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BERLINER DIALOG 27, Orakel 2003

Kritische Beurteilung der Orakelpraxis
aus der Perspektive des christlichen Glaubens

Wie sind aus der Perspektive des christlichen Glaubens die unterschiedlichen Versuche zu beurteilen, mittels okkulter Techniken die Zukunft zu befragen oder die Gegenwart zu deuten? Vertragen sich diese Praktiken mit dem christlichen Glauben? Können diese Praktiken einen Ort innerhalb des Glaubenslebens beanspruchen? Was spricht dagegen, dass sich die Familie am Sonntag nach dem Gottesdienst die Zeit bis zum Mittagessen mit dem Legen von Tarot-Karten vertreibt? Ist dies - wie auch die Beschäftigung mit Astrologie - nicht als ein harmloser Zeitvertreib zu bewerten?

Die Frage nach dem Umgang mit "okkult-magischen Praktiken" ist keineswegs neu. Bereits das Alte Testament hat dazu Stellung bezogen. Im Blick auf die Umwelt Israels erklärt das Alte Testament Zauberei, Geisterbeschwörung, Zeichendeutung oder die Befragung von Toten als ein "Gräul" (5. Mose 18,9-12), der Götzen- und Orakeldienst (Wahrsagerei) wird als völlig nutzlos verworfen (Jesaja 44,6-20).

Diese eindeutige Stellung der Bibel ist keineswegs als eine willkürliche Setzung zu verstehen. Vielmehr ist sie in einer grundsätzlichen Einsicht begründet: Der Umgang mit okkult-magischen Praktiken entspricht nicht derjenigen Gottesbeziehung, von denen die Schriften Alten und Neuen Testaments Zeugnis ablegen. Der entscheidende Einwand aus der Perspektive des Glaubens liegt daher in der Haltung, aus der heraus okkult-magische Praktiken betrieben werden. Dies lässt sich an folgenden Punkten verdeutlichen.

Der Glaube als eine lebendige Gottesbeziehung
Der christliche Glaube ist zu verstehen als eine vertrauensvolle Beziehung des Einzelnen zu Gott. Die Schriften des Alten und Neuen Testamentes sind Dokumente dieses lebendigen Glaubens, insofern sie Erfahrungen von einzelnen Menschen oder einem Volk mit dem in der Geschichte wirkenden Gott bezeugen. Sie zeigen in exemplarischen Geschichten und Erzählungen die Situation des Menschen als eine Situation vor Gott: der Mensch in seiner Verstrickung in Schuld und zugleich in seinem Vertrauen auf die vergebende Gnade Gottes. Damit enthalten die biblischen Schriften einen Anspruch an den Menschen: Sie zeigen ihn in Situationen, in denen es zur Entscheidung kommt, ob er in den biblischen Schriften seine eigene Existenz vor Gott zu sehen vermag und der Gnade Gottes vertrauen kann oder nicht. Von daher entspricht der Versuch, in der Heiligen Schrift Hinweise auf eine zukünftige Weltordnung zu finden, nicht dem im Glauben geübten Umgang mit der Bibel: Wer in den Schriften Alten und Neuen Testaments liest und sich vor Entscheidungen gestellt weiß, wird in diesen Schriften keine verschlüsselten Hinweise auf eine geheime Weltordnung sehen. Wer solche in der Bibel sucht, entzieht sich dem Anspruch der Bibel. Dieser Umgang mit der Bibel ist daher aus der Perspektive des Glaubens als feige zu entlarven: Feige ist er deshalb, weil er in einer sicheren Distanz mit Buchstaben der Bibel spielen will, ohne sich auf ihren Anspruch einzulassen. Er will die Bibel als eine Art Magiebuch in Gebrauch nehmen, ohne sich selbst und seine Beziehung zu Gott zu bedenken. Letztlich ist diese Haltung daher als der (vergebliche) Versuch zu verstehen, über sein Schicksal selbst zu verfügen, und als Unfähigkeit, sich Gottes freier Souveränität anzuvertrauen.

