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BERLINER DIALOG 23, 4-2000 Epiphanias 2001

 

Zur vatikanischen Erklärung "Dominus Iesus"
und zum Begriff "Schwesterkirchen"
Vortrag über die Stellungnahme der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (5.-10.11.2000 in Braunschweig) zur vatikanischen Erklärung "Dominus Iesus" und zur Note über den Begriff Schwesterkirchen
von Christian J. Hövermann

Zu "Dominus Iesus" gibt es mittlerweile eine ganze Reihe evangelischer Stellungnahmen. Ich beschränke mich im Folgenden auf den Beschluß der letzten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zu "Dominus Iesus" und der Note über den Begriff Schwesterkirchen, in dem drei theologische Irrtümer beklagt werden. Das Thema der Braunschweiger Synodaltagung war die Ökumene. Dazu wurde die Kundgebung: "Eins in Christus - Kirchen unterwegs zu mehr Gemeinschaft" verabschiedet. Aus dieser Kundgebung ist zu erkennen, daß die evangelische Kritik an "Dominus Iesus" aus einer positiven Einstellung zur Ökumene und aus brüderlichem Geist erfolgte. Ich beginne deshalb mit einer Darstellung der Kundgebung, bevor ich mich im zweiten Teil der Kritik an "Dominus Iesus" zuwende.

Erster Teil: Die Kundgebung "Eins in Christus - Kirchen unterwegs zu mehr Gemeinschaft."
1. "Evangelisch und ökumenisch"
Die Kundgebung der Braunschweiger Synode ist von ökumenischer Offenheit geprägt. Die folgenden Sätze waren nicht immer im deutschen Protestantismus zu hören. Sie sind Früchte der ökumenischen Theologie seit 1948:
"Wir sind nur dann evangelisch, wenn wir zugleich ökumenisch sind. Konfessionelle Selbstgenügsamkeit macht uns arm." "Wir erkennen Gottes Wirken auch in anderen Kirchen. Wir anerkennen die Gemeinschaft im Glauben über alle konfessionellen Unterscheidungen und Trennungen hinaus." "Wir sind überzeugt: es ist Zeit für mehr ökumenische Gemeinschaft." "Wir brauchen Ökumene, um am jeweiligen Ort und in der Welt heute als Kirche zu leben."

Die Grundlage für diese ökumenische Offenheit ist der Blick auf die in Jesus Christus vorgegebene Einheit der Kirche. Die Kundgebung geht nicht von der verlorenen, sondern von der in Christus vorgegebenen Einheit der Kirche aus.
"Weil wir in Christus eins sind, suchen wir nach mehr Gemeinschaft der Kirchen."
Ich füge hinzu: Weil wir in Christus eins sind, ist konfessionelle Selbstverschlossenheit Sünde.
Das hat praktische Konsequenzen! Evangelischerseits wird jede Gemeinde und Kirche, die den Namen Jesu Christi bekennt zunächst und ungeachtet dessen, was vielleicht auch kritisch zu sagen ist, erst einmal als solche angesehen. Aufgrund der in Christus vorgegebenen Einheit laden die Evangelischen Kirchen seit 1975 Christen aus anderen Kirchen zum Heiligen Abendmahl ein. Wo dies möglich ist, aufgrund zwischenkirchlicher Vereinbarungen, aber auch einseitig. Weil gilt: "Christus schenkt uns seinen Leib und macht uns zu seinem Leib", gibt es keinen Grund, nach der altkirchlichen Regel "Mit Häretikern gibt es keine eucharistische Gemeinschaft" zu verfahren.
Als zentrale ökumenische Aufgaben werden genannt: die sichtbare Gemeinschaft im Glauben und im Gottesdienst, die Zusammenarbeit in der Mission und der gemeinsame Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Unter den Überschriften: "Mehr Gemeinschaft unter protestantischen Kirchen" und "mehr Gemeinschaft mit katholischen und orthodoxen Kirchen" wird das Geflecht der ökumenischen Beziehungen der EKD beschrieben:
- Kirchengemeinschaft besteht mit den Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft, mit der evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland und mit der Brüder-Unität.
- Eine gegenseitige Anerkennung wurde mit der Kirche von England vereinbart.
- Eine gegenseitige Einladung zum Heiligen Abendmahl wurde mit den Mennoniten und dem Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland verabredet.
- Gliedkirchen der EKD sind Mitglieder im Lutherischen oder im Reformierten Weltbund.
Für das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche war die Unterzeichung der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" im Jahre 1999 ein wichtiger Schritt: "Wir sind überzeugt, daß die Gemeinschaft im Glauben schon heute stärker ist als das, was uns trennt." Durch die Gemeinsame Erklärung wurde noch keine Kirchengemeinschaft begründet. Weitere Verständigung über die Lehren vom Wort Gottes, von den Sakramenten, von der Kirche und vom Amt sind erforderlich. Zu prüfen ist insbesondere, was Ausdruck legitimer, einander bereichernder Vielfalt ist und welche Unterscheidungen noch kirchentrennend wirken.
Die vielfältigen Formen evangelisch-katholischer Gemeinschaft in Deutschland werden beschrieben. Verbesserungsbedürftig sind aus evangelischer Sicht:
1. Regelungen, die die Seelsorge an evangelisch-katholischen Familien eingrenzen, sollten aufgehoben werden: Konfessionsverschiedene Familien sollten nicht vom Tisch des Herrn abgewiesen werden. Evangelisch getraute evangelisch-katholische Ehen sollten ohne Ehedispens gültig sein.
2. Der Besuch eines evangelischen oder ökumenischen Gottesdienstes sollte zumindest im Einzelfall als Erfüllung der Sonntagspflicht gelten. Ökumenische Gottesdienste an Werktagen sind schlechter besucht als an Sonntagen. Wem die Ökumene am Herzen liegt, der sollte sich für gemeinsame Gottesdienste auch an Sonn- und Feiertagen einsetzen.

