Eine Darstellung der Scientology ist Science Fiction, die zum Leben
erwacht ist.
Während sich die Zeitspanne zwischen meinem Scientology-Abenteuer und der
Gegenwart vergrößert, lassen die krisenhaften Folgen dieses Erlebnisses
nach, und das Leben in unserer Welt, dieser großartigen Welt, die die
Scientologen als die Welt der Barbaren bezeichnen, gewinnt nach und nach
seine wirkliche Bedeutung wieder
- als wahre Science Fiction.
Unsere eigene Science Fiction unterscheidet sich nur äußerlich von der der
Scientology. Die inneren Tendenzen sind ziemlich dieselben, trotz ihrer
unterschiedlichen Einkleidung. Die Kräfte, die die Welt der Scientology
bewegen - die Emotionen, die Ziele, die Manipulationen sind universal. Wenn
zum Beispiel ein Kind in unsere Welt hineingeboren ist, wird ihm
beigebracht, daß es ein Mensch ist, und daß sich die Menschen von allem
übrigen im Universum unterscheiden. Man sagt ihm, was sein Geschlecht
ist und seine Hautfarbe. Man lehrt es die Sitten und Gebräuche seiner
Umgebung, ebenso seine Pflichten gegenüber Familie, Stamm, Religion und
Vaterland.
Ein Scientologe würde einem solchen Kind sagen, daß es ein Thetan ist
und deshalb einem einzigen Mann Treue schuldet.
Scientology ist die Schöpfung dieses einen Mannes, eines Amerikaners
namens L. Ron Hubbard. Ich würde daher einen Scientologen als einen
Menschen definieren, der alles
glaubt, was aus Hubbards Mund oder Feder fließt.
Hubbards Beschäftigung mit dem Reich der Seele hat ihm einen Nettogewinn von
Millionen Dollar auf einem Schweizer Bankkonto eingebracht, außerdem eine
Jacht-Flotte, ein Flaggschiff eingeschlossen, mit dem er auf dem Mittelmeer
kreuzt. Hinzu kommen zahlreiche Töchter seiner Mutter-Organisation, die
über den Erdball verstreut sind. Wie ein Oberaufseher kontrolliert er
das Leben vieler Mitglieder. Ein Telex-System hält das ganze Spinnennetz
zusammen. Darüber hinaus weiß man wenig über den Mann. Die
erreichbaren Mosaiksteine seiner Biographie lassen ganze Abschnitte seines
Lebens im
Schatten. Seine Jünger halten ihn für übermenschlich.
Die Öffentlichkeit weiß fast so wenig über die
Scientology-Bewegung wie über ihren Erfinder. Wenn man nicht Mitglied
ist oder war, einen Freund oder Verwandten dabei hatte oder von einem der
jungen, Broschüren schwingenden Werber ins Gespräch verwickelt wurde,
hat man vielleicht nie etwas von Scientology gehört. Wenn mich jemand
fragt: "Was ist Scientology?" dann muß ich ihm sagen, daß es mindestens
eine Stunde dauert, um eine angemessene Definition zu geben. Man hat
Scientology eine Religion genannt, einen Trick zum Geldmachen, eine Therapie
für alle Krankheiten oder einen Gehirnwäsche-Kult, der - was heutzutage
ungewöhnlich ist -
ganz ohne Drogenanwendung auskommt.
Darüber hinaus hat die Scientology ihren eigenen Kosmos, eigene Gesetze, eigene
Techniken und vor allem eine besondere Sprache. Und das alles stammt von L. Ron Hubbard.
Zusammen genommen machen alle diese Dinge die Einzigartigkeit der Scientology aus, ihre
besondere Atmosphäre. Für einen Scientologen ist diese Atmosphäre eine
Wohltat, ein sicherer Hafen dicht am Paradies. Für einen Außenseiter, der ein
wenig davon erfahren hat, was innerhalb dieses "Hafens" vor sich geht, mag das alles
völlig anders aussehen, so unsinnig, daß er kaum wünscht, mehr
darüber
zu erfahren.
Um ein genaues Bild der Bewegung zu zeichnen, müßte man Bände schreiben,
eine halbe Armee von Schreibern, Rechercheuren und ehemaligen Scientologen
beschäftigen. (Letztere sind übrigens in angelsächsischen Ländern eine
ständig wachsende Untergruppe unserer Gesellschaft.) Unausweichlich mußte ein
solches Unternehmen den faszinierenden und gewichtigen Untersuchungsbericht
einschließen, den eine australische Kommission zur Durchleuchtung der Scientology am
28. September 1965 der Öffentlichkeit übergeben hat.
Doch inzwischen lege ich meine eigene Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Scientology
vor. Es ist eine Dokumentation meines Lebens als Scientologe vom April 1967 bis zum August
1968 ebenso wie der Folgen dieses Abenteuers. Alles in diesem Bericht entspricht den
Tatsachen. Techniken, Prozeduren und Personal der Scientology-Bewegung sind so
beschrieben,
wie sie damals bestanden. Ich habe keinen Anlaß zu glauben, daß sie sich
seither wesentlich geändert haben. Verändert wurden nur die meisten in diesem
Bericht erwähnten Namen.
Ich lade den Leser ein, mich auf einem Trip durch jene Geisterwelt zu begleiten,
geschaffen und beherrscht durch einen gottgleichen Erzschwindler, Messias, genialen
Geschäftsmann oder auch hoffnungslos verrückten Größenwahnsinnigen,
je
nachdem, wie man ihn beurteilen will. Vor mir liegt die Aufgabe, im Zusammenhang
darzustellen, wie ich in eine Welt hineingeriet, die mir später wie ein Mittelding
zwischen einem bösen Scherz und reinem Wahnsinn vorkam.
Die ständigen Bewohner dieser "Überwelt" sprechen einen Jargon, den ich
"Scientologisch" nenne; ein Beispiel dafür ist vor der Titelseite abgedruckt. So
groß ist die Zahl der Fachwörter, von denen viele zum Teil die gleiche
Bedeutung
haben, daß ich ihren Gebrauch weitgehend eingeschränkt habe. (Ein Blick in
einige von Hubbards Veröffentlichungen wird den Leser von meinen Anstrengungen in
dieser Richtung überzeugen.)
Der fiktive Brief dieses Scientologen an einen anderen soll nur als Beispiel dienen - um
dem Leser ein wenig zu zeigen, wie sich Scientologisch anhört. Er darf aber
versichert
sein, daß ich ihm nicht noch einmal mit etwas ähnlichem kommen werde. Im
allgemeinen wird jeder neue Ausdruck erklärt, sobald er zum erstenmal gebraucht wird.
Für den Fall, daß beim Lesen eine schnelle Wiederauffrischung des Vokabulars
gewünscht wird, findet sich im Anhang eine Übersicht der unumgänglichen
Fachausdrücke.
Die Fragen der Auditoren (d. h. der ausübenden Scientologen), die ich kennengelernt
habe, sind kursiv gedruckt. Diese Fragen enthalten die Quintessenz der Methoden des
Scientology-Prozesses. Während seiner Ausbildung muß sie jeder Auditor
auswendig
lernen. Schließlich gibt es, ebenfalls kursiv gedruckt, Zitate von L. Ron Hubbard,
die sich überall im Buch finden, sowie einige kleingedruckte Passagen - zum Beispiel
der Brief -, die mit den Worten des Autors umschreiben, was Hubbard zu sagen hat. Mein
Vorschlag: Wann immer der Leser ein Zitat oder eine Umschreibung vor sich hat, möge
er
sie sich in einem vollen Bariton gesprochen vorstellen... gravitätisch, doch
honigsüß, zugleich einschmeichelnd und herrisch.
Es ist die Stimme von Mr. Scientology!
Die Erschaffung der Dianetic ist ein Meilenstein für den Menschen, der Entdeckung des Feuers vergleichbar, und bedeutender als die Erfindung von Rad und Bogen.(L. Ron Hubbard)
Meine Geschichte beginnt im Jahr 1950, als in den Buchläden ein Werk von L. Ron
Hubbard auftauchte: "Dianetic - die moderne Wissenschaft von der geistigen
Gesundheit.
Die Behauptungen auf dem hellgrünen Schutzumschlag des Buches wirkten wie eine Bombe.
Hubbard nahm für sich in Anspruch, er habe nichts weniger entdeckt, als "die
verborgene
Ursache aller psychosomatischen Krankheiten und Geistesverwirrungen ... und dazu die
Fähigkeit, sie unausweichlich zu heilen".
Ich verschlang das Buch.
Die Grund-Theorie ist ziemlich einfach. Hubbard beschreibt die Seele in einer Art, die an
die Begriffe "Es, Ich und Über-Ich" (Id, Ego und Superego) erinnert. In der Version
der
Dianetic besteht der Geist aus zwei Elementen: dem analytischen Geist und dem reaktiven.
Der
eine ist gut, der andere schlecht. Der analytische Geist ist der bewußte, denkende
Verstand, ein fehlerloser, tragbarer Computer. Der reaktive Geist dagegen ist ein
lediglich
auf Reize reagierender Medianismus, ein schwachsinniges und krankhaftes Überbleibsel
aus den Tagen des Höhlenmenschen. Die alleinige Ursache allen irdischen Jammers soll
in
"Engrammen" liegen, Erinnerungen an entsetzliche und schmerzhafte Vorgänge, welche -
ohne unser Wissen - sich über die Jahre hinweg in unserem reaktiven Geist ablagerten,
während unser analytischer Geist infolge von Stress-Situationen nicht funktionierte.
Diese Engramme haben nun die Wirkung, das Opfer in die Situation des ursprünglichen
Vorfalls zurückzuversetzen, wenn sie "restimuliert" werden, d. h. wenn sie durch
einen
äußeren Einfluß in die Gegenwart übertragen werden. Das Opfer
durchlebt dann bis zu einem gewissen Maß den Schmerz und die emotionale Verwirrung
jenes Vorfalls erneut. Da der reaktive Geist nicht denkt, haben die ihm während eines
solchen Vorfalls eingeprägten Worte eine vernichtende Wirkung: Engrammatische Worte,
die in späteren Jahren restimuliert werden, werden durch das Individuum blindlings
und
buchstäblich als "Kommandos" mißverstanden.
Die Engramme eines Menschen sind auf der "Zeitspur" eingetragen, einer einem Filmstreifen
ähnlichen inneren Aufzeichnung seines ganzen Lebens. Das erste und am meisten
zerstörerische Engramm (genannt "Basis der Basis" oder BB) ist vermutlich schon vor
der
Geburt auf die Zeitspur aufgeprägt; demnach gibt es also "Praenatale Engramme". Nach
Hubbards Buch ergeben sich aus dem Vorhandensein des reaktiven Geistes, der Zeitspur und
der
BB so weitreichende Folgen, daß die Engramme die Ursache des meisten Elends in der
Welt sind, von leichten Verhaltensstörungen bis zu Krankheit, Krieg und Wahnsinn.
Hubbard nennt seine Methode, diesem Zustand abzuhelfen, "Auditieren". Dabei geht es ganz
einfach darum, alle Vorfälle auf der Zeitspur des Patienten aufzuspüren und sie
den Patienten noch einmal erleben zu lassen, in allen schrecklichen Einzelheiten. Schon
wenige dieser Wiederholungen genügen, um ein Engramm auf der Zeitspur zu
löschen,
ebenso seine gefährlichen Wirkungen. Wer sich in dieser Weise von allen seinen
Engrammen befreit hat, wird "Clear" (geklärt, befreit, klar) genannt. Er ist dann
absolut frei von Neurosen und psychosomatischen Symptomen, mit vollständiger
Erinnerung
begabt und im Besitz eines fast übermenschlichen Intelligenz-Quotienten. Im
Vollbesitz
seiner Kräfte wäre ein Clear das erste sich voll selbst bestimmende Wesen auf
unserem Planeten, der glückliche Bewohner einer schöneren Welt.
Es war nicht nur die Theorie und Methode, die Hubbards Buch von anderen unterschied (man
begegnete in ihm vielen schon bekannten Gedanken, vor allem starken Anklängen an
Freud). Es war auch der Stil des Autors, der Aufmerksamkeit erregte. Hubbard erinnerte an
die Zeiten der Pioniere, als sich ein Mann nicht schämte, mit seinen Erfolgen zu
prahlen. Er war hemmungslos, selbstbewußt und oft arrogant. Überall im Buch
"Dianetic" griff er die etablierte Medizin mit prahlerischer Vehemenz an. Hubbard fand es
nicht nötig, sehr tief in die Gesetzmäßigkeiten des analytischen Geistes
einzudringen. Er konzentrierte sich völlig auf den reaktiven Geist, diesen Speicher
aller menschlichen Krankheiten, beschrieb ihn in graphischen Darstellungen und in
ausführlichen Schilderungen. Zur Ausschmückung seiner Darlegungen benutzte er
eine
ständig anschwellende, selbsterfundene Begrifflichkeit. Sie erweckte den Anschein,
als
sei sie ein Versuch, die gesamte psychiatrische Terminologie zu reformieren. Seine
Beschreibungen der verschiedenen Typen von Engrammen waren unheimlich und einprägsam.
Zum Beispiel die häufig vorkommende "versuchte Abtreibung" (AA), ein praenatales
Engramm, wobei das Opfer sich überschwemmt fühlt, ausgeschabt oder mit
Stricknadeln durchstochen. Viele Leute hielten dies für eine faszinierende
Lektüre.
Die vielen Leser von "Dianetic", die sich für den Autor interessierten, erfuhren
nur
wenig über ihn. Hubbard behauptet, er habe ein äußerst wechselvolles Leben
hinter sich. In seiner Jugend trieb ihn seine Abenteuerlust bis ins westliche China.
Später war es nach seinen Angaben die Universitätsausbildung als Techniker und
Physiker, die ihn befähigte, die menschliche Seele zu erkunden und mit mathematischer
Präzision zu beschreiben. Und nebenbei hat er sich als Science-Fiction-Autor einen
Namen gemacht. Es ist unwahrscheinlich, daß sehr viele der frühen Leser von
"Dianetic" Hubbard wirklich für qualifiziert hielten, sich über Seele und Geist
zu
äußern. Doch dem hielt er unbekümmert entgegen: "Na schön, und wer
sonst ist kompetent?" Er war wirklich talentiert, sogar brillant in einer gewissen Weise.
Daher die Folgerung: Vielleicht war doch etwas an ihm dran. Und es wäre der
sprichwörtliche Triumph des kleinen Mannes gewesen, wenn dieser amerikanische
Selfmademan als der Entdecker des Geheimnisses der Seele und ihrer
Gesetzmäßigkeiten anerkannt worden wäre. Das Endresultat seiner Methode
(falls sie funktionierte) war unwahrscheinlich verlockend: nicht die undefinierbare
"Heilung" durch den Psychiater, die im günstigsten Fall einen gut angepaßten
Neurotiker produziert, sondern der Mensch im Zustand des "Clear" - ein gigantischer
Fortschritt in Richtung zum Obermenschen. Und es schien sogar recht billig zu sein, ein
Clear zu werden. Man brauchte nur das Buch zu kaufen.
