5. 2. Arbeitserziehung
Mit seiner Sphäretheorie ging es Fröbel nicht um die Ausbildung
von Tätigkeiten in eine Richtung, sondern um eine allseitige
Anregung zur Tätigkeit, der rezeptiven wie auch der produktiven.
Fröbel bezog das Leben in die Lerntätigkeit ein. Die Außenwelt
oder Umwelt des Kindes und des Jugendlichen bietet genügend
Anlässe, die Lernmotivation aufrechtzuerhalten. WICHARD LANGE
schrieb 1862 in "Fröbel's gesammelte pädagogische Schriften"
über das Tätigkeitskonzept Fröbels in Keilhau:
"Man wollte zum Zwecke der Erregung des Lerntriebes nicht bloß
die Neugierde durch die Voranstellung der Sache von Begriff und
Wort, nicht bloß die Veranschaulichung, sondern auch gerade die
körperliche Arbeit herbeiziehen." 1
Die Zöglinge wurden nicht nur tätig bei der Pflege der Natur.
Die Erziehungs- anstalt beschäftigte auch einige Handwerker, um
die Zöglinge in bestimmten Gewerken auszubilden. Diese
Tätigkeiten boten "unmittelbar Veranlassung zur Belehrung"2, die
dann im Unterricht verwertet wurden. Dieses System altersan-
gepaßter Arbeiten verfolgte drei Richtungen.
1. das Abführen aufgestauter Energie aus dem geistigen
Angespanntsein im Unterricht durch Bewegung, durch
körperliches Tätigwerden,
2. die Befriedigung der aus dem Unterricht entwickelten Neugier
3. die Lösung der aus der Arbeit entstehenden Fragen im
Unterricht.
Die körperliche Tätigkeit gehörte bei Fröbel zur geistigen; sie
erhält und stärkt den Geist. Nach dem Muster Friedrich Ludwig
Jahns wurden den Kindern auch Turn- übungen angeboten, die man
mit Akribie betrieb. Fröbel erkannte, daß Kinder sich selbst
ihre körperlichen Möglichkeiten messen , die Gewandtheit schulen
wollen und die Gemeinschaft dazu anregt.
Die Arbeit wurde zum Lehrmittel.
"Sie theilt deshalb den Tag in eine Hälfte mit vorwaltender
Thätigkeit für äußeres Erzeugnis,- in A r b e i t, und in eine
Hälfte mit vorwaltender Thätigkeit, das innere an sich und im
Aeußern denkend auffassen,- in L e h r e und U n t e r - r i
c h t." 3
Die Arbeit war nicht nur Tätigsein; sie hatte zum einen die
Aufgabe, ein für die Gemeinschaft verwertbares Erzeugnis
hervorzubringen und andererseits die moralische Einstellung zum
arbeitenden Menschen und zur Berufsorientierung zu festigen. Aus
den Erfahrungen in seiner Keilhauer Schule entwarf Fröbel einen
Plan von Tätig- keiten, die 1829 im Konzept für eine weitere
Erziehungsanstalt verankert wurden. Er teilte dazu wieder, nach
seinem Prinzip von Innen und Außen, zwei Arbeitsbereiche ein,
die wiederum Unterkomplexe aufwiesen:
"I. Zur inneren Erhaltung des Ganzen
A. Vorwaltend für das Haus
. . .
B. Vorwaltend für die Schule und den Unterricht
. . .
C. Vorwaltend für die Wirtschaft
. . .
II. Für die äußere Erhaltung des Ganzen durch Erzielung
besonderer Einzelprodukte
A. Naturprodukte
. . .
B. Verfertigung von Kunsterzeugnissen theils zur Belehrung für
andere Lehranstalten, theils zum allgemeinen Gebrauche
. . . " 4
(siehe auch Anhang)
Vieles mußte damals in Handarbeit hergestellt werden, was heute
industriell gefertigt wird. Was spricht aber dagegen, bestimmte
in Vergessenheit geratene traditionelle Tätigkeiten wieder
aufleben zu lassen? In Gesprächen mit Schülern aus unserem
Regelschulbereich kommt immer wieder zum Ausdruck, daß diese
Arbeit suchen. Fröbel betonte dazu, daß das Kind seine spezielle
Arbeit tun und sein Endprodukt vor Augen haben müsse, das
Ergebnis seines Tuns.
