Auszüge aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. März 1995 Aktenzeichen: 5 AZB 21/94

Bundesarbeitsgericht, 5. Senat

Beschluß vom 22. März 1995

- 5 AZB 21/94 -

"Leitsätze (nichtamtlich):

1. "Scientology Kirche Hamburg e.V." ist keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne der Art. 4, § 140 GG, Art. 137 WRV.

2. Hauptamtliche (aktiv tätige) außerordentliche Mitglieder von Scientology sind Arbeitnehmer im Sinne von Paragraph 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.

Aus der Begründung des Urteils:

"(S. 22) In dem streitbefangenen Zeitraum beruhte die Mitarbeit des Klägers nicht auf vereinsrechtlicher, sondern auf arbeitsrechtlicher Grundlage. Die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung von Mitarbeit auf vereinsrechtlicher und Mitarbeit auf arbeitsrechtlicher Grundlage sind auch hier anzuwenden. Sie erfahren im Streitfall keine Änderung dadurch, daß sich der Beklagte als Religionsgemeinschaft bezeichnet.

(S. 23) I. Der Beklagte ist keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft i.S. der Art. 4, §140 GG, Art. 137 WRV.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können allein die Behauptung und das Selbstverständnis, eine Gemeinschaft bekenne sich zu einer Religion und sei eine Religionsgemeinschaft, für diese und ihre Mitglieder die Berufung auf die Freiheitsgewährleistung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht rechtfertigen. Vielmehr muß es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln (BVerfG Beschluß vom 5. Februar 1991 - 2 BvR 263/86 - BVerfGE §83, 341). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Grundsätze in seinem den im vorliegenden Rechtsstreit Beklagten betreffenden Beschluß vom 28. August 1992 (- 1 BvR 632/92 - NVwZ 1993, 357) noch einmal bekräftigt.

Ob es sich um eine Religion und eine Religionsgemeinschaft handelt, haben die Gerichte zu entscheiden. Sie üben dabei allerdings keine freie Bestimmungsmacht aus, sondern haben den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrunde zu legen. Maßgebend dafür können sein die aktuelle Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und allgemeines wie auch religionswissenschaftliches Verständnis (BVerfGE §83, 341, 353).

Unter Religion oder Weltanschauung versteht die Rechtsprechung eine mit der Person des Menschen verbundene Gewißheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zu Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens.

Die Religion legt eine den Menschen überschreitende und umgreifende (,transzendente-) Wirklichkeit zugrunde, während sich die Weltanschauung auf innerweltliche (,immanente-) Bezüge beschränkt (BVerfGE §32, 98, 107; BVerwGE §37, 344, 363; 61, 152, 156; 90, 112, 115). Eine Vereinigung ist dann als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft i.S. des Grundgesetzes anzusehen, wenn ihre Mitglieder oder Anhänger auf der Grundlage gemeinsamer religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen eine unter ihnen bestehende Übereinstimmung über Sinn und Bewältigung des menschlichen Lebens bezeugen (Rainer Scholz, NVwZ 1992, 1152).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verliert eine Vereinigung ihre Eigenschaft als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft i.S. der Art. 4, §140 GG, 137 WRV nicht allein dadurch, daß sie überwiegend politisch oder erwerbswirtschaftlich tätig ist (BVerwGE §37, 345; 90, 112, 116). In welcher Weise eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ihre Finanzverhältnisse gestaltet, hat sie kraft ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Autonomie (Art. 140 GG, 137 WRV) grundsätzlich selbst zu entscheiden. Sie kann - je nach Rechtsform - Steuern oder Mitgliedsbeiträge erheben. Sie hat auch das Recht, für Güter oder Dienstleistungen mit einem unmittelbar religiösen oder weltanschaulichen Bezug, wie z.B. für die Unterrichtung in den Lehren der Gemeinschaft, Entgelte zu verlangen. Dienen aber die religiösen oder weltanschaulichen Lehren nur als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele, kann von einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft i.S. der Art. 4, §140 GG, 137 WRV nicht mehr gesprochen werden (BVerwGE §§90, 112, 116).

2. Um einen solchen Fall handelt es sich hier.

(S. 26) Der Beklagte ist keine Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne der Art. 4, §140 GG, 137 WRV.

Die geschäftlichen Aktivitäten machen nicht nur einen erheblichen Anteil an den gesamten Aktivitäten des Beklagten aus. Geschäftliche und andere Aktivitäten des Beklagten sind vielmehr untrennbar miteinander verknüpft. Der Beklagte ist eine Institution zur Vermarktung bestimmter Erzeugnisse. Die religiösen oder weltanschaulichen Lehren dienen als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele.