So oder so - es machte einfach Spaß, Hubbard zu lesen. Ich jedenfalls genoß
die
Lektüre von "Dianetic", und Tausende von Lesern waren neugierig genug, um das Buch zu
einem gewaltigen Bestseller zu machen. Während der frühen fünfziger Jahre
kam
die Dianetic geradezu in Mode, sie faszinierte nicht nur die weniger Gebildeten. Viele,
die
sich zum Beispiel niemals für Wunderheilungen durch Handauflegen interessiert
hätten, waren von der Dianetic so angetan, daß sie Lust hatten, die Sache
auszuprobieren.
Ich war einer von ihnen. Auch ich probierte die Dianetic mit einem Freund aus, der gern
einverstanden war, daß wir uns gegenseitig auditierten. Vielleicht, so meinte er,
war
es ein Engramm, das drohte, seine Ehe scheitern zu lassen. Die Prozedur stellte sich als
ziemlich zeitraubend heraus. Einen Menschen bis zum Zustand des Clear zu auditieren,
könne Hunderte von Stunden erfordern, hieß es in dem Buch, in dem
außerdem
nichts darüber stand, woran man erkennt, ob man es tatsächlich geschafft hat.
Darüber hinaus bestand die Gefahr, daß man bei Engrammen schwerwiegender
Vorfälle die Kontrolle verlor.
In einer Sitzung ließ ich den Anweisungen entsprechend meinen Partner sich hinlegen.
Nach kurzem Vorspiel geriet er in einen Autounfall, den er vor einigen Jahren erlebt
hatte.
Er erinnerte sich an die Worte, die während dieses Vorfalls gefallen waren, und
machte
noch einmal die Schmerzen durch, die er damals erlitten hatte, als er durch die
Windschutzscheibe geschleudert worden war. Ich ließ ihn das ganze mehrfach
wiederholen
und holte ihn dann in die Gegenwart zurück. Er war ganz durcheinander. Ich hätte
das Auditieren dieses Unfalls zu schnell abgebrochen, beschwerte er sich, und damit
Hubbards
wichtigste Vorschrift verletzt: lasse niemals einen Patienten mitten in einem Engramm
allein.
Während der nächsten zehn, zwölf Jahre hörte ich wenig von Hubbard. Er
reiste viel herum und sammelte hier und dort Gruppen von Jüngern. Wie es schien,
mußte er dauernd versuchen, den Behörden um eine Nasenlänge voraus zu
sein;
ständig hatte er Schwierigkeiten mit ihnen. Ich las eins seiner neuen Bücher und
fand, daß es weit weniger überzeugend war, als sein Erstlingswerk. Es entsprach
vielmehr der Science Fiction, die Hubbard früher geschrieben hatte. Es enthielt eine
neue, noch verworrenere Terminologie. Da gibt es MEST, eine Abkürzung für
Materie,
Energie, Raum und Zeit (= matter, energy, space und time): das physische Universum; ferner
enMEST, das ist MEST im Zustand der Turbulenz. Dann Theta, der Bereich des Geistigen oder
Nicht-Physischen und enTheta (Theta in der Turbulenz, der Unruhe). Die Folgen der Jagd
nach
Engrammen versetzen Patienten in einen tiefen Abkühlungsschlaf, eine Periode der
Erschöpfung oder sogar der Bewußtlosigkeit, die bis zu dreißig Stunden
dauert. Ich fragte mich, warum Hubbard diese änderungen für nötig hielt,
obwohl er eben erst die ursprüngliche Dianetic als unweigerlich erfolgreich
bezeichnet
hatte. Eine Werbeschrift, die zusammen mit dem späteren Buch herauskam, enthielt die
Mitteilung, daß in Wichita, Kansas, eine "Stiftung zur Erforschung der Dianetic"
errichtet worden sei, wo man sich gegen Bezahlung auditieren lassen könne. Daraus
konnte man schließen, daß Hubbard irgendwann nach der Veröffentlichung
von
"Dianetic" auf die Idee gekommen war, daß sich "Laien" nicht gegenseitig auditieren
könnten. Ich war enttäuscht zu erfahren, daß die häufige Lektüre
von Dianetic und die sorgfältig ausgeführten Auditions-Sitzungen mit meinem
Freund
eine noch größere Zeitverschwendung gewesen waren, als wir beide angenommen
hatten. Jetzt sah es so aus, als ob L. Ron Hubbard selbst nie so ganz an die Dianetic
geglaubt hatte, ganz im Gegensatz zu seinen Behauptungen. Die Werbebroschüre verriet
außerdem die Tendenz zum Geldmachen zu offen, als daß man darüber
hätte hinwegsehen können.
Kaum nötig zu sagen, daß Hubbards Bücher über Seele und Geist von den
Kritikern zerfetzt wurden; sie bezeichneten seine Theorien als wissenschaftlich
völlig
unbegründet. In seinem Buch "Fads and Fal-
lacies in the Name of Science" (etwa "Lug und Trug im Namen der Wissenschaft") ging Martin Gardner mit der Dianetic ins Gericht. Mehr als eine Satire wurde veröffentlicht. Hubbards überzogene Behauptungen, sein arrogantes Vokabular boten perfekte Zielscheiben. Es ging bergab mit ihm. Ein Magazin brachte das Gerücht, Hubbard sei in ein Hospital für Geisteskranke eingeliefert worden. Ich selbst dachte kaum noch an L. Ron Hubbard und an die Dianetic.
14
Das unbeirrbare Streben nach Gewißheit ist nicht der Ausdruck wahren Glaubens sondern wurzelt in der Notwendigkeit, den unerträglichen Zweifel zu besiegen.ERICH FROMM
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... wir gehen bei jedem Patienten genau auf das Problem ein, das ihn zu uns gebracht hat, damit wir ihn nie durch eine änderung unserer Taktik erschrecken. Dann wecken wir sein Interesse, clear zu werden...L. RON HUBBARD
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Mitte der sechziger Jahre hörte ich durch zwei Freunde - unabhängig von
einander - zum erstenmal etwas über Scientology. Diesen Begriff hielt ich damals
für einen Sammelnamen für alles, was L. Ron Hubbard seit 1950 hervorgebracht
hatte. Meine Freunde zogen es vor, von einer Erweiterung der Dianetic zu sprechen; das
Ganze
schien jedenfalls noch mehr ausgeschmückt zu sein als das Buch, das ich in der
Zwischenzeit gelesen hatte. Engramme oder den Vorgang des Clear-Werdens erwähnten sie
nicht. Statt dessen sprachen sie vom "Thetan", der reinen, ursprünglichen,
unsterblichen Seele, und dem Ziel sie zu befreien. Sie waren nicht in der Lage, genau zu
sagen, wovon der Thetan befreit werden mußte. Aber was immer es war, es betraf nicht
nur sein jetziges Leben, wie die Engramme, sondern es führte den Patienten in
frühere Existenzen zurück. Diese Befreiung des Thetan wurde erreicht durch eine
Serie von "Beichten", bei denen der Patient oder PC (von preclear: einer, der noch nicht
clear ist) einige ziemlich persönliche Fragen beantworten mußte. Diese Tests
wurden "Prozesse" genannt und umfaßten fünf Grade, jeder mit einem
unterschiedlichen Ziel, wie "Die Stärkung der Kommunikationsfähigkeit des PC"
oder
"Die Stärkung seiner Fähigkeit Probleme zu lösen". Wollte man die einzelnen
Stufen durchlaufen, mußte man verschiedene Reisen zur nächstgelegenen
Zweigstelle
der Scientology-Organisation unternehmen, der "Org", wie der Fachausdruck lautete, und
über 700 Dollar zahlen.
Durch die folgenden Seiten wird der Leser so vertraut mit diesen Begriffen werden, als
handele es sich um Worte auf seiner Einkaufsliste. Meine Freunde gaben mir den Eindruck,
das
wichtigste bei der Scientology seien nicht die Thetanen oder Prozesse, sondern eine
Maschine: Während jeder Auditionssitzung umklammerte der Preclear zwei leere
Konservenbüchsen, die durch Drähte mit einem "E-Meter" genannten elektrischen
Gerät verbunden sind. Der E-Meter schickt ständig eine leichte elektrische
Ladung
durch den Körper des Patienten und registriert auf einer Skala dessen "Widerstand"
gegen gewisse Fragen. Der Auditor kann die Antworten des Preclear überwachen, indem
er
die Skala beobachtet. Dadurch weiß er, wie bei der Befragung vorzugehen ist. Der
E-Meter spürt jede Spannung sofort auf. Er verrät dem Auditor, ob der PC
nervös ist, etwas zu verbergen versucht - oder überhaupt etwas denkt!
Meine Freunde lobten die wunderbaren Kräfte dieses Apparates, als wäre es nicht
eine Art von kleinem, tragbarem Lügendetektor, sondern
eine magische Wünschelrute. Das galt besonders für einen von ihnen (ich
möchte ihn Morton Morvis nennen). Er fand, daß er bei der Befragung mit dem
E-Meter seine innersten Gedanken offenbaren mußte, gleichgültig, wie riskant
oder
selbstanklägerisch sie waren. Er schien dies zu genießen, vor allem wenn der
Auditor eine üppige junge Frau war.
Morton liebte es, mich mit Geschichten aus der New York Org zu unterhalten, wo er an einem
Kurs als künftiger Auditor teilnahm. Zu den wichtigsten Dingen, die er lernen
mußte, gehörte es, beim Auditieren eines Preclear die Fakten nicht
durcheinander
zu bringen. Er mußte genügend Selbstkontrolle haben, um selbst vor dem
extremsten
Unsinn aus dem reaktiven Geist des PC nicht zurückzuschrecken, aus dem Teil seiner
Psyche, der die Engramme und anderen Verwirrungen beherbergte. Um dem Schüler zu
helfen, sich diese Fähigkeit anzueignen, spielte ein Ausbilder die Rolle eines PC,
der
- voll reaktiven Geistes - nichts anderes im Sinn hatte, als den Auditor in jeder
denkbaren
Weise durcheinander zu bringen. Dieser Drill war als "Stier-Hetze" bekannt.
Die meisten Ausbilder versuchten, den künftigen Auditor zum Lachen zu bringen. Morton
beschrieb mir eine derartige Sitzung. Er und sein Ausbilder saßen sich auf zwei
Sesseln gegenüber, der Ausbilder ganz dicht vor ihm, so daß er Mortons Knie mit
seinen festhalten konnte. Der Ausbilder machte sich dann daran, Mortons schwache Punkte
herauszufinden, die ihn bei der zum Auditieren notwendigen Konzentration stören
konnten. Mit Erfolg. Sechs Stunden dauerte es, bis Morton nicht mehr mit hilflosem
Gelächter auf die Attacken des Ausbilders und anderer Scientologen antwortete, die
ihn
mit Juden-Witzen (Morton selbst war Jude) und Imitationen jüdischer Gesänge aufs
Glatteis führten.
Die sexuelle Seite des Lebens ergab natürlich die beste Gelegenheit, den Auditor
abzulenken. Das gab Morton eine Chance, sich an der Frau zu rächen, die ihn vorher
traktiert hatte. Tatsächlich gelang es ihr nicht, ein ernstes Gesicht zu behalten,
als
er sagte: "Ich habe Lust, mit meiner Zunge zwischen Ihren Beinen zu spielen", wobei er die
Bewegungen des Leckens drastisch vorführte. Doch sie behielt das letzte Wort, als sie
an der Reihe war, den aktiven Part bei der Stierhetze zu spielen. Sie stellte einen
weiteren
Schwächepunkt bei ihm fest - Blähungen - und brachte ihn erneut zu
Lachkrämpfen, indem sie ihm die entsprechenden Geräusche mit großem
Erfindungsreichtum vorführte.
Eine andere Freundin, Hildegard Sonderstrom, beschäftigte sich sehr viel ernsthafter
mit der Scientology als Morton, dem es vor allem der Spaß und das spielerische
Element
in der Org angetan hatten. Sie verbrachte ihre ganze freie Zeit in der Org und
drängte
mich, ebenfalls hinzugehen, um mich auditieren zu lassen. Hildegard erzählte mir von
den Erfolgen des Auditierens, die ihr Leben verändert hätten.
"Vorher konnte ich mich nicht mitteilen", beteuerte sie. "Ich war abgeschlossen,
verriegelt,
lebte in einem Nebel, bis ich mich auditieren ließ und der ganze Seelenmüll
ausgeräumt wurde. Früher erlegte ich mir bei Dingen, die ich tun wollte, die
verrücktesten Beschränkungen auf. Das sind "Considerationen", in der
Scientologie-Sprache: falsche Betrachtungsweisen; während eines scientologischen
Prozesses verhindern sie die Befreiung vom reaktiven Geist. Es ist solch ein
Glücksgefühl, wenn man seine Considerationen aufgeben kann. Sie wehen einfach
fort! Es ist eine Offenbarung!"
"Aber Hildie, brauchen Offenbarungen nicht etwas Zeit?"
"Nicht mit dem E-Meter. Das ist keine Psychoanalyse oder Positives Denken oder so etwas.
Der
Meter ist ein wissenschaftliches Präzisionsinstrument. Er hat dazu geführt,
daß Scientology so viel schneller ist als Dianetic ... Es ist Hubbards Durchbruch!"
Der einzige Durchbruch, von dem hier die Rede sein kann, dachte ich damals, ist die
Tatsache, daß das Wort Absurdität eine neue Dimension gewonnen hat. Doch ich
ließ sie weiterreden.
Durch Hildegard lernte ich Felicia Lancia kennen, eine professionelle Auditorin. Hildegard
nahm mich eines Abends in ihr Appartement mit, nachdem sie betont hatte, sie führe
nichts Böses im Schilde. Felicia Lancia war eine schlanke und hübsche junge Frau
mit unwiderstehlichen Augen. Sie und ihr Mann Umberto waren Musiker wie ich, und wir
wurden
schnell Freunde. Das Paar beeindruckte mich. Sie waren beide keine Fanatiker. Umberto war
nicht annähernd so fest von der Scientology überzeugt wie die anderen. Er
interessierte sich mehr für seine Kompositionen als für seine Ausbildung zum
Auditor. Die Lancias schienen harmonisch zusammen zu leben, obgleich sie Felicias Beruf
unterschiedlich wichtig nahmen.
Wie Hildegard versprochen hatte, wurde kein Druck auf mich ausgeübt, mich der
Scientology anzuschließen. Selbstverständlich versuchte Felicia nicht die
Tatsache zu verbergen, daß sie mich sehr gern auditiert hätte. Als ich auf
ihrem
Klavier spielte, deutete sie mein Spiel scientologisch und sprach von meinem "Fluß"
und meiner "Aura". Hildegard machte mich auf das üppige Wachstum der Pflanzen
überall in der Wohnung aufmerksam. "Pflanzen brauchen ebenso Bestätigung wie
Menschen", sagte sie. "Wenn man mit ihnen verbunden ist, ihnen - wie wir es nennen - ARC
gibt und ihnen Ist-heit verleiht, dann gedeihen sie auch. Ich begrüße meine
Pflanzen immer. Ich mache ihnen Komplimente und ich streichele sie."
Felicia ließ mich ein Spiel ausprobieren, bei dem ich Bewegungen ihrer Hände
nachahmen mußte. Sie forderte mich auch auf, Hildegard durch den Raum zu schicken
und
dabei die Wände und einzelne Gegenstände berühren zu lassen. Ich sollte
ihren
Gehorsam bei der Ausführung der einzelnen Kommandos mit einem "Dankeschön"
bestätigen. Ich fand das bald monoton. Die beiden jungen Frauen meinten, ich stelle
mich bei diesen Übungen recht gut an und könne eines Tages ein guter Scientologe
werden.
