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KORRESPONDENTENBERICHT

BERLINER DIALOG 16, 1-1999 - Ostern

Brief aus London
von Ursula MacKenzie

Im letzten Halbjahr wurde ich zweimal stark an meine Anfangsjahre in der Sektenarbeit erinnert.
Bei der Jahresversammlung von FAIR am 24. Oktober 1998 wurde ein Video der AFF (American Family Foundation) gezeigt, in dem Donna Collins, geb. Orme, über ihr Leben als erstes "blessed child" in Großbritannien berichtete. (Dennis Orme und seine Frau gehörten zu den ersten Ehepaaren, deren Kinder als sündlos angesehen wurden.) Donna erzählte, daß sie sehr wenig von ihren Eltern sah, daß sie von klein auf streng nach Mun-Prinzipien erzogen wurde und daß sie eine freudlose Kindheit hatte. Vor Mun fürchtete sie sich. Es war Pflicht, seinen schier endlosen Reden zuzuhören. Manchmal dauerten sie 7 bis 8 Stunden, und niemand durfte sich rühren, geschweige denn austreten gehen, nicht einmal die Kinder. Mun konnte sehr ausfallend und wütend werden. Donna war einmal dabei, als er ihre Mutter ins Gesicht schlug. Die jungen Muns waren auch sehr aggressiv. Anscheinend wurde ihnen nie etwas verboten und sie konnten sich benehmen, wie sie wollten. Sie mißhandelten schwächere Kinder, und als sie älter wurden, fingen einige an zu rauchen, zu trinken und Drogen zu nehmen. Wie kommen die Anhänger Muns mit diesen Tatsachen zurecht? Sie müßten doch merken, daß etwas völlig schiefgegangen ist, wenn die "sündlosen" Kinder der "Wahren Eltern" so einen schlechten Ruf haben. Donna bekam Gelegenheit, in einem College der "Außenwelt" zu studieren. Damit änderte sich ihr Leben. Sie gewann Freunde, die mit der Mun-Bewegung nichts zu tun hatten, und im Alter von 25 Jahren gelang ihr der Absprung. Jetzt ist sie verheiratet und hat eine kleine Tochter. Sie brachte es sogar fertig, ihre Eltern loszueisen. Mr. und Mrs. Orme verließen die Vereinigungskirche tief enttäuscht und arm wie die sprichwörtlichen Kirchenmäuse, nachdem sie Mun den größten Teil ihres Lebens und all ihre Einsatzkraft geopfert hatten.

Als ich anfing, die Mun-Bewegung zu studieren, war Dennis Orme der britische Direktor der munschen Unification Church ("Vereinigungskirche"). Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt, habe ihn aber öfters von weitem gesehen, wenn ich Gerichtsverhandlungen zuhörte im Zusammenhang mit Ormes damaliger Verleumdungsklage gegen die Daily Mail. Damals wurde ein Dokumentarbericht über die Unification Church fürs Fernsehen zusammengestellt. Als vor dem Mun-Hauptquartier in Lancaster Gate gefilmt wurde, kam Orme heraus, um weitere Aufnahmen zu verbieten. Als niemand Notiz von ihm nahm, wurde er wütend und lieferte damit den sensationellsten Streifen des ganzen Films: Er kam angerannt wie ein gereizter Stier, das Bild wackelte bedrohlich und verschwand ganz. Als Nächstes sah man, wie sich der Kameramann mit blutender Stirn vom Boden aufrappelte, während Orme davonstürmte. Offensichtlich hatte er ihm die Kamera ins Gesicht gestoßen. Die Szene trug dazu bei, die angebliche "Heiligkeit" der Mun-Oberschicht in Zweifel zu ziehen. Orme verlor seinen Posten, da er praktisch zwei Eigentore geschossen hatte, sein Benehmen in dem Film und die nach sechs Monaten mit hohen Kosten verlorene Verleumdungsklage. Die Mun-Bewegung hatte viel Gesicht verloren, und "One World Crusade" verließ Britannien.

Die zweite Erinnerung kam beim Lesen des BERLINER DIALOG 1-98,
genauer gesagt beim Studieren der Liste auf S. 26 mit den Namen von Mun-Funktionären, die irgendwo in der Welt "Nationalmessias" geworden sind. Ich suchte sofort nach Bekannten und fand vier, darunter Norbert Busch und Werner Elias. Mit diesen damals noch recht jungen Männern war ich 1979 auf einem Wochenend-Workshop. Norbert fungierte als mein "Leibwächter". Ich hatte ihn mir selbst ausgesucht, was bestimmt nicht den Regeln entsprach. Der Gruppenleiter der Wanstead-Abteilung (ganz in der Nähe meiner Wohnung) wollte mir eigentlich ein etwas zudringliches Mädchen aufhalsen. Ich weigerte mich und sagte, dann würde ich eben nicht mitmachen. Als dann gerade Norbert ins Zimmer trat, schlug ich vor, daß er mich "begleiten" sollte. Es war eine gut getroffene Wahl; denn Norbert nahm seine Leibwache nicht zu ernst. Er traf Freunde und genoß die Gelegenheit zum Sattessen. Selten habe ich jemanden gesehen, der so futtern konnte. Jetzt ist er Nationalmessias bei den Kirgisen.
Werner Elias war mir sympathisch. Ruhig, nachdenklich, oft still für sich Mundharmonika spielend, schien er bei den Munies fehl am Platze. Ein paar Monate später traf ich ihn wieder, als ich einen Besuch im Hauptquartier, Lancaster Gate, machte. Er begrüßte mich strahlend, als wären wir alte Freunde. Wir setzten uns eine Weile zusammen und Werner erzählte mir, daß er schwer gearbeitet und gespart habe für einen billigen Flug nach Amerika. Er sollte nämlich dort am 120-Tage-Workshop teilnehmen. Ich war entsetzt, denn ich hatte schon von diesem berüchtigten Seminar gehört. Noch schien Werner natürlich und unverdorben. Was würde in drei Monaten intensiver Indoktrination mit ihm geschehen? Plötzlich warf ich alle Vorsicht in den Wind und beschwor Werner, nicht nach Amerika zu fliegen. Ich fühlte mich irgendwie verantwortlich für ihn und fürchtete, daß er Schaden leiden würde. Er guckte überrascht und vielleicht auch ein bißchen gerührt: "Haben Sie keine Sorge. Mir wird nichts passieren!" Trotzdem sagte ich, der Kurs wäre schrecklich. Er sollte lieber ganz aussteigen, als daran teilnehmen. Ich würde ihn zu gern freimachen und loslösen. Nun sah er mich völlig verständnislos an. "Sie mich befreien? Aber wir sind doch die Befreier und Erlöser!" Ich gab auf.
Werner begleitete mich zur Bahn, weiterhin sehr freundlich. Ich muß gestehen, daß ich im Zug heulte. Würde dieser nette junge Mann irgendwann aussteigen? Er hat es nicht geschafft. 20 Jahre später ist er Nationalmessias in Mozambique.
Diese beiden Fälle sprechen einmal wieder ganz gegen Dr. Eileen Barkers Theorie, daß Cult-Mitglieder nicht länger als zwei Jahre dabeibleiben. Trotz immer neuer Gegenbeweise: wie ist es nur möglich, daß sich diese Theorie immer noch verkauft!?


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