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BERLINER DIALOG 18-19, 3/4-1999 - Epiphanias 2000

AUS DER HEIMAT

Liebe Leserinnen und Leser,

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
(2. Tim. 2.11)
So lautet bei uns (bei den evangelischen Kirchenchristen) der Monatsspruch, das Motto für den ersten Monat des Jahres 2000.

Wir wollen es also wagen, in diesem Geist das neue Jahr zu beginnen. Ich mag übrigens die Monatssprüche des neuen Jahres ganz besonders! Sie geben mir und vielen anderen zu denken.
- Im Mai ist es zum Beispiel der Grundspruch der Apologetik, der Vergewisserung und Verteidigung des Glaubens, ein Imperativ: "Seid stets bereits, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.
( 1. Petrus 3, 15)
- Im August wiederum ist es eine eher vorsichtige Bitte um Bewahrung:
"Herr, stell eine Wache vor meinen Mund, eine Wehr vor das Tor meiner Lippen." (Psalm 141,3)
- Aber im Juni heißt dagegen eher offensiv:
"Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knecht". (1. Korinther 7, 23)

Was gilt?
Für mich ist der Januar-Spruch so etwas wie ein roter Faden. Wenigstens für die drei angeführten Sprüche, die sonst zusammengenommen eher rätselhaft, ja unmöglich wie ein Zen-Koan (Bsp.: "Das Klatschen einer Hand") wirken würden.
Was ich damit meine? Vielleicht muß ich etwas ausholen und aus dem Nähkästchen der letzten 6 Monate plaudern. In Rheinsberg wollte sich die TM-Bewegung mit einer "Maharishi-Universität" breit machen.

Zusammen mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern habe ich dagegen öffentlich Stellung bezogen. Ich wurde angefragt, was ich als kirchlicher Sektenbeauftragter dazu zu sagen hätte. Ich versuchte, es gemäß 1.Petrus 3,15 zu sagen:
"Seid stets bereits, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt".
(Mai)

Ich konnte in Rheinsberg nämlich sagen, warum Christen sich gegen ein solches Guru-Zentrum positionieren. Ich konnte auch mit einigen Sachargumenten, mit Erfahrungen, mit Hintergrundinformationen und harten Fakten, die mir z.T. andere Sachkenner zur Verfügung gestellt haben (Danke, Ingo!) einen kleinen Beitrag dazu leisten, daß die Maharishi-Utopie vom TM-Zeitalter der Erleuchtung, in dem die Starken führen und die Schwachen zu folgen haben, vorerst im "Bereich aller Möglichkeiten" steckenblieb.
Der schönste Augenblick für mich war, als eine Teilnehmerin bei der Bürgerversammlung in Rheinsberg ihre Meinung über die Diskussion, in der vorher viel von Investitionen, Arbeitsplätzen und Zukunftschancen für die Rheinsberger die Rede gewesen war, mit dem Jesuswort zusammenfaßte: "Was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, aber Schaden nehmen würde an seiner Seele?"
Genau darum schrieb Paulus:
"Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knecht". (1. Korinther 7,23) (Juni)

Das Ergebnis, die Ablehnung der Investitionspläne durch die Rheinsberger, machte die Gurubewegung ungnädig. Es begann eine Leserbriefkampagne, offene Briefe wurden durch ganz Deutschland geschickt, nicht eine unseriöse Planung, ein unklarer Hintergrund, fragwürdige Finanzierungen, sondern Gandow habe die Maharishi-Universität und damit "Utopia" und "Maharishi-Effekt" für Brandenburg verhindert.
Der Erfolg hat stets viele Väter, die Gurubewegung (und andere fragwürdige Gruppen) brauchen aber anscheinend immer einen konkreten Schuldigen und Bösewicht.

