Es gibt in Europa nur wenige Länder, in welchen das Kinderspielzeug den Gegenstand einer wichtigen und reichentwickelten Industrie bildet. Obenan unter diesen Ländern steht Deutschland, das nicht nur seinen eigenen Bedarf an diesem Artikel ausschließlich selbst erzeugt, sondern von demselben auch Mengen im Werthe von mehreren Millionen Mark jährlich ausführt.
Auf Deutschland folgt Frankreich, dessen Spielwaarenindustrie eine anspruchsvollere ist und eine ganz andere Richtung verfolgt wie die deutsche. Eine französische Puppe blickt so hochnasig und verachtungsvoll auf eine schlichte Nürnberger Holzdocke hinab, wie eine edelbürtige Schloßdame auf das barfüßige Gänsemädchen des Dorfes. Da nun Deutschland im Industriepalaste fehlt, so steht Frankreich auf dem Gebiete des Kinderspielzeugs ziemlich ohne Mitbewerber da.Denn die wenigen einschlägigen Artikel, die die Schweiz, Japan und die Niederlande ausgestellt haben, kommen nicht sonderlich in Betracht und die übrigen Länder haben Spielzeug überhaupt nicht gesendet. Unsere heutige Wanderung, welche eben diesen Artikel zum Gegenstande hat, muß also naturgemäß in der französischen Abtheilung beginnen.
In der Hähe des südlichen Vestibüls frinden wir eine Galerie, die ganz dem Bébé gewidmet ist. Hier giebt es keine anderen, als solche Objekt, die blos den Miniatur=Ausstellungsbesucher interessiren und hauptsächlich ihm verständlich sind. Der Techniker hat die Maschinengalerie, der Maler den Pavillon der Kunst, der Landmann die Agrikulturausstellung, Bébé hat auch seine eigene Abtheilung: die Galerie des Spielzeugs. Der Mohammedaner stellt sich das Paradies als einen großen Garten vor, wo saftiges Gerstenbrod auf Bäumen wächst und in ungezählten Gemächern ungezählte Odaliskenumherwandeln; dem armen Eskimo ist das Himmelreich eine wohlthuend warme Kibitka mit großen Thrankesseln, aus denen er schöpfen kann á discretion; das Kind, vorausgesetzt, daß es eine solche Vorstellung überhaupt schon kennt, malt sich das Paradies ohne sZweifel nach Art des ihm gewidmeten Galerieabschnittes aus; eine Reihe von freundlich dekorirten Gemächern, in deren jedem auf allen Wänden und auf allen Tischen ein gar nicht zu übersehender Schatz von Puppen und Soldaten und Reitern, von Wagen, Häusern und Bilderbüchern, mit einem Worte eine Fülle der schönsten Dinge aufgespeichert ist, die ein Kinderherz erfreuen, so reich, so mannigfaltig, daß die Kleinen, die in die Galerie kommen, anfangs ganz geblendet dastehen und nicht wissen, wohin sie zuerst langen sollen.
Denn in keiner anderen Abtheilung wird das strenge Gebot: "Défense de toucher!" "Du sollst nichts berühren!" so häufig üb ertreten, nirgends sind die Besucher solchen harten Anfechtungen ausgesetzt, gegen diesen ersten Artikel des Ausstellungsgesetzbuches zu sündigen und nirgens ist das Amt der Aufseher, die gleich Cherubim mit dem flammenden Schwerte der Autorität jede unbefugte Annäherung an die ausgestellten Gegenstände abwehren, ein so dornenvolles, undankbares und gleichwohl zweckloses. Denn wo ist der Mann mit dem stahlgepanzerten Herzen, der es über sich gewinnt, mit Donner und Wetter, mit finsterer Miene und hartem Worte dreinzufahren, wenn ein herziger pausbackiger Junge oder ein reizendes lockenhaariges Mädchen mit den kleinen Fingern nach einer der Puppen greift, die so unwiderstehlich locken?
Allein, wenn diese bunten Dingerchen ein Kindesgemüth entzücken, so wirken sie dafür auf einen denkenden Erwachsenen um so betrübender. Welche Vorstellungen schmuggelt man hier in die naive Gedankenwelt des Kindes ein! Nach welchen Richtungen drängt man gewaltsam eine leichterregbare Phantasie! Man arbeitet mit Raffinement darauf hin, seine Eitelkeit, seinen Hochmuth, seine Freude an den nichtigsten Aeußerlichkeiten zu erwecken und groß zu ziehen.
