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AUS DER HEIMAT

BERLINER DIALOG 16, 1-1999 - Ostern

Über den Krieg in Jugoslawien wird viel geschrieben. Warum müssen wir nun auch noch im BERLINER DIALOG darüber schreiben? Lassen wir hier einmal Politisches beiseite über das es auch schon genug verschiedene Meinungen gibt.
- Besonders ärgerlich ist es, daß der Krieg der NATO-Staaten gegen Jugoslawien als "Krieg der Kulturen" gedeutet wird und folgerichtig auch in deutschen Medien das Feindbild Serbisch-Orthodoxe Kirche aufgebaut wird. Die Position des Patriarchen der Serbisch-Orthodoxen Kirche ebenso wie die des Kosovo-Bischofs Artemij ist klar und eindeutig: Die berufenen Sprecher der Serbischen Kirche haben weder Segen noch Zustimmung zu Vertreibung oder Krieg gegeben, haben ihre Obrigkeit zum Frieden gemahnt (vgl. S. 27) und die Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen ebenso wie das Ende der NATO-Bombardements gefordert. Man hat in Rambouillet nicht auf Bischof Artemij hören wollen, ihn als Vertreter der Serbisch-Orthodoxen Kirche auch von Seiten der NATO diplomatisch brüskiert und vor der Tür stehen lassen.
- In der hochideologisierten Auseinandersetzung versuchen auch verschiedene Kulte, Gurubewegungen und Sekten,am Krieg zu gewinnen. Für die ScientologyOrganisation war das ganze Gebiet schon immer als "Bulgravia" interessant, die Mun-Bewegung behauptet, den Staatspräsidenten von Albanien "geblesst" zu haben, die TM-Bewegung hat einen "ayurvedischen" Friedensplan.
- Wir sind auch dadurch betroffen, daß unsere besonderen Partner im gemeinsamen Dienst, Abt Porphyrius vom Kloster Kovilij und seine Jugendarbeit, Alexander Senic und Dr. Cvetanovic vom BELGRADER DIALOG und Priestermönch Andreas Cildercic von Bomben bedroht sind.

Nicht aus unserer Heimat:

Lieber Bruder Gandow!
Ich erhalte aus ökumenischen Kreisen täglich Nachrichten. Besonders über die Möglichkeiten, bei der schweren Krise in unserem Land mehr und mehr differenzieren zu wollen!
Die letzten Tage waren sehr dramatisch, obwohl ich vorher so naiv war zu meinen, irgendwie in Frieden Ostern, das Auferstehungsfest, feiern zu können.
Am Karfreitag mußte ich noch im Büro bleiben, um verschiedenen Gästen unserer Kirche, die an der ungarisch-jugoslawischen Grenze festgehalten wurden, bei Einreise-schwierigkeiten zu helfen.