Angriffe
Die Angriffe sind subtil: Es wird versucht, die Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. In einem der "offenen Briefe" der TM-Bewegung im Zusammenhang mit meiner Informationsarbeit über die TM-Bewegung in Rheinsberg heißt es:
"In Bezug auf Ihren Sektenbeauftragten Herrn Pfarrrer Gandow würde mich interessieren, wie sein Lebenslauf gewesen ist. Wer hat ihn ausgebildet oder angewiesen, in dieser Art seinen christlichen Arbeitsauftrag auszuführen? Wer waren seine Lehrer in der Diskussionsführung und im Umgang mit seinen Mitmenschen?"

[Nur für den innerkirchlichen Gebrauch: Ich studierte an der Kirchlichen Hochschule Berlin; meine wichtigsten Lehrer waren neben meinen Eltern und Pfarrrern u.a. so interessante und verschiedene Wissenschaftler wie Carsten Colpe, Martin Fischer, Helmut Gollwitzer, Dietrich Goldschmidt, Karl Kupisch und Walter Schmithals].

Vor Ort mit Pfarrer Gandow

Raffinierter sind andere Angriffe außer- und innerkirchlicher Art.
- Da wird persönliche Glaubwürdigkeit zugebilligt: "seine persönliche Betroffenheit und Angst ist echt";
- Steigerung: "Er ist selbst ein Sektierer, er bekämpft im vermeintlichen Feind seine eigenen sektiererischen Anteile";
- Verschärft: "Inquisitorischer Verfolgungstrieb zum Machterhalt";
- Neuerdings häufen sich Angriffe nicht auf die vorgetragenen Inhalte, sondern auf angebliche Formverletzungen:
Da heißt es dann "unsachlich" oder: "zwar sachlich korrekt, aber mit hämischem, spöttischem Lächeln vorgetragen" o.ä.

In einem Beschwerdebrief aus der Kampagne der TM-Bewegung finden sich folgende formalen Angriffe: Gandow sei "ausfallend und unhöflich (gelinde ausgedrückt)", er "schimpft"; "zeigte mir wenig Offenheit, Diskussionsbereitschaft und andere wichtige Charaktereigenschaften, die heute in jedem Beruf gefordert werden" ... "Ich halte es auch nicht für intelligent, diesem Mann weiterhin - und noch dazu bezahlt - die Möglichkeit zu geben, andere ehrenwerte Menschen zu verletzen und hetzerisch zu diffamieren."

In einem als Offenem Brief EKD-weit verbreiteten Schreiben einer Frau Süttmann an das Ev. Konsistorium Berlin-Brandenburg heißt es: "Ich möchte Sie dringend bitten, einen fähigeren und geeigneteren Mann für diesen Aufgabenbereich einzusetzen. Pfarrer Gandow setzt auf äußerst emotionsschürende Weise - und ohne überhaupt nur eine einzige Aussage zu belegen - Behauptungen in die Welt und dies auf primitivste und oberflächlichste Weise. ... Trotz eines akademischen Studiums [...] sind die Auslassungen Pfarrer Gandows grob fahrlässig und polemisch. Hier wird die Menschenwürde und hier werden essentielle christliche Werte und die Lehren Jesu Christi elementar verletzt. [...] Er sucht nur den Gegner, den Feind, er sieht sich als 'inquisitorischen Sektenverfolger'. [...] Ich bitte sie daher, Herrn Gandow ganz energisch zur Mäßigung aufzufordern und ihn gegebenenfalls in einen anderen Tätigkeitsbereich zu versetzen, in dem er die Möglichkeit hat, die ihm noch fehlenden Charaktereigenschaften zu entwickeln, ernsthafter die christlichen Grundlehren selbst zu studieren (deren Beherzigung und Vergegenwärtigung ihm abhanden gekommen sind) und mehr Differenzierung und Niveau zu erwerben. Pfarrer Gandow ist für die Evangelische Kirche nicht tragbar. Er verhöhnt das Christentum durch seine eigene Person. Mit freundlichem Gruß"

Nun, getroffene Hunde bellen. Das ist ihr gutes Recht, daß sich die TM-Angehörigen ärgern und protestieren, weil aus ihrer Maharishi-Universität in Rheinsberg nichts geworden ist. Höflich und korrekt wird man ihren eigenen Ton und Vortrag freilich nicht gerade nennen wollen.
Was mich verwundert ist allerdings, wenn solchen Vorwürfen und Angriffen auch nur teilweise Glauben geschenkt wird. Da kann es dann u.U. sinngemäß heißen: "Sie haben ja sachlich recht, aber haben Sie sich vielleicht nicht doch im Ton vergriffen oder sind im Eifer des Gefechts über das Ziel hinaus geschossen?"