Etwa eine Woche später lud mich Felicia in die New York Org ein. Sobald ich ankam,
wurde ich zum Empfang gebracht. Dort saß eine aufregende Blondine. Sie hatte die
Aufgabe, die Leute zu überreden, sich zum Auditieren und für neue Kurse
einzuschreiben. Mir schlug sie vor, sofort mit den unteren Graden zu beginnen und im
voraus
zu bezahlen. Während sie mir unverwandt in die Augen starrte, wurde mir unbehaglich.
Ich versuchte, mich von ihrem Blick zu lösen. Ich antwortete ihr, ich wolle noch ein
wenig warten, um die Angelegenheit zu bedenken. Daraufhin ging sie sofort in die
Offensive:
Offensichtlich habe ich Probleme, meinte sie, Scientology sei der einzige Weg zur totalen
Freiheit. Darum würde ich eine Sünde gegen mich selbst begehen, wenn ich
länger abwarte.
Ihre Plumpheit stieß mich ab. Ich befreite mich endgültig von ihrem
durchdringenden Blick. Später saß ich mit Felicia in einem Cafe. "Ich
hätte
dich gar nicht hinbringen sollen", sagte sie mit mitfühlendem Lächeln. "Du bist
zu
sehr Individualist für sie. Du darfst die Empfangsdame nicht tadeln - sie bekommt
eine
Prämie, wenn sie jemanden wirbt. Aber selbst ich finde sie mitunter ziemlich
anstrengend. Ich werde dich privat auditieren, in unserer Wohnung. Auf diese Weise kommst
du
mit den Fanatikern gar nicht mehr zusammen."
Ich nahm ihr Angebot nicht an. So sehr ich Felicia mochte, so wenig konnte ich einsehen,
wie
eine Serie von Fragen und eine Maschine mein Leben irgendwie verbessern konnten. Meinen
Freunden war es nie gelungen, mir klar zu machen, was genau die Scientology war, und vor
allem, wie sie bewirkte, was sie bewirken sollte. Ich hielt die Scientology einfach nur
für den privaten Glauben einiger meiner Freunde. Wenn sie ihnen half - um so besser.
Es
machte mir keine Mühe, ihrer Begeisterung Toleranz entgegenzubringen. Ich hatte einen
großen Bekanntenkreis innerhalb und außerhalb der Musikbranche. In jenen Tagen
suchten die meisten von uns auf den verschiedensten Wegen nach der Wahrheit. Ich selbst
las
Bücher über den Zen-Buddhismus, einige meiner Freunde praktizierten Yoga, andere
begannen, sich auf Drogen einzulassen. Alle waren zufrieden, solange niemand versuchte,
einem anderen seine Wahrheit aufzudrängen. Die Lancias belästigten mich mit
ihrer
Scientology nicht, darum gewöhnte ich mich daran, sie hin und wieder zu besuchen.
Eine Veränderung trat bald nach meiner Rückkehr nach New York ein. Ich hatte
eine
sechsmonatige Tournee mit einer Musicalproduktion hinter mir, eine Arbeit, die mir nicht
sehr gefiel. Diese lange andauernde Verdrossenheit ließ mich erkennen, wie sehr es
mir
seit Jahren an Kreativität gefehlt hatte, während ich für minimale Gagen
arbeitete und bescheiden in möblierten Zimmern wohnte, in der einzigen Hoffnung,
genug
Geld zu sparen, um einen großen Gewinn an der Börse zu machen. Genau zu dieser
Zeit machte mir Felicia ein Sonderangebot: Ich konnte mich zum ersten Grad auditieren
lassen
und brauchte nur dann weiter zu machen, wenn ich einen Nutzen davon spürte. Das war
in
der Tat günstig. Denn in der Org hätte ich sofort für alle fünf Grade
unterschreiben müssen, mit dem zusätzlichen Nachteil, ständig aufgefordert
zu
werden, eine Anzahlung auf gesonderte Trainingskurse zu leisten. Daß Felicia mir
Entscheidungsfreiheit ließ, erweckte sofort mein Interesse. Wenigstens hatte ich die
freie Wahl. Ich konnte mich von den Fanatikern fernhalten und zugleich meine Neugier
befriedigen. Wenn ich schon keine Ahnung hatte, worum es in der Scientology eigentlich
ging,
mochte es doch eine angenehme Beschäftigung sein, eben das herauszufinden. Wenn ich
mich ein paar Stunden von einer hübschen jungen Frau auditieren ließe,
überlegte ich mir, würde mich das schon nicht gleich zu einem Jünger
machen.
Der Spaß des Frage- und Antworte-Spiels und der Reiz, den E-Meter in Aktion zu
sehen,
würden allein die Kosten von 125 Dollar für den ersten Grad lohnen.
Was war der wahre Grund, weshalb ich mich auf das Auditieren, oder den "Prozeß", wie
es auch genannt wird, einließ? Ich habe viele Stunden damit verbracht, mir das zu
überlegen. Es liegt auf der Hand, daß mein ganzes Leben zu jener Zeit die
Antwort
darstellt. Ich möchte den Leser nicht mit einer Nabelschau langweilen. Ich will daher
nur sagen, daß ich äußerst neugierig war, beeinflußbar und bereit,
zweifelhafte und vielleicht sogar selbstzerstörerische Risiken ohne große
Bedenken einzugehen; daß mein Sinn für soziale Verantwortung unterentwickelt
war;
und daß ich seit langem persönliche Probleme hatte, ohne sie direkt anzugehen.
Ich wollte herausbekommen, was das Auditieren bewirkte, und ich wollte kein Spielverderber
sein.
Es war im April 1967, volle zwei Jahre, nachdem ich erstmals über die Scientology
hatte
sprechen hören, als ich mich bereit erklärte, daß Felicia mich auditierte.
Dies lange Zögern machte mich, wie ich meinte, zu einem Sonderfall gegenüber den
vielen, die schnell und total in die Gruppe eingetaucht waren.
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Felicia setzte mich ihr gegenüber an einen Tisch. Der E-Meter, ungefähr so
groß wie eine Zigarrenkiste, war in einem Winkel von 45 Grad auf dem Tisch
aufgebaut.
Nur der Auditor konnte die Bewegungen der Nadel auf der Skala beobachten. Zwei
Konservenbüchsen, die früher vielleicht einmal die Etiketten von Campbell's
Suppe
getragen hatten, standen in meiner Reichweite.
Felicia drehte an verschiedenen kleinen Knöpfen an dem Meter. Dann sagte sie mit
fester
Stimme: "Bitte nimm die Büchsen. Danke. Beginn der Sitzung." Sie schaute mir direkt
in
die Augen.
"Dies ist der Prozeß. Worüber willst du mit mir sprechen?"
"Musik", antwortete ich.
"Danke, Was willst du mir darüber sagen?"
"Alles, was ich weiß."
"Gut. Worüber willst du mit mir sprechen?"
"Über viele Dinge."
"Fein. Was willst du mir über sie sagen?"
"Was immer ich kann."
"Danke. Worüber willst du mit mir sprechen?"
Ich zögerte. Da war noch etwas. Ich zuckte zusammen, als mir schlagartig der Gedanke
ins Bewußtsein schoß, der mir bei ihrer Frage gekommen war und in meinem Hirn
aufblitzte wie eine Leuchtkugel.
"Ich werde die Auditionsfrage wiederholen. Worüber willst du mit mir
sprechen?"
Der E-Meter hatte es entdeckt. Ich zögerte.
"Die Nadel reagiert hier auf etwas. Was, meinst du, könnte das sein? Da, da!" rief
sie,
als sie weitere Reaktionen feststellte. Während ich dasaß und die
Konservenbüchsen umklammerte, hatte ich das plötzliche Bedürfnis zu
sprechen,
ihr alles zu sagen.
"Ich möchte mit dem Po eines Mädchens spielen."
"Danke. Was willst du mir darüber sagen?"
"Dauernd verfolgt mich der Wunsch, Mädchenpopos zu befummeln."
"Danke. Was willst du mir darüber erzählen?"
"Es verfolgt mich ständig."
"Gut. Und was willst du mir darüber erzählen!"
"Das ist alles.... Ich weiß nicht... Ich habe es getan ... Ich meine, ich habe
hineingeschaut... verschiedentlich. Ich weiß einfach nicht, wonach ich schaue oder
warum. Es ist so dumm."
"Fein. Falls du hineinschaust, was willst du mir darüber erzählen? Nenne
einfach ein paar Dinge, die du sehen könntest." "Ein Loch ... ein Rektum ...
einen
Tunnel."
24
"Danke. Noch etwas?"25
man genau nach den Stufen vorgeht, die den Preclear von verschiedenen Problemen
befreien
sollen, scheint es eine Anzahl verborgener Stufen oder Stationen zu geben, die ihn Schritt
für Schritt in eine völlig andere Richtung lenken.
Während dieser ersten Sitzung hatte ich meinen eigenen Weg durch diese geheimen
Stufen
begonnen.
Wir trafen uns zwei Tage später. Als erstes fragte sie:
"Welchen Gewinn hattest du von der vorigen Sitzung?" Ich sagte ihr, daß
sich
bis jetzt noch keiner eingestellt hätte. Sie begann wieder ihre Fragen zu stellen.
"Wenn du mit einem Polizisten sprechen könntest, worüber würdest du mit
ihm reden?"
"Über alles, worüber er sprechen wollte."
"Fein. Wenn du mit einem Polizisten über etwas, worüber er sprechen wollte,
reden würdest, was würdest du dann genau sagen?"
"Irgendetwas, das mir keine Schwierigkeiten einbringt."
"Danke. Wenn du mit Vater oder Mutter sprechen könntest, über was
würdest
du sprechen?"
"... meine Mutter starb vor einigen Jahren."
"Gut. Was sind deine Überlegungen zum Thema Kommunikation?"
"Sie ist nicht in Frieden gestorben."
"O.k. Wenn du mit ihr reden würdest, worüber würdest du mit ihr sprechen?"
"Ich würde ihr sagen, daß es mir leid tut."
"Danke. Wenn du ihr sagen würdest, daß es dir leid tut, was würdest du
genau sagen?"
"Wie meinst du das?"
Sie ließ mich die Büchsen für einen Moment hinstellen, während sie
erklärte, ich könne so tun, als ob meine Mutter anwesend wäre. Ich griff
wieder nach den Büchsen und sagte meiner Mutter, daß ich wünschte, ich
wäre freundlicher zu ihr gewesen, als sie noch lebte. Am Ende der Sitzung wollte
Felicia wissen, welche Fortschritte ich gemacht hätte. Ich konnte ihr keine genaue
Antwort geben. Etwa eine Stunde nach dem Beginn der dritten Sitzung richtete sich Felicia
in
ihrem Stuhl kerzengerade auf, sie hatte den abwesenden Blick eines Hundes, der in den Wind
schnüffelt. Meine Antworten kamen jetzt schneller, und ihre Augen glänzten, als
ob
gleich etwas Wunderbares passieren müßte.
"Ich überprüfe folgende Frage: Wenn du mit einem Richter ein Gespräch
führtest, worüber möchtest du mit ihm reden?"
"Über alles."
26
"Fein. Wenn du dich einem Publikum von mehreren tausend Menschen mitteilen könntest, worüber möchtest du dann sprechen?"27
erfaßt, und es ist gut, daß du ihn hattest und ihn mir mitgeteilt hast."
Diese konzentrierte Aufmerksamkeit und das bemerkenswerte Tempo, mit dem wir intime
Phänomene ausgelotet hatten, brachten mich zu der Überzeugung, daß der
Prozeß des Auditierens mich vielleicht mehr berührte, als alles, was ich vorher
getan hatte. Dabei hatte ich immer noch keine Ahnung, wohin das alles führte. Mir
scheint, daß Felicia eine Menge Einfühlungsvermögen hatte, aber in ganz
anderer Weise, als mir je begegnet war. Es war ein Hauch von Erotik dabei - wenn auch
anders
als üblich - oder machte ich mir etwas vor? Ich wußte, daß Felicia eine
Freundin war, daß sie mich respektierte, ganz gleich, wie ich auf eine
Auditionsfrage
antwortete; und daß sie etwas von mir wollte, das ich ihr nicht verweigern mochte.
Eine Woche später bezahlte ich und nahm die nächste Serie von Sitzungen auf:
"Grad
I: Probleme."
Umberto Lancia hielt die Scientology für heilsam, meinte aber, daß man sich
nicht
von ihr beherrschen lassen solle. Er freute sich auf unsere gemeinsamen musikalischen
Abende
und auf unsere langen Spaziergänge im Park, weil er dadurch der dauernden
Fachsimpelei
seiner Frau und ihres Kreises entgehen konnte. Vor allem Hildegard Sonderstrom war es, die
ihn mit ihrer Angewohnheit, Luftschlösser auf Hubbards Ideen aufzubauen, in Wut
versetzte. Sie lebte praktisch in seiner Wohnung, wenn sie sich nicht in der Org aufhielt.
Ein anderer häufiger Besucher war Maurice Moussorgsky. Er war schon seit langem
Scientologe und einer von Felicias ersten Auditoren. Er war bekannt dafür, daß
er
Preclears mit seinen anerkanntermaßen unorthodoxen Methoden schnell zum Release
brachte. Er war kräftig gebaut, blauäugig und pockennarbig, mit einem groben,
doch
ebenmäßigen Gesicht und einem Vollbart. Umberto fand ihn unerträglich.
An dem Abend, an dem ich Maurice kennenlernte, führten Hildegard und ich ein
Streitgespräch über die Frage, wie man ein Musikstück einstudieren
mußte. Immer wenn wir darüber sprachen, ertappte ich mich zu meinem ärger
dabei, daß ich mit ihr wie ein Student im zweiten Semester sprach. So
äußerte ich mich über den "Schmerz, den manche Leute durch das Üben
zu
erleiden fürchten". Maurice, der den Anschein erweckt hatte, in ein anderes
Gespräch verwickelt zu sein, brüllte mir durch das ganze Zimmer zu:
"Und was bringt Sie auf die Idee, Sie wüßten etwas von Schmerz oder Freude? Sie
sollten diese Dinge selbst erfahren, bevor Sie darüber reden!"
Hildegard und ich besprachen den Vorfall später, als ich sie nach Hause brachte.
28
"Maurice hat immer einen guten Grund für alles, was er tut, und er hat schon schrecklich vielen Leuten geholfen", sagte sie. Sie konnte aber weder den "guten Grund" noch die Hilfe für mich erklären. Der Zusammenprall mit Maurice, praktisch zwanzig Minuten, nachdem wir uns zum erstenmal die Hand gegeben hatten, machte es mir schwer zu verstehen, warum Hildegard und Felicia so große Stücke auf ihn hielten.Du als ein Theta-Wesen magst vielleicht Griechenland oder Rom gesehen haben - oder auch nicht.L. RON HUBBARD
"Dies ist der Prozeß. Sag mir ein Probleme
"Manchmal kann das Leben ein Problem werden."
"Fein. Wie würdest du es lösen?"
"Ich weiß nicht."
"Ich wiederhole die Auditionsfrage: Wie würdest du es lösen?"