Dem Knaben reicht man Soldaten. Glauben Sie aber etwa die alten, guten, unschuldigen Zinnsoldaten, deren einem Andersen zur wohlverdienten Unsterblichkeit verholfen hat? O nein, so ein primitives Ding nimmt der französische Knabe heute gar nicht mehr in die Hand. Sein Soldat ist ein großer stolzer Krieger, ein General mit goldgestickem Frack und Feldbinde und Federhut, ein goldenes Portepée am Säbel und das Band der Ehrenlegion über der Brust.
So lernt das Kind schon bei Zeiten die Generalsborten achten und das rothe Band verehren. Und erst die Puppe, die man dem Mädchen darbietet! Das ist ein Geschöpf, das ich gar nicht anzusprechen wage, wenn ich ihm nicht eigens vorgestellt bin, eine nasenrümpfende vornehme Dame mit beweglichen Augen, einem kleinen Kirschenmündchen, das Papa und Mama sagen kann und natürlichen Haaren. Die Haare sind vorn à la Mops abgestutzt und in die Stirne gestrichen, hinten unendlich gethürmt und mit Lockenchignons und Einlagen wohl versehen, die Puppe trägt Schuhe mit den bekannten Doppelabsätzen Louis XV., ein knapp anliegendes Kleid mit einer Unmasse von Spitzen und Fransenbesätzen, das mit großem Raffinement übertriebene Formen hervortreten läßt, sie ist mit einem Worte ein ebenso künstlerisch als minutiös gearbeitetes Modell nach dem jüngsten Modejournal. Gewiß ein sehr schlau ersonnenes Mittel, schon in dreijährigen Mädchen Sinn und Geschmack für all die lächerlichen und verächtlichen Thorheiten und Ausschreitungen der Mode zu erwecken und es systematisch zur albernen Zierpuppe heranzuziehen.
Und die andere französischen Spielsachen sind auch nicht passender. Da giebt man dem Kinde komplete Eisenbahnzüge mit einer Lokomotive, die gar vielleicht auf Dampfbetrieb eingerichtet ist oder völlig getakelte und ausgerüstete Seedampfer, Karroussels, Tramway=Waggons, Omnibus, eingerichtete Salons mit steif umhersitzender Gesellschaft und getreu nachgebildeten Pendules, Leuchtergarnituren und Nippsachen auf Kamin und Etagèren, Küchen mit neuesten Kochapparaten und ähnlichen Kram, in die Hand.
Man weiß oft thatsächlich nicht, ob man ein für Fachmänner bestimmtes Modell oder ein Kinderspielzeug vor sich hat. Was soll das Kind mit all diesen Dingen beginnen? Es kennt weder ihren Zweck noch ihre Einrichtung; sie geben seiner Phantasie keine Nahrung, sondern ertödten einen liebenswürdigen, selbstschöpferischen Drang, der das Kind aus Brodstücken Häuser, aus sTühlen eine Stadt und aus feuchtem oder trockenem Sande eine ganze Welt formen läßt. Das Spielzeug soll eben keine minutiöse Nachahmung der wirklichen Dinge sein, sondern eine solche freie Nachbildung, welche der kindlichen Phantasie noch etwas zu thun übrig läßt.
Und ebensowenig soll das Spielzeut dem Kinde Vorstellungen zuführen, die es nicht kennt und nicht kennen darf. Geben da diese eifrigen Kinderfreunde in ihrer Wuth nach nach Neuem und Originellem den Kindern Mitrailleusen, Kriegsspiele und Festungen in die Hand!" Warum nicht auch Miniaturbörsen und Aktien=Nachbildungen? Wärfe ebenso originell und dem Wesen des Kindes ebenso angemessen und zuträglich wie vieles Andere, womit diese trefflichen Fabrikanten den Markt überschwemmen.
In anderer Richtung sündigt ein System, dem wir in der niederländischen und schweizer Abtheilung begegnen und das sich mit wachsender Gewalt der frühesen Kindererziehung bemächtigt. Ich meine das Fröbel'sche Kindergartensystem, dem man die armen Kleinen, kaum faß sie kriechen und sitzen können, zum Opfer hinwirft. Ein Kind mit greisenhaftem Gesichte, das ist das Fröbel'sche System.