Der Beklagte und andere ScientologyOrganisationen bezeichnen sich zwar nunmehr durchgängig als Kirchen, nachdem der Beklagte sich ursprünglich den Namen ,College für Angewandte Philosophie, Hamburg e.V.- gegeben hatte. Die Paragraphen 2 bis 5 seiner Satzung vom 22. Dezember 1985 lassen den Beklagten zwar als Religionsgemeinschaft erscheinen. Dies reicht aber auch unter Berücksichtigung einer entsprechenden Überzeugung der Mitglieder des Beklagten - nicht aus. Es muß sich auch tatsächlich um eine Religion oder Religionsgemeinschaft handeln (BVerfGE §§83, 341). Das ist beim Beklagten nicht der Fall.

(S. 29) Der Beklagte betreibt ein Gewerbe im Sinne von Paragraph 14 GewO.

(S. 31) Die Mitgliedschaft und die ,religiösen- Dienste sind kommerzialisiert.

(S. 35) Scientology betreibt eine intensive geschäftliche Werbung.

(S. 37) Eine Werbung für eine Religionsgemeinschaft ohne Hinweis darauf, daß es sich um eine Religionsgemeinschaft handelt, ist ungewöhnlich. Man kann sie in Anlehnung an eine Gesetzesbezeichnung (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) als unlauter bezeichnen.

(S. 39) Eine Institution, die - wie Scientology - für die Mitgliederwerbung und für die Werbung zur Teilnahme an bestimmten entgeltpflichtigen Kursen Provisionen zahlt, kann keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne der Art. 4, §140 GG., Art. 137 WRV sein.

(S. 40) 3. In engem Zusammenhang mit dem kommerziellen Charakter des Beklagten stehen menschenverachtende Anschauungen von Scientology-Organisationen.

So heißt es in der ,FLAG-Abteilungsdirektive- vom 13. März 1991 bei der Beschreibung der ,Unterabteilung 1 - Abteilung für Weiterleitung und Personal-:

,Es wurde eine Org gefunden, die eine große Anzahl an Mitarbeitern hatte, aber zur selben Zeit ständig unterhalb des alles entscheidenden Punktes kämpfte. ... Die Org hat nicht Leute von den richtliniengemäßen Fundgruben eingestellt. Als ein Ergebnis davon war die Org mit Jugendlichen, die die Schule schwänzten, Kunden der nächstgelegenen Armenküchen, Landstreichern und anderen widerwärtigen Burschen bemannt. ... Eine derart abwertende ,offizielle- Stellungnahme einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft über sozial Schwache, die noch dazu ihre Mitglieder sind, ist dem Senat bislang nicht bekannt geworden. Das bedeutet, daß sich Scientology zu seinem etwa in Paragraph 4 der Satzung des Beklagten enthaltenen ,Glaubensbekenntnis- und den ,Kernaussagenin nachhaltigen Widerspruch begibt.

(S. 41) Schließlich ist auf totalitäre Tendenzen hinzuweisen, die sich in wichtigen Schriftstücken und Praktiken von Scientology zeigen.

(S. 46) Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigten, daß der Beklagte von seinen Mitarbeitern fordert, vor jeder Reise einen ,Security Checkdurchzuführen und eine Abwesenheitsgenehmigung (,leave of absent- einzuholen.

(S. 48) Mit dem Erfordernis der Abwesenheitsgenehmigung will der Beklagte verhindern, daß ihm ,hauptamtlich aktiv tätige- Mitglieder, die er nur in ganz geringem Umfang finanziell unterstützt, verloren gehen. Er versucht dies mit Methoden, die mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht vereinbar sind. Der Umstand, daß sich die Mitglieder dieser Befragung meist ,freiwillig- unterziehen, ändert daran nichts.

4. Aus alledem ergibt sich, daß der Beklagte keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne der Art. 4, §140 GG, Art. 137 WRV ist.

II (S. 51) 3. Das Rechtsverhältnis der Parteien, aufgrund dessen der Kläger zur Leistung von Arbeit verpflichtet war, ist auch nicht als vereinsrechtlich zu qualifizieren. Vielmehr handelte es sich um ein Arbeitsverhältnis.

Es ist allerdings anerkannt, daß als Rechtsgrundlage für die Leistung von Diensten auch die Mitgliedschaft in einem Verein in Betracht kommt. Der Mitgliedsbeitrag (§58 Nr 2 BGB) kann auch in der Leistung von Diensten bestehen (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., § 20 II 1 b, bb; RGRK-Steffen, BGB, 12. Aufl., § 58 Rz 2). Dabei kann es sich auch um die Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit handeln (BAGE 2, 289 = AP Nr. 1 zu § 5 ArbGG 1953; BAGE 27, 163 = AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972 Rotes Kreuz; Urteil vom 10. Mai 1990 - 2 AZR 607/89 - AP Nr. 51 zu § 611 BGB Abhängigkeit).