"Wahrscheinlich gibt es mehrere Wege."
"Fein. Worin könnten sie deiner Meinung nach bestehen?"
"Aktiv sein...passiv sein...kämpfen...fliehen...wie verrückt
arbeiten...gammeln..."
"Gut. Sag mir alle möglichen Lösungen"
"Dinge tun. Ich könnte bessere Arbeit suchen, eine Wohnung mieten, mich verlieben,
heiraten, etwas studieren."
"Danke. Noch andere Lösungen?"
"Sport treiben. Nicht mehr rauchen, vernünftig essen, meditieren, lesen, alle Dinge
tun, die ich mir vorgenommen hatte."
"Danke. Wie würdest du es lösen?"
"Klavier üben, eine Vorstellung geben, ein Buch schreiben, alle meine Pläne
ausführen. - Eben fällt mir etwas ein. Aber es hat nichts mit dem zu tun, womit
wir uns gerade beschäftigen. Ich habe ein seltsames Gefühl."
29
"Gut. Was, meinst du, könnte das sein?"
""Ich sehe mich in Afghanistan, in einem Zelt. Draußen sind grüne Felder,
Fahnen,
Pferde."
"Fein. Wann ist das?"
"Mein erster Gedanke ist das fünfzehnte Jahrhundert..."
"Gut. Ist das die Zeit?"
"Ja, das glaube ich."
"Gut, danke. Ist sonst noch etwas auf diesem Bild?"
"Ja, ich war einmal auf einer Konzertreise in Afghanistan. Das ist komisch: ich sah
ähnliche Felder und Fahnen letzten Sonntag bei einer Versammlung im Central Park."
"Danke. Noch etwas?"
"... aber jetzt ist es anders. Ich glaube, Flammen zu sehen, oder Fackeln, Rauchwolken. Es
ist seltsam, ich kann es nicht glauben, aber mir ist, als ob ich schon vorher dort gewesen
wäre."
"Danke. Was sind deine Überlegungen zum Thema Realität?"
"Ich weiß einfach nicht, ob dies wirklich passiert, oder ob es ein Traum oder ein
Phantasie-Gebilde ist. Ich sinke immer tiefer hinein. Es bereitet mir Unbehagen ...ja, ich
glaube, ich werde in dem Zelt gefangen gehalten."
"Danke. Noch etwas?"
"Ich möchte da heraus. Tatsächlich bin ich drinnen und bilde mir ein, ich
wäre draußen und sähe die Pferde. Es gibt ein Rennen oder so."
"Danke. Wie würdest du es lösen?"
"Ich kann es nicht lösen. Ich stecke fest, ich bin hilflos. Das ist es. Ich bin ein
wenige Monate alter Säugling und ich kann überhaupt nichts tun. Ich bin für
das, was geschieht, nicht verantwortlich."
"Verstanden! Was sind deine Überlegungen zum Thema Verantwortlichkeit?"
"Das Wort hat eine unangenehme Nebenbedeutung für mich. Ich verbinde damit Schuld,
Scham, den Zwang, Dinge zu tun, die man eigentlich nicht tun will - und wenn man sie
unterläßt, erntet man Tadel."
"Gut. Stell jetzt die Büchsen auf den Tisch. Hier ist ein Webster Lexikon. Schlag das
Wort 'Verantwortlichkeit' auf. 0.K., was bedeutet es also?"
"Ich merke, worauf du hinaus willst, aber ich mag das Wort einfach nicht. Es geht mir
gegen
den Strich."
"Ich möchte sicher gehen, daß du weißt, was das Wort wirklich bedeutet.
Denn es ist eins der Hauptziele des Prozesses, das Verantwortungsgefühl zu
stärken. Je mehr einer bereit ist, Verantwortung für seine Vergangenheit zu
übernehmen ..."
"War es ein früheres Leben, was ich dir beschrieben habe?"
30
"Es ist deine Sache, das zu beurteilen."Die hier beschriebenen Auditionssitzungen sind nicht wörtlich dargestellt. Sie haben den Charakter einer Rekonstruktion. Stundenlange Sitzungen sind teilweise in einem Satz zusammengefaßt. Aber der Bericht zeigt genau, was in den Sitzungen passiert, oder zumindest pas-
31
sieren kann.
Was die Fragen selbst betrifft, sie sind selbstverständlich so angelegt, daß
sie
den Preclear anfangs etwas unbehaglich machen. Das ist nötig, damit er später
Erleichterung spüren kann. In der Sprache der Scientologen: "Sein reaktiver Geist
wird
absichtlich restimuliert (= wieder angeregt), damit er destimuliert (= abgeregt, beruhigt)
werden kann." (Abgekürzt: "Restim zum Zweck des Destim".)
Eine sehr allgemeine Frage wird in dem Prozeß ständig wiederholt. Zuerst sieht
der Preclear keine Möglichkeit, hieb- und stichfest zu antworten. Dennoch wird er
versuchen, nach besten Kräften zu antworten, wobei er die Antwort immer auch
einschränkt. Bis zu einem gewissen Maße fühlt er sich unter Druck, unter
Zwang und in eine Falle gelockt. Seine nächste Reaktion ist der verstärkte
Wunsch,
die wiederholte Frage zu beantworten, denn jedesmal, wenn er seinen Mund öffnet,
erhält er eine kleine Belohnung in Form einer Bestätigung (Fein! Gut! OK! usw.).
Schließlich möchte er das Gefühl haben, jede Frage beantworten zu
können, so daß er möglichst viele Belohnungen erhält. Und zu diesem
Zweck ist er bereit, Antworten zu erfinden. Wenn er zögernd antwortet (das wird
"Comm-Unterbrechung", Abkürzung für Kommunikationsunterbrechung, genannt), wird
die Frage automatisch wiederholt, damit er schneller antwortet. Nun ist er brav.
Schließlich möchte er ja selbst vorankommen. Nach einiger Zeit ist ihm ganz
egal,
was er sagt. Sein Verstand wird wie ein Computer behandelt, und was er sagt, ist wie ein
Rechenexempel, das auf dem E-Meter registriert wird. Die ständigen Bestätigungen
und die Nichtbewertung seiner Antworten durch den Auditor prägen ihm das deutlich
ein.
Während der Sitzungen wird ihm tatsächlich nie gesagt, was er glauben soll. Aber
wenn man ausspricht, was man nie aussprechen wollte, ist es nur noch ein kleiner Schritt,
auch zu glauben, was man gesagt hat. Der Preclear möchte sowieso glauben, daß
alles, was geschieht, ihm hilft. Die Auditionssitzung ist präzis darauf ausgerichtet,
diese Haltung auszunutzen.
Felicia selbst hatte nichts dazu beigetragen, um meine Visionen von einem früheren
Leben zu fördern. Sehr gewandt vermied sie jedes eigene Urteil, in genau gleicher
Weise
bestätigte sie, was ich entweder für trivial oder für bedeutsam hielt.
Anscheinend gab sie auf diese Weise ihre Zustimmung zu meinen seelischen Wanderungen -,
aber
es gab nichts Konkreteres als ihre bloße Bestätigung von allem, was ich als
Antwort auf ihre Fragen sagte. Von vornherein hatte ich gewußt, daß ich in
diesem Prozeß früher oder später mit meiner früheren Existenz oder
mit
der Loslösung meiner Seele vom Körper zu tun haben
32
würde. Und vielleicht hatte die Tatsache, daß ich für einen weiteren Grad bezahlt hatte, mich dazu veranlaßt, diese Vorstellungen in den Sitzungen auszuprobieren. Ich konnte nichts Falsches in solchen Ideen sehen. Seit Urzeiten hatte sich die Menschheit damit beschäftigt, sie gehörten zu den Grundüberzeugungen vieler Religionen, sie waren anerkanntermaßen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung; es wäre vermessen gewesen, sie einfach als Unsinn einzustufen.33
"Diese Frage beschwert mich sehr. Sie erweckt alle schlechten Dinge, die ich getan
habe,
zum Leben."
"Ich wiederhole die Auditionsfrage: Was hast du getan?"
"Ich habe manchmal auch Gutes getan. Doch jetzt verbinde ich die Frage mit den bösen
Taten, die ich begangen habe. Ich höre die Frage, als ob sie lauten würde: ,Was
hast du Böses getan?'"
"Stell die Büchsen einen Moment ab. In der Stufe II haben wir es mit dem
'Verborgenen'
und mit dem 'Zurückgehaltenen' zu tun. Ich möchte, daß du selbst diese
Begriffe im Scientology-Lexikon hier nachschlägst."
Das "Verborgene" (= "Overt") wird als ein schädlicher oder gegen das Überleben
gerichteter Akt definiert; das "Zurückgehaltene" (= "Withhold") als ein
verheimlichter
Overt.
"In Ordnung. Was hast du getan?"
Ich teilte ihr meine verborgenen Akte mit, soweit ich mich zurückerinnern konnte.
Viele
waren sexueller Art.
"Danke. Was hast du getan?"
"Ich fühle mich noch immer schuldig gegenüber meiner Mutter."
"Danke. Was sind deine Überlegungen zum Thema Schuld?"
"Sie ist unbegründet. Ich habe nichts Schreckliches getan."
"Fein. Andere Überlegungen?"
"Ich habe nie viel mit ihr gesprochen, aber ich fühle mich vollkommen frei, ihr das
jetzt zu sagen, falls sie noch am Leben wäre - wie du es schon von mir verlangt
hast."
"Danke. Was hast du nicht gesagt?"
"Das ist lächerlich. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, daß ich mich wegen
irgendwelcher Dinge, die ich getan habe, schuldig fühle, es wäre auch sinnlos.
Nichts davon war sehr wichtig, und was ich auch getan habe, es entsprach meinem kindlichen
Alter. Kann es sein, daß ich diese verborgenen Akte beging, weil ich mich von Anfang
an schuldig fühlte? Ich glaube, jetzt sind wir dabei, etwas herauszubekommen."
"Verstanden! Ich überprüfe die Frage: Was hast du nicht gesagt?"
Während der nächsten Sekunden dachte ich an unsere erste Sitzung zurück. Es
war noch etwas übrig, was ich noch nicht gesagt hatte, aber was war es? Es existierte
nicht einmal - ich jagte Einbildungen nach! Ich wußte schon besser Bescheid und
konnte
schneller die Möglichkeiten erkennen, die während der Sitzungen im Nu auftauchen
konnten. Aber wenn ich auf die Dinge stieß, die ich seit Jahren getan hatte, konnte
ich das so schnell aufgeben?
Felicia, die intensiv den E-Meter beobachtete, lächelte. Ich hatte mich so oft selbst
gequält - und nun kündigte Felicia schon mein Release, meine Befreiung, an.
34
Hildegard, die in der Küche gesessen und gelesen hatte, kam herein und umarmte
mich
unter Glückwünschen. Früher hätte ich mich darüber amüsiert.
Ich hatte nichts weiter getan, als Fragen zu beantworten und hin und wieder einen
seelischen
Höhenflug anzutreten. Woran es gefehlt hatte, das war meine aktive Teilnahme. Doch
jetzt hatte ich mir ihren Beifall dadurch verdient, daß ich die Dinge selbst in die
Hand genommen hatte - gerade dadurch hatte ich eine wirkliche Erkenntnis erzielt, einen
Erfolg für Felicia und für mich.
Das Auditieren kam mir nun wie selbstverständlich vor. Bestätigungen waren in
unserer Gesellschaft so selten zu erlangen, daß ich einige Sitzungen gebraucht
hatte,
um mich daran zu gewöhnen. Felicias freundlicher aber durchdringender Blick
schüchterte mich nicht länger ein. Eine Zeitlang hatte ich meine Augen immer von
ihren abgewandt; nun konnte ich mich der Wärme und den guten Absichten öffnen,
die
ich in ihren Augen lesen konnte. Ich kostete es aus, daß ich jetzt fähig war,
einem anderen Menschen in die Augen zu sehen. Wie ausweichend hatte ich mich während
meines ganzen Lebens verhalten! Wie sehr waren meine Beziehungen im Vergleich zu dieser
eingeengt und flüchtig gewesen! Es war sehr schade, daß Felicia nach England
mußte, bevor wir die nächsten beiden Grade erledigen konnten.
Ich fühlte mich nicht mehr unter Druck oder Zwang, wenn ich ständig nach meinen
Fortschritten gefragt wurde. Ich versuchte, so zu antworten, daß ein Fortschritt
dabei
herauskam. Anfangs machte mich das ein wenig verlegen, als ob man noch einmal sprechen
lernen müßte. Doch sobald sich mehr Fortschritte einstellen würden, wollte
ich mir selbst beibringen, sie noch besser auszudrücken.
Eine Woche, nachdem die Lancias nach England abgereist waren, begann Maurice Moussorgsky mich anzurufen. Felicia hatte vorgeschlagen, ich sollte die beiden noch ausstehenden unteren Grade III und IV mit seiner Hilfe abschließen. Aber ich war davon zunächst gar nicht begeistert. Maurice lebte bei seinen Eltern in Queens und machte täglich Ausfälle nach Manhattan, wobei er seinen E-Meter in einem Diplomatenköfferchen trug, wie ein Vertreter, der seinen Bezirk mit Warenproben abläuft. Jede erreichbare Wohnung diente ihm als Stützpunkt. Im Apartment der Lancias hatte er geduscht, sich rasiert, sein Hemd gewechselt und den Kühlschrank geplündert. Seltsamerweise
35
stand er trotz seiner Schmarotzerei in dem Ruf, als Auditor ein As zu sein; ich war
natürlich ein wenig neugierig, den Grund zu erfahren. Eigentlich konnte es nicht
schaden, die beiden Grade bei ihm zu absolvieren, solange er sich nicht vollends zum
Parasiten entwickelte.
Bei Grad III ging es um Störungen, die durch fremde Personen verursacht worden waren.
Unangenehme Begegnungen mit den verschiedensten Leuten wurden bis in meine Kindheit
zurück verfolgt. Der Gedanke dabei war, sich von jenen Erlebnissen zu befreien und
eine
Wiederholung in der Gegenwart auszuschließen. Störungen durch Personen
hießen ARC-Brüche (A = Affinität; R = Realität; C = Kommunikation.
Zusammengenommen bedeutet ARC: Gegenseitiges Verständnis).
Maurice wirkte wie eine Karikatur mit seinen kalten blauen Augen, seinen Pockennarben und
seinen exzentrischen Hemd-Krawatten-Kombinationen. Seine Bestätigungen bestanden aus
einem knappen "In Ordnung", danach verzog er seine Oberlippe, so daß ich mich
fragte,
ob es wirklich "in Ordnung" war. Häufig unterbrach er die Sitzung mit dem Kommando:
"O.k., setzen Sie die Büchsen ab." Dann gab er mir Erklärungen, die ich selten
verstand. Eine dieser Erklärungen hatte es mit "Ausweichen" zu tun, was Menschen mit
einem reaktiven Geist anscheinend dauernd tun (offenbar war auch ich ausgewichen).
"Angenommen, Sie sitzen am Klavier und versuchen zu üben, und dabei meinen Sie
dauernd,
einen Alligator zu sehen. Da ist er wieder, er kommt durch den Fußboden nach oben!
