Mit dem Plastikschwert gegen Dämonen

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Über die "neopentecostale" Explosion in Brasilien

von Wolfgang Behnk

  1. Ich habe geeifert für den Herrn
  2. Gründe des Booms
  3. Finanzen
  4. Konflikte mit der römisch-katholischen Kirche
  5. Brillensegen
  6. Lobbyarbeit
  7. Brasilianische Pfingstbewegung
  8. Boom

Ich habe geeifert für den Herrn

"Ich habe geeifert für den Herrn und die Propheten mit dem Schwert getötet", brüllt der Prediger ins Mikrophon. Das über eine gigantische Lautsprecheranlage in den ehemaligen Kinosaal krachende Zitat des Propheten Elia (1. Könige, 19,10), der einst vierhundertfünfzig Baals-Propheten abschlachtete, läßt die Gläubigen zusammenzucken, als seien sie soeben Augenzeugen des alttestamentarischen Strafmassakers am Bach Kischon geworden. Der finsteren Drohung folgt freilich sofort die mobilisierende bedingte Verheißung: "Übriglassen", so der Missionar der "Universalkirche des Königreiches Gottes", wolle der Herr jene, die sich nicht vor den heidnischen Göttern beugten und so die Aktualisierung selbst das Kampfschwert ergriffen. Auf die Frage, ob sie denn dazu bereit seien, dröhnt das begeisterte "Ja!" der Gläubigen aus tausend Kehlen.

Das Spektakel im "Tempel" der neupfingstlerischen wie sie in Brasilien heißt "Igreja Universal do Reino de Deus" in der Altstadt von Salvador de Bahia ist auf seinem Höhepunkt angelangt. Nachdem eine Stunde lang kräftig gesungen und gegen die afrobrasilianischen Kulte Candomble_[ und Umbanda sowie die römisch-katholische Kirche gewettert wurde, wird nun die praktische Lösung präsentiert. Auf einen Wink des Predigers eilen etliche der Helfer hinter die seitlichen Bühnenvorhänge und kehren Sekunden später mit großen Pappkartons zurück. In hohem Schwung kippen sie deren Inhalt auf die Bühne, bis diese vollgeschüttet ist mit wohl hundert silberfarbigen Plastikschwertern, sechzig Zentimeter lang. Billigste Massenfabrikation, mit der bei uns wohl kaum ein Kind spielen würde. Hier wird sie unter den raunenden "Ahs" und "Ohs" der Begeisterten zur Zelebration frommer Entscheidung. Wer in seinem "Herzen" wirklich den "Geist Gottes" verspürt, der übergibt es nicht nur einfach dem Herrn, sondern kommt nach vorn und nimmt sich ein Schwert, sein persönliches Schwert des Glaubenskampfes gegen alles Heidentum und für das Königreich Gottes im Sinne der Igreja Universal. Die etwa dreißig mit blütenweißen kurzärmeligen Hemden und blauen Hosen bzw. Röcken und Krawatten adrett gekleideten Mitarbeiter kontrollieren, daß der Ansturm auf das spirituelle Waffenarsenal in halbwegs geordneten Bahnen verläuft. In wenigen Minuten ist die Bühne wie leergefegt. Mit zitternden Händen stehen sie nun wieder auf ihren Plätzen, die neuen Elia-Kämpfer, recken zusammen mit den bereits Bekehrten ihre Plastikschwerter in die Höhe und stimmen jubelnd in die Schlachtrufe des Predigers ein.

Die Atmosphäre des Pfingsttempels lädt sich nun noch rasanter auf als bisher. Der Saal ist ein einziges Tosen und Schreien. Gläubige geraten in Ekstase. Nicht ihre persönliche Erregung läßt sie kochen, so hören

