Ich habe geeifert für den Herrn
"Ich habe geeifert für den Herrn und die Propheten mit dem Schwert
getötet", brüllt der Prediger ins Mikrophon. Das
über eine gigantische Lautsprecheranlage in den ehemaligen Kinosaal
krachende Zitat des Propheten Elia (1. Könige, 19,10), der einst
vierhundertfünfzig Baals-Propheten abschlachtete, läßt die
Gläubigen zusammenzucken, als seien sie soeben Augenzeugen des
alttestamentarischen Strafmassakers am Bach Kischon geworden. Der finsteren
Drohung folgt freilich sofort die mobilisierende bedingte Verheißung:
"Übriglassen", so der Missionar der "Universalkirche des
Königreiches Gottes", wolle der Herr jene, die sich nicht vor den
heidnischen Göttern beugten und so die Aktualisierung selbst das
Kampfschwert ergriffen. Auf die Frage, ob sie denn dazu bereit seien,
dröhnt das begeisterte "Ja!" der Gläubigen aus tausend Kehlen.
Das Spektakel im "Tempel" der neupfingstlerischen wie sie in Brasilien heißt "Igreja Universal do Reino de Deus" in der Altstadt von Salvador de Bahia ist auf seinem Höhepunkt angelangt. Nachdem eine Stunde lang kräftig gesungen und gegen die afrobrasilianischen Kulte Candomble_[ und Umbanda sowie die römisch-katholische Kirche gewettert wurde, wird nun die praktische Lösung präsentiert. Auf einen Wink des Predigers eilen etliche der Helfer hinter die seitlichen Bühnenvorhänge und kehren Sekunden später mit großen Pappkartons zurück. In hohem Schwung kippen sie deren Inhalt auf die Bühne, bis diese vollgeschüttet ist mit wohl hundert silberfarbigen Plastikschwertern, sechzig Zentimeter lang. Billigste Massenfabrikation, mit der bei uns wohl kaum ein Kind spielen würde. Hier wird sie unter den raunenden "Ahs" und "Ohs" der Begeisterten zur Zelebration frommer Entscheidung. Wer in seinem "Herzen" wirklich den "Geist Gottes" verspürt, der übergibt es nicht nur einfach dem Herrn, sondern kommt nach vorn und nimmt sich ein Schwert, sein persönliches Schwert des Glaubenskampfes gegen alles Heidentum und für das Königreich Gottes im Sinne der Igreja Universal. Die etwa dreißig mit blütenweißen kurzärmeligen Hemden und blauen Hosen bzw. Röcken und Krawatten adrett gekleideten Mitarbeiter kontrollieren, daß der Ansturm auf das spirituelle Waffenarsenal in halbwegs geordneten Bahnen verläuft. In wenigen Minuten ist die Bühne wie leergefegt. Mit zitternden Händen stehen sie nun wieder auf ihren Plätzen, die neuen Elia-Kämpfer, recken zusammen mit den bereits Bekehrten ihre Plastikschwerter in die Höhe und stimmen jubelnd in die Schlachtrufe des Predigers ein.
Die Atmosphäre des Pfingsttempels lädt sich nun noch rasanter auf als bisher. Der Saal ist ein einziges Tosen und Schreien. Gläubige geraten in Ekstase. Nicht ihre persönliche Erregung läßt sie kochen, so hören
Prediger einer Pfingstsekte in Brasilien (Sao Paulo) Foto: Wolfgang Behnk
und wissen sie, sondern die Dämonen, die hinterhältigen Heerscharen Satans sind es, die dieser Rekrutenfeier mit Protest begegnen. Für alles Übel dieser Welt tragen einzig und allein sie die Schuld, stecken hinter Armut und Liebeskummer, Familienkrach und Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Sexsucht, Prostitution und Homosexualität, Seelenkummer und Krankheit, vor allem auch hinter Krebs und Aids. Wo Regierung, Kirche und Medizin versagen, erschallt nun das Signal universaler Rettung: "Weichet von mir, ihr Dämonen, hebe dich hinweg, Satan!", dröhnt es über die Verstärker. Die schwersten Fälle werden von Helfern umringt, umzingelt, gepackt und geschüttelt, werden unter Handauflegung gesegnet, bis die bösen Geister oder Luzifer selbst ausfahren, unter Gebrüll und Gekreisch. Manche fallen um, werden aufgefangen, damit sie nicht auf den Boden schlagen. Dem Schluchzen und Wimmern der Befreiten begegnet der immer stärker werdende Jubel der siegreichen Glaubenskämpfer. Ihren finanziellen Tribut für die erfahrene Lebenshilfe liefern sie bereitwillig und großzügig ab, den von Gott gebotenen "Zehnten", als unteres Limit ihres Dankopfers, in geräumigen Papierumschlägen, deren aufgedrucktes Silberschwert deutlich macht, daß es sich um die Auffüllung einer Art Kriegskasse handelt, einer Kasse für den Heiligen Krieg der Universalkirche.
