Einleitung
Die Auseinandersetzung mit und zwischen religiösen oder weltanschaulichen
Gruppierungen, pseudoreligiösen oder kommerziellen Kulten findet nicht nur
in der Presse, in Fachpublikationen, Aufklärungsveranstaltungen oder in
Streitgesprächen statt. Vielmehr hat sich mittlerweile ein wesentlicher Teil
der Auseinandersetzungen in den Bereich der Justiz verlagert. Das Feld der
juristischen Auseinandersetzungen scheint auf den ersten Blick ein
Nebenkriegsschauplatz zu sein. In Wirklichkeit jedoch handelt es sich um
strategisch bedeutsames Terrain. Wer es innehat, ist in der Lage, die
Sachdiskussion nachhaltig zu beeinflussen.
Dienstleistung zur Klärung von Streitigkeiten
In ihrer Gesamtheit ist die Rechtspflege eine staatliche Dienstleistung mit
der Aufgabe, auftretende Streitigkeiten zu bereinigen und Konflikte zu
lösen. Von diesem Standpunkt her ist die Einschaltung eines Gerichts ein
Mittel zum Zweck, ein Instrument, dessen Anwendung sich vor allem nach der
Relation von Kosten und Nutzen bestimmt. Dieser unemotionale, zweckbezogene
Umgang mit der Justiz ist in erster Linie in der Wirtschaft anzutreffen, und
dort traditionell vor allem in den Bereichen des Wettbewerbsrechts, wo die
Einschaltung des Justizapparats durchaus als probate Methode im
Konkurrenzkampf angesehen und genutzt wird.
Für die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist ein solcher eher merkantiler Umgang mit der Justiz ungewohnt, wenn nicht unbekannt. Die Kirchen sind an ihre bis in die jüngste Vergangenheit reichende gesellschaftliche und damit faktisch auch rechtliche Dominanz ebenso gewöhnt wie an eine eigene Jurisdiktion. Das Staatskirchenrecht befaßt sich denn auch in erster Linie entweder mit der Stellung der Kirchen im Staat oder aber mit einzelnen Sachverhalten, bei denen sich vor allem Nichtgläubige oder Andersgläubige gegen eine vermeintliche oder tatsächliche Beeinträchtigung ihrer Glaubensfreiheit zur Wehr gesetzt haben. Themen waren z.B. die Zulässigkeit des Schulgebets, die Intensität und Dauer des Glockenläutens, die Verpflichtung zur Teilnahme am Religionsunterricht oder die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern in kirchlichen Tendenzbetrieben.
Mit Hilfe der Gerichte erst einmal die Voraussetzungen für einen
religiös-weltanschaulichen Dialog schaffen zu müssen - das ist ungewohntes
Gelände.
Instrumente des Meinungskampfes
Demgegenüber haben die neuentstandenen Gruppierungen einen anderen, eher
wirtschaftsrechtlichen Ansatz. So, wie sie sich auch in ihrem sonstigen
Auftreten der in der Wirtschaft üblichen Mittel und Methoden bedienen,
neigen sie dazu, die staatlichen Gerichte als Instrumente im Wettbewerb um
weltanschauliche „Marktanteile" einzusetzen. Dazu gibt es im wesentlichen
drei Vorgehensweisen: Die eine liegt darin, die Äußerung und/ oder
Veröffentlichung anderer Meinungen, von Kritik oder von solchen Tatsachen zu
unterdrücken, die nicht zu der propagandistisch-missionierenden
Selbstdarstellung der Gruppen passen. Die andere zielt zum Beispiel darauf
ab, durch die Inanspruchnahme von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen eine
Plattform für die Verbreitung der eigenen Ansichten zu schaffen, die
werbende Tätigkeit von Mitgliedern und Sympathisanten zu ermöglichen, das
öffentliche Auftreten von Funktionsträgern zu erzwingen oder die
Einkunftsquellen und Gewinne der Gruppe juristisch abzusichern. Zum dritten
schließlich sollen gerichtliche Entscheidungen dazu herhalten, die
Richtigkeit der eigenen Lehren und die angebliche Unlauterkeit von Kritikern
zu belegen.
Der begrenzte Raum erlaubt nur ein Eingehen auf den ersten
Bereich.
Zensurversuche
Einige der neu- oder pseudo-weltanschaulichen Gruppen gelten bei Verlagen
und Redaktionen als besonders prozeßfreudig, vor allem Scientology. Deren
Gründer hatte schon früh erkannt, daß es nicht so sehr darauf ankommt, einen
Prozeß zu gewinnen, sondern darauf, den Gegner durch die Vielzahl der
Verfahren zu zermürben und seine Kräfte zu binden.