Die evangelisch-katholische Ökumene wächst von unten:
"Wir ermutigen die Gemeinden und Kirchen in der EKD, in evangelischer Freiheit ökumenisch offen zu sein und gemeinsam mit den katholischen Partnern in der jeweiligen Situation herauszufinden, welche organisatorische Form der ökumenischen Gemeinschaft der Verkündigung des Evangeliums am besten dient und wo die konfessionelle Prägung parallele Strukturen erfordert."

2. Theologische Grundlegung:  Das eine Haupt - die Vielfalt des Leibes
Der maßgebliche theologische Gesichtspunkt der Kundgebung ist dem Epheserbrief entnommen: "Christus ist das Haupt. Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt." (Eph. 4,15f) - In der Kundgebung heißt es dazu:
"Wie ein Körper nur einen Kopf hat, so ist Christus im Heiligen Geist allein das Haupt der Kirche." - "Wie ein Körper viele Glieder hat und alle zusammen ein Leib sind, so ist die Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes gekennzeichnet durch lebendige Vielfalt."
Jesus Christus, das eine Haupt, ist der Grund der einen Kirche. Die Vielfalt des Leibes ist die Gestalt der einen Kirche.

Nach dem Epheserbrief ist der auferweckte Christus, der zur Rechten Gottes sitzt (Eph. 1,20) und das All mit seiner Lebensmacht erfüllt (Eph. 1,23), das alles überragende Haupt der Kirche. Eph. 1,22b: "und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist." "Aus" Christus, dem Haupt heraus vollzieht sich das Wachstum des ganzen Leibes der Kirche (Eph. 4,16). Ohne das Haupt und seine Wachstumskräfte kann der Leib der Kirche nicht existieren. In Taufe und Abendmahl erfüllt, ernährt und pflegt Jesus Christus die Kirche, damit sie geistlich immer weiter in das Haupt hineinwachsen kann. (Eph. 4,15). Alle Menschen, die an Jesus Christus glauben, gehören dadurch zu einer Gemeinschaft, die von dem her, was sie konstituiert, unteilbar ist. (Eph. 4,5: ein Herr, ein Glaube, eine Taufe)

Es gibt vielfältige Gaben, Traditionen, Erfahrungen, Erkenntnisse, deren Einheitsprinzip der Hl. Geist ist. So erweist sich Jesus Christus treu zu seinen Verheißungen. Modern gesprochen: Die eine Kirche existiert in Konfessionen. Der Begriff Konfession stammt von den Bekenntnisschriften des Reformationszeitalters z.B.: Confessio Augustana, - Belgica, - Gallicana, - Helvetica, - Westminster Confession. Im weiteren Sinn ist eine Konfession eine geschichtliche Lebensform oder Gesamtanschauung des Christentums, die sich in einer eigenen kirchlichen Körperschaft organisiert. Eine Konfession bringt die Kirche Christi in einer geschichtlich begrenzten Gestalt zur Erscheinung.

