Einleitung
Trotz ständiger kritischer Berichterstattung und Dokumentation werden die
zunehmenden Aktivitäten der Hubbard-Anhänger in Ostdeutschland immer wieder
heruntergespielt: Die Ausmaße werden relativiert. Wer nichts weiß, neigt
dazu, anzunehmen, daß es da gar nichts gibt. Von angeblichen Mißerfolgen bei
der Mitgliederwerbung wird gesprochen, als käme es den elitären Hubbardisten
darauf an, zur Volksbewegung zu werden. Angesichts solch gravierender
Fehleinschätzungen auch von amtlicher Seite müssen endlich die tatsächlich
erreichten Verbindungen und wirtschaftlichen Erfolge der Scientologen in
Ostdeutschland zur Kenntnis genommen werden. - Red.
Im letzten Jahr ging es mehr als einmal durch die Presse: Scientologen aus dem Umfeld des Hamburger Immobilienhändlers Götz Brase versuchen in Hamburg und Berlin den "Umwandlungsmarkt" zu beherrschen. Scientology-nahe Firmen erwerben marode Mietshäuser, wandeln diese in Eigentumswohnungen um und verkaufen sie innerhalb kürzester Zeit mit erheblichen Profiten, die dann häufig als "Spenden" oder Kursgebühren wieder in die Scientology-Kassen fließen. Doch scientologische Immobiliendeals sind nicht auf Hamburg, Berlin oder Stuttgart beschränkt. Die Makler aus dem "Sekten-Konzern" haben schon längst auch die neuen Bundesländer im Visier. Ende 1995 tauchten Firmen wie Burkhard oder Lutz Immobilien erstmals im Umland von Berlin auf, beispielsweise in Potsdam und Falkensee. Die Transaktionen in Brandenburg sind jedoch "Peanuts" im Vergleich zu Sachsen und Thüringen. Dort haben Scientologen völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit in den vergangenen vier Jahren großangelegte Immobiliengeschäfte eingefädelt. Offenbar sollen ganze Stadtkerne aufgekauft werden. Zeugen berichten von massiven Versuchen, ostdeutsche Mitarbeiter für Scientology zu werben.
* Vergleiche z.B. das inzwischen in 6. Auflage vorliegende Buch unserer
Autoren: Liane von Billerbeck, Frank Nordhausen: Der Sekten-Konzern.
Scientology auf dem Vormarsch, CH. Links Verlag, Berlin 1995.ISBN
3-86153-051-1, DM 24,80
Scientology in Sachsen
Schwerpunkt der Aktivitäten sind die drei Wirtschaftszentren Leipzig,
Dresden und der Raum Chemnitz-Zwickau. Gerüchte über scientologische
Immobili-engeschäfte in Sachsen gab es schon seit langem, aber Beweise
fehlten bislang. Im Oktober 1995 erreichte uns ein erster, konkreter
Hinweis; bei der folgenden Recherche stießen wir in zahlreichen Städten
Sachsens und Thüringens auf scientology-nahe Immobilienfirmen, die zum
überwiegenden Teil miteinander verbunden oder sogar verflochten sind. Wir
haben die Ergebnisse in der "Ostausgabe" des Magazins "STERN" (Nr. 7 vom
8.2.96) veröffentlicht.
Fast alle Geschäftsführer und Gesellschafter der betreffenden Unternehmungen sind "alte Bekannte" aus Westdeutschland - WISE-Manager, Scientology-"Patrons", langjährige Top-Scientologen. Möglicherweise war ihnen der Boden im Westen zu heiß geworden, so daß sie sich nach neuen Möglichkeiten umsahen, um ihre enormen Lizenzgebühren oder die Kosten für die "Brücke zur totalen Freiheit" einzuspielen. Aber es tauchen auch neue Namen und Gesichter auf.
