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| BERLINER DIALOG 23, 4-2000 Epiphanias 2001 BEITRÄGE |
Falungong - Religion, Sekte oder Kult?
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1. Einleitung |
Anfang des Jahres 2001 verschickten Falungong-Anhänger in Deutschland Briefe an deutsche Wissens- und Entscheidungsträger mit der "Bitte um Nominierung von Li Hongzhi, Gründer von Falungong, für den Friedens-Nobelpreis 2001". Falungong, so hieß es in dem Schreiben, sei eine "spirituelle Meditationsbewegung", die sich der Verbreitung von "Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht" verschrieben habe. In der Tat hat der Einfluss von Falungong auch in der westlichen Welt beträchtlich zugenommen. Darauf weist nicht zuletzt die zunehmende Zahl an Web-Seiten von Anhängergruppen in Europa und Nordamerika hin. Von daher ist Falungong keine rein innerchinesische, sondern zunehmend auch eine internationale Frage.
Gründer und charismatischer "Meister" der Bewegung ist Li Hongzhi, vor seiner Übersiedlung in die USA in einer Ölfabrik in Nordostchina tätig. Er hat eine Zeitlang in Thailand verbracht und kam dort mit buddhistischen Praktiken in Berührung. Sein Hauptwerk "Falungong" |
So hat die Verfolgung von Falungong bereits zu Auseinandersetzungen zwischen der amerikanischen und der chinesischen Regierung geführt. Und im Februar 2001 hat der niederländische Außenminister Van Aartsen einen China-Besuch in letzter Sekunde abgesagt, weil es wegen eines geplanten Treffens der niederländischen Botschafterin für Menschenrechte, Renee Jones-Bos, mit Vertretern der Falungong-Bewegung zu Verstimmungen zwischen beiden Ländern gekommen war.
In den Medien hören wir viel über die Verfolgung von Falungong in China, wenig über das Weltbild dieser Gemeinschaft. Wir wollen sie im Folgenden als "Heilsgemeinschaft" und nicht als Sekte klassifizieren. Dies hat zwei Gründe: Erstens ist der Begriff "Sekte" eng mit Auseinandersetzungen der christlichen Kirchen und Religionen mit abweichenden Minderheiten verknüpft, besitzt in der Religionsgeschichte also eine rein kirchenbezogene und eher negative Konnotation; zweitens handelt es sich bei Falungong um eine synkretistische Lehre, die vordergründig wenig mit Religion zu tun hat. Der Gründer selbst spricht nicht von Religion, sondern von "Kultivierungsmethode", auch wenn sich in Falungong, wie wir noch sehen werden, religiöse Momente mit ideengeschichtlichen der "Qigong-Schulen" (dazu unten) verbinden. Religion verstehen wir hier im Sinne Durkheims funktional und nicht essentiell bestimmt im Sinne von Transzendenz oder der Existenz kirchlicher Institutionen:
Diese Bestimmung hat den Vorteil, dass sie das Moment des Religiösen weniger aus abendländischer Sicht begreift, zugleich aber den Interpretationsspielraum religiöser Bewegungen relativ offen hält.
