Einleitung
Vom 9.- 12.11.1995 fand der sogenannte "Gemeindekongreß Gemeinde der
Zukunft/Zukunft der Gemeinde" in Nürnberg und vom 29.11.- 1.12.1995 das "2.
Ökumenische Gesprächsforum Kirche und charismatische Bewegungen" in Hamburg
statt. Friedrich von Kymmel hat an beiden Konferenzen teilgenommen und
fordert von den Bischöfen geistliche Leiterschaft, von den "geistlichen
Leitern" der charismatischen Bewegung aber die Unterordnung unter das
Bischofsamt. -Red.
Beide Tagungen gingen von dem Gedanken aus, daß aus der charismatischen
Bewegung wichtige Impulse für die missionarische Verkündigung der Kirchen
und das geistliche Leben in den Gemeinden ausgehen könnten. Die Suche nach
Veränderungen sei in den Kirchen in den vergangenen Jahren immer stärker
geworden. Gemeindeglieder empfänden geistliche Defizite in unseren Kirchen
und suchten nach mehr Spiritualität und tieferer geistlicher Gemeinschaft
und fänden diese in unseren Kirchen oft nicht.
Neue Schläuche?
Zu Beginn der achtziger Jahre wurde in amerikanischen Pfingstgemeinden eine
Missionsstrategie entwickelt, die in den Folgejahren weltweit zu
"Gemeindeneugründungen" geführt hat. Auch in der Bundesrepublik
Deutschland wurden Kirchen und Freikirchen für geistlich tot erklärt und
besonders die geistlich tragenden Gemeindeglieder, die die
Frömmigkeitsdefizite in unseren Kirchen am stärksten empfanden, unter dem
Leitmotiv "neuer Wein in neue Schläuche" zum Verlassen ihrer Kirchen und zu
Gemeinde-neugründungen aufgefordert.
Viele sind diesem Ruf aus der Kirche hinaus gefolgt, obwohl charismatische Frömmigkeit auch in unseren Kirchen - katholisch wie evangelisch - ihren Platz hat. Die Gründe hierfür sind oft besondere Erfahrungen in pfingstlerischen und charismatischen Gemeinden, die in der Heimatgemeinde auf Ablehnung stießen. Diese Frustration führte bei manchen zu einer stärkeren inneren Anbindung an die charismatische Gruppe, verbunden mit dem Gefühl zunehmender Fremdheit in der Heimatgemeinde.
Die GGE (Geistliche Gemeindeerneuerung) als charismatische Plattform innerhalb der Ev. Landeskirchen hat versucht, erneuernd und verändernd in unsere Kirchen hineinzuwirken. Gleichzeitig hatte sie in verschiedenen Publikationen aber auch Gemeindeneugründungen außerhalb und neben der Kirche als zeitgemäß und völlig normal bezeichnet und versäumt, sich klar von ihnen abzugrenzen und auf die Möglichkeiten geistlichen Lebens innerhalb unserer Kirchen hinzuweisen.
Daß nun in Nürnberg doch eine lutherische Gemeinde als Beispiel für Erneuerungsmöglichkeiten innerhalb der Kirche (Phoenix, Arizona) eine zentrale Rolle spielte (und nicht Willow-Creek !) deutet auf einen beginnenden Klärungsprozeß innerhalb der GGE hin. Anscheinend werden endlich auch die kirchenzerstörenden Wirkungen von Gemeindeneugründungen außerhalb der Kirche wahrgenommen. In Hamburg stand neben der Präsentation verschiedener neu gegründeter charismatischer Gemeinden neben und außerhalb der Kirche das Gespräch über
Es wurde deutlich, daß besonders in den neuen Bundesländern Deutschlands die charismatisch geprägten Gemeinden und Veranstaltungen innerhalb der Kirchen und Freikirchen (z.B. die sog. "Kirchenwochen") die Verkündigungsplattform und das Einfallstor für westliche "Gemeindeneugründer" und in Folge für deren örtliche Multiplikatoren waren (z.B. Kirchengemeinde Deetz/Götz, Ev. Rüstzeitheim Dahme, Kirchengemeinde Radis).