Gottlob sind gerade die besonders angegriffenen Vorträge und Statements auf Tonband oder auf Video aufgezeichnet - was man allen Kollegen, die sich öffentlich äußern müssen, nur zur Selbstverteidigung raten kann. Im Übrigen gilt:
"Herr, stell eine Wache vor meinen Mund, eine Wehr vor das Tor meiner Lippen." (Psalm 141,3) (August)

Ich gebe ja zu: Ich bin ein Freund der Wahrheit und der Fakten - alles muß belegt und bewiesen werden - das habe ich wohl von meinem Namenspatron. Ich bin zugleich auch ein Freund deutlicher Sprache, nicht des salbungsvollen Geschwafels drumherum; ich rede nun einmal gern die klare, direkte Sprache meiner Heimat Berlin.

Einmal Hardliner - immer Hardliner?
Ist es das Amt, daß ich auszufüllen habe oder liegt es doch an meiner Person? Jedenfalls gelte ich als Hardliner. Frage ich "Wie geht's denn so?" oder "Was ist denn da los?" nimmt das anscheinend mancher schon als "inquisitorische Frage" wahr.
Monika Herrmann schreibt in einem Artikel in der Berlin-Brandenburgischen Kirchenzeitung die Kirche (12.12.99) u.a. von der Emmaus-Kirche in Berlin-Kreuzberg, in der dem Bericht zufolge Männer und Frauen "in dicken Socken" ... "ihre Lebenskraft steigern und das innere Feuer anfachen" - durch Yoga, nicht etwa durch das Brotbrechen mit einem bekannten Unbekannten (Lukas 24,32).
Begründet wird diese neue Art von Emmaus-Erlebnissen anscheinend mit der Aussage, man wolle "nicht im eigenen Saft schmoren, sondern über den kirchlichen Tellerrand hinwegschauen".
Herrmann behauptet anschließend, diese Meinung werde von mir nicht geteilt, mir platze bei solchen Sätzen eher der Kragen.
Nun bin ich es schon gewohnt, selbst bei milder und zurückhaltender Äußerung meinerseits von Sekten und ihren Freunden als "engstirniger Hardliner" abgestempelt zu werden, der grundsätzlich "dagegen" ist, der schon mal "schimpft" und dem "der Kragen platzt".
Allerdings: Mit Frau Herrmann habe ich in aller Ruhe mehrere längere Gespräche geführt, ihr mehrere Stunden meines oft 16-stündigen Arbeitstages geopfert, habe nicht geschimpft und auch meine Hemden sind alle noch heil. [Bitte notieren: Ich trage sogar selbst Wollsocken!]