3. Kirchengemeinschaft als versöhnte Verschiedenheit der Konfessionen
Nach evangelischem Verständnis ist das Ziel der Ökumene eine Kirchengemeinschaft als versöhnte Verschiedenheit der Konfessionen:
"Konfessionen mit ihren vielfältigen Glaubenserfahrungen werden bleiben. Nicht ihre Verschiedenheit, aber ihre Trennung voneinander muß überwunden werden. Erst die Überwindung der Trennung wird den Reichtum der Vielfalt zum Segen aller Kirchen zur Entfaltung bringen."

Das Modell dafür ist die Leuenberger Kirchengemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen. 100 protestantische Kirchen haben bis jetzt die "Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie)" unterzeichnet (im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 811). Sie enthält:
- eine Umschreibung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums: Die Rechtfertigungsbotschaft als Botschaft von der freien Gnade Gottes und ihre Bedeutung für Verkündigung, Taufe und Abendmahl,
- eine Übereinstimmung angesichts der Lehrverurteilungen der Reformationszeit und
- eine Erklärung von Kirchengemeinschaft. Die miteinander verbundenen Kirchen bleiben eigenständig.

Mit dem Weltrat der Kirchen in Genf will die EKD darauf hinarbeiten, daß ein "wirklich universales Konzil wieder für alle Christen sprechen und den Weg in die Zukunft weisen kann"(so die Weltkirchenkonferenz von Uppsala 1968), um so die gemeinsame Verantwortung und das gemeinsame Zeugnis der Christenheit zum Ausdruck zu bringen. Die EKD als eine Kirchengemeinschaft von 24 weithin selbständigen bekenntnisverschiedenen lutherischen, unierten oder reformierten Kirchen kann dafür bewährte Strukturen anbieten: Ihre Synode vertritt als Stimme der evangelischen Christenheit gesamtkirchliche Anliegen mit deklarativer Kompetenz. Neben der Synode gibt es noch die Kirchenkonferenz und den Rat der EKD.

"Das Evangelische Verständnis von Kirchengemeinschaft als Ziel der Ökumene und die römisch-katholische Vorstellung der Einheit der Kirche Christi als Gemeinschaft mit und unter dem Papst stehen sich noch gegenüber."

Wie Kreis und Pyramide stehen sich evangelisch-konziliares und katholisches, vom Papst her gedachtes Einheitsverständnis gegenüber. Ermutigend sind in diesem Zusammenhang die Worte des früh verstorbenen katholischen Ökumenikers Heinz-Albert Raem, "daß die anzustrebende Einheit nicht mit der jetzt gegebenen Gestalt der katholischen Kirche identisch ist. Vielmehr bedarf auch die katholische Kirche der Bekehrung und Erneuerung, um 'im Wachstum der Treue gegenüber ihrer eigenen Berufung' sich selbst zu übersteigen und im lebendigen Austausch mit den anderen Konfessionen der ihr verheißenen Fülle entgegenzustreben. Dieses Wachstum in der Treue schließt notwendigerweise die Bereitschaft zur Selbstreform auch in institutioneller Hinsicht ein." So erläuterte Raem noch 1995 die Subsistenz-Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Heute müssen wir die katholische Seite fragen: Gilt das nach "Dominus Iesus" noch? - Damit komme ich zum zweiten Teil:

Zweiter Teil: Theologische Irrtümer in der Vatikanischen Erklärung "Dominus Iesus"
Neben der Übereinstimmung im biblischen Bekenntnis "Herr ist Jesus" und der Bereitschaft an der Gemeinschaft des einen Leibes Christi festzuhalten wird von der Braunschweiger Synode "Betrübnis über die in der Erklärung .. manifesten theologischen Irrtümer" zum Ausdruck gebracht. Ich zitiere die betreffenden drei Punkte und gebe dazu Erläuterungen.