2. Der Beginn der Verfolgung von Falungong |
3. Was ist Falungong? |
So schreibt man Qigong seit Jahrhunderten besondere Heilwirkung und andere Kräfte zu; (7) sowie ((2)) den religiösen Aspekten, basierend auf der Lehre von Li Hongzhi, der Elemente der o.g. Religionen mit eigenen Ideen angereichert hat.(8)
Er geht davon aus, dass die menschliche Zivilisation bereits 81 mal ausgelöscht und stets von wenigen Überlebenden neu aufgebaut worden sei.(11) "Aliens", außerirdische Lebewesen, welche die irdische Menschheit infiltrierten, spielten - so Li - dabei eine wichtige Rolle. Sie entstammten anderen Planeten und versuchten die Menschheit zu korrumpieren. Sie hätten den Menschen moderne Technologie (Flugzeuge, Computer) und moderne Wissenschaft gebracht, so dass die Menschheit immer mehr an Wissenschaft und Technik glaube und geistig unter Kontrolle der Aliens gerate. Das Endziel der Aliens sei es, an die Stelle der Menschheit zu treten. Über das Klonen von Menschen würden sie dies erreichen und die Menschen schließlich durch Aliens ersetzen.(12) Die Menschen müßten sich auf diese Situation vorbereiten. Aufgabe des Menschen sei es daher, sich über Qigong zu "kultivieren". Diese Kultivierung beruhe, zunächst auf niedriger Ebene, in der Veränderung des körperlichen Zustands um Krankheiten zu beseitigen und Gesundheit zu erreichen. Auf höherem Niveau würden dann der physische Körper eines Menschen und auch "seine Körper in anderen Räumen" kultiviert.(13) Zunächst jedoch müsse der "Körper in Ordnung" gebracht werden, anschließend setze der Meister den Anhängern ein "Gebotsrad" und "Energiemechanismen" ein, als Voraussetzung zur Erlangung von "Kultivierungsenergie". Am Ende der zahlreichen Kultivierungsebenen stehe die Freiheit von Krankheit, Alter und Tod. Der so "Kultivierte" erreiche dann schon zu Lebzeiten "Erleuchtung" und damit "den unsterblichen Körper".(14) Die Kultivierung ist also letztlich auch dazu gedacht, die erfolgreichen Anhänger einer neuerlichen Apokalypse entgehen zu lassen.
Zugleich wird über wundersame Erfahrungen von Anhängern berichtet, denen das Falun-Rad ("Gebotsrad") oder die Gong-Säule das Leben gerettet habe. |
Zugleich könne über Qigong die Fähigkeit erlangt werden, einen "im materiellen Raum existierenden Gegenstand in einen anderen umzuwandeln". Qigong erlaube auch die Aneignung übernatürlicher Fähigkeiten (den menschlichen Körper zu durchleuchten, durch Mauern hindurchzuschauen, Hochhäuser zum Einsturz zu bringen, Dinge zu sehen, die tausend Kilometer weit entfernt seien und in die Zukunft zu blicken) und: "Ein Qigong-Meister braucht nur seine Augen zu schließen und seinen Blick schweifen zu lassen, schon kann er alle Körperteile des Patienten unmittelbar scharf sehen".(19) Ferner könnten seine Anhänger "kosmische Sprachen" erwerben. Diese würden von Lebewesen aus anderen Räumen (eben den Aliens) gesteuert: |
4. Der Charakter der Heilsgemeinschaft |
Beispielhaft findet sich diese Haltung etwa in einem 1508 von dem Neokonfuzianer Wang Yangming verfassten Schreiben an einen Freund, das wir hier zitieren wollen, weil es der Argumentation Li Hongzhis erstaunlich nahekommt: |
5. Ursachen |
6. Gründe für die Verfolgung |
7. Fazit |