Feuer im Turm
Zum "eigenen Saft" und "kirchlichen Tellerrand" hatte Frau Herrmann mich allerdings nicht befragt. Von den Sockenträgern im Turm der Emmauskirche und deren "innerem Feuer" hatte sie mir freilich auch gar nichts erzählt. Aber anscheinend fand sie die Argumente derer, die den geistigen Ausverkauf unserer kirchlichen Räume betreiben wollen, so schwach, daß sie die generellen, begründeten Einwände des kirchlichen Sektenbeauftragten - wie ich finde: diffamierend - darstellen mußte.
- Tatsächlich erkundigen sich immer mehr Gemeinden regelmäßig bei mir nach den Hintergründen potentieller Raumnutzer, denn sie haben nun einmal bei der Raumvergabe an außerkirchliche Gruppen sehr unterschiedliche, nicht immer positive Erfahrungen gemacht, und so konnte schon manchesmal eine Raumvergabe an eine obskure Gurubewegung oder Sekte verhindert werden.
- Tatsächlich erreichen mich auch immer öfter sorgenvolle Anfragen von Gemeindegliedern, die mit der Raumvergabe in ihrer Kirchengemeinde nicht einverstanden sind.
- Tatsache ist auch, daß unsere Kirchen für Gottesdienste errichtet wurden und mit den Opfergroschen und Gebeten manch betuchter, meist aber "normaler" und armer Christinnen und Christen über die Jahrhunderte erhalten worden sind - zur Ehre Gottes und zur Auferbauung der Gemeinde.
- Tatsache ist auch, daß unsere Kirchengebäude auch heute geistlich und organisatorisch getragen werden von den Gemeindegliedern unserer Kirche, die keineswegs beim Hatha-Yoga "das innere Feuer anfachen", also im Klartext: die Kundalini-Schlangenkraft des Yoga erwecken wollen, sondern die glauben und darum beten, der Heilige Geist solle im Herzen aller Gläubigen das Feuer seiner göttlichen Liebe entzünden - schon ein kleiner Unterschied, oder ?
Ist es etwa "Schimpfen", wenn ich auf diese Selbstverständlichkeiten hinweise angesichts allen möglichen und unmöglichen Allotrias?

Ist ein "Kessel Buntes" die Alternative zum "Schmoren im eigenen Saft"?
Wenn manche Ausverkaufsträumer die Kirche am Liebsten zu einem "Kessel Buntes" machen möchten, ist man versucht, die Kreuzberger Kesselflickerweisheit anzubringen: "Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein".
Notwendig ist auf jeden Fall die altmodische Bitte der Emmausjünger: "Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden..."

Jakobus 4,17 aber auch Jakobus 4,15
Nach diesen etwas längeren Ausführungen zu einem Problem, das mich in letzter Zeit ein wenig belastet hat, lassen Sie mich, wie ich es seit Jahren in meinen Rundbriefen zum Jahreswechsel oder Epiphanias tue, für dies neue Jahr 2000 unter den bekannten Bedingungen (Jakobus 4,15) und aus den bekannten Gründen (Jakobus 4,17) erneut versprechen: Ich bleibe bei der Stange, halte durch so gut es geht, setze mich weiter ein: Für die Suchenden und Zweifelnden, für verlassene Familien, für die Opfer totalitärer Cults und undurchsichtiger Rekrutierungsmethoden, und für diejenigen, die mutig den Ausstieg aus der geistigen Fremdbestimmung geschafft haben.
Den Mut dazu bekomme ich, weil Sie mich weiter durch Ihre Fürbitte tragen, allen Widrigkeiten und Angriffen zum Trotz. Das macht mich fest und furchtlos - was können uns Menschen tun?
Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mich da und dort auch in Gremien oder im persönlichen Gespräch verteidigen und gegen böse Gerüchte und Verleumdungen in Schutz nehmen.

Noch mehr danke ich für Ihr Verständnis und Ihre Geduld für all mein Versäumen. Durch Ihre Anregungen und Ihre Kritik stärken Sie mich und bringen mich zurecht. Was zu bessern geht, will ich gern tun. Für alles andere (und das ist das Meiste) bitte ich auch Sie um Vergebung.

Nicht zuletzt bedanke ich mich auch für Ihre Spenden und Zuwendungen für den Dienst, dessen Sachkosten vom Telefon und Computer bis zum Bleistift zur Büroklammer völlig aus Ihren Spenden bezahlt werden. (Danke auch für Ihre Kirchensteuern, von denen u.a. auch mein Gehalt bezahlt wird!)
Herzlich Ihr Pfarrer Thomas Gandow

PS.: War der letzte Absatz wieder mal zu deutlich? - Das war diesmal Absicht. Eine Zahlkarte zum Mitmachen liegt bei.
P.PS.: Es wäre schön, Sie am 12.2.2000 hier zu sehen!


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