Die heutige Keilhauer Schule bietet durch seine ländliche Lage
und Internats- unterbringung der Kinder alle Möglichkeiten zur
Arbeitserziehung. Das Ganztags- förderangebot hat hier ideale
Bedingungen. Viele Tätigkeiten sind bereits durch den Lehrplan
für die Schüler organisiert, z. B. Arbeiten im Schulgarten oder
im Werk- unterricht. Vieles ist aber vor allem in Klassen 5 und
6 so angelegt, daß sich die Schüler nicht angemessen körperlich
auszuarbeiten brauchen. Nach Aussagen dieser könnten sie mehr
vertragen. Dazu haben wir in letzter Zeit ein Konzept erarbeitet
und verfolgen die Absicht, in die Kleintierhaltung einzusteigen
und Tätigkeiten in traditionellen Gewerken anzubieten. Mit der
Kleintierhaltung soll gleichlaufend ein psychologischer Effekt
erzielt werden, nämlich die Kompensation von unangepaßten
Verhaltensweisen durch Zuneigung zum Tier.
Viele geistige Arbeiten im Unterricht werden den Kindern durch
Vordrucke und Arbeitsblätter abgenommen. Durch das
Selbstaufschreiben der vollständigen Mathematikaufgaben oder
selbstätiges Abzeichnen von Anschauungsmaterialien z. B. prägt
sich der Unterrichtsgegenstand deutlicher ein als durch das
Ausmalen der Vorlagen oder mechanistisches Eintragen von
Ergebnissen. Zu den von Fröbel aufgeführten Tätigkeiten gehörten
z. B. das Anfertigen von Linienblättern zum Schönschreiben,
Netzzeichnen oder das selbständige Anfertigen von Unterrichts-
materialien überhaupt. Damit wurden nicht nur feinmotorische
Fertigkeiten geschult, sondern auch Einstellungen zu den eigenen
Arbeitsmaterialien gefestigt. Ebenso wurde soziales Lernen
gefördert, indem pflegerische Arbeiten unterstützend auch für
andere Zöglinge mit erledigt worden sind.
Im Arbeitsprozeß entstehen über die Konfrontation mit
Umgebungsimpulsen innere Widersprüche und Ungleichgewichte, die
nach einem Ausgleich verlangen (Homöostase). Die individuell
spezifischen Lösungsmöglichkeiten, die auf Erfahrungs- inhalten
und verinnerlichten Modellen fußen, bilden neue psychische
Eigenschaften im Kind oder Jugendlichen (z. B. Fähigkeiten,
Fertigkeiten, Einstellungen und wie Fröbel schrieb
"Willensfestigkeit"). In diesem Prozeß der
Vergegenständlichungen gesell- schaftlich relevanter
Sachverhalte werden neue psychische Inhalte angeeignet, die die
Struktur der Persönlichkeit verändern (sollen). Diese Aneignung
erzeugt selbst wieder eine Anregung zum Tätigwerden. Nach der
Zielsetzungstheorie von LOCKE zur Arbeitsmotivation werden
Menschen durch konkret formulierte Ziele, die auch einem dem
Leistungsvermögen entsprechenden Schwierigkeitsgrad aufweisen
müssen, zur Arbeit angeregt, motiviert und sind auch bestrebt,
den Gegenstand selbständig zu bearbeiten.5 Das Kind oder der
Jugendliche benötigt dazu aber immer wieder den Erwachsenen zur
demonstrativen Unterstützung (psychisches Kraftfeld).
Der Mensch will denkend tätig sein. Treten Informationslücken
auf, ensteht das Bedürfnis, diese schließen zu wollen. Fehlende
Informationen machen die Sache interessanter. Das entspricht
auch dem Neugierverhalten. Fröbel beschrieb einen Vorgang, bei
dem ein Kind eine Fensterscheibe einschlug. Seine Interpretation
dazu war, daß das Kind diese Handlung nicht beging, um etwas zu
zerstören, sondern zu erfahren, was passiert wenn . . .
"Aneignungseffekte hängen wesentlich vom Inhalt, von der Art
und Qualität, vom Entwicklungsniveau der konkreten Tätigkeit,
von ihrer Stellung im individuellen Tätigkeitssystem, von der
Struktur und Vielfalt des gesamten Tätigkeitssystems ab.
Vergegenständlichte gesellschaftliche Wesenskräfte des Menschen
werden in dem Maße vom Individuum angeeignet, wie der Gegenstand
seiner Tätigkeit diese repräsentiert und die Tätigkeit selbst
ihnen adäquat ist." 6
LOMPSCHER geht in seinem Artikel auch auf einen nicht zu unter-
schätzenden Effekt im Aneignungsprozeß ein, das spontene Lernen.
"Nicht oder wenig zielgerichtetes und bewußtes Verhalten"
erzeugt ebenfalls neben zielbewußten einen Lerneffekt. Dieser
Effekt kann über das Tätigsein mit außerunterrichtlichen
Sachverhalten bewußt vom Pädagogen gesteuert werden. Fröbel
sprach vom Erahnen bestimmter Sinnzusammenhänge und Gesetze.