Gründe des Booms
Gegründet wurde die "Igreja Universal do Reino de Deus" 1977 im
Hinterzimmer eines Beerdigungsinstituts durch Edir Macedo, einen ehemaligen
Angestellten der staatlichen brasilianischen Lotterieverwaltung. "Bispo"
(Bischof), nennt sich der heute Sechsundvierzigjährige. Zu den 2.100
Treffpunkten kauft er unermüdlich neue Säle, pleite gegangene
Kinos, Lagerhallen und ehemalige Supermärkte auf und funktioniert sie
zu "Tempeln" um. Wo sich in der römisch-katholischen Kirche Brasiliens
mit ihren 110 Millionen Mitgliedern etwa zwei Drittel der
Gesamtbevölkerung 15.000 Gläubige einen Priester teilen
müssen, werden Macedos 3 1/2 Millionen Anhänger durch 7.000
"Pastoren" versorgt, jeweils ein "Pastor" für 500 Gläubige. Nicht
allein auf Grund dieses hohen seelsorgerlichen Betreuungsfaktors boomt die
Universalkirche ähnlich wie viele andere
"Neo-Pentecostais"-Gemeinschaften im Land, die jährliche Zuwachsraten
bis zu 25 Prozent und mehr als 15 Millionen Anhänger aufweisen. Vor
allem der emotionale Zugriff auf die Menschen ist sehr wirksam.
Während die römisch-katholische Kirche ratlos zwischen konservativer oft als kühl und unpersönlich erfahrener - Institutionalität und progressiv-soziologischer Befreiungstheologie eingeklemmt zu sein scheint, gehen die "Pastoren" des "bispo" ohne Berührungsängste auf die Menschen zu, um sie anzuwerben. Nicht eine komplizierte und langatmige Analyse ungerechter Gesellschaftsstrukturen wird ihnen vorgelegt, sondern ein machtvoller "Feldzug gegen die Dämonen" aktuell gestartet. Insbesondere die politisch und ökonomisch Marginalisierten der Gesellschaft, die Armen aller Hautfarben, lassen sich von den Neupfingstlern ansprechen, erwarten eine "persönliche Beziehung" zu Gott, umgehende "Heilung" gerade auch "Wunderheilung" drückender Behinderungen und Krankheiten, kurzfristige Sanierung von Armut und Unglück, klare Direktiven und Hilfen für den Alltag und das kollektive Seelenbad intensiver Gefühle. In der "ordentlichen" Kleidung der Igreja Universal und ihrer religiösen Mitanbieter wird auch den Ärmsten unter den Mitarbeitern das Gefühl von "dignidade" (Würde) vermittelt. Die verheirateten und mit Lebensproblemen vertrauten "Pastoren" werden mit dem für brasilianische Verhältnisse geradezu üppigen Monatssalär von 1.500 Dollar vergütet.
Finanzen
"Bischof" Macedos Devise, daß "Armut vom Teufel, Reichtum aber eine
Gabe Gottes" sei so auf einem Gebetblatt zu lesen lockt gerade die einfachen
Menschen an. Daß ein Hausmädchen aus einer der
Millionenstädte wie Sao Paulo, Rio de Janeiro oder Salvador sonntags
bei den Exorzismen und Wunderheilungszeremonien einer Pfingstgemeinde
mitjubelt und - weint, ist mittlerweile ein schon fast übliches
Phänomen.