Anmerkungen 1 Georg Blume, Endstation Bambus-Gulag. Verschleppung, Schläge, Elektroschocks: Wie Anhänger der Sekte Falun Gong in chinesischen Arbeitslagern gequält werden, in: DIE ZEIT, 11.4.01, S. 3. 2 Emile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt/M. 1994. 3 Vgl. etwa Anthony Giddens, ed., Sociology, 3rd edition, Cambridge, Oxford 1997, S. 448f. 4 Li Hongzhi, Beyond the Limits of Forbearance, January 1, 2001 (Internetversion), http://www.clearwisdom.net/eng/2001/Jan/02/JingWen010201.html . 5 Vgl. z.B. Renmin Ribao, 2.2.01; Zhongguo Gongshang Bao, 1.2.01. Detailliert: China aktuell, Januar 2001, S. 12/13. 6 Dazu: Frank Ching, Falun Gong: Giant vs. Ghost, in: Far Eastern Economic Review, 22.2.01, S. 32. 7 Vgl. u.a. Paul U. Unschuld, Medizin in China. Eine Ideengeschichte, München 1980, S. 61ff.; Thomas Ots, The Silenced Body - The Expressive Leib: On the Dialectic of Mind and Life in Chinese Carthatic Healing, in: Thomas I. Csordas, ed., Embodiment and Experience: The Existential Ground of Culture and Self, Cambridge 1993, S. 116-136. 8 Siehe u.a. J.A. English-Lueck, Taijiquan and Qigong, in: Wu Dingbo/Patrick D. Murphy, eds., Handbook of Chinese Popular Culture, Westport, London 1994, Kapitel 8, S. 137-153. 9 Buddha hat der buddhistischen Lehre zufolge in der Gestalt der Vier Edlen Wahrheiten das Rad des Dharma in Bewegung gesetzt, wobei Dharma für die befreiende Wahrheit und Wirklichkeit steht. 10 Li Hongzhi, Entfremdung (Internetversion), http://www.falundafa.org/book/ger/jw101096.htm . 11 Li Hongzhi, Zhuan Falun, Bad Pyrmont 1998, S. 20 und Li Hongzhi, Falun Gong. Der Weg zur Vollendung, München 1998, S. 12/13 und 37/38. Zu den Aliens siehe auch Li Hongzhi, Master Li Hongzhi's Lecture at the Great Lakes Conference in North America (Internetversion, S. 5), http://www.clearwisdom.net/eng/200/Dec/23/JingWen122300.html . 12 Vgl. das Interview mit Li Hongzhi im Time Magazin vom 10. Mai 1999 (Internet edition: www.time.com ), op. cit. bei Benoit Vermander, The Law and the Wheel. The sudden emergence of the Falungong: prophets of "spiritual civilisation", in: China Perspectives, No. 24, July-August 1999, S. 21. 13 Li Hongzhi, Falun Gong, a.a.O., S. 14. 14 Ebenda, S. 43. 15 Siehe dazu u.a. Li Hongzhi, Speech by Master Li Hongzhi at the western US Cultivation Experience Sharing Conference of Falun Dafa, October 21st, 2000 (Internetversion, S.3), http://www.clearwisdom.net/eng/2000/Nov/05/JingWen110500.html . 16 Li Hongzhi, Falun Gong, a.a.O., S. 15. 17 Li Hongzhi, Zhuan Falun, a.a.O., S. 123. 18 Li Hongzhi, Das Große Vervollkommnungsgesetz des Falun-Buddha-Gebotes, Bad Pyrmont 1998, S. 4/5. 19 Li Hongzhi, Falun Gong, a.a.O., S. 17ff. 20 Ebenda, S. 37f. 21 Li Hongzhi, Zhuan Falun, a.a.O., S. 70. 22 Li Hongzhi, Falun Gong, a.a.O., S. 50-58. 23 Li Hongzhi, Ein Dialog mit der Zeit (Internetversion), http://www.falundafa.org/book/ger/jw030797.htm . 24 Li Hongzhi, Das Große Vervollkommnungsgesetz des Falun-Buddha-Gebotes, a.a.O., S. 17. 25 Li Hongzhi, Falun Gong, a.a.O., S. 77/78. 26 Die Grundsätze des Fa über "Herauskommen" sind auf eine höhere Ebene gehoben, von einem Kultivierenden aus den USA, 9.1.01 (Internetversion), http://www.minghui.de/2001/jan/meinung20010130_1.htm . 27 Einige Gedanken zu dem Jingwen "Nachsicht üben, bis es nichts mehr zum Nachsicht üben gibt" (Internetversion), http://www.minghui.de/2001/jan/meinung20010130_1.htm . 28 Li Hongzhi, Suffocate the Evil (Internetversion), http://www.falundafa.org/book/eng/jw_38.htm . 29 Ebenda, S. 64. 30 Wilhelm E. Mühlmann, Rassen, Ethnien, Kulturen, Neuwied, Berlin 1964, S. 339. 