Prediger einer Pfingstsekte in Brasilien (Sao Paulo) Foto: Wolfgang Behnk

und wissen sie, sondern die Dämonen, die hinterhältigen Heerscharen Satans sind es, die dieser Rekrutenfeier mit Protest begegnen. Für alles Übel dieser Welt tragen einzig und allein sie die Schuld, stecken hinter Armut und Liebeskummer, Familienkrach und Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Sexsucht, Prostitution und Homosexualität, Seelenkummer und Krankheit, vor allem auch hinter Krebs und Aids. Wo Regierung, Kirche und Medizin versagen, erschallt nun das Signal universaler Rettung: "Weichet von mir, ihr Dämonen, hebe dich hinweg, Satan!", dröhnt es über die Verstärker. Die schwersten Fälle werden von Helfern umringt, umzingelt, gepackt und geschüttelt, werden unter Handauflegung gesegnet, bis die bösen Geister oder Luzifer selbst ausfahren, unter Gebrüll und Gekreisch. Manche fallen um, werden aufgefangen, damit sie nicht auf den Boden schlagen. Dem Schluchzen und Wimmern der Befreiten begegnet der immer stärker werdende Jubel der siegreichen Glaubenskämpfer. Ihren finanziellen Tribut für die erfahrene Lebenshilfe liefern sie bereitwillig und großzügig ab, den von Gott gebotenen "Zehnten", als unteres Limit ihres Dankopfers, in geräumigen Papierumschlägen, deren aufgedrucktes Silberschwert deutlich macht, daß es sich um die Auffüllung einer Art Kriegskasse handelt, einer Kasse für den Heiligen Krieg der Universalkirche.

Gründe des Booms

Gegründet wurde die "Igreja Universal do Reino de Deus" 1977 im Hinterzimmer eines Beerdigungsinstituts durch Edir Macedo, einen ehemaligen Angestellten der staatlichen brasilianischen Lotterieverwaltung. "Bispo" (Bischof), nennt sich der heute Sechsundvierzigjährige. Zu den 2.100 Treffpunkten kauft er unermüdlich neue Säle, pleite gegangene Kinos, Lagerhallen und ehemalige Supermärkte auf und funktioniert sie zu "Tempeln" um. Wo sich in der römisch-katholischen Kirche Brasiliens mit ihren 110 Millionen Mitgliedern etwa zwei Drittel der Gesamtbevölkerung 15.000 Gläubige einen Priester teilen müssen, werden Macedos 3 1/2 Millionen Anhänger durch 7.000 "Pastoren" versorgt, jeweils ein "Pastor" für 500 Gläubige. Nicht allein auf Grund dieses hohen seelsorgerlichen Betreuungsfaktors boomt die Universalkirche ähnlich wie viele andere "Neo-Pentecostais"-Gemeinschaften im Land, die jährliche Zuwachsraten bis zu 25 Prozent und mehr als 15 Millionen Anhänger aufweisen. Vor allem der emotionale Zugriff auf die Menschen ist sehr wirksam.

Während die römisch-katholische Kirche ratlos zwischen konservativer oft als kühl und unpersönlich erfahrener - Institutionalität und progressiv-soziologischer Befreiungstheologie eingeklemmt zu sein scheint, gehen die "Pastoren" des "bispo" ohne Berührungsängste auf die Menschen zu, um sie anzuwerben. Nicht eine komplizierte und langatmige Analyse ungerechter Gesellschaftsstrukturen wird ihnen vorgelegt, sondern ein machtvoller "Feldzug gegen die Dämonen" aktuell gestartet. Insbesondere die politisch und ökonomisch Marginalisierten der Gesellschaft, die Armen aller Hautfarben, lassen sich von den Neupfingstlern ansprechen, erwarten eine "persönliche Beziehung" zu Gott, umgehende "Heilung" gerade auch "Wunderheilung" drückender Behinderungen und Krankheiten, kurzfristige Sanierung von Armut und Unglück, klare Direktiven und Hilfen für den Alltag und das kollektive Seelenbad intensiver Gefühle. In der "ordentlichen" Kleidung der Igreja Universal und ihrer religiösen Mitanbieter wird auch den Ärmsten unter den Mitarbeitern das Gefühl von "dignidade" (Würde) vermittelt. Die verheirateten und mit Lebensproblemen vertrauten "Pastoren" werden mit dem für brasilianische Verhältnisse geradezu üppigen Monatssalär von 1.500 Dollar vergütet.

Finanzen

"Bischof" Macedos Devise, daß "Armut vom Teufel, Reichtum aber eine Gabe Gottes" sei so auf einem Gebetblatt zu lesen lockt gerade die einfachen Menschen an. Daß ein Hausmädchen aus einer der Millionenstädte wie Sao Paulo, Rio de Janeiro oder Salvador sonntags bei den Exorzismen und Wunderheilungszeremonien einer Pfingstgemeinde mitjubelt und - weint, ist mittlerweile ein schon fast übliches Phänomen.