Noch vor dem Herbst 1989 wurden von ihnen Hauskreise durch Kirchenaustritt
zu Hausgemeinden mit einer festen Leitungsstruktur "gemacht", die sich
teilweise bereits damals um eine staatliche Anerkennung als
Religionsgemeinschaft bemühten. Dies war dann aber erst nach 1989 in Form
der Registrierung als e.V. möglich.
Doch hinein in alte Schläuche?
Diese Gemeinden und die ihnen zugeordneten und vorarbeitenden sogenannten
Missionswerke (früher "Jüngerschaftsschulen"), in denen u.a. "geistliche
Leiter" charakterlich geschult und zu Gemeindeneugründern ausgebildet
werden. bemühen sich nun wiederum um eine Anerkennung durch die "regulären"
Kirchen und wollen, daß man dabei am liebsten gar nicht redet über ihre
gemeindespalterische Entstehungsgeschichte, ihre spezifische
Missionsstrategie und ihre zu rekrutierenden Zielgruppen, die nach wie vor
größtenteils in den (Kerngemeinden der) ev. Kirchen und Freikirchen gesehen
werden.
"Geistliche Leiterschaft"
Im Zusammenhang mit dem Stichwon "Geistliche Leiterschaft" wurde die Frage
nach dem Verhältnis zwischen geistlicher Leiterschaft und Macht einerseits
und der demütigen Unterordnung eines geistlichen Leiters
(Gemeindeneugründers) unter einen anderen geistlichen Leiter (Bischof)
andererseits gestellt.
Beide Tagungen haben m.E. deutlich gemacht, daß charismatische Frömmigkeit ihren Ort innerhalb der Kirche haben kann und Impulse für das geistliche Leben und die geistliche Erneuerung innerhalb der Kirche geben könnte. Dies sollte von den Landeskirchen deutlicher gemacht werden als bisher. Das Beispiel der römisch-katholischen Kirche zeigt, daß es wichtig und möglich ist, diesen Frömmigkeitsstil bewußt zu integrieren. Aus diesem Grund sollten m.E. sogar Konzepte entwickelt werden, die die Reintegration der außerhalb der Kirche neu gegründeten Gemeinden auch organisatorisch ermöglichen.
Gleichzeitig damit und als Voraussetzung ist eine klare Absage an die Missionsstrategie der Gemeindeneugründungen neben und außerhalb der Kirche besonders von seiten der GGE dringend erforderlich, wenn diese nicht mehr als stille Förderer oder Dulder von Kirchenspaltung und Gemeindezerstörung gelten wollen. Hierzu wäre allerdings - als einer der wesentlichen Punkte - zuvor die Frage nach dem Verständnis und der Funktion von "geistlicher Leiterschaft" zu klären. Nach meiner Auffassung ist durch die Vernachlässigung dieser zentralen Frage eine klare Positionsbestimmung zum Verhältnis charismatischer Frömmigkeit und Gemeindeneugründungen bisher nicht möglich gewesen.
Dazu würde gehören, daß sich die geistlichen Leiter der GGE selbst zur Unterordnung in Demut unter ihre Landesbischöfe als ihre geistlichen Leiter bekennen, auch wenn diese theologisch/geistlich nicht zur "Charismatischen Bewegung" zählen. Ebenso wäre es wichtig, daß sich die Landesbischöfe dieser geistlichen Leitungsverantwortung bewußt werden und sie auch bewußt wahrnehmen. Erst unter dieser Voraussetzung ist auch das Gespräch über die theologisch strittigen Fragen, wie "geistliche Kampfführung" "Prophetie" "Befreiungsdienst" usw. möglich und sinnvoll. Nur so kann m.E. das Wort von der "Einheit in versöhnter Verschiedenheit", das wir alle so gern hören, auch innerhalb unserer Kirchen wieder konkrete Gestalt gewinnen.
Pfr. Friedrich von Kymmel, 37, seit vielen Jahren ein engagierter Begleiter und Beobachter der charismatischen Bewegung. |