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BERLINER DIALOG 28, 2005  Sekten

STANDPUNKTE  


Immer noch: Keine Körperschaftsrechte für Jehovas Zeugen in Berlin

Das Berliner Oberverwaltungsgericht hat in dem jahrelangen Rechtsstreit der Zeugen Jehovas gegen das Land Berlin Ende letzten Jahres (2004) entschieden, die Zeugen Jehovas würden die Voraussetzungen für die Verleihung des Status einer "Körperschaft des öffentlichen Rechts" erfüllen. Das Land Berlin solle daher den Zeugen Jehovas im Bundesland Berlin diesen Status zuerkennen.
Das Urteil des 5. Senats des OVG Berlin vom 2. Dezember 2004 - OVG 5 B 12.01 wurde am 24.3.2005 verkündet.
Das schriftliche Urteil ging aber erst Ende Juni dem Berliner Senat zu. "Das Urteil wird dahingehend zu analysieren sein, welche Folgen sich daraus für den Umgang mit anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ergeben" hieß es bereits in einer ersten Stellungnahme des Senats.
Wegen der damit angedeuteten grundsätzlichen Fragen hat der Berliner Senat im Rahmen der Fristen die im Urteil enthaltene Nichtzulassung der Revision, "weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Gründe" vorliege, erwartungsgemäß durch Beschwerde angefochten.
Am 4. Juli 2005 hat der Sprecher der Berliner Kulturverwaltung, Dr. Torsten Wöhlert, mitgeteilt, daß der Berliner Senat (die Landesregierung) gegen die Nichtzulassung der Revision bei der Entscheidung des Berliner Oberverwaltungsgerichts Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht hat.
Alle Pressemeldungen im Jahre 2004, wonach die Jehovas-Zeugen-Organisation "in Deutschland" bereits als Körperschaft des Öffentlichen Rechts anerkannt sei, sind falsch.
Öffentliche Körperschaftsrechte werden den Religionsgemeinschaften in Deutschland nicht durch Gerichte zuerkannt, sondern durch die Landesregierungen oder die Landesparlamente.
Eine Zuerkennung der Körperschaftsrechte würde zunächst nur im Bundesland Berlin, nicht aber in Brandenburg oder anderen Bundesländern gelten.
Die Zeugen Jehovas hatten in Berlin den Rechtsweg beschritten, weil der Senat ihren entsprechenden Antrag bisher abgelehnt hatte.
Das am 24.3.2005 verkündete, 37 Seiten starke Urteil des 5. Senats des OVG Berlin vom 2. Dezember 2004 - OVG 5 B12.01 ist noch nicht rechtskräftig.
Links
Pressemitteilung des Gerichts:
http://www.berlin.de/senjust/Gerichte/OVG/presse/archiv-ovg/24409/index.html
Aussteiger zum Urteil:
http://www.sektenausstieg.net/index.php?option=com_content&task=view&id=1257&Itemid=0

"Hinreichende Tatsachenfeststellung" ohne Zeugenbefragung?
Kommentar von Thomas Gandow

In dem seit über 10 Jahren laufenden Rechtsstreit zwischen den Zeugen Jehovas und dem Land Berlin um die Privilegierung als Körperschaft des Öffentlichen Rechts hatte zuletzt das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen mit der Begründung,
das Oberverwaltungsgericht sei von einem zu großzügigen Verständnis von den Verleihungsvoraussetzungen ausgegangen und habe daher keine hinreichenden Tatsachenfeststellungen zu möglichen Gefährdungen der Grundrechte Dritter getroffen.
Um so mehr muß man staunen, daß das OVG Berlin nun erneut ein Urteil allein nach Aktenlage fällte und sich nicht die Mühe gemacht hat, auch nur einen einzigen Zeugen zu laden.
Stattdessen bezieht sich die Urteilsbegründung passagenweit auf den Bericht einer Enquete-Kommission des 13. Deutschen Bundestages, der doch "das Ergebnis einer zweijährigen Aufklärungsarbeit" sei.
Dem Gericht lag zwar eine Fülle von Berichten von Austrittswilligen und Ausgetretenen über Repressalien und Probleme vor. Das Gericht stellte diese durchaus glaubwürdigen Berichte aber in Frage mit dem Hinweis auf die jeweils zu überprüfende besondere psychische Verfassung der Berichtenden. Und hielt es nicht für nötig, auch nur einen der Betroffenen anzuhören. Bischof Prof. Dr. Huber sagte dazu: "Wer sonst soll Auskunft geben, wenn nicht diejenigen Menschen, die tatsächlich unter Druck geraten".
Die Urteilsbegründung bezieht sich zur Abwehr von Betroffenenberichten von ehemaligen Jehovas Zeugen u.a. auch auf Untersuchungen zur Glaubwürdigkeit der "Erfahrungsberichte 'deprogrammierter' Aussteiger" und "mit Zwang aus der Gemeinschaft gelöste Aussteiger" aus neuen religiösen Bewegungen und ihre Bewertung durch den Diplompsychologen Dr. Murken.
Es wird natürlich kein Nachweis darüber geführt, ob auch nur ein einziger der möglichen Zeugen "mit Zwang" aus der Sekte gelöst oder gar "deprogrammiert" wurde, ob also die Bewertungen des Dr. Murken überhaupt relevant für den vorliegenden Fall sind.

Sekten als Körperschaften
Schon vor den Zeugen Jehovas haben andere christliche Sekten in vielen Bundesländern die Rechte und Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten. (u.a. die Neuapostolische Kirche und in Berlin auch die Johannische Kirche). Zu den Körperschaften Öffentlichen Rechts gehören auch noch andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wie z.B. der Bund freireligiöser Gemeinden, der Bund für Geistesfreiheit in Bayern, Die Christengemeinschaft, die Christliche Wissenschaft, die Deutschen Unitarier, die Freigeistige Landesgemeinschaft Nordrhein-Westfalen, die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten und die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen).
Mit der Zuerkennung dieses Status ändert sich lediglich die Rechtsform, nicht aber der Charakter einer Religionsgemeinschaft.
Das Besondere bei der Zuerkennung der Körperschaftsrechte an die Wachtturm-Gesellschaft liegt aber darin, daß die Wachtturm-Gesellschaft den verleihenden Staat nicht nur grundsätzlich ablehnte, sondern in ihren eigenen Schriften auch dämonisiert:
"Somit können wir logischerweise schlußfolgern, daß das wilde Tier aus der Offenbarung menschliche Regierungen darstellt. Da sich diese Regierungen dem Königreich Gottes widersetzen, bilden sie einen Teil des Antichristen." (Erwachet vom 8.8.2001). -
In öffentlichen Erklärungen zum Urteil des OVG heißt es jetzt, Jehovas Zeugen betrachteten den "Staat als Gottes Diener".

Folgen
Die Wachtturm-Gesellschaft hatte laut Presseberichten während des Verfahrens erklärt, es ginge ihr vor allem um Steuervorteile und diemit dem Status verbundene Aufwertung ihres Ansehens. Nach vollzogener Statusverleihung als Körperschaft des Öffentlichen Rechts im Bundesland Berlin erwägt die WTG, den Status auch in allen anderen Bundesländern zu beantragen. "Bisher war die Erstverleihung in einem Land entscheidend, dann setzt ein gewisser Automatismus ein" hofft WTG-Anwalt Glockentin. Die Folgen der Verleihung von Körperschaftsrechten in Bezug auf andere, ebenfalls problemverursachende Religionsgemeinschaften und grundsätzlich auf den Körperschaftsstatus von Kirchen und Religionsgemeinschaften überhaupt sind noch nicht abzusehen.


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