Da,
da! Manchmal fragen Sie sich dann, was, zum Teufel, los ist. Wenn Sie es sich richtig
überlegen, genau so gehen die meisten Leute durch ihr ganzes Leben." Maurice wich so
oft von der Hauptlinie des Prozesses ab, daß es oft schien, er improvisiere nur.
Während der ersten Sitzung veranstaltete er einen S&D- (= Search and Discovery:
Suche und Entdeckung) Prozeß, um die Person aufzuspüren, die mich
unterdrückt hatte. Ich mußte jeden Erwachsenen nennen, der mich zurechtgewiesen
hatte, als ich noch ein Junge war. Mitten während der zweiten Sitzung entschied er
plötzlich, ich müsse "dianetisch" auditiert werden. Gewisse Aspekte davon seien
neu für mich, da Hubbard sie erst nach seinem Buch entdeckt habe. Fälle von
Verlusten, "Secundarien" genannt, würden vor den Engrammen behandelt, da sie für
den Preclear einen bequemeren und leichteren Beginn darstellen. Es werde für
unnötig gehalten, ihn alle seine Engramme erneut durchleben zu lassen; die Behandlung
einer wichtigen Kette von Vorfällen oder sogar eines einzigen Ereignisses reichten
aus,
um die "Dianetic Release" herbeizuführen.
Maurice dirigierte mich also durch eine "Secundarie", die sich ereignet hatte, als ich
sechs
Jahre alt war: damals hatte mich ein älterer Junge
36
mit dem Schlitten in einen Hohlweg gefahren. Ferner behandelte er eine Kette von zwei
Engrammen, ein verletztes Ohr und eine Brustfellentzündung. Dann erklärte er
mich
zum "Dianetic Release" und fügte hinzu, für das zusätzliche Auditieren
schulde ich ihm 150 Dollar. Ich weigerte mich mit der Begründung, daß vorher
von
Extra-Kosten keine Rede gewesen sei.
Gegen Ende der Sitzung wurde Maurice wütend auf mich, offensichtlich wegen der Art,
in
der ich eine seiner Fragen beantwortet hatte.
"Ich werde Sie nicht weiter auditieren!" brüllte er, und begann seinen Meter und die
Niederschriften einzupacken. Ich spürte, daß er nicht wirklich zornig war,
sondern mir nur etwas vorspielte. An der Tür zögerte er, die Aktentasche in der
Hand, und fing an, mir eine weitere Vorlesung zu halten. Ich wäre auch bereit
gewesen,
auf Felicias Rückkehr im Herbst zu warten, aber er mäßigte seinen Ton,
holte
seinen E-Meter wieder hervor und nahm die Sitzung auf, als sei nichts geschehen.
Später hörte ich, daß diese Szenen zu seiner Auditionstechnik
gehörten.
Er provozierte ähnliche Auftritte mit den meisten seiner Schüler: vermutlich, um
es zu einem ARC-Bruch kommen zu lassen, den er auditieren konnte.
Grad III wurde ohne weiteres Theater abgeschlossen, indem einige ARC-Brüche
aufgespürt und behandelt wurden - den eingeschlossen, den wir beide gerade hatten.
Ich hätte mich ohne weiteres weigern können, Grad IV mit Maurice zu machen, aber
es schien mir nicht wichtig. Das Auditieren, so folgerte ich, hatte sein eigenes Gewicht,
unabhängig von der Person hinter dem Meter und ihrem Charakter.
Der Zweck von Grad IV ist es, das "Service Facsimile" herauszubekommen. Dieser Begriff
wird
so definiert: Eine Behauptung, die das Individuum erfindet, um sich selbst ins Recht und
andere ins Unrecht zu setzen, um zu herrschen oder sich nicht beherrschen zu lassen, sowie
das eigene Überleben zu fördern und der Überlebenschance anderer zu
schaden.
Das "Service Facsimile" bringt das Individuum dazu, bestimmte Teile seines reaktiven
Geistes
absichtlich restimuliert zu halten, um damit Mißerfolge in seinem Leben zu
erklären. Dieser neurotische Schutzmechanismus kann - sobald er entdeckt ist - im
allgemeinen in einem einzigen Satz ausgedrückt werden.
Im Grad IV-Prozeß erhielt ich die Einführung in die Technik des
Listen-Aufstellens und Nullens. Sie wurde angewendet, um den Gegenstand mit der
größten Spannung auf einer Liste festzustellen. Unter Spannung wird die
Strom-Ladung verstanden, die sich auf der Zeit-Spur (= dem imaginären Filmstreifen
über die Vergangenheit eines
37
Menschen) angesammelt hat; sie wird so genannt, weil "Gedanken elektrischer Natur" seien.
Engramme und Secundarien haben die meiste Spannung, aber Probleme, verborgene und
zurückgehaltene Akte ("overts und withholds") sowie ARC-Brüche sind auch
"geladen". Ein großer Teil des Auditierens besteht darin, Spannung abzubauen.
Felicia
hatte das mit ihren Listen erreicht, obwohl sie sich nicht damit aufgehalten hatte, auch
das
Nullen vorzunehmen, das notwendig ist, um das allerwichtigste Problem festzustellen. Das
Nullen geht so vor sich, daß der Auditor die Liste des Preclear laut vorliest und
einen Strich (/) hinter jeden Gegenstand einträgt, der auf dem E-Meter eine
Nadel-Reaktion verursacht und ein X, wenn der Meter nicht reagiert. Dann wird die Liste
erneut vorgelesen, diesmal ohne die mit einem X versehenen Punkte. Dabei hören viele
angestrichene Gegenstände auf, den Meter zu beeinflussen. Sie erhalten nun auch ein
X,
weil auch sie nun "sauber" sind (= ohne Nadel-Reaktion). Bei der dritten oder vierten
Wiederholung werden weitere Punkte "sauber" und es gibt mehr Xe. Schließlich sind
alle
Punkte bis auf einen ausgenullt, und das ist dann der Punkt mit der größten
Spannung. Schon das Auffinden dieses Punktes, so heißt es, baut genügend
Spannung
ab, um den Preclear hinsichtlich des fraglichen Gegenstandes zu erleichtern.
Maurice ließ mich, wiederum aus unerfindlichen Gründen, eine Liste der Dinge
anfertigen, die ich nach der Sitzung tun möchte: ein Steak essen, einen
Mädchenpopo streicheln, ins Kino gehen - das waren einige der Punkte auf der Liste.
Als
mir nichts mehr einfiel, las Maurice mir die Liste vor, seine Stimme klang monoton. Ich
konnte sehen, wie er die Xe und Striche notierte, während sein Kugelschreiber die
Liste
entlang ging. Gewisse Punkte nullte er aus, andere wiederholte er ebenso monoton:
Steak-Essen //X
Mädchenpo streicheln ///
ins Kino gehen ///
"Einen Mädchenpopo streicheln. Das war unentschieden. Ich wiederhole":
Einen Mädchenpopo streicheln /// X
im Kino gehen ////
Ich weiß nicht mehr, welcher Punkt schließlich übrig blieb, und warum
Maurice gerade diese Liste nullen wollte. Nach der Sitzung gingen wir jedenfalls ein Steak
essen.
Eine andere Liste bestand aus den "Mädchen, die mir gefallen hatten". Sie begann mit
einem Baby-Sitter, setzte sich in chronologischer Reihenfolge bis zu gegenwärtigen
Bekanntschaften fort und umfaßte
38
schließlich mehrere Dutzend Eintragungen - Filmstars, Romanheldinnen und Schulfreundinnen. Zu meinem Erstaunen war die Eintragung mit der größten Spannung der Name von Betty Grable. Der Sinn auch dieser Liste blieb mir verborgen.... ein Individuum in so gründliche Kommunikation mit dem physikalischen Universum zu bringen, daß es die Macht und die Fähigkeit der Selbstbestimmung wieder erlangen kann.L. RON HUBBARD
Mit dem "Service Facsimile"-Konzept traf ich etwas neues in der Scientology an, etwas, das
für mein Denken verstehbar war. Mindestens ein Zweig der modernen Psychotherapie
behauptet, daß die Neurosen und viele physische Krankheiten in erster Linie durch
Worte und Sätze verursacht sind, die sich in der Jugend unbewußt
eingeprägt
haben, und zwar auf der Basis fehlerhafter Beweise. Nach dieser Theorie besteht das
Heilmittel darin, die falschen Schlüsse ans Licht zu bringen und gegen sie
anzukämpfen. Daß zwischen Psychiatrie und Scientology eine solche Brücke
bestand, kitzelte meinen Intellekt. Allerdings entging mir, daß es einen
entscheidenden Unterschied gibt: In der Psychotherapie erfordert es heftige Anstrengungen,
um diese Erkenntnisse zu erlangen, und dann muß man ein gutes Stück Arbeit
leisten, damit sie wirksam werden...
Der große äußere Unterschied zwischen dem Verhalten von Maurice und dem
von
Felicia beim Auditieren verdunkelte meine Kenntnis
39
davon, wie eine Release zustande kam. Ich war sicher, daß der
Auditionsprozeß
Vorteile bot und daß er von den ausübenden Personen nicht abhängig war.
Mir
war alles egal, wenn nur eine Release erfolgte. Denn Inzwischen war ich fest
überzeugt,
daß es eine Release gab, die von der Nadel des E-Meters auf der Skala angezeigt
wurde.
Ich war entschlossen herauszufinden, warum der Scientology-Prozeß funktionierte.
Die sogenannten "Considerationen" waren der entscheidende Faktor; das waren die Vorurteile
und selbstauferlegten Beschränkungen, die man aufgeben mußte, bevor der Meter
die
Release im Hinblick auf die jeweilige Prozeßfrage anzeigte. Die Considerationen
hielten die Spannung aufrecht. Der Preclear wurde häufig gefragt, was seine
Betrachtungsweisen, seine Considerationen waren; es ging nicht darum, sie erneut zu
durchleben, wie bei den Engrammen, noch viel weniger sollten sie analysiert werden. Es war
nichts weiter nötig, als sie dem Auditor mitzuteilen. Wie Hildegard es einmal
beschrieben hatte, zeigte der Meter dann an, wie die Spannung sofort abfiel, während
sich die Considerationen in dünner Luft auflösten. Der Auditor mußte vor
allem den E-Meter richtig ablesen können. Dadurch funktionierte der Prozeß.
Selbst mit einem Tölpel wie Maurice an der Skala.
Es gab viele Considerationen, die man loswerden mußte. Durch Erziehung oder
Vererbung
wuchs jeder Mensch mit den verschiedensten trügerischen Ansichten auf, dafür war
das "Service Facsimile" ein sehr gutes Beispiel. Außerdem war es möglich,
daß man schon in früheren Existenzen zu den Considerationen gekommen war. Aber
die Considerationen, die das Auditieren am meisten aufhielten, waren solche über
Scientology selbst. Vermutlich jedermann hatte feste Ansichten über den Wert von Zeit
und Geld. Eine Zeitlang war ich darüber verärgert, wie schnell man die einzelnen
Prozesse absolvieren konnte. Ich hatte versucht, jede Sitzung in die Länge zu ziehen,
um den richtigen Gegenwert für mein Geld zu bekommen. Eine weitere Consideration war,
daß jeder wirkliche Erfolg große Anstrengungen über einen langen Zeitraum
notwendig machte. Derartige vorschnelle Urteile, so glaubte ich jetzt, hatten mich bisher
daran gehindert, alle Möglichkeiten in meinem Leben voll auszuschöpfen. Kein
Wunder, daß ich immer das Gefühl hatte, irgend etwas mit mir müsse nicht
ganz in Ordnung sein! Ich hatte den Druck des Auditiert-Werdens nötig, um meine Wahl
zu
treffen: ob ich krank oder gesund sein wollte. Die ständig sich wiederholenden Fragen
hatten dieses Kernproblem von allem Beiwerk entkleidet. Irgendwann war mir klar geworden,
daß ich gesund werden wollte. Von da an war ich willens, all diese falschen
Meinungen
aufzugeben, an denen ich mich mein Leben lang festgeklammert hatte. Durch
40
diese änderung meiner Haltung war ich nun fähig, die beim Auditieren
erzielten
Fortschritte auch zu spüren. Ich wußte noch nicht ganz genau, worin sie
bestanden, aber ich hoffte, daß sie vor mir lagen, irgendwo in der nächsten
Zukunft.
Weiter wollte ich damals meine Überlegungen nicht treiben. Noch mehr Rückfragen
interessierten mich nicht. Etwa, warum ich ein mystisches Erlebnis gleich bei meiner
ersten
Sitzung hatte. Oder warum es Spannung, die ich allerdings nie bemerkt hatte, ausgerechnet
in
bezug auf Betty Grable gab. Eine allzu genaue und kritische Natur konnte leicht alle
Fortschritte im Keim ersticken. Oder - man konnte es auch so ausdrücken - der Glauben
war das Maß für künftige Fortschritte. Der Glaube war das wichtigste. Ich
entschied mich ganz aus freien Stücken. Ich mußte frei werden, zur wirklichen
Selbstbestimmung kommen, meine eigenen "Postulate" aufstellen. Postulate unterschieden
sich
von Considerationen: Considerationen gehörten zum alten, Postulate zum neuen
Menschen;
der neue war gut, der alte schlecht: am Ende war es eine Frage der freien Entscheidung.
Indien mit seinem "Eingehen ins Nirwana" hat uns 'Techniken' gegeben, DIE UNTER GARANTIE EINEN THETAN SO ENG MIT EINEM KÖRPER VERBINDEN, ALS WäRE ER ANGENIETET ODER MIT EISEN-BäNDERN FESTGEBUNDEN.L. RON HUBBARD
Maurice bereitete alles vor, damit ich zur Org gehen konnte, um meine Grade
überprüfen zu lassen und ein Zertifikat zu bekommen, das mich als Grad IV
Release
auswies.
Die New York Org war kürzlich erweitert worden und nahm nun den zweiten Stock eines
Vorstadt-Hotels ein. Die Rezeption war eine große Halle, die von einem Buchkiosk und
einem riesigen Porträt von L. Ron Hubbard beherrscht wurde. Sein gottgleiches
Gesicht,
visionär zum Horizont gereckt, sah aufgedunsen und roh aus. Die Halle wirkte ein
wenig
wie ein Irrenhaus; Scharen junger Leute in den Geburtswehen des Nirwana wirbelten
durcheinander und berichteten sich gegenseitig von ihren Fortschritten.
Ein junger Auditor trat an mich heran und brachte mich in eine Zelle. Dort begann er mit
der
Überprüfung meiner Stufen, indem er mir eine
41
oder zwei Fragen zu jedem Auditions-Prozeß stellte. Die Absicht war, daß
ich
jeweils den Moment der Release erneut erlebte, wobei er mich mit dem E-Meter
kontrollierte.
Die maschinengleiche und herablassende Freundlichkeit des Auditors machte mich
nervös.
Er gebrauchte ständig die gleiche Bestätigungsformel: ein
zuckersüßes,
öliges "Danke", das er mit leicht nasaler Stimme anbrachte. Jedes "Danke" war eine
perfekte Wiederholung des vorhergehenden. Während ich ihm in der engen Auditionszelle
gegenüber saß, hatte ich Mühe, mich an irgend etwas aus meinen
früheren
Sitzungen zu erinnern. Der Meter reagierte nur stockend, dauernd unterbrach er die
Überprüfung und versuchte, in verschiedenen Nebenprozessen Spannung abzuleiten.