Dementsprechend führen einzelne Scientologen und Scientology- Organisationen seit ihrem Bestehen eine inzwischen wohl nur noch deren Hausanwälten bekannte Zahl von Prozessen gegen Presseunternehmen, Rundfunk- und Fernsehanstalten, Behörden, Journalisten und gegen einzelne Kritiker. Auch die Mitglieder von Bürgerinitiativen und die kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten waren und sind persönlich Zielscheibe derartiger juristischer Angriffe.
So werden in der Regel zunächst markig formulierte Abmahnschreiben geschickt mit der Forderung, bestimmte Äußerungen bei Meidung einer Vertragsstrafe von einigen Tausend DM zu unterlassen, und innerhalb kürzester Fristen sollen entsprechende Unterlassungserklärungen unterzeichnet werden. Die geforderte Unterwerfung im Wege der Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung bedeutet im Klartext einen zivilrechtlich abgesicherten Maulkorb, eine mit den Mitteln des Privatrechts durchgesetzte Selbstzensur.
Natürlich ist niemand gezwungen, sich außergerichtlich derart zu binden.
Allerdings besteht verständlicherweise allenthalben Respekt vor etwaigen
hohen Gerichtskosten. Schon den Abmahnschreiben sind, wie in der Wirtschaft
üblich, die anwaltlichen Kostenrechnungen beigefügt, wobei auch die Höhe der
Streitwerte meist so wie im gewerblichen Bereich angesetzt sind. Schon bei
einem Streitwert von 100.000 DM dürfen für das Abmahnschreiben 1.898,- DM
berechnet werden -ein deutlicher Hinweis auf das Kostenrisiko eines
möglicherweise verlorenen Gerichtsverfahrens. Dieses beträgt bei einem
Streitwert von 100.000 DM, der für etwa fünf bis zehn zu unterlassene
Äußerungen leicht zusammenkommen kann, schon in einer Instanz rund 15.000
bis 17.000 DM und kann in zwei Instanzen bis zu 33.000 DM gehen. Selbst ein
Vergleich auf der Basis 50:50, bei unklarem Sachverhalt bei Gerichten nicht
unbeliebt, kann die Seite des Angegriffenen mit 7.000 bis 9.000 DM an
eigenen Kosten belasten. Bei einem Streitwert von 20.000 DM würde sich das
Gesamtrisiko in zwei Instanzen auf rund 14.500 DM und bei einem Vergleich
"Halbe/Halbe" vor dem Landgericht würden sich die selbst zu tragenden
Kosten auf immerhin noch rund 3.900 DM belaufen.
Wie sich Prozesse rechnen
Für einen kapitalkräftigen Angreifer sind derartige Beträge nicht nur kein
Hindernis, sondern Teil seiner gesamten Kalkulation. Wenn es zutrifft, daß
allein das als "Kriegskasse" bezeichnete Budget der Scientologen für
Prozeßkosten mindestens 60 Millionen DM betragen soll, lassen sich von
diesem Betrag rund zweitausend 100.000-DM-Prozesse in zwei Instanzen
verlieren. Dies kann bei einem geschätzten Jahresumsatz allein der Hamburger
Scientology-Filiale von 150 bis 400 Millionen DM wirtschaftlich gesehen
durchaus Sinn machen, denn zweitausend Prozesse, die über ein bis drei Jahre
gehen können, können allein durch die damit bewirkte Bindung von Zeit und
Geld auf Seiten der Kritiker Aufklärung behindern und damit der Organisation
auf Jahre hinaus Beitrags- und Kurseinnahmen sichern, die von besser oder
rechtzeitig informierten Mitgliedern/ Kunden nicht gezahlt worden wären.
Es ist unbekannt, ob sich eine nennenswerte Zahl von Multiplikatoren durch die Klagedrohungen hat einschüchtern lassen und dem Problem durch Schweigen aus dem Weg geht. Schweigen aber und fehlende Informationen schaffen die Grauzone, in der fragwürdige Praktiken ebenso wie propagandistische Unwahrheiten gedeihen. Im Beispiel: Scientology hält sich zugute, angeblich die Kriminalität bekämpfen zu wollen. Allerdings ist ein auffallender Prozentsatz bekannter Scientologen in strafbare Handlungen verwickelt, z.B. Steuerhinterziehung (seitens der "Patrons" K.-E. Heilig und Detlef Foullois) und Gläubigerschädigung (durch den "Patron" Thomas Ganz) in Millionenhöhe. Vergeblich haben Scientologen versucht, die Berichterstattung darüber zu verhindern. In einem anderen Fall steht der Chemiker Dr. P., ebenfalls "Patron" (d.h. anerkannter Großspender) im dringenden Verdacht, Betriebsgeheimnisse seines Arbeitgebers gegen hohe Geldzahlungen verraten zu haben. Auch gegen die Veröffentlichung dieser unrühmlichen Tatsache ist Scientology auf breiter Front vorgegangen, konnte aber lediglich erreichen, daß der Name des Betreffenden vorläufig abgekürzt werden muß. Unlängst wurde der Hamburger Scientology-Vizepräsident Riedl in zwei Instanzen wegen schwerwiegender Beleidigung verurteilt (das Revisionsverfahren ist noch anhängig). Die Veröffentlichung dieser und ähnlicher Fakten erschwert es Scientology, sich als scheinbare "Saubermänner" darzustellen.
