Einleitung
Fast unbemerkt nutzten Sekten und Psychokulte die Wirren des
gesellschaftlichen Umbruchs in Rußland, um effektiv und professionell
Gelände zu gewinnen. Überrascht nahm die Weltöffentlichkeit im Juni zur
Kenntnis, daß die japanische Terror-Organisation Aum Shinri-Kyo in Rußland
10.000 Mitglieder hatte und Umgang mit höchsten Regierungsstellen pflegte.
(Vgl. BERLINER DIALOG 2 - 95, S. 6 ff. und S. 37 - 46) Doch Scientology, die
mit ihrem Programm Clear Planet nichts weniger als die Weltherrschaft
anstrebt, hat in Rußland genauso erfolgreich Kontakte geknüpft und bereits
Tausende von "Mitgliedern" rekrutiert.
Dies ist der zweite Teil einer für unsere Zeitschrift bearbeiteten Fassung des Vortrags von Prof. Dvorkin bei dem "Berliner Oktober-Seminar über den "Vormarsch von Scientology in Rußland". Zum Hintergrund verweisen wir auch auf den Artikel von Jon Atack: "Scientology goes East" im BERLINER DIALOG l - 95 und Alexander Dvorkins Bericht über "Hubbard Colleges in Rußland" im BERLINER DIALOG 2 - 95. Wir setzen unsere Berichterstattung über Scientology in Rußland fort. - Red.
Journalistenausbildung im Hubbard-Lesesaal
Größte Begeisterung für Scientology gab es bei den Spitzenleuten des
Instituts für Journalismus an der ältesten Erziehungsinstitution des Landes,
Moskaus staatlicher Universität (MSU). Deshalb wurde L. Ron Hubbard die
erste Person in der Geschichte der Universität, die jemals einen posthumen
Ehrendoktor bekam. Der Leiter des Instituts, Yasen N. Zasursky, verlieh den
Doktortitel an Hubbard "für seine besonderen Leistungen in Literatur und
Philosophie und für seine ungewöhnliche humanitäre Tätigkeit". Gleichzeitig
gab Zasursky als Dekan des Journalistischen Instituts der Moskauer
Staatsuniversität einen weiteren Ukas heraus, den wir hier mit vollständigem
Text dokumentieren: "- Da L. Ron Hubbard einer der berühmtesten und meist
gelesenen Autoren aller Zeiten ist und seine Bücher in mehr als 100
Millionen Ausgaben in 19 Ländern und 31 Sprachen der Welt zu finden sind,
und
Ein Ukas mit genau dem gleichen Inhalt wurde übrigens auch an der Surgut Universität herausgegeben. Interessant daran ist nur, daß sogar die Rechtschreibfehler des Moskauer Zertifikats in Surgut wiederholt wurden. Der Lesesaal mit einem Porträt von Hubbard und weiteren Hubbard-Bildern wurde tatsächlich im Institut für Journalismus, im ältesten Gebäude der Staatsuniversität Moskau, direkt gegenüber vom Kreml, eröffnet. Die Wände sind voll mit Bücherregalen mit den unschätzbaren Büchern und außergewöhnlichen Werken des berühmtesten Humanisten der Welt. Allerdings kann man in diesem Universitätsinstitut leider keine einzige der vielen kritischen Schriften über Hubbard, seine Lehre und die Scientology-Organisation finden.
Man kann nur vermuten, daß man dort auch kein einziges Zitat Hubbards über
Journalisten oder Journalismus finden wird. Er war nämlich wirklich nicht
sehr freundlich zu den Leuten von der schreibenden und berichtenden Zunft.
Im Gegenteil, er hat sie verächtlich als "Chaoshändler" etikettiert. Bis
heute dürfen übrigens Journalisten, genauso wie Psychiater und Homosexuelle,
nicht Mitglieder in Scientology werden. Ob Journalisten nun anders
"gehandhabt" werden? Die Zukunft muß zeigen, ob es künftig noch
Scientology-kritischen Journalismus in Rußland geben wird.
Unter OSA-Führung etabliert sich Scientology in ganz
Rußland
Offiziell agieren in Vasilieskoje, Moskau oder Perm zwar russische
Scientologen, doch im Hintergrund stehen die hochtrainierten Offiziere des
größten privaten Geheimdienstes der Welt, der heute nicht mehr Guardian
Office, sondern OSA (Office for Special Affairs) heißt; ihre Agenturen in
Rußland sind offenbar die Hubbard-Colleges.