Ich hatte sowieso keine Lust gehabt, die Org aufzusuchen, und genau dies schien der Meter
anzuzeigen. Nach zwanzig unbehaglichen Minuten führte mich der Auditor in ein kleines
Zimmer, kaum größer als die Auditionszelle. Auf dem Schild über der
Tür
stand: ETHIK. Ein Mädchen mit Rattenschwänzen saß in würdevoller
Haltung an einem Schreibtisch und spielte an einem E-Meter herum. "Nehmen Sie die
Büchsen", sagte sie brüsk. Offenbar hatte ich etwas falsch gemacht.
"Stehen Sie mit einer suppressiven (d. h. die Scientology ablehnenden) Person
in Verbindung?"
"Nein", antwortete ich. Diesen Prozeß hatte ich bereits mit Maurice absolviert.
"Danke. Ich überprüfe das mit dem Meter. Jetzt brauchen Sie nicht zu antworten:
'Stehen Sie mit einer suppressiven Person in Verbindung?' Das ist sauber.
.Stehen Sie mit einer suppressiven Gruppe in Verbindung?"'
Ich verstand das als Frage nach einer Gruppe, die meine Loyalität zur Scientology in
Frage gestellt hätte. Während der letzten Jahre hatte ich mit den
verschiedensten
Gruppen zu tun, aber ich hielt sie nicht für suppressiv.
"Nein."
"Danke. Ich überprüfe das mit dem Meter. 'Stehen Sie mit einer suppressiven
Gruppe in Verbindung?' Da ist eine Reaktion. Was meinen Sie, könnte das sein?"
Ich konnte mir nicht vorstellen, weshalb die Nadel ausschlug. Aber ich hatte nicht die
Absicht, die "Ethik" einzuwickeln. Ich zerbrach mir also den Kopf, um eine Antwort zu
finden.
"Ich war zum Meditieren in einem Zen-Zentrum."
"Danke. Ist das die suppressive Gruppe?"
"Hin und wieder mache ich Yoga-Übungen."
"O.K.", sagte sie, "solange sie auditiert werden, müssen Sie damit
42
aufhören."
"Warum? Ich mache es sowieso nicht oft. Weshalb kann das schaden?"
"Wenn Sie hier fertig sind, können Sie tun, was Sie wollen - Sie können sich auf
den Kopf stellen, wenn Sie Lust dazu haben. Aber nicht, während Sie auditiert werden.
Ich möchte nicht, daß Sie schließlich nicht mehr wissen, was Ihnen die
Fortschritte gegeben hat. Bei dieser Meditation versuchen Sie doch, in Ihre Seele zu
schauen, nicht wahr?" "Nicht in dem Stadium, in dem ich bin. Meditation ist nur ein Name.
Es
ist eine Art von Konzentrationsübung."
"Jedenfalls müssen Sie versprechen, alle Übungen aufzugeben, solange Sie
auditiert
werden."
"Einen Augenblick! Was verstehen Sie überhaupt unter Übungen? Sie meinen doch
alles, was die Leute tun, um sich zu beruhigen oder besser nachdenken zu können,
nicht
wahr? Dann dürfte ich nicht mehr Klavier spielen. Aber der Teufel soll mich holen,
wenn
ich Ihnen folge, wo ich doch nächsten Monat ein Konzert habe. Wenn ich Ihnen
gehorchen
wollte, müßte ich den ganzen Tag über, von Minute zu Minute,
überlegen,
was man als Üben verstehen könnte. Ich wette, da käme einiges zusammen. Ich
bin gern bereit, darüber mit Ihnen zu diskutieren. Wir werden sehr viel Zeit
brauchen,
um auszusortieren, was ich tun darf, und was nicht."
"Sagen Sie nur, ob Sie es nun aufgeben wollen oder nicht."
"Ich versuche nur ehrlich zu Ihnen zu sein. Ohne einen guten Grund gebe ich gar nichts
auf."
"Gut, dann müssen wir es eben fallen lassen."
"Wunderbar", sagte ich. Ich stand auf, um hinauszugehen.
"Zu schade, daß Sie auf die vollkommene Freiheit verzichten wollen", sagte die
Ethik-Auditorin, als ich zur Tür ging.
Später rief Maurice mich an, um zu erfahren, wie es gelaufen war. Als ich ihm von der
Katastrophe berichtete, bat er mich, alles aufzuschreiben, damit er eine Untersuchung
gegen
die Ethik-Auditorin in die Wege leiten konnte. Ich sandte ihm einen vollständigen
Bericht. Darin stand unter anderem:
"Gewisse Leute innerhalb der Organisation mißbrauchen die Scientology, und sie
bedienen sich der Scientology, um andere zu mißbrauchen."
Danach hörte ich nichts mehr von meinem Besuch bei der New York Org.
43
Umberto Lancia kam ohne seine Frau in die Staaten zurück. Felicia hatte den
"Clear-Kurs" noch nicht absolviert. Um ein Clear zu werden, mußte man sich selbst
auditieren, wobei man eine besondere Büchse in der Hand hielt, die andere hatte man
frei, um den E-Meter zu bedienen und die Auditionsberichte auszufüllen. Felicia war
nun
schon seit vielen Wochen damit beschäftigt, offensichtlich hatte sie Schwierigkeiten,
den Status eines Clear zu erreichen. Der Prozeß selbst war ein streng gehütetes
Geheimnis. Felicia hatte ihrem Mann angedeutet, daß es etwas mit "Goals" (Zielen) zu
tun hatte (gemeint war offenbar, was man im Leben erreichen wollte). Die viele Zeit, die
sie
bei dem Prozeß brauchte, außerdem die Tatsache, daß sie sich selbst
auditieren mußte, statt von einem Auditor geführt zu werden, das alles
ließ
mich vermuten, daß das Clearen nicht ohne innere Kämpfe abging.
Die Lancias hatten in England in der Nähe des Hubbard College in einem alten
Schloß namens Fyfield gewohnt. Umberto schwärmte mir von der Schönheit und
dem Frieden an diesem Ort vor. Er hatte den "Power-Prozeß" (Grad V) schnell
absolviert. Während Felicia im Saint Hill Grad VI machte (den Kurs, in dem sie
lernte,
sich selbst zu auditieren) und sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hatte, hatte er alle
Muße gehabt, im Schloß zu lesen oder zu komponieren, und im nahen Ashdon-Wald
ausgedehnte Spaziergänge zu unternehmen.
Das Hubbard College lag inmitten einer herrlichen englischen Landschaft. Ein Prospekt
zeigte
Fotos von einem vornehmen Park, ebenfalls mit einem Schloß, und mit den Bungalows,
in
denen sich die Klassenräume befanden. Auf den Bildern bewegten sich glückliche
und
sorgenlose Menschen auf der Straße zum Status eines "Clear". Der Prospekt enthielt
höchstes Lob für die verschiedenen Kurse und Stufen. Fast im Ton eines Kommandos
rief er dazu auf, zum Saint Hill zu kommen, um den "Sicheren und gewissen Weg zur
vollkommenen Freiheit" nicht zu versäumen.
Der Prospekt enthielt eine weitere, ebenso verlockende Ankündigung: Jenseits des
Clear-Status gab es neue Stufen. Ein "Clear" war, nachdem er vom üblen Einfluß
des reaktiven Geistes befreit worden war, wie ein neugeborenes Kind. Und nun waren weitere
Prozesse nötig, um ihn zu stabilisieren, ihm neue Orientierung zu geben und die eben
entstandene Leere wieder aufzufüllen. Die oberen Stufen trugen die Bezeichnung OT
(Operating Thetan - ein in jeder Beziehung voll wirksamer, aktiver Thetan). Im Prospekt
war
das Bild einer achtsprossigen Leiter zu sehen. Neben jeder Sprosse schwebte ein gütig
44
aussehender kleiner Geist. Es gab keine Andeutung, worin diese höheren Stufen tatsächlich bestanden. Wenn der "Clear-Status" schon mehr als phantastische Fortschritte ermöglichte, wie konnte das durch die OT-Stufen noch übertroffen werden?45
Ein Preclear ist in besserem 'Zustand und läßt sich leichter auditieren, wenn er außer sich ist, und nicht "in seinem Kopf."L. RON HUBBARD
Umbertos Beschreibung von Saint Hill und den Scientologen überraschte mich nicht
mehr.
Bei meinen beiden Besuchen in der New York Org hatte ich Vorahnungen, daß ich dabei
war, mich von einer komplizierten Maschine einfangen zu lassen, die von Leuten bedient
wurde, die kaum menschliche Züge aufwiesen. Ich zerbrach mir den Kopf darüber,
welch unterschiedliche Elemente zu der Gruppe gehörten. Einige von ihnen
schätzte
ich sehr, andere waren mir zuwider, eine dritte Gruppe betrachtete ich mit gemischten
Gefühlen. Die Ziele der Org waren sicher nicht identisch mit denen von Felicia, oder
selbst von Maurice, der - auch wenn er nicht gerade charmant zu mir war - mir nach meinem
Krach mit der Ethik-Auditorin genügend moralische Unterstützung geliehen hatte,
um
mir zu beweisen, daß er letztlich auf meiner Seite stand. Aber manchmal war es
schwer,
die eine Gruppe von der anderen zu unterscheiden, in dem großen Gemälde
Einzelheiten zu erkennen. Irgendwie kam ich über meine Verwirrung hinweg, zumindest
ließ ich die Angelegenheit ruhen, bis ich mit Felicia darüber sprechen konnte.
Immerhin hatte der Fanatismus innerhalb der Bewegung sie nicht davon abgehalten, im Saint
Hill zu bleiben, um den "Clear-Prozeß" fortzusetzen. Vielleicht waren alle meine
Einwände letzten Endes doch nur "Considerationen".
Umberto erhielt ein Telegramm von Felicia. Es lautete: "Clear!!!" Bald darauf kam ein
Brief
an, in dem sie ihm schrieb, sie werde noch einige Wochen in Europa bleiben, um sich von
den
Anstrengungen zu erholen. Umberto war nervös und schweigsam: er wußte,
daß
sie kein Geld für einen Urlaub hatte.
Nach Felicias Rückkehr wurde ich sofort eingeladen, um einen ersten Blick auf den
neuen
Clear zu werfen. Sie schien sich verändert zu haben: noch wissender als vorher. Sie
gab
sich als privilegierter Inhaber eines wunderbaren Geheimnisses, das wir alle eines Tages
mit
ihr teilen sollten.
Felicia hatte von England Gerald Tiber mitgebracht, einen OT II Auditor Klasse VII. Ein OT
II (Operating Thetan) hatte also die zweite Stufe oberhalb von Clear inne, und zur Klasse
VII gehörten die kenntnisreichsten und erfahrensten Auditoren. Um sich für den
46
zweiten Titel zu klassifizieren, hatte Gerald zwei Jahre lang als Interner im Saint Hill gearbeitet. Voller Stolz bezeichnete er sich als den einzigen OT II der Klasse VII außerhalb von England.47
Schürze, der sein Geld in ein Pizza-Restaurant steckt.
Als ich die Lancias am nächsten Tag besuchte, war Umberto nicht zuhause. Felicia
teilte
mir mit, daß sie unmittelbar vor der Scheidung stünden. Ich antwortete,
daß
ich mir schon so etwas gedacht hätte. Ich hatte meine Einstellung dazu schon im
voraus
festgelegt: da sie ein Clear war, nicht mehr länger im Besitz eines reaktiven
Geistes,
war sie jetzt sozusagen unfehlbar, völlig frei, ihr Leben so zu gestalten, wie es
vorher unmöglich war. Sie war stark genug zu tun, was sie wirklich wollte.
Als ich später mit Umberto sprach, zeigte sich, daß auch er für die
Trennung
war. Sie sei unvermeidlich, sagte er. Ihre Beziehung war nach wie vor freundlich,
vielleicht
noch freundlicher als vorher. Und für den Fall, daß nach fünf
stürmischen Ehejahren eine verborgene Verbitterung übrig geblieben war, hatte
Gerald Tiber mit ihm vereinbart, ihm kostenlos eine "Review-Sitzung" (= Revisions-Sitzung:
zusätzliche Hilfe) zu gewähren, um etwaige Spannungsrückstände von
seiner Zeit-Spur zu löschen. Auch ich wollte ihn eine Review-Sitzung mit mir machen
lassen. Es mußte eine lohnende Erfahrung sein, sich von einem OT II der Klasse VII
auditieren zu lassen, und sicher waren bei den fragwürdigen Methoden von Maurice noch
Spannungen zurückgeblieben.
Gerald erklärte sich bereit, mir für 25 Dollar pro Stunde "Review" zu erteilen.
Er war tatsächlich ein bemerkenswerter Auditor: er kam rasch vorwärts, ohne
etwas
in der Schwebe zu lassen. Seine Bestätigungen variierten und klangen ebenso
natürlich und höflich, wie außerhalb der Sitzungen. Er hielt sich an jedem
Punkt genau so lange auf, bis ich vollständig zufriedengestellt war. Im Vergleich mit
ihm hatte Felicia fast wie ein Amateur auditiert.
Unser erstes Thema war Maurice, der sich in einem weiteren Aufspür- und
Zerstörungs-Prozeß als für mich suppressiv herausstellte. Nach meiner Grad
IV Release hatte er mich zu zwei improvisierten Sitzungen mit dem E-Meter verleitet.
Solche
überflüssigen Sitzungen weichen radikal vom Standard ab und sind von Hubbard
streng untersagt, hörte ich später von Umberto.
Maurice hatte die erste Sitzung zum Abbau der Spannung vorgeschlagen, die durch eins
meiner
Konzerte verursacht worden war. Die Spannung war hauptsächlich dadurch entstanden,
daß in einer Zeitung am nächsten Tag eine sehr herablassende Kritik erschienen
war. An jenem Tag hatte ich außerdem erfahren, daß Maurice herumging und den
Leuten erzählte, für den Erfolg meines Konzertes seien er und die Gruppe, zu der
er gehöre, verantwortlich. Daraufhin
48
stellte ich ihn zur Rede. Die daraus resultierende Auseinandersetzung ließ noch mehr Spannung entstehen, die Maurice in einer weiteren Sitzung abbauen konnte. Er war wenigstens vernünftig genug gewesen, dafür nicht auch noch kassieren zu wollen. Jetzt teilte ich Gerald das alles mit.Felicia und Gerald mieteten ein Penthouse auf der West Side von New York und begannen sofort einen Dianetic-Kurs. Umberto, zwei
49
Damen und ich waren die ersten Schüler. Die Stellung der Dianetic in der
Hierarchie
der
Scientology war zu jener Zeit unentschieden, aber sie wurde zu Trainingszwecken angewandt.
Wir sollten zwei- oder dreimal die Woche abends zusammenkommen, und der Kurs sollte eher
einige Monate dauern als die wenigen Wochen intensiver Arbeit wie in der Org üblich.
Gerald betonte die ungezwungene Atmosphäre in seiner Zweigstelle, die der
übermäßigen Aktivität in der Org entgegengesetzt war. Wir wurden
darüber informiert, daß die Absolvierung des Dianetic-Kurses eine Vorbedingung
für die Reise zum Saint Hill in England war. Der Kurs kostete 500 Dollar. Gerald und
Felicia gingen davon aus, daß jeder Schüler anschließend nach England
gehen
würde. Ich fand es ganz natürlich, mich einzuschreiben, obwohl ich mich noch
nicht
bewußt entschieden hatte, auch den Status eines Clear anzustreben.
