unterhalten. Als dort Vorwürfe laut wurden, Schäfer vergehe sich an Jungen, setzte sich der Prediger mit seinen religiösen Geschichten über die kurz bevorstehende "Ankunft des Herrn" und etwa 250 Anhängern ins katholische Chile ab.

Dort gründete er 1961 die Colonia Dignidad, umgab sie mit einem Mantel der Nächstenliebe, gründete ein Krankenhaus sowie eine Schule und erhielt dafür die staatlichen Privilegien einer Wohlfahrtseinrichtung: Steuer- und Zollfreiheit.

1991 entzog ihr der damalige Präsident Patricio Aylwin die Gemeinnützigkeit. Doch nun könnte es der Sekte wirklich an den Kragen gehen. Unzucht mit chilenischen Kindern ist auch für die öffentliche Meinung zuviel.

Chiles wichtigste Zeitung, "El Mercurio", jahrzehntelang auf Seiten der Siedlungs-Führer, hat ihre Haltung aufgegeben und berichtet über die kriminellen Vorgänge im Süden des Landes. Und auch die Polizei scheint es leid zu sein, unverrichteter Dinge abzurücken. Immer mehr Stimmen werden laut, die vor einem Ansehensverlust der chilenischen Institutionen im Ausland warnen.

      ©dpa
      150031 Mai 97