Obwohl der russische Geheimdienst Federalnaja Sluschba Kontrarazwietki (FSK) die seltsamen Akademien unlängst als Zentralen ausländischer Spione einstufte, scheinen auch die KGB-Nachfolger vor Kontakten nicht gefeit gewesen zu sein. Die Kontakte zwischen dem Berliner Scientologen Krumholz und den Ruzkoj-Vertrauten beim Ferienlager für die falschen Tschernobyl-Kinder (vgl. BERLINER DIALOG 3 - 95) ist noch in unguter Erinnerung.
Damals mit einem Bein schon fast im "Kreml", reichen die Verbindungen der Scientologen heute immerhin in weite Bereiche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Während in anderen Ländern z.B. eine bestimmte Mitgliedszahl erforderlich ist, um einen staatlich anerkannten Organisationsstatus zu erlangen, muß eine Organisation nach russischem Bundesgesetz lediglich Büros in mindestens 45 russischen Städten haben, um sich als gesamtrussische Organisation anmelden zu können. Eine Hürde, die für die Organisationsfanatiker von Scientology leicht zu nehmen ist.
Dianetik-Zentren und Hubbard-Colleges gibt
es inzwischen in über vierzig Großstädten zwischen Moskau und dem
sibirischen Irkutsk; am stärksten ist die Scientology- Organisation neben
der Hauptstadt und St. Petersburg in Perm, Jekaterinburg, Nischni Nowgorod,
Usolie und Obninsk. Die meisten dieser Zentren haben bereits Dutzende von
Mitarbeitern.
Unternehmensnetz
Es gelang der Scientology-Organisation, in nur vier Jahren ein
weitverzweigtes Netz von Unternehmen aufzubauen, die nach der
Hubbard-Verwaltungstechnologie geführt werden. Dazu gehören Firmen der
Schwerindustrie, aber auch Versicherungsunternehmen, Beratungsfirmen und
sogar Banken, insgesamt etwa 300 Firmen.
"WISE expandiert nach Rußland" verkündete das scientologische Magazin Prosperity schon Mitte 1993. Wer die Hubbard-Technologie benutzt, muß dafür eine Art Steuer an den scientologischen Wirtschaftszweig "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) in Los Angeles abführen - bis zu 16 Prozent des Umsatzes. Prosperity rühmt die Hubbard-"Tech" als einzige Technologie, die Rußland ökonomische Stärke und Produktivität bringen könne.
Wie andere Scharlatane nutzte Scientology die gewaltige Nachfrage nach modernem Management-Know-How und das unkritische Vertrauen in westliche Produkte. Mehrere tausend Industriekapitäne aus meist maroden staatlichen Unternehmen besuchten seit 1992 die verschiedensten Managementseminare, deren fünf Basiskurse allein 500 US- Dollar kosten. Aber anders als im Westen sind die "Manager" die an Scientology-Kursen teilnehmen, nicht Inhaber kleiner Klitschen und mittlerer Familienbetriebe, sondern häufig Führungspersonal aus den industriellen Dinosauriern der Sowjetzeit, bis hin zu großen Industrie- und Rüstungskonglomeraten.
Kursabsolventen berichteten, daß die Hubbard-Jünger ihnen totale Kontrolle über ihre Untergebenen, unbegrenzte Profite und persönliche Bereicherung versprachen. Dafür verlangt die Scientology-Organisation, daß ihre Anordnungen strikt befolgt werden. Weil die Scientology-Organisation "totale Freiheit" bringe, könne sie auch "totale Disziplin" fordern.
Wer sich in dies System einbinden läßt, ist nur noch Scientology gegenüber
loyal, und niemand sonst verantwortlich.