In Leipzig haben sich bereits seit 1992 die Alt-Scientologen Mario Herold (u.a. Absolvent des Saint Hill Special Briefing Course) und Axel Fehling, ein "Operierender Thetan" der Stufe VI ("OTVI") niedergelassen. Herold hatte 1980 den millionenschweren Makler Klaus Kempe (Düsseldorf) für Scientology geworben; WISE-Mann Fehling gilt mit seinen Managerschulungen (On Top Management) als einer der geschicktesten Propagandisten der sogenannten Hubbard-Management-Technologie. In Leipzig arbeiteten beide eng mit dem Makler Heinz Günther zusammen, der von Frankfurt-Obertshausen ein Dutzend Firmen aus der Immobilienbranche leitet, die als G+G Firmenverbund firmieren.
In diesen Verbund waren eine Reihe von Scientologen eingebunden: Mit Mario
Herold beispielsweise führte Günther in Leipzig die GÜMA Projektentwicklungs
GmbH, die alles kaufte, was Profit versprach - von der Schloßmühle in
Naunhof über das vierstöckige Leipziger Mietshaus bis zum Feriengrundstück
auf Rügen. Die Herold-Günther-Gruppe erwarb alleine in Leipzig über 40
Immobilien. Nach Aussagen ehemaliger Mitarbeiter lagen in Herolds Büro
häufig Hubbard-Bücher herum; der Chef soll seine ostdeutschen Angestellten
auch offen missioniert haben. In der Herold-Günther-Firma GÜMA gab es ein
scientologyübliches "Org-Board", auf dem absurde Sätze standen wie "gut
kommunizierendes Verkaufsobjekt"
Tonskala und Immobilienbörse
Eine andere Firma aus dem G+G Firmenverbund ist die GGK Exklusiv Real Estate
GmbH, die Günther 1992 zusammen mit dem WISE-Mager und
Scientology-Großspender Klaus Kempe gründete. Die GGK wickelt in Leipzig die
Projektsteuerung und Architektur der Gutenberg-Galerie ab, ein
300-Millionen-Projekt der Kölner FUNDUS-Gruppe und zugleich eines der
größten Bauvorhaben in der Leipziger City. Heinz Günther, der früher beim
scientologischen VEM (Verband engagierter Manager) mitmachte, distanziert
sich heute von Scientology und sagt, er habe sich inzwischen von Herold und
Kempe getrennt.
Kempe selbst zeigt dagegen keinerlei Distanz zu Scientology. Er wirbt seit 1995 verstärkt im Raum Berlin und Dresden Franchisenehmer für seine Kempe-Immobilien-Börse. Nichtsahnende Kunden zahlen 25.000 DM plus monatliche Gebühren und werden dafür mit dem ominösen Persönlichkeitstest, der scientologischen Tonskala und Hubbard-Kursen traktiert und auf ihre Maklertätigkeit vorbereitet. Im Oktober 1995 gründeten ehemalige Franchisenehmer (unterstützt von Renate Hartwig) eine Interessengemeinschaft, die jetzt gerichtlich gegen Kempe vorgehen will, um die Gebühren von insgesamt mehreren 100.000 DM zurückzubekommen; Begründung: Kempe habe ihnen nicht mitgeteilt, daß es sich bei seinem Programm um Scientology-Inhalte handele.
Mehrere Ostler hatten sich in Kempes Netzen verfangen und dabei viel Geld
verloren. Kempes Anzeigen erscheinen aber nach wie vor zum Beispiel in der
Berliner Morgenpost und in Dresdener Tageszeitungen.
In Dresden sind außerdem mindestens zwei weitere Top-Scientologen auf dem
Immobilienmarkt aktiv. Der Bauunternehmer Klaus Koller aus Nürnberg (OT
VIII) bietet mit seiner efko Immobilien GmbH sanierte Altbauten in
Dresden-Laubegast und Büros in Ost-Berlin an. Karl Paar aus Filderstadt, OTV
und Chef der im Stuttgarter Raum unrühmlich bekannten Allhaus Wert
GmbH, residiert nun in Dresden-Plauen und mischt dort außerdem noch bei
den Firmen Immotax und Modellhaus Bau Paar mit, die unter
dergleichen Dresdener Adresse zu finden sind.