Vor allem unsere sozial und in der Lernmotivation getörten
Kinder haben über die Arbeitserziehung die Möglichkeit,
selbständig Erfahrungswerte eigenen Unvermö- gens ohne
Vorschreibungen und Ermahnungen des Erwachsenen zu
verinnerlichen. Vieles, was im Unterricht vielleicht erzwungen
werden muß, stellt sich möglicherweise im Arbeitsprozeß latent
von selbst ein. Auch der Kommunikationsstil während der Arbeit,
im gemeinsamen Tun ist ein anderer als im Unterricht.
KLIX beschreibt Lernexperimente verschiedener Autoren mit
Anthropoiden, deren Ergebnisse darauf hinweise, daß "der soziale
Kontext der Verhaltenseinbettung von höchster Bedeutung für die
Lernmotivation" ist.
"Die soziale Motivation des Lernens ist in der Lage, den
kognitiven Wunsch nach Einfluß auf die Zukunft zu stimulieren." 7
Eben diese soziale Motivation ist bei rund vier Fünftel der
Kinder unserer Förderschule stark geschwächt. Das
Mißerfolgserleben hat die Persönlichkeit so eingenommen, daß
Lernvorgänge beeinträchtigt werden. Auch Fröbel beschrieb in
seiner "Menschenerziehung" die Folgen falschen Einflusses der
Familie.
"Der Knabe, das Mädchen werden so in ihrer innern Tätigkeit
gestört, sie sehen sich aus dem Ganzen, mit welchem sie sich so
innig eins fühlen, herausgesetzt, ihre innere ganze Kraft ist
aufgeregt, ja sie selbst wird ihnen lästig, drückend, sie werden
verdrossen, träge." 8
Dies ist der Zustand, mit dem die meisten Kinder an unsere
Einrichtung kommen. Durch für sie neue, nicht schultypische
Tätigkeiten im Rahmen der Arbeits- erziehung können diese
mißerfolgsmotivierten Kinder von negative Gefühle erzeu- genden
Tätigkeiten abgelenkt werden. Das während der Arbeit entstehende
Produkt kann als Erfolg gewertet werden und eine neue
Einstellung zum eigenen Vermögen erzeugen. Diese bildet dann die
Grundlage für eine Neuorganisation von Handlungs- regulationen
im schulischen Lernen. Zur Erzeugung positiver Gefühle, die für
Lernvorgänge notwendig sind, schreibt CLAUSS, führt, wenn der
Schüler:
"a ein Ziel erreicht, das Ziel eines geplanten Handlungsweges
ist,
b Handlungsfertigkeiten erwirbt, Tätigkeiten zunehmend besser
beherrscht,
c Handlungsbereiche erreicht, die höhere Effizienz
versprechen und/oder größeren Handlungsspielraum
eröffnen,
d neue gut regulierbare Handlungsbereiche erschließt,
e ein Ziel erreicht, dessen Folgehandlungen und
Wirkwahrscheinlichkeiten ihm gut bekannt
sind,
f die Erfahrung macht, daß sich ein geplanter oder neu
gefundener Handlungsweg als erfolgreich erweist." 9
Aus dem Ergebnis einer Handlung erwachsen Gefühle, die eine
Signalfunktion für die Motivation haben.10 Mit der
intrapersonellen Bewertung dieses Ergebnisses ändern sich auch
das Gefühl und die Einstellung zur Fortsetzung der Arbeit. Ein
Kind, das Schwierigkeiten im Umgang mit Zahlen hat, wird Gefühle
der Minderwertigkeit entwickeln und diese bei wiederholtem
Auftreten bald auf andere Persönlichkeits- bereiche ausdehnen.
Im handwerklichen Tun, in der Arbeitserziehung besteht nun die
Möglichkeit, dieses Streben zu kompensieren.
Die notwendigen sozialen Beziehungen im Arbeitsprozeß und
Kommuni- kationsstrukturen werden bereits im Spiel angelernt. Im
Vorgang zur Arbeitserziehung ist die Ernsthaftigkeit des
späteren Arbeitsverhaltens noch nicht so gefordert. Das Kind
kann den spielerisch geprägten "Arbeitsprozeß" durchaus wieder
verlassen.
Gruppendynamisch betrachtet, unterscheidet sich der Charakter
der Arbeit eines Kindes im Grundschulalter von dem eines Kindes
der Regelschule. Oben habe ich bereits erwähnt, daß Kinder im
Alter bis ungefähr 9 oder 10 Jahren noch nicht mit- einander
arbeiten können, weil sie im Wettbewerb mit Gleichaltrigen ihrer
Möglich- keiten messen wollen. In den Klassen 5 und 6 sind diese
dann bereit, im gemeinsamen Tun einen Arbeitsgegenstand zu
bearbeiten und sich auch gegenseitig zu unterstützen. Dieser
Prozeß muß vom Lehrer oder Erzieher geleitet werden, vor allem
bei hyperaktiven Kindern, da diese die Handlungen öfter wechseln
wollen, den Arbeits- vorgang schneller verlassen und dadurch
Unverständnis und Unmut beim Partner erzeugen.