Abt Porphyrius

Abt Porphyrius
beim Osteuropa-Seminar 1996 in Berlin.
Foto: Ute Gandow

Am Abend wurde ich dann vom Abt unseres Kloster abgeholt, denn ich hatte keinen Tropfen Benzin mehr für mein Auto. Über Umwege kamen wir endlich an die Donaubrücke bei Beska, die seit Beginn der NATO Angriffe heftig bombardiert wird.
Zwei Kilometer hinter der Brücke liegt unser Kloster Kovilij, eine klösterliche Oase. 20 Mönche leben mittlerweile dort. In der Nacht hielten wir das Totenamt ab, während man draußen ständig Detonationen hörte. Über die ganzen Feiertage hörten wir Flugzeuge, Raketen und Aufschläge der Bomben, die teilweise fünf Meter tiefe Krater reißen. Die Sirenen bemerke ich schon fast gar nicht mehr. Daran habe ich mich gewöhnt.
Am Auferstehungstag fuhren wir aus dem Kloster komplett zum Bischof, um die Agape-Vesper mit ihm zu feiern. Bevor wir in seine Residenz gingen, machten wir noch einen Abstecher zu der einzigen Brücke, die noch, wenigstens einspurig, befahrbar ist. Es handelt sich um die Transitbrücke über die Donau nach Sremski Karlovci. Der Bischof wollte sich auf dem zweiten Teil der Brücke die Löcher ansehen. Außer uns Mönchen waren noch viele Leute auf der Brücke, die schon tagelang als Menschenkette versuchen, sie mit ihrem Leben zu beschützen. Als wir gerade mitten auf der Brücke waren, es war kurz vor 20 Uhr, da schlugen im Zentrum von Novi Sad die Bomben ein. Ein Polizist gab das Zeichen und wir verließen im Lauftempo die Brücke. Das war ein trauriger Anblick.
Fünf Minuten von der Brücke entfernt liegt die Residenz von Bischof Irinej. Wir saßen mit dem Bischof in den großen Räumen seiner Residenz, während in der Nähe wieder die Bomben aufschlugen. Wir sangen Osterlieder und dann, durch das Dunkel der Nacht, fuhren wir zurück in das 20 Minuten entfernte Kloster. Als wir in den Betten lagen, knallte es am Himmel. Vom Fenster aus sahen wir ein Inferno: zahlreiche Raketen gelber Farbe flogen minutenlang am Himmel vor dem Kloster in Richtung Belgrad (von Ungarn kommend), während rote Raketen von der Luftabwehr die Raketen zerstörten. Der ganze Himmel war orange. Es war unruhig im Kloster, denn es war nicht auszuschließen, daß eine Rakete vom Kurs abkommt und das Kloster in Brand steckt. (Soetwas bedauert dann die NATO hinterher.)
Am nächsten Morgen erfuhren wir, daß Ziele bei Belgrad getroffen wurden. Und auch, daß wieder heftig um die Donaubrücke bei Beska gekämpft wurde.
Erst jetzt wurde mir klar, wieviel Projektile da täglich abgeschossen werden und daß diejenigen, die von der Luftabwehr nicht getroffen werden, da einschlagen, wohin sie beordert wurden. Die Bombeneinschläge verursachen metertiefe Krater. Es sind modernste Bomben, die computergesteuert, per Mausklick, auf unsere Erde abgeschossen werden.
Der nächste Morgen brachte Nachrichten, daß auch wieder viele Ziele in und um Novi Sad an der Reihe waren.
Der Bischof gab mir den Segen, wieder ins Patriarchat zu fahren, um die Arbeit hier aufzunehmen. Verschiedene Delegationen haben sich angesagt. Viele Schreiben von orthodoxen Schwesterkirchen sind eingetroffen, die übersetzt werden müssen.
Am Dienstag noch war ich in Belgrad, bei der Pension "Galeb", nahe der GazellaBrücke, wo Flüchtlinge aus Sarajewo einquartiert sind. Ein paar Häuser weiter liegen die beiden Ministerien, die vor einigen Nächten gegen 1.00 Uhr zerbombt wurden. Ich wollte von den Menschen wissen, wie sich das abgespielt hat. Fast keiner brachte ein Wort raus.
Der Druck der Bombenschläge hat viel Schaden in der Umgebung angerichtet. In der Nähe liegt auch ein Krankenhauskomplex. Wenn in den nächsten Tagen eine Delegation aus Genf kommt, weiß ich wenigstens, wo ich sie überall hinführen kann.
Ich habe große Sehnsucht, nach Kosovo zu fahren und Bischof Artemij und die Menschen dort zu besuchen. Ich hoffe, bei der ersten Delegation dabei zu sein. Ich habe dort, in Kosovo, vier Jahre gelebt und es war eine unbeschreibliche Zeit. Ich hatte viele albanische Bekannte, die ich sehr geschätzt habe. (Ich habe aber auch Prügel bekommen von albanischen Extremisten).
Daß in den ganzen Konflikt jetzt auch der gesamte serbische Raum einbezogen ist und Städte wie Novi Sad, Belgrad, Cacak, Kraljevo und Kragujevac angegriffen werden, ist kaum zu glauben. Man darf gar nicht an einen Flächenbrand denken!
Was für anti-westliche Stimmung wird da erzeugt, wo doch jeder Serbe Lust hat, die Kultur des Abendlandes besser kennenzulernen!
Lieber Bruder, ich hoffe bald Sie wiederzusehen. Grüßen Sie alle unsere gemeinsamen Bekannten.
Hristos vaskrse! Christus ist auferstanden!
Ihr Bruder in Christo, Andrej Cildercic, Priestermönch
Belgrad, 15. April 1999

Wir sind im Krieg. Unser Gebet bringt uns zusammen, hier und in der Ferne:
"Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten.
Es ist ja doch kein anderer, der für uns könnte streiten,
als Du, unser Gott, alleine."

Lassen Sie uns zusammenbleiben.
Herzlich Ihr Pfr. Thomas Gandow


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