Staatsgeheimnisse
Das ist besonders brisant, wenn die Scientology-Organisation Zugriff auf
Staatsgeheimnisse gewinnt. Unübersehbar im Visier der Scientology ist der
industriell- militärische Komplex. Im Frühjahr 1995 wurde bekannt, daß
Scientologen die Arbeiter eines Rüstungsbetriebes in der Nuklearstadt
Obninsk (Klassifikation Top Secret) ausführlichen psychologischen Tests
unterzogen hatten. Der Direktor der großen "Optisch-Mechanischen Werke" in
Jekaterinburg - auch eine Waffenschmiede der Geheimhaltungsstufe -gründete
ein Hubbard-College auf dem Firmengelände und kündigte im Juni 1995 an, er
werde sämtliche Arbeiter auf die Hubbard-Technologie verpflichten. Direktor
Yalamov hat die Weisheit Hubbards nicht nur in Rußland studiert sondern auch
eine Zeit lang in den USA. In seinem streng geheimen Betrieb hat Yalamov ein
Büro für das Hubbard College eröffnet. Warnungen vor Scientology von
verschiedener Seite hat er zurückgewiesen, wohl weil er selbst inzwischen
überzeugt von Scientology ist.
Besonders aktiv sind die Scientologen in der Stadt Yubileiny im Moskauer Umland. wo es zwei wissenschaftliche Forschungszentren des Verteidigungsministeriums gibt, die Probleme der Raumfahrt erforschen. Im benachbarten Kaliningrad gibt es ein großes Weltraumproduktionszentrum, begründet von Sergei Korolev und dem berühmten Zentrum für Flugverwaltung (CFA), der russischen "NASA".
Diese Einrichtungen waren bisher so geheim, daß über ihre Arbeit bis vor kurzem kaum etwas bekannt war: Die russische Raumfahrtorganisation betreibt ja nicht nur zivile, sondern vor allem militärische Weltraumforschung.
Scientologen gelang es, sich unter dem Vorwand, Englisch zu unterrichten, Adressenlisten der Mitarbeiter zu verschaffen. Sie versuchten sogar, Mitglieder aus dem militärisch abgeschirmten Zentralen Wissenschaftlichen Forschungsinstitut Nr. 4 zu werben. Dort werden die strategischen Atomraketen Rußlands entwickelt. Leitende Militärs glauben, daß es im Institut inzwischen eine Reihe scientologischer U-Boote gibt. Ex-Scientologe Jon Atack kommentiert: "Wenn Rußland scientologisch würde, so wäre das für die ganze Welt eine Katastrophe - denn Scientologen, bewaffnet mit Nuklearwaffen, das ist ein Alptraum".
Alexander Dvorkin, Ph.D., 40, studierte in New York und Rom. Er ist jetzt Professor für Kirchengeschichte an der Russisch-Orthodoxen Universität Moskau und Leiter des Informalions- und Beratungszentrums "St. Irenäus von Lyon", der Partnerorganisation des DIALOG CENTER INTERNATIONAL in Moskau. Er ist einer der Vizepräsidenten des DCI und gehört dem Wissenschaftlichen Beirat des BERLINER DIALOG an. Foto: DCI, Aarhus |
IARF: Adventistische Organisation jetzt auch mit ISKCON und
Scientology
Der in westeuropäischen Ländern eher bedeutungslosen, von Adventisten
betriebenen "International Association for Religious Freedom" (IARF) ist in
Rußland ein regelrechter Durchbruch geglückt: Einem "Board of Directors"
gehören nach Angaben der adventistischen Initiatoren neben den immerhin
gleich drei adventistischen Vertretern, darunter Victor P. Krushenitsky,
Vizepräsident der Euro-Asiatischen Abteilung der adventistischen
Generalkonferenz, auch leitende Vertreter anderer Kirchen und
Religionsgemeinschaften an, darunter Lama Dashina von der "Ständigen
Vertretung der Geistlichen Leitung der Buddhisten in Rußland", Mufti Ravil
Gainutdin, Vorsitzender des "Geistlichen Rates der Muslime im
Zentraleuropäischen Rußland", Erzbischof Kondrusievich, der römisch-kath.
Administrator für Rußland, sowie überraschenderweise auch der Bischof der
Lutherischen Kirche Rußlands, Professor Georg Kretschmar. Es wird von den
Beteiligten anscheinend nicht als Schönheitsfehler empfunden, daß mit Sergey
Zuev, dem Vorsitzenden des "Exekutiv-Kommittees der Gesellschaft für
Krishna-Bewußtsein" ein Vertreter der gegen die Religions- und
Gewissensfreiheit agierenden ISKCON mit im "Board of Directors" vertreten
ist. Nun beschloß die Jahreskonferenz am 22.2.1996 auch noch, Anhänger von
Bahai und Scientology als Mitglieder aufzunehmen. A.D.