In späteren Schriften nach seiner Keilhauer Zeit stellte Fröbel
einen regel- rechten Plan von Arbeitstätigkeiten auf, der schon
ein entwicklungspsychologisch abgestimmtes Konzept hatte. Mit
dem Fach Außenweltbetrachtung verfolgete Fröbel nicht nur die
Absicht der Naturbetrachtung und deren Achtung, auch das
Heranführen an das spätere Arbeitsleben war ihm wichtig.
Fragestellungen wie:
"Welche verschiedenen Werkstätten gibt es in der Stadt ?
Was zeigt jede Werkstatt Eigentümliches ?
Was ist Bestimmung und Zweck der Werkstätten ?
erscheinen geeignet, den Zögling für wesentliche Seiten der
menschlichen Arbeit zu sensibilisieren."11 Dieser Einblick in
Tätigkeitsformen und die praktische Umsetzung an der Schule
könnte eine Erweiterung des Handlungsspielraums des Schülers
anregen. "Mit Erhöhung der kognitiven Anforderungen im Rahmen
des wissenschaftlich - tech- nischen Fortschritts vergrößern
sich die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für die
Ausprägung persönlicher Verrichtungsweisen, Arbeitsweisen oder
Handlungs- stile."12 Diese Darstellung von HACKER bezieht sich
zwar auf die Arbeitstätigkeit Erwachsener, kann meines Erachtens
durchaus auch auf die Tätigkeitsebene des Schülers projiziert
werden. Die Selbsterfahrung bringt die Erkenntnis. Nach Fröbel
stützt sich "alle echte Erkenntnis . . . auf das Leben selbst
und das Selbstschaffen, auf die Einigung und Wechselwirkung
zwischen Thun und Denken, Darstellen und Erkennen, Können und
Wissen." 13
Wie oben schon angeführt, werden heute durch die
Industrialisierung viele Tätigkeiten den Schülern abgenommen.
Ich sehe aber eine Möglichkeit zum Tätig- werden im Angebot
alter traditioneller oder schon in Vergessenheit geratener
Gewerke, wie das Papierschöpfen, Töpfern, landwirtschaftliche
und technische Arbeiten u.v.m., alterstypisch abgestuft. Zum
Tätigkeitsprinzip gehörte bei Fröbel, aber auch heute im
Internatsleben, die Erziehung zur Selbstbedienung und Erhaltung
und Pflege privater Sachen. Mit der Pflege der eigenen Natur
wird sich nach Fröbel ebenso eine Achtung der äußeren Natur beim
Kind entwickeln.
1 Wichard Lange: Aus Fröbel's Leben und erstem Streben, Berlin
1862, S. 20 .
2 ebd. S. 20
3 Fr. Fröbel: An das deutsche Publikum, Keilhau 1929, in: "Aus
Fröbel's Leben und erstem Streben", Hrg. Dr. Wichard
Lange. Berlin 1862, S. 402
4 ebd. S. 414
5 vgl.: S. Greif, H. Holling, N. Nicholson: Arbeits- und
Organisationspsychologie, Psychologie Verlags Union, München
1989, S. 6
6 J. Lompscher: Psychologische Grundlagen unterrichtlicher
Aneignung, in: Pädagogik und Schulalltag, 3/91,
Luchterhand - Verlag Berlin, S. 346
7 F. Klix: Erwachendes Denken, Berlin 1985, S. 68
8 Fr. Fröbel: Die Menschenerziehung, Keilhau 1826, in: Friedrich
Fröbel, "Kommt laßt uns unsern Kindern leben!", Bd. II,
Hrg. K.- H. Günther u. H.König, Berlin 1982, S. 61
9 G. Clauss: Zur differenziellen Psychologie der Lernmotivation
bei Schülern, in: Psychologie für die Praxis 4/86, S. 298
10 vgl. auch Leontjew: Probleme der Entwicklung des
Psychischen, Berlin 1985, S. 311
11 vgl: Brodbeck, M.: Arbeitserzieherisches Wirken
F.W.A.Fröbels, Diplomarbeit unveröffentlicht
12 W. Hacker: Arbeitspsychologie, Berlin 1986, S. 59
13 Fr. Fröbel: An das deutsche Publikum, Keilhau 1829, in: "Aus
Fröbel's Leben und erstem Streben", Hrg. Dr. Wichard
Lange. Berlin 1862, S. 402