I.
Es betrübt uns, "daß die römisch-katholische Kirche sich selbst als die einzige vollkommene Realisierung der Kirche Jesu Christi versteht und damit bestreitet, daß sich der Leib Christi in einer Vielzahl von Schwesterkirchen verwirklicht, und daß sich die Treue Gottes auch darin bewährt".

Die Note über den Ausdruck Schwesterkirchen und ihre Auswirkungen
Die Note über den Ausdruck Schwesterkirchen besagt: Auf der Ebene der Gesamtkirche gibt es keine Mehrzahl. Die Gesamtkirche ist die "Mutter" aller Teilkirchen. Sie geht den Teilkirchen seinsmäßig und zeitlich voraus. Wie eine Mutter gebiert sie die Teilkirchen und steht ihnen in mütterlicher Autorität gegenüber, die der Papst ausübt. Die Mehrzahl "Kirchen" oder "Schwesterkirchen" ist nur auf Teilkirchen anwendbar. Sofern sie den gültigen Episkopat und die gültige Eucharistie haben, kann man von Schwesterkirchen auch im Zusammenhang mit römisch-katholischen und nicht römisch-katholischen, d.h. orthodoxen Teilkirchen sprechen. In der Note heißt es dazu:
"Um Mißverständnisse zu klären und theologischer Verwirrung zuvorzukommen, ist folglich die Verwendung der Formulierung wie unsere beiden Kirchen zu vermeiden, weil sie - wenn angewandt auf die katholische Kirche und das Gesamt der orthodoxen Kirchen (oder einer orthodoxen Kirche) - unterstellen, daß es einen Plural nicht nur auf der Ebene der Teilkirchen, sondern auch auf der Ebene der im Credo bekannten einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche gibt, deren tatsächliche Existenz dadurch verdunkelt wird."

Für die orthodoxen Kirchen wie für die Anglikanische Kirche bedeutet das eine Herabstufung: Die orthodoxen Kirchen können zwar Schwesterkirchen genannt werden, Rom beansprucht aber auf der Ebene der Gesamtkirche, ihre Mutterkirche zu sein. Diesen Anspruch haben die orthodoxen Kirchen bisher immer zurückgewiesen und auf Gleichrangigkeit mit Rom bestanden. - Der Anglikanische Kirche wird der 1970 von Papst Paul VI. verwendete Titel "Schwester-kirche" aberkannt.

Erläuterung zum Punkt 1
Für die Zeit des Neuen Testamentes gilt: "Die eine und einzige Kirche existiert in und aus Teilkirchen."(Peter Hünermann, Professor für katholische Theologie in Tübingen) Die eine Kirche Christi ist in Partikularkirchen und Ortsgemeinden (z. B. in Jerusalem, Antiochien, Korinth, Ephesus, Philippi Rom) mit unterschiedlicher Amtsstruktur gegenwärtig. Im 4.Kapitel des Epheserbriefs werden aufgezählt: ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung, ein Herz, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott. Nicht genannt wird - ein Amt, weil es das noch nicht gibt. - "Kirche" als übergemeindlicher Verband ist organisatorisch noch nicht entwickelt. Es gibt keine zentrale Leitungsgewalt. Die Gemeinde in Jerusalem hatte bis zum jüdischen Krieg (66­70) eine gewisse gesamtkirchliche Vorrangstellung. Diese fand aber keine bruchlose Fortsetzung. "Der Nachfolger des Apostels ist der Kanon heiliger Schriften Alten und Neuen Testamentes." (Eberhard Jüngel, Professor für Evangelische Theologie in Tübingen).

Der neutestamentliche Befund gibt keiner christlichen Konfession das Recht, sich selbst und die eigene Tradition zum Maßstab für die anderen Konfessionen zu machen. Jahrhundertelang wurde so, wurde konfessionell selbstgenügsam gedacht. In der Bibel wurde nur das wahrgenommen, was den eigenen Standpunkt untermauerte. Vom Neuen Testament her, insbesondere vom Epheserbrief aus, ist eine kopernikanische Wende angesagt: Alle Kirchen bewegen sich, gemeinsam wie Planeten, um Christus als die Sonne. Der Ruf zur Einheit lautet nicht: "Werdet wie wir sind." Sondern es geht um eine Bewegung nach vorn, um Selbstübersteigung (H.-A. Raem), um eine Bekehrung zueinander und zu Christus.