Um die Finanzen der Igreja Universal steht es jedenfalls zum besten. Auf 750 Millionen Dollar werden die Jahreseinnahmen der Organisation geschätzt. Einige Dutzend Radio- und Fernsehstationen, eine Zeitung und eine Bank gehören zum Wirtschaftsimperium Edir Macedos, der seine "Kirche" mittlerweile aus Brooklyn, New York, regiert. Dort hatte er genügend Gelegenheit, die fragwürdigen, aber effizienten Marketingmethoden amerikanischer Fernsehprediger wie Jimmy Swaggart zu studieren. Prunkstück des Medienkonzerns Igreja Universal ist der 1989 von Macedo für 45 Millionen Dollar gekaufte Fernsehsender "TV-Record".
Konflikte mit der römisch-katholischen Kirche
Seitdem im Oktober 1995 ein übereifriger Chefprediger Macedos, der aus
Österreich abstammende Exfußballstürmer und Heereshauptmann
Sergio von Helde, eine Gipsstatue der von Brasiliens Katholiken
hochverehrten schwarzen "Nossa Senhora Aparecida (Erschienene Gottesmutter)"
vor laufender Fernsehkamera mit Händen und Füßen demolierte
und als "häßliche Puppe" und "Fratze" beschimpfte, tobt in
Brasilien nicht nur ein Glaubens-, sondern auch ein Medienkrieg. Trotz
Entschuldigung Macedos warnen die römisch-katholischen Kardinäle
die die Pfingstkirchen bislang mit Schweigen mißachtet hatten seither
vor solch "unreifen" (Kardinal Sales) Gruppen, die sich "wahrscheinlich nur
taktisch" entschuldigt hätten (Kardinäle Arns und Lorscheider).
Der größte brasilianische Fernsehsender "TV-Globo", erkannte den
Madonnen-Eklat als Chance, um den Träger seines Konkurrenten
"TV-Record", die Igreja Universal, als gefährliche und geldgierige
Sekte zu attackieren. Der erwartete Sturm des katholischen Kirchenvolks
brach indessen nicht los.
Brillensegen
Tatsache ist, daß Macedo seine Dollarmillionen mit vielfältigen
Methoden einnimmt, nicht nur durch seine "Kirchen"und Fernsehspenden,
sondern auch durch riesige Massenveranstaltungen. Anfang der 90er Jahre
füllte er zum Beispiel einmal das 170.000 Besucher fassende
Maracana_[-Stadion in Rio de Janeiro, die größte Sportanlage
der Welt. Während Macedo exorzistische Wunderheilungen etwa einen
"soeben durch Jesus vom Lungenkrebs geheilten" Mann präsentierte,
regnete es nicht nur unter Heulen und Jubeln Brillen und Holzkrücken
auf den Fußballrasen, sondern die "obreiros (Arbeiter)" des "bispo"
konnten auch reichlich Spendengeld in Dutzenden von Säcken davontragen.
Von Journalisten später dabei ertappt, daß er selber eine
Brille benutzte, entschuldigte Macedo sich mit der wenig plausiblen
Begründung, es handle sich ja bloß um eine Lesebrille.
Lobbyarbeit
Ihren ökonomischen Erfolg sichert die angeblich unpolitische Igreja
Universal durch massive Lobbyarbeit und direkt politische Einflußnahme
ab. Der Madonnen-Zertrümmerer Sergio von Helde diffamierte
beispielsweise bei einem der letzten Präsidentschaftswahlkämpfe
den Bewerber der sozialistischen "Arbeiter-Partei" als satanischen
"bösen Wolf" und versuchte so, seine Organisation als konservativ und
staatserhaltend zu präsentieren. Kampagnen gegen Alkohol, Drogen,
Prostitution und Kriminalität sowie die Propagierung von
"Ordnungs"Werten wie Sauberkeit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit
sollen Pfingstkirchen wie die Igreja Universal als gesellschaftliche
Integratoren schmackhaft machen. Manche Unternehmer stellen in der Tat
bevorzugt Angehörige der Neo-Pentecostais ein.
