Scientology - bona-fide-Religion oder totalitärer Psycho-Konzern?

Können Religionswissenschaftler die Frage klären?

von Eduard Trenkel

Die erheblichen wirtschaftlichen und politischen Betätigungen der Scientology-Organisation (SO) werden in der europäischen Öffentlichkeit mit großer Skepsis beobachtet. Der Versuch, in Europa mit juristischen, vereinsrechtlichen, steuerlichen und wirtschaftspolitischen Mitteln dem Ausgreifen der Scientology-Organisation entgegenzutreten, wird von Scientology mit einer breit angelegten, publizistischen Kampagne beantwortet. Die Scientology-Organisation bringt jetzt Leumundsgutachten "aus der Wissenschaft" und unterstützende Stimmen aus Kunst, Publizistik und Medien bei, nachdem sie in breitem Umfang persönliche Diffamierungen gegenüber gewählten Volksvertretern, die sich im Rahmen ihres politischen Mandats kritisch mit der totalitären Scientology-Organisation auseinandersetzten veröffentlicht hat.

In ganzseitigen Anzeigen in der internationalen Presse wurden deutsche Politiker der Verfolgung religiöser Minderheiten und Verletzung der Menschenrechte bezichtigt und mit Nazi-Verbrechern auf eine Stufe gestellt. Zu den so diffamierten Kritikern , die von der SO besonders ins Visier genommen werden, gehören unter anderem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, Bundesfamilienministerin Claudia Nolte, Frau Renate Rennebach MdB, Herr Johannes Gerster MdL, der als "Politterrorist" beschimpft wurde, Frau Ursula Caberta von der AG Scientology beim hamburgischen Senat, Frau Ortrun Schätzle MdB, Vorsitzende der einschlägigen Enquête-Kommission des deutschen Parlaments und der bayrische Innenminister Günther Beckstein.

Wissenschaftler verkünden eine "unwiderlegbare und wissenschaftlich begründete Wahrheit"

In einer von Scientology mit Datum vom 21.8.1996 verbreiteten Unterschriftensammlung behaupten Massimo Introvigne und Gordon Melton sowie einige Religionswissenschaftler, in Deutschland wollten Politiker bestimmen, was Religion sei; gegenüber solch "intoleranten und verfassungswidrigen Anstrengungen" gelte es, "die unwiderlegbare und wissenschaftlich begründete Wahrheit - die Religionseigenschaft von Scientology" zur Kenntnis zu nehmen und insbesondere "Nutzen zu ziehen" aus den Studien der unterzeichnenden "Wissenschaftler", und "aus unserer Erfahrung und den Jahren des Studiums und der Ausbildung auf diesem Gebiet".

Eigentlich haben sich die Unterzeichner bereits mit diesen Aussagen disqualifiziert: Eine der Grundbedingungen von wissenschaftlichen Aussagen und wissenschaftlichen Erkenntnissen ist ihre prinzipielle Falsifizierbarkeit; unwiderlegbare Wahrheitsansprüche gehören in den Bereich der Ideologie, nicht in den Bereich der Wissenschaft. Darum muß mit Ernst gefragt werden, wie es um die wissenschaftliche Qualifikation derer steht, die so etwas unterzeichnen.

SO-Parteigänger greifen deutsche Regierung an

Den Vertretern der deutschen Regierung wird unterstellt , ihre Haltung zu Scientology basiere "ganz eindeutig nicht auf Vernunft und wissenschaftlichen Methoden und Kriterien"; ganz in scientologischem Stil heißt es weiter, sie würden "von dem Thema, über das sie sprechen, schlichtweg nichts verstehen. Ihre Feststellungen und Schlußfolgerungen zeigen, daß sie die Scientology-Religion nicht verstehen und nicht die nötigen Qualifikationen besitzen zu bestimmen, was eine Religion ist und was nicht." (Interpunktion wie Original) Vollends wird deutlich, daß die Soldaritätserklärung nicht neutrale Fachleute, sondern Scientologen formuliert haben, wenn es ohne Erläuterung heißen kann, daß die "Verantwortlichen Ihrer Regierung oder Partei" aufgefordert werden sollen, "mit Vertretern der Kirche in einen sachlichen Dialog einzutreten, damit dieser religiöse Konflikt gelöst werden kann."