II.
Es betrübt uns, "daß die römisch-katholische Kirche der Wahrheit des Evangeliums nicht die Kraft zutraut, die Identität und Kontinuität der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche in der Vielfalt unterschiedlicher Kirchen zu wahren. Mit dem Augsburgischen Bekenntnis erklären wir: 'Zur wahren Einheit der christlichen Kirche ist es genug, daß das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden' (CA 7 im Evangelischen Gesangbuch unter der Nr. 808). Wer mehr will, will zuviel. Und wer zuviel will, beschädigt den ökumenischen Prozeß, der in unseren Kirchen bereits vielfache Frucht bringt."

Erläuterung
Die Kirche hat nur ein Haupt. Der Doppeladler der Kaiser von Rußland und Österreich hatte zwei Häupter. Im Sinne des Epheserbriefs kann das Bild vom Haupt und vom Leib nicht so weitergeführt werden, daß ein zweites Haupt neben Christus tritt und die Kirche eine Doppelspitze hat. Ich beziehe mich damit auf ein traditionelles Argument für den Vorrang des Papstes: "Wie das Haupt unter den übrigen Gliedern des Leibes, da ja in ihm die Fülle der Sinne lebt, den Vorrang innehat, so auch Petrus unter den Aposteln und seine Nachfolger unter allen Kirchenvorstehern", schreibt Innozenz III. im Jahre 1199 an den Patriarchen von Konstantinopel.

Jesus Christus, das Wort Gottes in Person, bezeugt sich seiner Kirche durch Wort und Sakrament, sammelt und sendet sie. Was die Kirche zur Kirche macht, sind nach dem Augsburger Bekenntnis von 1530 die beiden Weisen, in denen sich das die Kirche konstituierende Wort bezeugt. Dem Wirken des Herrn verdankt sich unmittelbar das Priestertum aller Gläubigen und mittelbar, d.h. mit der Stiftung von Wort und Sakrament mitgesetzt, das kirchliche Amt, als Dienst an der Selbstoffenbarung Gottes zum Heil der Welt. In seiner konkreten Gestalt ist das kirchliche Amt allein dem Kriterium der Weitergabe des apostolischen Zeugnisses unterworfen.

Dazu noch zwei Bemerkungen:
a) Die Bestimmung dessen, was Kirche zur Kirche macht, reflektiert in jeder Konfession bestimmte geschichtliche Erfahrungen. Für die reformatorischen Kirchen ist dies die Erfahrung, daß die reine Predigt des Evangeliums und die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente (d.h. ohne den Verdienstgedanken) gegen Papst und Bischöfe durchgesetzt werden mußten. Von dieser Erfahrung aus ist es unverständlich, wenn heute eben dieser Episkopat beansprucht, das volle Mysterium der Eucharistie zu garantieren.
b) Die im vorigen Jahr in den USA vereinbarte volle Kirchengemeinschaft zwischen der Evangelisch-lutherischen Kirche in Amerika (ELCA) und der anglikanischen Episcopal Church (ECUSA) zeigt, daß eine Übereinstimmung im Blick auf die historische Sukzession des bischöflichen Amtes im anglikanischen Verständnis möglich ist. In der Feststellung von Porvoo wird als Voraussetzung dafür benannt: "Die gegenseitige Anerkennung unserer Kirchen und Ämter geht dem Gebrauch des Zeichens der Handauflegung in der historischen Sukzession theologisch voraus. Die Wiederaufnahme des Gebrauchs des Zeichens bedeutet kein negatives Urteil über die Ämter, die vorher von dem Zeichen keinen Gebrauch gemacht haben. Es ist vielmehr ein Mittel, Einheit und Kontinuität der Kirchen zu allen Zeiten und an allen Orten sichtbarer zu machen." - Allerdings ist an dieser Übereinstimmung keine Gliedkirche der EKD beteiligt. Die EKD zieht die volle gegenseitige Anerkennung bischöflicher und nichtbischöflicher Leitungsformen vor.

