Nee, Muttern wollte nich
Wollte imma anonym. Det war ihr nischt mit die Grabstelle von Vatern. Da is
keener mehr da, sacht se. Sie wollte partout nich." Beginn des
Beerdigungsgesprächs am Telefon. "Urnenbeisetzung" hatte auf der
Anmeldung gestanden. Noch bevor ich einen Termin zu einem persönlichen
Gespräch vereinbaren konnte, mußte es heraus: Es ist ja nur eine
anonyme Beisetzung. Schuldgefühle (?), weil die Grabstätte des
Vaters leer bleibt? Oder vielmehr Angst, die Tote werde nun wortund namenlos
beigesetzt? "Herr Pfarrer, sie sagen aber doch ein paar Worte ...!?" Wenig
später ruft der Bestatter an, um nachzuhaken: die Angehörigen
seien in Sorge, er möchte bekräftigen, es sei eine richtige
Trauerfeier auf dem Friedhof bestellt. Anonyme Beisetzung - was hat es
damit auf sich? Was bedeutet es und was nicht? Was ist davon zu halten und
dazu zu sagen?
Anonyme Beisetzung
Zunächst einmal ist zu sagen: Sie nehmen zu. Bis in die 50er Jahre
waren anonyme Bestattungen nach der Friedhofsordnung noch gar nicht
vorgesehen, heute bestimmen sie mehr und mehr als
"Urnen-Gemeinschaftsgrabstätte" das Bild des Friedhofs und auch den
Alltag der Pfarrer. Anonym hört sich an nach: namenlos, spurlos,
wortlos. Die Person bleibt im Dunkeln. Ja, ob man da überhaupt mitgeht?
Da findet doch "nichts" statt, und vielleicht ist das auch gerade gewollt!?
Anonyme Beisetzungen (als Ausdruck anonymer Verhältnisse und falscher
Bescheidenheit) sind auf dem Vormarsch, und zugleich herrscht große
Unklarheit und Verwirrung: Abbruch aller Form.
Namenlosigkeit
Die simple Behauptung und ungeheure Praxis: Ein namenloses Leben geht ein in
die Namenlosigkeit. "Keine Angehörige", steht auf dem Anmeldezettel, da
kann er doch auch gut ohne Wort und Mensch beigesetzt werden. Warum extra
einen Pfarrer bemühen (fragen die Bestatter und verfahren entsprechend,
die sind ohnehin schwer zu erreichen); warum nach Angehörigen forschen,
fragt sich der Pfarrer, die hätten sich ja zu Lebzeiten zeigen
können. Unheilige Allianz der Unpersönlichkeit, des
Nicht-Ernstnehmens, daß kein Mensch namenlos und menschenlos über
diese Erde geht. Bei Gott nicht. Bei Gott - nein!
Gemeinschaftsgrabstätte
Noch einmal nüchtern: Anonyme Bestattung
heißt nicht mehr und nicht weniger: die persönliche Grabstelle
ist nicht markiert und daher in der Regel nicht auffindbar. Urnen (ganz
selten auch Särge) werden auf einem Rasenfeld dicht an dicht in die
Erde gesetzt. Anschließend deckt die Wiese alle(s) gleich, nur ein
GedenkStein am Rande markiert die "Gemeinschafts-Grabstätte". Anonyme
Beisetzung kann selbstverständlich zusammengehen mit einem
Gottesdienst, Gebet und Segen in der Friedhofskapelle zuvor. Und
natürlich wird auch bei einer anonymen Beisetzung am "offenen Grab" der
Name des Verstorbenen noch einmal genannt, ein Wort von Jesus Christus
gesagt und das Vaterunser miteinander gebetet (wenn es denn noch Menschen
mit Namen und diesen Worten auf den Lippen da gibt). Auch anonyme
Beisetzungen geschehen nicht namen- und menschenlos. Also, warum nicht?
Warum nicht?
Zugegeben, es ist schwer dagegen zu reden. Es paßt nie,
darüber in ein Gespräch zu kommen, und ich weiß wohl,
daß viele diese Bestattungsform für sich ganz bewußt
gewählt und schon festgelegt haben. Und eine jede solche, doch
elementar persönliche Entscheidung ist zu respektieren und zu
erfüllen. Aber Fragen ist doch erlaubt und Nachdenken - so lange wir
uns noch fragen können!
Fragen ist noch erlaubt
Fragen wir also: Steckt nicht hinter dem Wunsch nach unauffindbarer
Grabstelle das Motto: "Nur keine Umstände??" Und, wo kämen wir da
hin - (Wo kommen wir hin? - sind längst da!) wenn wir das gegenseitig
wahr machen: einander keine Umstände machen, sich nicht zur Last
fallen, sich nicht nötig haben, nichts voneinander brauchen, sich
nichts zumuten, nichts erwarten? Wo kommen wir da hin? Wir wissen es und
sehen es. "Nur keine Umstände." "Ist nicht nötig." "Sie hat
für sich selber nichts gebraucht." Schade. "Einer trage des anderen
Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen", setzt der Apostel
dagegen (Gal. 6, 2) - und es gibt noch Brautpaare, die sich das zumuten und
zutrauen; auch noch Eltern, die das für ihre Gräber von den Kinder
erwarten?
Lebenszeichen
Noch eine Frage: Stellen Sie sich vor, unsere
Stadtlandschaften wären von Friedhöfen geprägt, die
überwiegend aus großen Rasenflächen bestünden. Ab und
zu ein kollektiver Grabstein, kleine Autos fahren geräuschlos kreuz und
quer über die Flächen und entfalten ihr Leben. Schließlich
muß gemäht werden. Können Sie sich vorstellen, einen solchen
Friedhof zu besuchen, zum Erinnern, zum Trauern, zum Atemholen? Könnten
Sie sich vorstellen, dort jemanden zu treffen, mit ihm oder ihr Platz zu
nehmen, über das Leben zu plaudern und das Licht der Vorangegangenen
leuchten zu lassen? Welche Denk-Male und LebensZeichen wären
abzuwandern und würden zu uns sprechen? Welche Stadt- und
Kulturgeschichte wäre nie geschrieben! Welche verwilderten Hecken und
verwunschenen Plätze hätten nie sein dürfen ... Es sei doch
alles nur auf Zeit und nicht ewig, selbst des großen Volkspredigers
Schleiermachers Stein und Bildnis werde einmal fallen und eingeebnet - wohl
wahr. Wir sollten's wissen und uns nicht vermessen und die Grabsteine nicht
mit dem Buch des Lebens verwechseln, in das alle unsere Namen
unauslöschbar eingeschrieben sind. Aber für die vorläufige
Zeit und untereinander sollten wir uns soviel Ehre antun wie möglich
und soviel Lebenszeichen setzen, wie wir nur können. Wer weiß,
wer sie wahrnimmt und pflegt. Wenn sie nur da sind, anders können sie
nicht gefunden werden.
Pfr. Wolfgang
Barthen,
52, ist Pfarrer an der Auen-Kirche in Berlin-Wilmersdorf