Nun könnte eingewendet werden, ob nicht auch die Bibel eine Art Zukunftsweissagung enthält, nämlich in der "Offenbarung des Johannes", einer ohne Zweifel apokalyptischen Schrift. Will der Apokalyptiker nicht neues Wissen mitteilen, sei es über die Zukunft, das Ende der Geschichte oder die zukünftige Welt, sei es über geheimnisvolle Naturvorgänge oder die himmlische Welt? Hierzu sind zwei Dinge zu bemerken: Zum einen ist die Offenbarung des Johannes die einzige apokalyptische Schrift des frühen Christentums in der Bibel. Das zeigt deutlich, dass die literarische Gattung der Apokalypse keine Sprachform war, die den vorrangigen Interessen der frühen Christenheit entgegenkam. Zum anderen ist festzustellen, dass es der Offenbarung des Johannes weniger darum geht, Hinweise auf zukünftige historische Ereignisse zu geben, als darum, seelsorgerlich den Bedrängten beizustehen und die Verbindung der christlichen Gemeinde mit ihrem Haupt, Christus, auch in Zeiten der äußeren Not und Bedrängung zu stärken.
Der christliche Glaube bezeugt, dass Gott das Vertrauen des einzelnen Menschen zu ihm und seinen Wohltaten will. Er bekundet, dass Gott aus Liebe zu den Menschen ihnen nicht gleichgültig gegenübersteht. Seine Zuwendung zum Menschen geschieht nicht, um deren Neugier des Menschen zu befriedigen. Von daher weiß der Glaube, dass Gott nicht irgendeine Form des Orakels in Dienst nimmt, um mit seinen Menschen zu sprechen. Vielmehr ist das Mittel Gottes das Wort - und zwar das Wort von seiner die Schuld vergebenden und heilenden Liebe in Christus.

Die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf
Jede Form der Astrologie beruht auf dem esoterischen Grundprinzip "wie oben - so unten", nach dem sich der Mikrokosmos Mensch in Analogie zu dem Makrokosmos Universum befindet. Dieser Satz setzt voraus, dass das Universum in seiner Gesamtheit, einschließlich der Gottheit, als ein Kosmos anzuerkennen ist. Ein solcher Kosmos wird von Gesetzen beherrscht und hat keinen Raum für einen Zufall; denn der Zufall als ein nicht berechenbares Phänomen - so die esoterische Anschauung - würde jeden Kosmos in ein Chaos verwandeln. Das Prinzip "wie oben - so unten" wird daher von esoterischer Seite als "genialer Schlüssel" 62  gepriesen: "Denn dieser Satz erlaubt es, unsere Betrachtungen und Erforschungen der Gesetze auf den uns zugänglichen Teil zu beschränken, um dann die gemachten Erfahrungen auf die andere, uns unzugängliche Ebene analog zu übertragen" 63.

Dem esoterischen Grundprinzip "wie oben - so unten" steht die gesamtbiblische Fundamentalunterscheidung von Schöpfer und Geschöpf entgegen, kurz, an die Stelle der Analogiebildung tritt die Kunst des Unterscheidens. So erzählt der biblische Schöpfungsbericht 1. Mose 1 nicht, dass der Kosmos aus Gott hervorgehe, indem sich Gott etwa schrittweise depotenziert hätte, sondern dass sich die Welt der souveränen Schöpfermacht Gottes verdankt. Das Nizänische Glaubensbekenntnis spricht von Gott, "der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt". Wird die Welt als Schöpfung gesehen, wird ihr jede schöpferische Macht abgesprochen, diese gebührt allein dem Schöpfer. Die Welt wird "entzaubert", ihres numinosen Charakters entkleidet. Dem Alten Testament gelten die Gestirne nicht wie dem alten Orient als menschliches Schicksal bestimmende mystisch-numinose Größen, sie sind von Gott geschaffen. In 1. Mose 1 werden z.B. die Sonne und der Mond nicht ohne Spott bloß als "Lampen" bezeichnet, von Gott geschaffen, um zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. Jeder göttliche Charakter und jede numinose Macht, die ihnen in der Umwelt Israels zugesprochen werden, wird bestritten: Was ihr als Götter verehrt, sind bloß Lampen; Lampen des einzig wahren Gottes, dem alleine Vertrauen und Ehrfurcht gebührt. Es ist somit die souveräne Schöpfermacht Gottes, die aus dem Chaos den Kosmos werden lässt und den Kosmos davor behütet, wieder in Chaos zu versinken. Gott ist als der Schöpfer des Kosmos vom Kosmos selbst unterschieden - er ist der Herr des Kosmos.

In den unterschiedlichen Formen der Astrologie, das menschliche Leben zu berechnen, weil das menschliche Schicksal als eine Analogie zu der Sternenkonstellation aufgefasst wird, verkennt diese souveräne Schöpfermacht Gottes. Entscheidend ist weiterhin, dass die Astrologie es nicht erlaubt, eine persönliche Gottesbeziehung zu denken. Der Mensch versteht sich im Glauben eben nicht als notwendiges Element innerhalb der Naturgesetzlichkeit des Kosmos, sondern als von Gott persönlich angeredet und zur persönlichen Anrede ermächtigt. Gottes Wille ist auf den einzelnen Menschen gerichtet, Gott degradiert den Menschen nicht zu einem notwendigen Teilchen im Naturprozess, das man berechnen und durchschauen kann, wenn man den Naturprozess durchschaut. Gerade daher ist die angemessene Form des Glaubens nicht die Befragung der Sterne, sondern das Gebet, in dem sich der einzelne in Form von Dank, Bitte und Klage an seinen Gott wendet.