Um die Finanzen der Igreja Universal steht es jedenfalls zum besten. Auf 750 Millionen Dollar werden die Jahreseinnahmen der Organisation geschätzt. Einige Dutzend Radio- und Fernsehstationen, eine Zeitung und eine Bank gehören zum Wirtschaftsimperium Edir Macedos, der seine "Kirche" mittlerweile aus Brooklyn, New York, regiert. Dort hatte er genügend Gelegenheit, die fragwürdigen, aber effizienten Marketingmethoden amerikanischer Fernsehprediger wie Jimmy Swaggart zu studieren. Prunkstück des Medienkonzerns Igreja Universal ist der 1989 von Macedo für 45 Millionen Dollar gekaufte Fernsehsender "TV-Record".

Konflikte mit der römisch-katholischen Kirche

Seitdem im Oktober 1995 ein übereifriger Chefprediger Macedos, der aus Österreich abstammende Exfußballstürmer und Heereshauptmann Sergio von Helde, eine Gipsstatue der von Brasiliens Katholiken hochverehrten schwarzen "Nossa Senhora Aparecida (Erschienene Gottesmutter)" vor laufender Fernsehkamera mit Händen und Füßen demolierte und als "häßliche Puppe" und "Fratze" beschimpfte, tobt in Brasilien nicht nur ein Glaubens-, sondern auch ein Medienkrieg. Trotz Entschuldigung Macedos warnen die römisch-katholischen Kardinäle die die Pfingstkirchen bislang mit Schweigen mißachtet hatten seither vor solch "unreifen" (Kardinal Sales) Gruppen, die sich "wahrscheinlich nur taktisch" entschuldigt hätten (Kardinäle Arns und Lorscheider). Der größte brasilianische Fernsehsender "TV-Globo", erkannte den Madonnen-Eklat als Chance, um den Träger seines Konkurrenten "TV-Record", die Igreja Universal, als gefährliche und geldgierige Sekte zu attackieren. Der erwartete Sturm des katholischen Kirchenvolks brach indessen nicht los.

Brillensegen

Tatsache ist, daß Macedo seine Dollarmillionen mit vielfältigen Methoden einnimmt, nicht nur durch seine "Kirchen"und Fernsehspenden, sondern auch durch riesige Massenveranstaltungen. Anfang der 90er Jahre füllte er zum Beispiel einmal das 170.000 Besucher fassende Maracana_[-Stadion in Rio de Janeiro, die größte Sportanlage der Welt. Während Macedo exorzistische Wunderheilungen etwa einen "soeben durch Jesus vom Lungenkrebs geheilten" Mann präsentierte, regnete es nicht nur unter Heulen und Jubeln Brillen und Holzkrücken auf den Fußballrasen, sondern die "obreiros (Arbeiter)" des "bispo" konnten auch reichlich Spendengeld in Dutzenden von Säcken davontragen. Von Journalisten später dabei ertappt, daß er selber eine Brille benutzte, entschuldigte Macedo sich mit der wenig plausiblen Begründung, es handle sich ja bloß um eine Lesebrille.

Lobbyarbeit

Ihren ökonomischen Erfolg sichert die angeblich unpolitische Igreja Universal durch massive Lobbyarbeit und direkt politische Einflußnahme ab. Der Madonnen-Zertrümmerer Sergio von Helde diffamierte beispielsweise bei einem der letzten Präsidentschaftswahlkämpfe den Bewerber der sozialistischen "Arbeiter-Partei" als satanischen "bösen Wolf" und versuchte so, seine Organisation als konservativ und staatserhaltend zu präsentieren. Kampagnen gegen Alkohol, Drogen, Prostitution und Kriminalität sowie die Propagierung von "Ordnungs"Werten wie Sauberkeit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sollen Pfingstkirchen wie die Igreja Universal als gesellschaftliche Integratoren schmackhaft machen. Manche Unternehmer stellen in der Tat bevorzugt Angehörige der Neo-Pentecostais ein.