31 Eric Voegelin, Die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit, in: Wort und Wahrheit. Monatsschrift für Religion und Kultur, 15. Jg., 1. Halbjahr 1960, S. 6/7. 32 Vgl. Zhuan Falun, a.a.O., S. 256ff. und 262ff. 33 Bryan R. Wilson, Sects and Society. A Sociological Study of Three Religious Groups in Britain, London, Melbourne, Toronto 1961, S. 354, op cit. in Walter Goddijin, Sichtbare Kirche, Ökumene und Pastoral, Einführung in die Religionssoziologie, Wien, Freiburg, Basel 1967, S. 219f. 34 Ebenda, S. 325. 35 Robert Jay Lifton, Die Unsterblichkeit des Revolutionärs, München 1970, S. 95. 36 Vgl. auch Wolfgang Bauer, Das Stirnrunzeln des Totenkopfes. Über die Paradoxie des Todes in der frühen chinesischen Philosophie, in: Constantin von Barloewen, Hrsg., Der Tod in den Weltkulturen und Weltreligionen, München 1996, S. 247-281. Zu den daoistischen und buddhistischen Unsterblichkeits-Hoffnungen vgl. u.a. Bernard Faure, Der Tod in den asiatischen Religionen, Bergisch-Gladbach 1999, S. 60ff. 37 Op. cit. in Wolfgang Bauer, China und die Hoffnung auf Glück. Paradiese, Utopien, Idealvorstellungen in der Geistesgeschichte Chinas, München 1974, S. 305. 38 Zygmunt Bauman, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, Frankfurt/M. 1994, S. 20. 39 Siehe dazu auch den Band von Jean Chesneaux, Weisser Lotus, Rote Bärte. Geheimgesellschaften in China. Zur Vorgeschichte der Revolution, Berlin 1976. 40 K'ang Yu-Wei, Ta T'ung Shu. Das Buch von der Großen Gemeinschaft, Düsseldorf, Köln 1974, S. 280. 41 Vgl. dazu Henri Desroche, The Sociology of Hope, London, Boston, Henley 1979, S. 16ff. 42 Vermander, a.a.O., S. 17. 43 Durkheim, a.a.O., S. 571. 44 Chi Ta, The Chinese Authorities Take Action to Purge the "Qigong Party", in: Lawrence R. Sullivan, ed., China Since Tiananmen. Political, Economic, and Social Conflicts, Armonk 1995, S. 216. 45 Vgl. etwa Nancy N. Chen, Urban Spaces and Experiences of Qigong, in: Deborah S. Davis et al., eds., Urban Spaces in Contemporary China, Cambridge 1995, a.a.O., S. 347; Chi Ta, a.a.O., S. 215ff. 46 Nancy N. Chen, a.a.O., S. 353ff.; vgl. auch Thomas Ots, a.a.O., S. 131ff.; Daniel M. Amos, The Re-Emergence of Voluntary Associations in Canton, China, in: Asian Perspective, 1/1995, S. 99-115. 47 Chi Ta, a.a.O., S. 215ff. 48 Vgl. Anne Schneppen, Ein auf einer abgelegenen Pazifikinsel gefangener Sektenführer im Sog der Weltpolitik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.2.01. 49 Dazu: Ronald Inglehart, Modernisierung und Postmodernisierung, Frankfurt, New York 1998, S. 109. 50 Lee, Jin-Woo, Religiöse Bewegungen, in: Nohlen, Dieter/Waldmann, Peter, Hrsg., Pipers Wörterbuch zur Politik, Bd. 6, Dritte Welt. Gesellschaft, Kultur, Entwicklung, München, Zürich 1987, S. 480. 51 Op. cit. in Frank Ching, a.a.O. 52 Vermander, a.a.O., S. 21. |
Abstract / Zusammenfassung
DUISBURGER ARBEITSPAPIERE - OSTASIENWISSENSCHAFTEN ©by the author April 2001 |
Der Beitrag erscheint demnächst auch als Buchveröffentlichung in der neuen Reihe: religio - Texte und Analysen zur religiösen Situation, Jena.
Prof. Dr. Thomas Heberer, Jg. 1947, ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Ostasien an der Gerhard-Mercator Universität Duisburg. Er hat viele Jahre in China gelebt und gearbeitet und befasst sich hauptsächlich mit Fragen des politischen und gesellschaftlichen Wandels in China, Vietnam und Korea. |
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