Unterschrieben wurde diese Fassung von:

Eine etwas kürzere, gemäßigte Fassung haben unterschrieben:

Fachlich zur Sache nicht ausgewiesen

Durch einen Kardinalfehler bereits vom hohen Roß der angeblichen Wissenschaftlichkeit gefallen, muß den sich auf peinliche Weise selbst empfehlenden Personen die konkrete, persönliche und wissenschaftliche Kompetenz auch auf Grund fehlender oder unzulänglicher Arbeiten bestritten werden. Faktum ist, daß man von den meisten der angeführten angeblichen Sachkenner bisher wenig Informatives zur Sache selbst gehört hat und daß ihre Studien bisher wenig Spuren, Ergebnisse und Veröffentlichungen zum Thema gezeitigt haben.

Erst in jüngster Zeit hat die SO nun einige, von der Organisation offenbar selbst in Auftrag gegebene und verbreitete Gutachten solcher "Wissenschaftler" in Umlauf gesetzt, in denen die Behauptung aufgestellt wird, Scientology sei eine "bona-fide-Religion", ja sogar eine Art "technologisierter Buddhismus" (F. Flinn).

Jentzsch versendet "Gutachten"

Mit einem Anschreiben des SO-Präsidenten Jentzsch werden diese "Gutachten" der angeblichen religionswissenschaftlichen Fachleute versandt. Grundsätzlich wird in keinem der Papiere der Auftraggeber und der Anlaß des jeweiligen Gutachtens genannt.

Alle Gutachten liegen als Broschüren vor, die von Jaqueline Kevenaar bei "Freedom Publishing", 6331 Hollywood Boulevard, Suite 1200, Los Angeles, California 90028-6329, USA o.J. (1996) herausgegeben wurden.

Es sind im einzelnen folgende Schriften:

Per-Arne Berglie, Professor für Religionsgeschichte, Universität Stockholm, Stockholm, Schweden: Scientology - Ein Vergleich mit östlichen und westlichen Religionen (6 S., Datierung 20.3.1996)

Alan W. Black, außerordentlicher Professor für Soziologie, Universität von Neu-England, Armidale, New South Wales, Australien: Ist Scientology eine Religion? (16 S., Datierung 24.1.1996)

M. Darrol Bryant, Ph.D., Professor für Religion und Kulturformen, Renison College, Universität Waterloo, Waterloo, Ontario, Kanada: Scientology - Eine neue Religion (12 S., Datierung: 26.9.1994)

David Chidester, Professor für vergleichende Religionswissenschaft, Universität Kapstadt, Südafrika: Scientology - Eine Religion in Südafrika (15 S., Datierung --)

Frank K. Flinn, Ph.D., außerordentlicher Professor für Religionswissenschaft, Universität Washington, Saint Louis, Missouri, USA: Scientology - Die Kennzeichen einer Religion (12 S., Datierung: 22.9.1994)

Harri Heino, Professor für Theologie, Tampere, Finnland: Scientology - Ihre wahre Natur (5 S., Datierung 26.10.1995)

Lonnie D. Kliever, Dr. Phil., Professor für Religionswissenschaft, Southern Methodist University, Dallas, Texas, USA: Scientology - Eine religiöse Gemeinschaft (12 S., Datierung 26.9.1994)

Bryan Wilson, Dr. Phil., Emeritus Fellow, Oxford University, England: Scientology Vergleichende Analyse ihrer religiösen Lehre und Doktrin (59 S., Datierung: Februar 1995)

Was von diesen "Gutachten" fachlich und sachlich zu halten ist, hat Prof. Wolfgang Ullmann MdE in seinem sehr höflich formulierten, und nicht minder deutlich gehaltenen Schreiben an den Aussender dieser Gutachten klargestellt. (vgl. vorliegenden BERLINER DIALOG, S. 8 f.)

Informationen zu Unterzeichnern und Gutachtern

Ein Großteil der "Unterzeichner" und "Gutachter" sind im Übrigen bereits als Lobbyisten auf dem Gebiet der "Jugendreligionen", "New Religious Movements" und "Cults" aktiv gewesen, jedoch bisher überwiegend im Zusammenhang mit der Munbewegung.

Nur einer der Kämpfer, Darrol Bryant, gibt in seinem Gutachten im Rahmen seiner Vorstellung die intensive Verbindung zur Mun-Bewegung (AWR = Assembly of World Religions, Mun-Organisation) an.