Brasilianische Pfingstbewegung

Die Geschichte der brasilianischen Pfingstbewegung verlief in mehreren Wellen, wie der in einer Landlosen-Gemeinde in Porto Allegre als lutherischer Pfarrer tätige Pentecostalismus-Forscher Oneide Bobsin in einer Untersuchung analysierte. Von 1910 bis 1930 wurde die frühe Pfingstbewegung in Brasilien stark durch Missionare aus den USA und Europa geprägt. Daran änderte auch die Nationalisierung seit den 30er Jahren nur graduell etwas. Erst die aus dem "Crusada Nacional (Nationalen Kreuzzug)" 1955 hervorgegangene pfingstlerische Gruppe " Brasil para Christo (Brasilien für Christus)" des Manoel de Mello war eine rein brasilianische Bewegung. Auch die spirituellen Akzente verschoben sich. Waren bis 1955 Geisttaufe, Geistgaben, Heiligung, Arbeitsethik und Wiederkunft Christi die entscheidenden Elemente traditioneller Pfingstkirchen, so bilden sich nunmehr zunehmend "autonome" Gruppen später "Neo-Pentecostais" genannt -, die ihre Schwerpunkte im Exorzismus, der "Prosperidade (Wohlstand)" und der Heilung haben und sowohl ökonomische, als auch politische Aktivitäten entfalten.

Die größte Pfingstkirche ist die traditionelle wachsende - "Assembleia de Deus (Gottesversammlung)", mit ca. 8 Millionen Anhängern und 35.000 Tempeln, Im Gegensatz zu früher erreicht sie heute auch Wohlhabende, ist theologisch relativ gemäßigt und weist stärkere Ansätze zur Institutionalisierung auf. Nach der 3 1/2 Millionen zählenden typisch neopentecostalen "Igreja Universal do Reino de Deus" des Edir Macedo folgt an dritter Stelle die "Igreja do Evangelho Quadrangular (Kirche des vierseitigen Evangeliums)" mit 3 Millionen Anhängern; sie ist eine gemäßigte Pfingstkir- che nordamerikanischen Ursprungs ohne Rigorismus. Während die 1955 von Manoel de Mello gegründete Gruppe "Brasil para Christo" heute ebenso wie die stark auf soziale Fragen zielende "Congregacao Christa_[ do Brasil (Christliche Versammlung Brasiliens)" stagniert, ist die 1961 von David Miranda einem Schwager de Mellos ins Leben gerufene neopentecostale Gemeinschaft "Deus e Amor (Gott ist Liebe)" auf Expansionskurs. In Sao Paulo unterhält sie beispielsweise einen 20.000 Besucher fassenden Tempel. Sie war die erste neupfingstlerische Gruppe, die ausgeprägte Unternehmensstrukturen entwickelte.

Boom

Seit 1980 erlebt Brasilien einen regelrechten Boom der Neo-Pentecostais. Oneide Bobsin hat festgestellt, daß allein in der 13 Millionen-Metropole Rio de Janeiro jeden Tag (!) eine neue Pfingstkirche entsteht. Während eines Besuches des lutherischen Pfarrers Walter Rosenbaum von der "Igreja Evangelica de Confissao Luterana no Brasil (IECLB)" (ca. 1 Million Gemeindeglieder in ganz Brasilien; hinzu kommen etwa 100.000 Mitglieder der lutherischen Missouri-Synode) durch deutsche Kollegen ergab ein Rundgang durch die "Favela (Barackenviertel der Armen)" seiner Stadtrandgemeinde in Sao Paulo, daß soeben wieder unbemerkt vom lutherischen Pfarrhaus eine neue Pfingstkirche gegründet worden war in einer Garage. Der Garagenempfang des lutherischen Ortsgeistlichen und seiner deutschen Gäste durch die frischgebackene Gemeindeleiterin, eine resolute Afrobrasilianerin mit einer stattlichen Familie, war ausgesprochen freundlich. Nicht nur die große katholische, sondern auch die lutherische Diaspora-Kirche wird sich auf einige grundlegende Dinge in Sachen Mission, Seelsorge und Lebenshilfe neu besinnen müssen.


Pfr. Wolfgang Behnk, 47,
ist kirchlicher Sektenbeauftragter in Bayern Sein Beitrag entstand auf Grund einer religiösen Erkundungsreise einer Studiengruppe der "Konsultation Landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen (KLB)" vom 28.12.1995 bis 31.01.1996 durch Brasilien.

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