Man zwingt Kinder nach Kategorien zu spielen, in philosophischen Formen lustig zu sein und ihre übersprudelnde, selige Kinderlaune nach utilitarischen und logischen Regeln auszuleben. Was wird aus den Kindern, die man auf solche Weise nach Schablonen gedrillt, deren lustig quellende Munterkeit man in wohlgefügten Drainirröhren abgeleitet hat? Sie werden prosaische Flachköpfe, langweilige Dutzendmenschen, ohne Spur von Selbständigkeit des Geistes, ohne Originalität.
Das Fröbelsche System bestreut die hellen Blüthen des Kindergemüthes mit Staub und Asche und gießt über das Feuer der Kinderphantasie eiskaltes Wasser. Man sehe doch zu, ob die kleinen Kinder sich gern dem Zwange dieses Systems fügen! Ob sie sich mit Freude in die Regeln der Kindergärten schicken! Ob sie nicht lieber frei und ungebunden den Eingebungen ihrer anmuthigen und entzückend fruchtbaren Phantasie folgen möchten!
Dieses Singen und Tanzen und Marschiren nach Kommando, dieses Spielen mit "zweckvollen, sinneschärfenden, verstandanregenden" Gegenständen macht die Kinder verdrossen, traurig, altklug, es streift den Schmelz der Kindlichkeit von ihrer Seele. Wie das Zuvielregieren in der Politik, so ist das Zuvielerziehen in der Menschenbildung ein arges Uebel. Man beschränke sich doch darauf, das kleine Menschenwesen vor schädlichen physischen und moralischen Einflüssen zu bewahren und gestatte dem Kinde Kind zu sein. Man hat dann dem künftigen Menschen mehr genützt, als mit diesen superklugen Systemen, die den Beginn der Erziehung des Kindes am liebsten schon in den Mutterleib verlegen möchten.
Wenn wir nach richtigen, zugleich menschlichen und pädagogischen Grundsätzen erfundenes Spielzeug sehen wollen, so müssen wir nach dem fernsten Osten, nach Japan gehen. In ihrem Kinderspielzeug bekunden die Japanesen den liebenswürdigsten Humor und das zarteste Eingehen auf die Eigenthümlichkeiten des Kindergemüthes. Wir sehen japanische vornehme Herren und Damen in reicher, aber nicht wie bei den französischen Puppen minutiös ausgeführter, sondern unter angedeuteter Kleidung, und von einer Zärtlichkeit der Ausführung, die uns überrascht, ein nach Pferdeart angeschirrtes Kätzchen, das sich mit komischem Erstaunen in der ungewohnten Einzwängung betrachtet, erregt die Heiterkeit selbst ernster Erwachsener, ein Vogel, der auf einem Zweige sitzt und sich mit dem Schabel die Federn des einen ausgespannten Flügels putzt, muß durch seine reizende Natürlichkeit jedes Kind entzlücken. Neben Pferden, Hunden, Sänften mit Trägern und ähnlichem Spielzeug fällt uns eine große Puppe, die ein Béb&eachute; darstellt, ganz besonders ins Auge.
Das Herz lacht einem im Leibe, wenn man dieses dicke, pausbäckige Kindergesicht mit dem zu lustigem Lachen verzogenen Mündchen und den schon jetzt tiefgeschlitzten, glitzernden Aeuglein betrachtet. Mütter können sich von diesem allerliebsten Béb&eachute; gar nicht trennen. Eine hervorragende Rolle spielen in der japanesischen Kinderstube Bilderbogen, die in grellen Farben ausgeführt sind und auf denen es meist sehr lustig hergeht. Es scheint, daß die liebe Jugend auch in Japan keine Tugend hat, denn wir sehen einen würdigen Schulmeister über die tollen Streiche der ihm anvertrauten Schaar in komische Verzweiflung gerathen, Kinder einander prügeln, Knaben einer Höckerin den Obstsstand umwerfen u.s.w.
Alles japanesische Kinderspielzeug, und das ist sein typischer Charakter, hält sich innerhalb des Vorstellungskreises eines kindlichen Geistes, es ist völlig unkomplizirt und kann nicht leicht den Zerstörungstrieb des Kindes anregen, dessen Untersuchungslust und Neugierde im Gegentheile jeder zusammengesetzte Gegenstand herausfordert. Das sind die Ziele, nach welcher sich die Entwicklung der Spielwarenindustrie bewegen muß. Die prächtigen Kostüme und Maschinenmodelle, welche die Franzosen für Kinderspielzeug ausgeben, bedeuten eine falsche und ungesunde Richtung.