Die Antwort des Glaubens: Gelassenheit und Spott
Auf unsere eingangs gestellte Frage haben wir uns bisher aus zwei Perspektiven genähert. Zum einen zeigte sich, dass nach biblischem Verständnis der gesamte Kosmos sich der souveränen Schöpfermacht Gottes verdankt. Als geschaffenen Gütern wird den Sternen jegliche Schöpfermacht bestritten, sie werden "entzaubert". Sie besitzen keine göttliche, keine numinose Macht. Kurz: Sie bringen nichts; denn sie sind profane Phänomene und gerade aus der Perspektive des Glaubens werden sie als profane Phänomene erkannt und entlarvt. Sie können weder die Zukunft erkennen lassen noch die Gegenwart deuten. Sie können es deshalb nicht, weil Gott sie nicht in Dienst nimmt, um zu dem Menschen zu sprechen. "Einen Gott neben mir kennst du nicht, einen Helfer außer mir gibt es nicht" (Hosea 13, 4). Von daher ist die Antwort des Glaubens auf diese Praktiken Gelassenheit. Nicht ohne Spott fordert Jesaja die Götter Babylons zum Wettstreit auf:

    "Die Götter mögen herzutreten und uns kundtun, was sich begeben wird!
    Das Frühere - was war es? Tut es kund, damit wir es zu Herzen nehmen!
    Oder das Künftige lasst uns hören, damit wir seinen Ausgang erkennen.
    Tut kund, was hernach kommen wird, damit wir erkennen, dass ihr Götter seid."        Jesaja 41, 22f

Zum anderen sahen wir, dass der biblische Glaube einen lebendigen Glauben bezeugt, in dem sich der Einzelne vor Gott gestellt sieht: im Vertrauen und gerade so Gott antwortend. "Okkult-magische Praktiken" sind daher keine mögliche Form, den Glauben zu leben. Diejenige Gottesbeziehung, die die Schriften des Alten und Neuen Testamentes bezeugen, widerspricht derjenigen Haltung, die der Mensch mit den unterschiedlichen Praktiken einnimmt, wenn er über sein Schicksal verfügen will und sich nicht der Souveränität Gottes anzuvertrauen bereit ist. Beide Punkte sind zu beachten, will man die "okkult-magischen Praktiken" ernst nehmen, ohne sie über zu bewerten. Die Praktiken selbst haben keine Macht; der Glaubende braucht sich vor ihnen nicht zu fürchten. Jede Ängstlichkeit vor derartigen Praktiken spräche ihnen dadurch eine Macht zu. Die Gefahr besteht jedoch darin, dass sie nicht erkannt werden als das, was sie sind - harmlose Spielereien -, durch die nichts zu erkennen und zu deuten ist. Die Gefahr besteht darin, dass man ihnen Macht zuschreibt und im Umgang mit ihnen eine Haltung einnimmt, die sehnsüchtig danach strebt, über sein Schicksal zu verfügen, und damit der Fürsorge Gottes für jeden Einzelnen nicht vertraut. Umgekehrt aber: Sind diese Praktiken als das erkannt, was sie sind, profane Phänomene, können sie auch als solche pragmatisch bewertet werden. "Mir ist alles erlaubt, es soll mich aber nichts gefangen nehmen" (1. Korinther 6,12b). Dieser christlichen Freiheit entspricht eine Gelassenheit, die ohne Angst mit solchen Praktiken umgehen kann. "Mir ist alles erlaubt, es frommt aber nicht alles" (1. Korinther 6, 12a).

Allerdings gilt es zu beachten, dass der Christ immer auch eine Verantwortung trägt: Sein Umgang mit diesen Praktiken darf andere nicht dazu verleiten, ihren Gefahren zu erliegen oder sie gar als eine mögliche Form des Glaubens zu sehen. Für Paulus ist in allem Verhalten der Christinnen und Christen der Gesichtspunkt der Liebe maßgeblich.