III.
Es betrübt uns, "daß man am Ende der Erklärung Dominus Iesus den Eindruck gewinnt, hier identifiziere die römisch-katholische Kirche in falscher Weise die Autorität Jesu Christi mit ihrer eigenen Autorität. Wir bekräftigen den Glauben, daß der Sohn Gottes sich selber aus dem ganzen menschlichen Geschlecht eine auserwählte Gemeinde ... versammelt, schützt und erhält (Heidelberger Katechismus Fr. 54)".

Erläuterung
Im Neuen Testament findet sich kein Wort für eine kirchliche "Hierarchie". Die Autorität kommt Jesus Christus zu: Im Epheserbrief wird das Verhältnis von Haupt und Leib als "Hypotagé" (Unterordnung) beschrieben. Diese Unterordnung ist darin begründet, daß Christus die Gemeinde erlöst und geheiligt hat. Ohne ihn gäbe es sie nicht. Die Unterordnung kann mit dem traditionellen patriarchalen Verhaltensmuster von Mann und Frau erläutert werden, bei dem die Frau nur eingeschänkt rechtsfähig ist. "Der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat. Aber wie die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen sich die Frauen ihren Männern unterordnen in allen Dingen." (Eph. 5,23)

In "Dominus Iesus" werden Jesus Christus und die Kirche mehrfach gleichgestellt. Christus wird so durch die Kirche umschlossen, daß die Unterscheidung, wer das Subjekt und wer das Objekt göttlichen Heilshandelns ist, verwischt wird. - Ich gebe dafür zwei Beispiele:
1. Der Gedankengang "Dominus Iesus" führt von Christus zur Kirche. Die Überschrift von Abschnitt 4 lautet: "Einzigkeit und Einheit der Kirche." Aussagen über die Kirche sind: "die universale Heilsmittlerschaft der Kirche" und die Kirche als "Heilsweg" - evangelischerseits wird die Kirche als Gemeinschaft der begnadigten Sünder gesehen. Heilsweg, Wahrheit und Leben ist nicht die Kirche, sondern der Heiland selber.
2. Problematisch sind Christus und Kirche übergreifende Formulierungen z.B.:
a) "Wie das Haupt und die Glieder eines lebendigen Leibes zwar nicht identisch sind, aber auch nicht getrennt werden können, so dürfen Christus und die Kirche nicht miteinander verwechselt werden, aber auch nicht voneinander getrennt werden. Sie bilden zusammen den einzigen 'ganzen Christus'."
b) "Jesus Christus setzt seine Gegenwart und sein Heilswerk in der Kirche und durch die Kirche fort."

Schluß
Der Synodalbeschluß zu "Dominus Iesus" endet mit den Worten:
"Doch wir wissen, daß Trübsal Geduld bringt; Geduld aber bringt Bewährung, Bewährung aber bringt Hoffnung, Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist (Röm 5,3­5). In solcher Liebe halten wir fest an der Gemeinschaft des einen Leibes Jesu Christi, der einen Kirche. Und freuen uns an der Wahrheit des Evangeliums, die wir in der ganzen Welt allen Menschen bezeugen wollen. Wir sind gewiß, daß sich die befreiende und erneuernde Wahrheit des Evangeliums auch die konfessionsverschiedenen Kirchen immer wieder so erneuern und reformieren wird, daß in ihnen Jesus Christus allein der Herr ist. Ihm befehlen wir alle Bemühungen um die sichtbare Einheit der einen heiligen katholischen und apostolischen Kirche an, die in allen ihren Gestalten evangelisch ist."  (Hervorhebungen im Text vom Verfasser)

Vortrag "Über die Stellungnahme der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (5.-10.11.2000 in Braunschweig) zur vatikanischen Erklärung ‚Dominus Iesus' und zur Note über den Begriff ‚Schwesterkirchen'" auf dem Treffen evangelischer und katholischer Orden und anderer geistlicher Gemeinschaften am 24.02.2001 im Gemeindezentrum der schwedischen Viktoria-Gemeinde in Berlin-Wilmersdorf.     

Pfarrer Christian J. Hövermann, 53,
ist Pfarrer an der "Kirche zum Heilsbronnen” in Berlin-Schöneberg und Beauftragter für UNA-SANCTA-Arbeit der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.

Christian J. Hövermann


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