Brasilianische Pfingstbewegung
Die Geschichte der brasilianischen Pfingstbewegung verlief in mehreren
Wellen, wie der in einer Landlosen-Gemeinde in Porto Allegre als
lutherischer Pfarrer tätige Pentecostalismus-Forscher Oneide Bobsin in
einer Untersuchung analysierte. Von 1910 bis 1930 wurde die frühe
Pfingstbewegung in Brasilien stark durch Missionare aus den USA und Europa
geprägt. Daran
änderte auch die Nationalisierung seit den 30er Jahren nur graduell
etwas. Erst die aus dem "Crusada Nacional (Nationalen Kreuzzug)" 1955
hervorgegangene pfingstlerische Gruppe " Brasil para Christo (Brasilien
für Christus)" des Manoel de Mello war eine rein brasilianische
Bewegung. Auch die spirituellen Akzente verschoben sich. Waren bis 1955
Geisttaufe, Geistgaben, Heiligung, Arbeitsethik und Wiederkunft Christi die
entscheidenden Elemente traditioneller Pfingstkirchen, so bilden sich
nunmehr zunehmend "autonome" Gruppen später "Neo-Pentecostais" genannt
-, die ihre Schwerpunkte im Exorzismus, der "Prosperidade (Wohlstand)" und
der Heilung haben und sowohl ökonomische, als auch politische
Aktivitäten entfalten.
Die größte Pfingstkirche ist die traditionelle wachsende - "Assembleia de Deus (Gottesversammlung)", mit ca. 8 Millionen Anhängern und 35.000 Tempeln, Im Gegensatz zu früher erreicht sie heute auch Wohlhabende, ist theologisch relativ gemäßigt und weist stärkere Ansätze zur Institutionalisierung auf. Nach der 3 1/2 Millionen zählenden typisch neopentecostalen "Igreja Universal do Reino de Deus" des Edir Macedo folgt an dritter Stelle die "Igreja do Evangelho Quadrangular (Kirche des vierseitigen Evangeliums)" mit 3 Millionen Anhängern; sie ist eine gemäßigte Pfingstkir- che nordamerikanischen Ursprungs ohne Rigorismus. Während die 1955 von Manoel de Mello gegründete Gruppe "Brasil para Christo" heute ebenso wie die stark auf soziale Fragen zielende "Congregacao Christa_[ do Brasil (Christliche Versammlung Brasiliens)" stagniert, ist die 1961 von David Miranda einem Schwager de Mellos ins Leben gerufene neopentecostale Gemeinschaft "Deus e Amor (Gott ist Liebe)" auf Expansionskurs. In Sao Paulo unterhält sie beispielsweise einen 20.000 Besucher fassenden Tempel. Sie war die erste neupfingstlerische Gruppe, die ausgeprägte Unternehmensstrukturen entwickelte.
Boom
Seit 1980 erlebt Brasilien einen regelrechten Boom der Neo-Pentecostais.
Oneide Bobsin hat festgestellt, daß allein in der 13
Millionen-Metropole Rio de Janeiro jeden Tag (!) eine neue Pfingstkirche
entsteht. Während eines Besuches des lutherischen Pfarrers Walter
Rosenbaum von der "Igreja Evangelica de Confissao Luterana no Brasil
(IECLB)" (ca. 1 Million Gemeindeglieder in ganz Brasilien; hinzu kommen etwa
100.000 Mitglieder der lutherischen Missouri-Synode) durch deutsche Kollegen
ergab ein Rundgang durch die "Favela (Barackenviertel der Armen)" seiner
Stadtrandgemeinde in Sao Paulo, daß soeben wieder unbemerkt vom
lutherischen Pfarrhaus eine neue Pfingstkirche gegründet worden war in
einer Garage. Der Garagenempfang des lutherischen Ortsgeistlichen und seiner
deutschen Gäste durch die frischgebackene Gemeindeleiterin, eine
resolute Afrobrasilianerin mit einer stattlichen Familie, war ausgesprochen
freundlich. Nicht nur die große katholische, sondern auch die
lutherische Diaspora-Kirche wird sich auf einige grundlegende Dinge in
Sachen Mission, Seelsorge und Lebenshilfe neu besinnen müssen.
Pfr. Wolfgang Behnk, 47,
ist kirchlicher
Sektenbeauftragter in Bayern Sein Beitrag entstand auf Grund einer
religiösen Erkundungsreise einer Studiengruppe der "Konsultation
Landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen
(KLB)" vom 28.12.1995 bis 31.01.1996 durch Brasilien.