Exemplarisch lässt sich das Gesagte verdeutlichen an der Stellung des Apostels Paulus zur Frage, ob es Christen erlaubt ist, dasjenige Fleisch zu essen, das von Tieren stammt, die einem heidnischen Gott geopfert wurden (1. Korinther 8). Paulus erinnert die Gemeinde in Korinth daran, dass Christen "nur einen Gott haben, den Vater, aus dem alles ist und wir zu ihm, und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn" (1. Korinther 8,6). Wer im Vertrauen auf den einen Herrn und Gott lebt, der kann nach Paulus unbedenklich das Götzenopferfleisch essen; denn er lebt im Vertrauen darauf, dass die heidnischen Götter in Wahrheit "Nichtse" (3. Mose 19, 4) sind. Von daher wird auch dem Fleisch des Götzenopfers jede Macht abgesprochen. "Speise wird uns nicht vor Gottes Gericht bringen; essen wir nicht, so haben wir keinen Nachteil, essen wir, so haben wir keinen Vorteil" (1. Korinther 8, 8). Die Haltung des Glaubens befreit zu Gelassenheit. Es ist darauf zu achten, dass derjenige, der mit befreitem Gewissen und christlicher Gelassenheit das Fleisch von Götzenopfern genießt, nicht seinen Geschwistern im Glauben zum Anstoß wird; Geschwistern, die noch nicht in gleicher Weise im Glauben gelassen zu sein vermögen.

Hinweise für den seelsorgerlichen und pädagogischen Umgang
In Unterricht und Informationsveranstaltungen über die angesprochenen Themen sollte alles vermieden werden, was Neugier erst weckt. Wer Ängste aufbaut vor "realen" Wirkungen der okkulten Praktiken, kann damit auch Neugier und Sensationslust wecken.

Gewarnt werden sollte vor den seelischen Wirkungen solcher Praktiken mit der Begründung, dass dabei Dinge aus dem Unterbewusstsein aufsteigen können, die oft nicht mehr leicht in den Griff zu bekommen sind. Auch wer ohne Geisterglauben und scheinbar nüchtern am Gläserrücken teilnimmt, ist nicht davor gefeit, in schlimme Ängste und Depressionen zu geraten, wenn etwa sein baldiges Todesdatum dabei "heraus kommt".

In der Seelsorge mit Jugendlichen, die irritiert oder verängstigt sind durch Erfahrungen mit okkulten Praktiken, sollten folgende Punkte beachtet werden:

1. Es ist zunächst wichtig, dass die Betroffenen Vertrauen gewinnen, um über ihre Erlebnisse offen sprechen zu können. Sowohl panische Reaktionen, welche die Okkultängste noch verstärken, als auch eine rein aufklärende Haltung, die das Geschehene sofort erklärt und herunterspielt, führen dazu, dass die Betroffenen sich wieder zurückziehen und verschließen. Wichtig ist, dass das Erlebte samt der Deutung des Betroffenen zunächst ganz ernst genommen wird.

2. Vorsichtig, ohne die Glaubwürdigkeit der Erzählung anzuzweifeln, können andere Deutungen des Erlebten angeboten werden. Nicht: "In Wirklichkeit war das so: ...", sondern: "Ich könnte mir das, was da passiert ist, auch so erklären: ..."

3. Wichtiger als die Wahrheitsfrage ist hier die Machtfrage: "Selbst wenn deiner Meinung nach Geister oder geheimnisvolle Mächte im Spiel waren, haben sie wirklich so viel Macht, wie du ihnen zubilligst?"

4. Sinnvoll ist es auch über die Motive, die zu den okkultmagischen Praktiken geführt haben, zu sprechen. Neben Neugier kommen oft Ohnmachtgefühle, Orientierungslosigkeit, unverarbeitete Trauer u.ä. zum Vorschein. Gemeinsam sollte nach hilfreichen Wegen, mit diesen Motiven und Gefühlen umzugehen, gesucht werden, bei denen das magische Weltbild durch ein christliches Gottvertrauen gebrochen wird.

5. Hilfreich können in dieser Situation auch Angebote von christlichen "Ritualen" sein (Vergebung zusprechen, Gebet, Segen ...).

6. Bei schweren psychischen Problemen im Zusammenhang mit okkultmagischen Praktiken muss psychotherapeutische Hilfe empfohlen werden.

Literatur
Hemminger, Hansjörg: Geister, Hexen, Halloween, Esoterik und Okkultismus im Alltag. Ein Ratgeber für Eltern, Gießen 2002

Anmerkungen
62 Thorwald Dethlefsen: Schicksal als Chance. Das Urwissen zur Vollkommenheit des Menschen, München 1979, S. 31.
63 Thorwald Dethlefsen, a. a. O., S. 31f.


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