Bevor ich allerdings die Zahlung für den Kurs leistete, glaubte ich Gerald sagen zu
müssen, daß der gute Effekt der Review wieder vergangen war. Seine
Auditionskünste hatten nicht verhindert, daß ich mich ärgerte, weil ich
ihm
weitere 100 Dollar dafür bezahlen mußte, damit er Maurices Behandlungsfehler
korrigierte.
"Sie haben sogar ein Geschäft gemacht, lieber Freund", sagte Gerald. "Im Saint Hill
hätte ein S&D (das Aufspüren der suppressiven Personen) allein soviel
gekostet. Wir sollten das auf der Stelle in Ordnung bringen. Wir können in einen
Nebenraum gehen und eine weitere Review machen."
"Sie machen wohl Witze", sagte ich. "Wir haben schon vier Stunden hinter uns. Was soll ich
denn noch sagen?"
Drei Minuten später saß ich am Auditier-Tisch, die Büchsen in der Hand.
"Etwas beschäftigt mich", sagte ich, "ich bin noch immer an Frauenpopos fixiert."
"Danke. Was sind Ihre Considerationen zum Thema Frauenpopos?"
"Jedesmal, wenn ich eine Frau sehe, ist es das erste, das allererste, ihren Hintern
anzugaffen."
"Danke. Wir beginnen jetzt einen Prozeß zu diesem Thema: ,Was bedeutet Hintern
jetzt für Sie?'"
"ärger."
"Danke. ,Was bedeutet Hintern jetzt für Sie?'"
"ärger. ärger über Geld." Wieder begann die Aufstellung einer Liste. Die
Prozeß-Frage wurde fast eine halbe Stunde lang wiederholt...
"Gut. Und was bedeutet Po jetzt für Sie?"
"Ich denke an einen Burschen, den ich kannte. Er war von South-Carolina. Er sagte immer:
,Heute habe ich ein Mädchen gesehen,
50
Mann, das hätte dir Spaß gemacht, ihren süßen Po zu tätscheln!"Die Dianetic-Klasse wurde wirklich ungezwungen geleitet. Es gab keinerlei Druck auf die
Schüler. Wir konnten spät kommen, früh gehen und sogar einfach fortbleiben.
Es war unsere erste Aufgabe, zwölf Tonbänder über Dianetic und Scientology
abzuhören. Allein damit verbrachten wir mehrere Wochen, weil wir uns nur
unregelmäßig trafen. Die Abende verliefen so, daß Gerald ein
anderthalbstündiges Tonband startete, und sich dann in eins der Schlafzimmer
zurückzog, um einen Preclear zu auditieren. Felicia tat das gleiche im anderen
Schlafzimmer. Später kam Gerald zurück, um uns eine eigene Vorlesung zu halten -
sein besonderes Angebot in diesem Kurs. Die Akustik im Wohnzimmer war fürchter-
51
lich, so daß man zeitweilig die Worte auf dem Tonband nicht verstehen konnte. Die Stimme, die aus dem Lautsprecher kam, war freundlich, volkstümlich, Vertrauen erweckend und schwungvoll. Sie gehörte L. Ron Hubbard, den die Scientologen einfach Ron nannten.
Die Fähigkeiten des Theta-Wesens können derzeit noch nicht mit allen Daten dargelegt werden...es wäre gegenüber der Zukunft unfair, wollte man sie in allen Einzelheiten schriftlich festlegen.L. RON HUBBARD
Das Theta-Wesen, oder der Thetan, wird durch den griechischen Buchstaben
Theta bezeichnet. Es ist reiner Geist und hat weder Masse, Energie, Zeit, Raum oder
Wellenlänge, außer wenn es sie 'postuliert' (= sich entschließt, sie zu
haben). So ist der Thetan nicht ein Ding, sondern ein Schöpfer von Dingen, ein
'Static'
(= bewegungsloses Wesen), das durch seine eigenen 'Postulate' das physikalische Universum
aus Materie (= Matter), Energie (= Energy), Raum (= Space) und Zeit (= Time)- also MEST
erschafft.
Der Thetan kann zur gleichen Zeit innerhalb und außerhalb eines MEST-Körpers
sein. Sein idealer Aufenthaltsort ist die Nähe eines Körpers, ihn
kontrollierend.
Ein Thetan stirbt nicht. Ein Thetan hat telepathische Kräfte, er kann
Gegenstände
bewegen, ohne sie mit MEST zu berühren. Die Beschränkungen des MEST gelten
für ihn nicht. Theta-Wesen sind gesellig, haben sehr viel Sinn für Gerechtigkeit
und sind vor allem an ästhetischen Dingen interessiert.
Du bist ein Thetan. Du bist nicht dein Geist, dein Körper oder dein Name. Du bist du.
In deinem ursprünglichen Zustand warst du deiner als eines unsterblichen geistigen
Wesens vollkommen bewußt. Du warst im Besitz der Fähigkeit, dein eigenes
Universum, deine eigene Welt und deinen eigenen Körper zu erschaffen.
Die Schwierigkeit mit dem Thetan besteht darin, daß er in einen niedrigen Status
absinken kann. In seinem statischen Zustand fängt er an, MEST zu erschaffen - alles,
was er selbst nicht ist - vielleicht zum Spaß, vielleicht aus purer Langeweile.
Fein!
Doch was läßt ihn die Skala hinabsausen, bis er ins Bodenlose stürzt?
Natürlich, er vergißt, daß er das selbst erschaffen hat! Er leugnet jede
Verantwortlichkeit - und dabei helfen ihm viele andere Wesen im Universum - und
schließlich wird er mehr zum Ergebnis als zur Ursache der Dinge. Wenn er seine
geistige Identität erst einmal vergessen hat, dann gerät der Thetan in die
Falle,
wird bis zur vollkommenen Bewußtlosigkeit hypnotisiert und versklavt.
Einem Thetan kann wieder beigebracht werden, ein "verursachendes Wesen" zu sein. Wir sind
jetzt im Besitz der einzigen funktionsfähigen Technik, die dich wieder in deinen
früheren stolzen Status versetzen kann. Diese Technik heißt
"Scientology-Prozeß". Dieser Prozeß ist so schnell und so gründlich,
daß du die Stufen zu den höheren Rängen in wenigen Stunden hochsteigen
kannst. Dann besitzt du die Fähigkeit, deinen gegenwärtigen MEST-Körper zu
ändern, sein Gewicht, sein äußeres, selbst die Größe, was aber
nicht der eigentliche Zweck der Scientology ist. Scientology ist das Studium des Wissens
im
eigentlichsten Sinne des Wortes. Scientology ist nicht eine Heilkunst wie die Dianetic.
Dianetic behandelt nur Körper und Verstand, Scientology den Geist. Dianetic heilte
die
Kranken und die Wahnsinnigen. Scientology befreit die Seelen.
Scientology ist ferner eine Religion. Ihre Kirchen stehen überall auf dem Planeten.
52
Sie hat viele Quellen, denn sie ist ein Kompendium östlicher und westlicher Weisheit. Die Weisheit war im Westen lange Zeit kein beherrschendes Thema. Wenn du dir einen Augenblick lang klarmachst, daß es rund 50 000 Bücher über die Weisheit im Osten gibt, dann siehst du ein, warum es mit unserer Weisheit nicht weit her ist. Ist es weise, viele tausend Gegenstände zu bedenken, wenn uns nur einer wirklich not tut? Und man geht wegen jeder Krankheit zu einem anderen Spezialisten. Wie unnötig! Die 'Wissenschaftler', die sogenannten 'großen Autoritäten', haben nichts getan, um den beklagenswerten Zustand der Welt zu verändern. Im Gegenteil. Ihr Bestreben geht nur dahin, die Thetanen hypnotisiert zu halten. Dafür haben sie die verschiedensten Methoden, sie gebrauchen vor allem die Elektrizität, um die Thetanen folgsam zu machen. Damit dramatisieren sie, was sie auf ihren eigenen Zeit-Spuren nicht ertragen können. Im Augenblick halten sie die Bewohner der Erde in einem hypnotisierten Zustand. Darum können die ärzte weitermachen, wie in den Jahrhunderten zuvor; sie hacken und stochern, sie sägen den Schädel auf, sie lassen Elektrizität auf die Wahnsinnigen los, sie pumpen die Kranken mit Drogen voll. Es ist einfach Unwissenheit. Aber diese Unwissenheit hat die Menschheit in einen Wettlauf zwischen Vernichtung und Überleben geführt. Ich gebe euch das Werkzeug, euch und die Menschheit zu bessern, den Wettlauf zu gewinnen. Um Himmels willen, geht ans Werk und bessert die Welt!
Margo Zumbrich, eine der Schülerinnen, hielt sich wahrend der
Tonbandvorführungen oft in einem anderen Raum auf und hatte dort Review-Sitzungen.
Gerald hatte sie kürzlich zur Grad IV Release auditiert. Aber dieser neue Status war
schmerzhaft für sie. Zum erstenmal konnte sie ihre Vergangenheit und ihr
gegenwärtiges Leben klar sehen, ebenso die Menschen in ihrem Leben, ihre Familie und
deren kranke, negative Seiten. Die zahlreichen Sitzungen mit Gerald gaben ihr nur
zeitweilig
Erleichterung. Er hatte sie ohnehin nur ungern auditiert. Nach schrecklichen Erlebnissen
in
Europa während des zweiten Weltkrieges war sie mit Elektro-Schocks behandelt worden,
und solche Fälle wurden in der Regel als "nicht auditierbar" klassifiziert.
Auch Umberto Lancia nahm viele Review-Sitzungen. Auch er machte rauhe Zeiten durch, nur
selten nahm er an den Stunden in der Klasse teil. Gerald sagte mir, er habe ihn sogar
kostenlos behandelt, aber jedesmal, wenn ihm eine Sitzung genutzt habe, sei er beim
nächstenmal nicht erschienen. Fast schien es, als ob Umberto absichtlich im Zustand
der
Apathie verblieb.
Empress Green, eine große, gut gebaute Frau, war außer mir der einzige
Schüler, der regelmäßig an den Klassenstunden teilnahm. Manchmal machten
wir
spitze Bemerkungen und bekamen Lachanfälle, während wir die Bänder
abhörten. Unsere Witzeleien waren nicht unbegründet: wir fanden es einfach
ärgerlich, daß unsere Köpfe ständig mit Worten bombardiert wurden,
die
wir nicht richtig verstehen konnten. Wir mußten uns als Individuen behaupten, um
nicht
53
wie Flugsand von dieser hämmernden Stimme durch den halbdunklen Raum getrieben zu
werden. Empress und ich saßen nebeneinander auf dem Sofa. Wir mühten uns ab,
Rons
Botschaft mitzubekommen. Wenn das Tonband besonders schwer zu verstehen war, nickten wir
zusammen ein. Einmal wachten wir erst auf, als Gerald eintrat, um seine Vorlesung zu
halten.
Gerald war immer überschwenglich und auf dem Sprung, ob er nun vor zwei Menschen
sprach
oder vor zwanzig. Zu Beginn der Klassenstunden trug er weder Schlips noch Jacke, doch wenn
das Tonband abgelaufen war, trug er einen Schlips und den blauen Blazer, was Felicia
liebevoll sein "Vorlesungskostüm" nannte.
"Ihr seht blendend aus, Königliche Hoheiten", so pflegte er etwa zu beginnen, wobei
er
jeden Zuhörer lächelnd anschaute. Er hatte eine wohlklingende Stimme. Beim
Sprechen ging er auf und ab.
Wenn man nicht genügend aufpaßte, blieb er stehen und wandte sich mit
vergnügtem Augenblinzeln an den Missetäter: "Wo haben Sie denn Ihre Gedanken?"
Geralds Vorlesungen waren lebhaft und unterhaltsam. Er hatte eine plastische Art, den
reaktiven Geist, oder das "Unterbewußte", wie er es betonte, zu beschreiben.
Verschiedentlich bat ich ihn um Wiederholungen, wie ein Kind seine Mutter um ein
Kinderlied.
Er verglich den reaktiven Geist mit einem Tiger, der durch den Scientology-Prozeß
systematisch vernichtet wurde. Auf der Dianetic-Ebene wurde der Tiger in einen Käfig
gesperrt, wo wir ihn aus sicherer Entfernung beobachten konnten. Im Scientology-Grad 0
konnten wir näher herangehen und seine linken Vorderkrallen ausreißen, bei Grad
I
die rechten, und so fort bis zu Grad IV, wo die hinteren Krallen ausgerissen wurden, und
Grad V und VI nahmen dem Tier Zähne und Schwanz. Nun waren wir für den
Clear-Prozeß bereit, für die vollständige Vernichtung des Tigers.
Besonders
begeisterte es mich, als Gerald gegen Ende seiner Demonstration in großen
Sprüngen durch das Zimmer hetzte, mit schwabbelndem Bauch, wobei er mit einer
imaginären Machete auf das hilflose Tier einhackte.
Eine von Geralds Ansprachen fand ich besonders unterhaltsam. Ihr Thema war ein Mechanismus
des reaktiven Geistes, der "missed withhold" (= übersehener zurückgehaltener
Akt)
hieß.
"Ein Withhold kommt nach einem Overt (= verborgener Akt)", erklärte er, "es ist der
Versuch, etwas zu verschleiern. Wenn man etwas Verborgenes getan hat, versucht man
natürlicherweise, es nie gegenüber jemandem zu erwähnen. Das ist ein
Withhold."
Der Missed Withhold ereignet sich, wenn man denkt, jemand habe etwas über unseren
Withhold, besser gesagt, über den Overt er-
54
fahren. Irgendetwas in seinem Verhalten veranlaßt uns zu der Befürchtung, er habe uns durchschaut. Aber man weiß es nicht genau; und man wird schließlich fast verrückt, weil man nicht sagen kann, ob er es nun wirklich weiß, oder nicht. Zum Beispiel, du kommst spät am Abend nach Hause, du hast deine Frau betrogen. Du gehst durch die Küche, und der Hund blickt dich seltsam an. Er wedelt zwar mit dem Schwanz, aber er hat einen komischen Augenausdruck - du trittst nach ihm. Das ist ein Missed Withhold. Solche Vorgänge verursachen viel ärger.55
"Der Thetan als ein Static, At Cause über das MEST (= der Thetan als ein
statisches,
Materie, Energie, Raum und Zeit erschaffendes Wesen)." Ich versuchte, mich in der Rolle
des
statischen Wesens zu sehen, das MEST erschuf. Es war schwer, diese Vorstellungen zu
verstehen, und ich war keineswegs sicher, ob sie sich mit meinen eigenen, vage mystischen
Gedanken trafen. Ich hätte sehr gern einen Ausweg gefunden, obwohl ich mich zu jener
Zeit kaum noch daran erinnern konnte, was ich früher für wahrscheinlich gehalten
hatte.
"Gerald", sagte ich, bemüht ihm zu glauben, obwohl es mir irgendwie widerstrebte,
"willst du vielleicht ein kosmisches Bewußtsein beschreiben, das alle
Gegensätze
als Teil einer ineinanderfließenden Totalität umfaßt?"