Körperschaftliche und arbeitsrechtliche Pflichten können nebeneinander bestehen.

Feste Grundsätze zur Abgrenzung haben sich bislang nicht herausgebildet. In seinen beiden Entscheidungen, in denen das Bundesarbeitsgericht die Arbeitnehmereigenschaft von RoteKreuz-Schwestern verneint hat, hat es auch darauf abgestellt, daß arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen nicht umgangen werden und die Schwestern als Vereinsmitglieder satzungsgemäß Einfluß auf die Arbeitsorganisation nehmen können. Weiter hat es ausgeführt, daß der Anspruch der Schwestern auf Zahlung einer monatlichen Barvergütung nicht gegen die Annahmen einer Mitarbeit auf vereinsrechtlicher Grundlage spricht. (BAGE 2, §§289; 27, 163 = AP, aaO). Dem ist zu folgen.

Auch die Begründung vereinsrechtlicher Arbeitspflichten darf nicht zur Umgehung zwingender arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen führen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend: BAGA (GS) 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; ferner BAGE 50, 292 = AP Nr. 65 zu § 1 LohnFG; Urteil vom 28. April 1987 - 3 AZR 75/86 - AP Nr. 5 zu §1 BetrAVG Betriebsveräußerung; Urteil vom 7. Mai 1987 - 2 AZR 271/86 - AP Nr. 19 zu § 9 KSchG 1969; BAGE 57, 1 = AP Nr. 2 zu § 53 BAT) kann ein Rechtsgeschäft die mit ihm beabsichtigte Wirkung nicht entfalten, wenn es sich als objektive Umgehung zwingender Rechtsnormen darstellt. Das ist der Fall, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, daß andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mißbräuchlich, d.h. ohne einem im Gefüge der einschlägigen Rechtsnorm sachlich gerechtfertigten Grund, verwendet werden. Dabei kommt es nicht auf eine Umgehungsabsicht oder eine bewußte Mißachtung der zwingenden Rechtsnormen an; entscheidend ist die objektive Funktionswidrigkeit des Rechtsgeschäfts (BAGE (GS) 10, 65, 70 ff. = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAGE 57, 1 = AP Nr. 2 zu § 53 BAT, zu III 2 a der Gründe).

Eine solche Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen liegt vor, wenn dem zur Leistung abhängiger Arbeit verpflichteten Vereinsmitglied keine Mitgliedschaftsrechte zustehen, die ihm eine Einflußnahme ermöglichen. Eine solche Umgehung kann ferner vorliegen, wenn der Verein seinen in erheblichem Umfang zur Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichteten Mitgliedern weder einen Anspruch auf angemessene Vergütung, noch einen Anspruch auf Versorgung einräumt. Weiter kann hier der Vereinszweck eine Rolle spielen. Bei Vereinen mit wirtschaftlicher Zwecksetzung kommt die Begründung einer vereinsrechtlichen Verpflichtung zur Leistung von Arbeit in persönlicher Abhängigkeit in aller Regel nicht in Betracht.

Werden arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen objektiv umgangen, so ist das Rechtsverhältnis, aufgrund dessen die Verpflichtung besteht, als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren.

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich der Kläger als Arbeitnehmer. denn zum einen ist der Beklagte ein wirtschaftlicher Verein. zum anderen war der Kläger als Vereinsmitglied praktisch rechtlos.

Wie ausgeführt, betreibt der Beklagte ein Gewerbe. Die religiösen und weltanschaulichen Lehren dienen nur als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke. Daraus ergibt sich zugleich, daß der Beklagte ein Verein mit wirtschaftlicher Zwecksetzung ist.

(S. 55) Die Satzung des Beklagten gewährt den außerordentlichen Mitgliedern nicht einmal die Mindestrechte, die allen Mitgliedern, auch den außerordentlichen, unentziehbar zustehen. Nach § 37 BGB ist 'die Mitgliederversammlung ... zu berufen, wenn der durch die Satzung bestimmte Teil oder in Ermangelung einer Bestimmung der zehnte Teil der Mitglieder die Berufung schriftlich unter Angabe des Zweckes und der Gründe verlangt". Diese Rechte können auch außerordentlichen Mitgliedern nicht entzogen werden (Reichert/Dannecker, aaO, Rz 499, 531; Sauter/Schweyer, aaO, Rz 196; LG Bremen, RPfleger 1990, 262).

Nach § 15 Nr.4., 7 der Satzung steht aber den außerordentlichen Mitgliedern überhaupt kein Recht zu , eine Mitgliederversammlung einzuberufen. Es ist nach alledem sogar fraglich, ob der Kläger überhaupt Vereinsmitglied im vereinsrechtlichen Sinne war.

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