Gleiches oder stärkeres Engagement gilt für Frank K. Flinn, Teilnehmer und Referent bei New ERA = New Ecumenical Research Association, Mun-Organisation und ICUS = International Conferences on the Unity of Sciences, Mun-Organisation, Senior Advisor bei IRF = International Religious Foundation, Mun-Organisation, Editor des IRF-Newsletters, Editorial Board Member von Dialogue & Alliance (Zeitschrift der IRF), Senior Consultant des Sun Myung Moon Institute;

Harri Heino war mehrfach Teilnehmer bei ICUS und AWR;

Lonnie D. Kliever ist nicht nur als Advisor bei New ERA und als Teilnehmerin bei ICUS und AWR hervorgetreten, sondern war sogar Unterzeichnerin der Anzeige "Proud to know him", als Mun wegen Steuerbetrug im Gefängnis einsaß;

auch Bryan Wilson ist New ERA-Teilnehmer und Referent gewesen ebenso wie Karel Dobbelaere ICUS-Teilnehmer und New ERA-Referent war und Petro Bilaniuk von der Universität Toronto, der New ERA-Teilnehmer war.

Bei den "alle Kosten frei"-Seminaren und Konferenzen haben sich diese Personen ihren Schneid und die wissenschaftliche Geradlinigkeit abkaufen lassen. Offensichtlich sind sie nun nicht nur der Mun-Bewegung bötig.


Kommentar von Thomas Gandow

Ohne Skrupel. Reisende Kult-Unterstützer treten als "Religionswissenschaftler" auf

von Thomas Gandow

Reisende Kult-Unterstützer treten als "Religionswissenschaftler" auf.

Als immer offenere Kult-Lobbyisten betätigen sich Massimo Introvigne, ein Turiner Rechtsanwalt mit exzellenter Kenntnis des Satanismus und Gordon Melton, ein amerikanischer methodistischer Theologe, hervorgetreten vor allem mit Listen und Kompilationen. Beide unterhalten kleine private Institute (CESNUR und ISAR), über deren Finanzierung wenig bekannt ist und die international als Lobby-Einrichtungen hervortreten.

Beide reisen weit, um für Kult-Organisationen aufzutreten. So engagierte sich Introvigne als Entlastungszeuge für Scientology beim Scientology-Prozeß in Lyon/Frankreich; Gordon Melton trat beim Kinder-Gottes-Prozess in London für den des Kindesmißbrauchs überführten Extrem-Kult auf und reiste auf Kosten der AUM Shinri-Kyo im Mai 1995 nach Japan, um die AUM Shinri-Kyo nach ihrem Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn gegen "ungerechtfertigte" Verfolgung und "religiöse Unterdrückung" durch die Polizei zu unterstützen (vgl. BERLINER DIALOG 1-96, S. 25, 3-95, S. 28).

Deutsche Enquête-Kommission absichtlich lahmgelegt?

Wie die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) trotz dieser öffentlich seit langem bekannten Fakten dazu kommt, den für das Gebiet Scientology oder auch "New Religious Movements" fachlich bisher nicht ausgewiesenen Prof. Dr. Hubert Seiwert, Leipzig, in einem abfälligen Artikel über die Arbeit der Enquête-Kommission der französischen Nationalversammlung den Lesern der FAZ Melton und Introvigne als "anerkannte Spezialisten auf dem Gebiet der Sektenforschung" vorzustellen ist ein Rätsel. Unter der Überschrift: "Wie weit reicht die Religionsfreiheit?" schwärmt Seiwert am 10. September 1996 in der FAZ über Melton und Introvigne und ihre Co-Autoren: "Die wissenschaftliche Kompetenz der Autoren ist über jeden Zweifel erhaben".

Seiwerts Zeilen in der FAZ haben die Zuneigung von "political correctnes-FreundInnen" in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen ausgelöst. Sie haben durchgesetzt, daß der ausgesprochene "Nicht-Sektengegner" Hubert Seiwert, dessen vorletzter größerer Zeitungsartikel immerhin auch schon in dem Schweizer Scientology-Blättchen "Inquisition heute" erschien, von Seiten der Grünen-Bundestagsfraktion in die Enquête-Kommission des deutschen Parlaments entsandt wird.

Mit den Gutachten und der Bemühung von SO-Lobbyisten in der deutschen Medien- und Presselandschaft, die Diskussion um die totalitäre Scientology-Organisation in eine Debatte über Religionsfreiheit umzubiegen, versucht die SO, von ihren wirtschaftlichen Betätigungen und politischen Bestrebungen abzulenken, um unter dem schützenden Schirm der Religionsfreiheit agieren zu können. Wie sagte es so schön schon SO-Gründer Hubbard?

"Wir wollen nicht, daß in der Presse über Scientology anderswo berichtet wird als auf den religiösen Seiten."