Die Zielrichtung der zivilrechtlichen Zensurversuche wird besonders deutlich bei der Aufdeckung verborgener wirtschaftlicher Aktivitäten. Für Scientologen dient wirtschaftlicher Einfluß der Einflußnahme auf Politik und Gesellschaft. Nach außen hin werden jedoch Verbindungen zu Scientology hartnäckig abgestritten oder verharmlost. Selbst vor Gericht hat beispielsweise die bekannte scientologische Schulungsfirma AMK ihre Verbindungen zu Scientology beharrlich verleugnet und sich als neutrales Schulungsunternehmen darzustellen versucht. Die scientologische Musikfirma ARC Music bemühte sich beim Landgericht Hamburg erfolgreich darum, die Information über die Art ihrer Beziehung zu Scientology zu unterdrücken.
Viele Fälle verdeckten Vorgehens, etwa von Computerfirmen, ließen sich mittlerweile nachweisen.
Allerdings gibt es eine hohe Dunkelziffer, da im Streitfall derjenige, der
eine bestimmte Tatsachenbehauptung aufstellt, beweispflichtig ist. Es ist
daher nicht beweisbar, ob bestimmte Krankenhäuser, Hotels und Restaurants
tatsächlich in scientologischer Hand sind, wie zum Beispiel aus dem Raum der
Schleswig- holsteinischen Westküste gerüchteweise seit Jahren kolportiert
wird. Es läßt sich leicht nachvollziehen, daß verhinderte oder abgeschwächte
Informationen auch dazu führen, daß Dritte in Beweisnot kommen können und im
Ergebnis lieber schweigen. Zum Bereich der Software-Entwicklung hieß es bei
der Bundestagsanhörung zum Thema Sekten: "Ganz hoch empfindlich - neben dem
Bereich der Unternehmensberatung und Managerschulung - ist auch der
komplette Bereich der Software-Entwicklung. Scientologen sitzen viel mehr in
diesem Sektor der Wirtschaft, als es schlechterdings über die Presse
transportiert werden kann, weil sich eine Quelle erst nach Jahren erhärtet."
(L. v. Billerbeck/F. Nordhausen, Der Sektenkonzern, Berlin 1994, S. 164)
Vorarbeit zum Dialog
Dialog setzt Dialogfähigkeit und den Willen voraus, über die Sache zu reden.
Dazu gehört, daß Argumente abgewogen werden, statt Worte auf die
äußerungsrechtliche Goldwaage zu legen. Dialog setzt weiterhin die Kenntnis
der für die Beurteilung der Sache wichtigen Tatsachen voraus. In diesem
Sinne sind die vielfältigen juristischen Auseinandersetzungen nicht Teil des
Dialogs, sondern, zur Gewährleistung des freien Gedankens und des freien
Worts, dessen notwendige Voraussetzung.
Mehr als bisher ist es dazu erforderlich, rechtliche Auseinandersetzungen nicht als Bedrohung, sondern als zeitübliche Methode bei der Vorbereitung des Meinungskampfes zu verstehen und sich dieses Instrumentariums zu bedienen. Wer über lange Jahre auch Rechtsstreitigkeiten nicht gescheut und sich im Dienste der Sache dadurch den Raum für Information und Aufklärung geschaffen hat, weiß am besten, daß aggressiv-expansive Gruppierungen rechtlich in ihre Schranken gewiesen werden können. Die Auseinandersetzung nicht zu scheuen, ungeachtet ihres Erfolges im Einzelfall, ist von Bedeutung und wirkt in die Öffentlichkeit. Und wäre es so falsch, über einen seriös geführten Solidaritätsfonds für Betroffene nachzudenken, der auch denjenigen finanzielle Sicherheit gibt, die mangels institutioneller Absicherung sonst zum Schweigen verurteilt wären?
Prof. Dr. Ralf Abel, 47, Wirtschafts- und Informationsrechtler, hat jahrelange Erfahrungen als Rechtsanwalt und Notar mit einschlägigen Fragen gesammelt. Nach dem Studium in Tübingen und Göttingen promovierte er mit einer Arbeit über die verfassungsrechtlichen Grenzen der Religionsfreiheit in Bezug auf neue Jugendreligionen. Seit 1995 gehört er zum Wissenschaftlichen Beirat des BERLINER DIALOG. |