Zwickau: Kommunikation ohne Umstände und Hindernisse
Nirgends aber agierten die Scientology-Leute erfolgreicher als in Zwickau.
Dort erwarben die Münchener Top-Scientologen Kurt Fliegerbauer (OTVII) und
Günther von Jan (Lebenszeit-Mitglied der IAS) 1992/93 die Ruine Schloß
Osterstein - offenbar als "Visitenkarte", um sich in der Stadt einen Namen
zu machen. Das Schloß stießen sie jedoch bereits 1994 wieder ab und begannen
zugleich, mit ihrer neugegründeten Schloß Oster-siein Verwaltungs GmbH
Gründerzeithäu-ser in der historischen Altstadt zu erwerben. Bis heute
brachten sie etwa 120 Mietshäuser in ihren Besitz; auf ihren Baustellen
arbeiteten zur Jahreswende 1995/96 laut Fliegerbauer zwischen 1200 und 1600
Mitarbeiter.
Scientologen sind auch im Vertrieb der Fliegerbauer-Häuser engagiert, und zum Teil werden die Häuser sogar direkt an Scientology-Leute verkauft.
Auch wenn Fliegerbauer in einem "Rundschreiben" erklärt, es bestünden "keinerlei Verbindungen zwischen der Schloß Osterstein Verwaltungs GmbH und irgendwelchen religiösen Organisationen" so führt er seine Osterstein-Firma offenbar straff nach der Hubbard-Technologie: Mitarbeiter berichten von regelmäßigen Statistik- Treffen und von unbezahlten Überstunden. Im Org-Board der Schloß Osterstein Verwaltungs GmbH heißt es im typischen Scientology-Chinesisch: "Kommunikation ohne Umstände akzeptiert und schnell geliefert". Fliegerbauer gehört aller Wahrscheinlichkeit nach zum scientologischen Wirtschaftsverband WISE. Er unterwarf sich beispielsweise im April 1995 einer Gerichtsverhandlung des WISE Charter Committees in Göppingen. WISE-Mitglieder sind bekanntlich verpflichtet, zu missionieren; sie müssen bis zu 15 Prozent an die Scientology-Organisation abführen, die damit ihre obskuren Weltmachtpläne finanzieren kann. Die Spitze des Eisbergs Die Lokalpresse in Zwickau, Chemnitz oder Leipzig reagierte besorgt auf den Skandal (Chemnitzer Morgenpost: "Scientologen greifen nach Zwickau"); in Zwickau sollen zukünftig keine städtischen Grundstücke mehr an Fliegerbauer verkauft werden; und auch in Leipzig denkt die Stadtverwaltung über Konsequenzen nach. Möglicherweise sehen wir bisher aber nur die Spitze des Eisbergs. Beispiel Zwickau: Nachdem die Stadtväter schon im letzten Jahr mißtrauisch wurden und sich der Wind in der Stadt gegen Kurt Fliegerbauer drehte, gründete der zusammen mit seinem Kumpel Günther von Jan eine neue Firma und begann, Immobilien in Görlitz an der polnischen Grenze zu erwerben.
Liane von Billerbeck38, studierte Journalistik in Leipzigund war Kulturredakteurin bei der Neuen Berliner Illustrierten und beim extra-magazin. Sie arbeitet jetzt als freie Journalistin, u. a. als Hörfunk- und Fernsehmoderatorin für den Ostdeutschen Rundfunk Brandburg. | Frank Nordhausen39, arbeitete nach dem Studium der Philosophie,Germanistik und Geschichte in Berlin als Journalist und forscht über den geheimnisvollen deutsch-mexikanischen Schriftsteller B. Traven. |