Letztlich desaströs für das wissenschaftliche Renommee muß es sich auswirken, wenn sich Wissenschaftler aus kurzfristigen persönlichen Interessen oder Schwächen oder auch aus schlichter Unkenntnis und Geltungsbereitschaft von Mun-Bewegung oder Scientology und vergleichbaren Organisationen gebrauchen und schließlich instrumentalisieren lassen. Es unterliegt meist den Nützlichkeitserwägungen der Organisationen, wann "Zahltag" ist und wann der Tagungsbesucher, heimliche Unterstützer und inoffizielle Mitarbeiter sich mit fremdformulierten Resolutionen "outen" und zu seinen Hintermännern "bekennen" muß.

Nicht "die Religionswissenschaft" ist durch solchen Lobbyismus diskreditiert, sondern einzelne, meist randständige Vertreter des Faches haben sich im In- und Ausland leichtfertig auf Auftragsarbeiten eingelassen. Manche haben sich aber anscheinend den Hut des Religionswissenschaftlers auch unberechtigterweise aufgesetzt.

Die Frage, ob Scientology Religion ist oder nicht, ist politisch nur von eingeschränktem Interesse. Denn schon vor Jahren stellte das deutsche oberste Verfassungsgericht fest, daß durch die in der Verfassung verbriefte Religionsfreiheit z.B. nicht alles, was als religiös gilt, bereits zulässig ist. Als Beispiele solcher, nicht durch die Religionsfreiheit geschützten (aber teilweise zweifellos religiös motivierten) Betätigungen nannte das Verfassungsgericht Polygamie, Witwenverbrennungen, Menschenopfer oder Tempelprostitution. Viele Fragen und Probleme sind also durchaus in den politischen und juristischen Bereich zu verweisen und dort mit Sachverstand zu regeln.

Selbst im Falle, Scientology wäre fraglos ein religiöses Phänomen, was bestritten wird, würde also keineswegs eine politische, juristische, steuerpolitische oder kriminalpolizeiliche Beschäftigung mit Scientology verwehrt sein.

Auch ein Betätigungsfeld für Religionswissenschaft?

Auch wenn Resolutionen kein wissenschaftliches Erkenntnismittel sein können und unseriöse und bestellte Antworten ausscheiden müssen bleibt die Frage: Was ist eigentlich Religion und was nicht? Und wie hilfreich wäre die Klärung dieser Frage für die anstehenden Probleme? Ist die Religionswissenschaft als solche kompetent, die Frage, ob Religion oder nicht zu beantworten?

Hierzu hat der Doyen der deutschen Religionswissenschaft, Peter Antes, erst unlängst an hervorgehobener Stelle grundsätzlich und skeptisch festgestellt:

"Mit Blick auf die Gegenwart wirft das Fehlen einer Religionsdefinition erhebliche Probleme auf, weil zu entscheiden ist, ob die eine oder andere Bewegung wie etwa die Scientology Church eine Religion ist oder nicht. Diese Frage ist bekanntlich bis ins Strafrecht hinein relevant, wenn es um die steuerrechtliche Absetzbarkeit von Spenden an diese Gruppe geht. Die Religionswissenschaft das muß hier in aller Deutlichkeit gesagt werden - kann da nicht weiterhelfen. Ihre bisherige Verfahrensweise, ohne distinktive Definition wichtige Bewegungen aus der Kultur- und Geistesgeschichte nach gängiger Praxis als religiöse Bewegung zu betrachten und entsprechend zu untersuchen, verunmöglicht es ihr, bezogen auf neue Bewegungen von heute, begründet zu sagen, ob sie in den Kanon des zu behandelnden aufzunehmen sind oder nicht, zumal einige davon wie die Scientologen sich selbst Kirchen oder Religionen nennen und damit den Anspruch erheben, Forschungsgegenstand von Religionswissenschaft zu sein." (in: Peter Antes (Hrsg.): Die Religionen der Gegenwart. Geschichte und Glauben. C.H. Beck Verlag, 1996, S. 10 f.)

Wir teilen zwar diese Skepsis, meinen aber zugleich, daß der sachliche, wissenschaftliche Beitrag der Religionswissenschaften, der Religionsgeschichte, der Religionsphilosophie und Religionssoziologie usf. unverzichtbar wichtig ist - gerade angesichts der religiösen Ansprüche und Behauptungen der Scientology-Organisation.

Wir setzen uns deshalb auch unter religionswissenschaftlichen Gesichtspunkten weiter mit Scientology auseinander und bringen in diesem Heft Auszüge aus einer Arbeit von Helle Meldgaard zu den oft beschworenen "Religiösen Wurzeln" von Scientology.


Eduard Trenkel

Pfr. Eduard Trenkel, 46, ist der Beauftragte der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck für Sekten- und Weltanschauungsfragen. Er amtiert außerdem als Geschäftsführer der KLB.