"Ganz und gar nicht, euer Ehren...mit einer ineinanderfließenden Totalität hat
es
nichts zu tun."
Gerald neigte dazu, sehr lyrische Vokabeln (die Umberto jedesmal erschreckten) zu
gebrauchen, um die hochfliegenden Gedanken eines oberen Scientologen zu beschreiben.
"Vergeßt nie, daß ihr wundervolle Wesen seid - Ihr seid wunderbar. Und sucht
bei
anderen immer nach dieser Schönheit. Die Menschen sind im Grunde gut und wundervoll:
seid immer bereit, ihnen wahre Existenz zuzubilligen. Pflegt die Rosen und nicht die
Dornen...und ihr schreitet aus der schwarzen Nacht der Pein auf die grünen Auen und
in
den blauen Himmel der Heiterkeit..."
Sonntagabends gab Gerald kostenlose Einführungsreferate, um für seine Agentur zu
werben. Es gab Erfrischungen, Fragen waren zugelassen, die in der Regel zu Diskussionen
führten. Ich schleppte so viele meiner Freunde herbei, wie ich nur konnte. Bei diesen
Gelegenheiten begann Gerald mit Ausführungen über die Begründung der
Scientology in der östlichen Weisheit und kam dann zu seiner Standard-Ansprache:
über die Fortschritte, die man vom Auditieren erwarten durfte.
"Unser endgültiges Ziel ist es, dies Ding, das wir reaktiven Geist nennen,
völlig
auszuradieren. Mit anderen Worten, wir werden unser Unterbewußtsein los. Es gibt
fünf wichtige Schritte zu diesem Ziel: die unteren Grade, die Sie hier im Haus
absolvieren können. Zuerst erreichen Sie die Kommunikation-Release, wodurch Sie mit
jedermann über alles zu jeder Zeit reden können. Dann werden Sie ein
Problem-Release, fortan können Sie ein Problem sofort durchschauen. Sie erkennen
darin
zwei widersprüchliche Behauptungen, wovon eine eine Lüge ist. Nun können
Sie
die Lüge entdecken, und in der Regel löst das das Problem. Die Overt-Release
befreit Sie von Schuld aus Ihrer Vergangenheit, und die nächste Stufe,
ARC-Brüche,
beseitigt alle Störungen, die Ihnen durch dritte Personen entstanden sind. Grad
IV,
der
Ihr Service Facsimile offenlegt, heißt Fähigkeiten-Release, denn es macht Sie
so
sehr frei von Ihrem reaktiven Geist, daß Sie Ihr Talent voll entwickeln können.
Es ist kein Zufall, daß so viele Preclears einen künstlerischen Beruf haben.
Der
Scientology-Prozeß kann Ihnen viel dabei nützen! Sie werden in der Lage sein,
zurückzuschauen und zu erkennen, warum so viele Dinge in Ihrem Leben nicht
erfolgreich
waren. Falls Sie sich für den Dianetic-Kurs einschreiben wollen, werden Sie Ihren
Geist
verstehen lernen, und Sie werden wissen, wie Sie sich gegenüber dem reaktiven Geist
bei
anderen verhalten müssen."
Den Gästen wurde dann ein großes Schaubild gezeigt, das eine Übersicht der
verschiedenen Klassifizierungen, Stufen, Erkenntnisse, Ränge und Zeugnisse enthielt.
Im
wesentlichen enthielt es eine mehr ins einzelne gehende Wiedergabe von Geralds Vorlesung
über die Stufen. Das Dokument war in zwei etwa gleich große Hälften
geteilt:
"Scientology-Training" und "Scientology-Prozesse". Es wirkte wie eine Bienenwabe aus
Zahlenkolonnen, Kästchen, Linien, Scientology-Ausdrücken - viele davon
unverständlich - und nach oben zeigenden Pfeilen. Das alles mußte auf
Uneingeweihte wirken, wie ein Computer-Programm, das in einer der neuen symbolischen
Sprachen geschrieben war. Mir schien das ein ziemlich unwirksamer Weg zu sein, neue
Mitglieder für die Bewegung zu werben, es sei denn, daß sich manche Leute durch
die komplizierte Darstellung beeindrucken ließen.
Gerald bat mich oft, noch mehr Gäste zu diesen Sonntagsveranstaltungen mitzubringen.
Er
fragte außerdem nach einer Liste mit den Telefonnummern meiner Freunde. Das
störte mich. Ich war nicht der Ansicht, daß er auf jeden einen guten Eindruck
machte: Seine historischen Kenntnisse waren fragwürdig, orientalische Worte sprach er
falsch aus, und er wiederholte sich ständig, um seine Ansichten klar zu machen, als
ob
er Kretins oder Roboter vor sich hätte. Nach einigen Sonntagabenden wußte ich
schon im voraus, was er sagen würde, und ging nicht mehr hin.
Trotzdem hatten die zusätzlichen Vorlesungen ihre Wirkung erzielt. Ich hatte mich nie
sehr um den spezifischen Wert der einzelnen Grade gekümmert, Grad IV ausgenommen.
Aber
nachdem ich alle Einzelheiten so oft angehört hatte, fing ich an, mich
tatsächlich
als ein Kommunikation-Release, als ein Problem-Release und so weiter zu fühlen. Das
ging so weit, daß ich bei Geralds Referaten ins Schwelgen kam. Er berichtete von
meinen Fortschritten, er beschrieb mich als Grad IV Release. Ich dachte
an
meinen Konzertabend vor
57
ein paar Monaten zurück: Die Initiative, die Town Hall zu mieten, den ganzen Sommer zu üben und zum erstenmal allein aufzutreten, wie ich es seit Jahren vorgehabt hatte, die Fähigkeit, mit einem großen Publikum in Kommunikation zu kommen - jetzt war mir völlig klar, daß alles, was mit dem Konzert zusammenhing, letzten Endes doch ein Erfolg des Auditierens war. Ich verdankte es der Scientology, auch wenn ich mich anfangs geärgert hatte, als Maurice den Leuten genau das gesagt hatte. Ich war froh, daß ich den Kurs genommen hatte, daß ich auch zu den Sonntagsvorlesungen gegangen war. Erst nachdem Gerald die lange Reihe meiner Fortschritte aufgezählt hatte, wurden sie für mich auch Wirklichkeit.
Scientologisches Wissen heißt R-Faktor (R steht hier für Realität). Und wenn man einem Preclear eine Erklärung für einen Begriff oder einen Prozeß gibt, dann wird ihm ein R-Faktor vermittelt. Ein Preclear macht die besten Fortschritte, wenn er einen guten R-Faktor hat. Scientology-Training ist der wirkungsvollste aller R-Faktoren.
Als die meisten Tonbänder abgespielt waren, erhielten wir einen Packen von
Bulletins
(= Hubbards Bekanntmachungen), die wir zuhause studieren sollten, ferner ein
Kontrollformular, in dem wir die abgehörten Bänder anstreichen sollten, ebenso
die
Bücher und Bulletins, die wir lasen, und später die praktischen Übungen.
Als
Höhepunkt des ganzen Kurses sollten wir die Erfahrung machen, Preclears mit Hilfe der
Dianetic-Stufen zu auditieren. Im Dianetic-Paket gab es etwa dreißig Bulletins, sie
waren alle in rot oder grün gedruckt, mit Ausnahme von zwei blauen, die nicht von
Hubbard verfaßt waren. Die Bulletins bestanden entweder aus einem einzigen Absatz
oder
aus drei oder vier Seiten. Jedes Bulletin hatte einen besonderen Titel, es enthielt ferner
Anweisungen, wo es verteilt werden durfte. Sie datierten alle aus den Jahren 1962 bis
1967.
Das ganze Paket mit seinen zusammengehefteten Vervielfältigungen wirkte, als ob
Hubbard
im Laufe der Jahre Dutzende von Bulletins herausgegeben und dann einen Teil davon
unorganisch zusammengestellt hatte, als er es für notwendig hielt, diesen Kurs
einzurichten. Die für besonders wichtig gehaltenen Bulletins waren auf dem
Kontrollformular mit einem Stern versehen. Über sie mußten die Schüler bei
einem Instruktor Prüfungen ablegen. Es gab ferner eine Liste mit 174
Abkürzungen.
Die meisten Bulletins überflog ich nur, nur die mit einem Stern ver-
58
sehenen mußte man auswendig lernen. Das Bulletin zum Thema "Heilung, Wahnsinn und
die Quellen von Beschwernissen" ließ erkennen, daß die Position der
Scientology
in diesem Bereich unter juristischen Gesichtspunkten dürftig war. Es betonte,
daß
"Heilung" sich nur auf "die Auflösung von Schwierigkeiten, die aus geistigen oder
seelischen Gründen entstehen" beziehe. Ein Preclear, der physisch krank sei, solle,
so
hieß es weiter, zu einem Arzt geschickt werden. Wenn sich die Krankheit weder als
rein
physisch noch als vorhersagbar heilbar erweise und der Arzt das bestätige, dann solle
ein geistiger oder seelischer Ursprung dieser Krankheit angenommen werden. In diesem Falle
könne ein Kranker auditiert werden. Das gab dem Auditor viel Spielraum; denn viele
Krankheiten können nicht als "ausschließlich physisch" bedingt angesehen
werden;
andere wiederum, wie Krebs, können nicht als "unbedingt heilbar" bezeichnet werden.
Eine ähnliche Klausel sorgte für Preclears, die erwiesenermaßen
geisteskrank
sind. Sie dürften auditiert werden, solange sie nicht in einer Heilanstalt waren.
Es folgt eine Liste von Eigenschaften, die einen Menschen als "mögliche Quelle von
Schwierigkeiten" vom Auditieren strikt ausschließen:
Alle, die einem Menschen nahestehen, der ein Gegner der Scientologie
ist
(Suppressive Personen);
alle, die gedroht haben, die Scientology-Bewegung zu verklagen oder sie sonst zu
behindern;
alle, die nur neugierig sind, also nur sehen wollen, wie die Scientologie funktioniert;
alle, die Informationen für die Presse sammeln;
alle, die sich ein Urteil über Scientology verschaffen wollen;
alle Kriminellen.
Ich mußte über die Klausel lächeln, die Neugierige betraf. Ich war also
selbst eine "mögliche Quelle von Schwierigkeiten", doch niemand hatte es bemerkt.
Ein anderes Bulletin enthält die Eigenschaften des SP (der suppressiven Person), die
auch als Anti-Scientologen oder als "unsoziale Personen" bekannt sind. SP sind:
alle, die häufig Verallgemeinerungen gebrauchen, z. B. "es wird
behauptet";
alle, die ständig schlechte Nachrichten verbreiten - ein SP läßt jede
Nachricht schlechter erscheinen, als sie ist;
alle, die nicht glauben, daß man auf dieser Welt jemandem helfen kann;
alle, die immer die falschen Ziele bekämpfen (wenn sein Wagen eine Panne hat,
ohrfeigt
er seine Frau);
alle, die nicht auf das Auditieren eingehen, nicht reagieren;
alle, die sich vor anderen Menschen übertrieben fürchten. Ein SP kann
völlig
normal erscheinen, trotzdem bewirkt er, daß jeder in seinem Umkreis krank, erfolglos
und unsicher wird. Ein Preclear, der in Verbindung zu einem SP steht, macht beim
Auditieren
keinerlei Fortschritte. Dadurch wird er selbst
59
zur "möglichen Quelle von Schwierigkeiten". Es ist Sache des Auditors herauszubekommen, wer ihn zu Boden zieht, zuhause, an der Arbeitsstelle, oder von einem viele tausend Meilen entfernten Ort aus. Dies geschieht in einer S&D-Sitzung. Wenn der SP gefunden ist, schreibt ihm der Preclear einen Scheidebrief. Glücklicherweise sind nur zwanzig Prozent der Bevölkerung SP, und davon wiederum sind nur zweieinhalb Prozent wirklich gefährlich.
Ich nahm diese Bulletins nicht allzu ernst. Gerald und Maurice hatten mit mir
S&D-Sitzungen absolviert, aber sie hatten keine Scheide-Briefe von mir verlangt.
Obwohl
in den Organisationen und Agenturen die Anweisungen im Hinblick auf Heilungen und
Geisteskrankheiten befolgt werden mußten, um legale Schwierigkeiten zu vermeiden,
war
doch ganz offensichtlich, daß alle, die dorthin kamen, in irgendeiner Form Heilung
suchten. Was sollte daran falsch sein? Ich neigte ohnehin dazu, mit allem zu
sympathisieren,
was ärzte und Psychiater umging. Wenn die Scientology Erfolg hatte, um so besser. Und
wenn sie moralisch bedenklich war, was war dann mit den ärzten, ihren Tranquillizern,
unnötigen Operationen und den Patienten, die ohne erkennbaren Grund in Heilanstalten
saßen?
Was die "Quellen von Schwierigkeiten" und SP-Personen anging, war Hubbards Stil manchmal
prägnant, häufiger langweilig dozierend; vollends verrückt aber wurde es,
wenn er sich mit den Feinden der Scientology beschäftigte. Ich wußte, daß
die Org-Mitglieder die Bulletins buchstabengetreu befolgten, aber das hieß nicht,
daß ich das Gleiche tun mußte. Außerdem glaubte ich, keine SPs zu
kennen.
Felicia und Gerald nahmen die Sache auch nicht ernst. Sie behandelten das Ganze
pragmatisch
und beschäftigten sich hauptsächlich damit, was für den Kurs wesentlich
war:
die Unterrichtung in den Dingen, die man wissen mußte, um Preclears über die
Dianetic-Grade zu auditieren, was unser Ziel war. Sie überprüften mich
oberflächlich hinsichtlich der SPs und der "Quellen von Schwierigkeiten", wonach ich
sofort alles wieder vergaß, was ich gelernt hatte.
Am schwersten war es, das Bulletin zu lernen, das über die Tone Scale (=
Stimmungsskala) informierte, eine Tabelle, auf der die verschiedenen Stadien des Befindens
oder der Gefühle in eine Reihenfolge gebracht waren, von den negativen zu den
positiven. Auf der Liste stand unter anderem: Apathie, verborgene Feindseligkeit, Sorge,
Furcht, Antagonismus, Langeweile, Enthusiasmus und Heiterkeit. Jeder Punkt hatte eine
Nummer, von 0 bis 20, dies höchste Stadium war die "Heiterkeit des Seins". Eines der
Ziele des Auditierens war selbstredend, die Stimmungslage des Preclear zu heben.
Verschiedene Stadien unter 0, zum Beispiel "Sich Verstecken" oder "Einen Körper
Brauchen", hatten Minus-Nummern. Ich bat Gerald,
60
das zu erklären, worauf er in seiner nächsten Vorlesung auf die
Stimmungsskala
einging.
"Die Skala über 0 gibt die Tonleiter der Gefühle wieder. Man kann sie in
Sekunden
durchmessen, wobei allerdings nie auch nur ein Punkt ausgelassen wird. Man kann zum
Beispiel
so schnell von Apathie zum Enthusiasmus aufsteigen, daß man die Zwischenstadien
nicht
bemerkt - es gibt Hunderte, die nicht auf der Tabelle sind. Die Punkte, die sich auf der
Skala unter 0 befinden, betreffen die geistige Situation des Thetan; ihr Umfang ist noch
viel größer."
"Der Tod des physischen Körpers bedeutet nicht die Vernichtung des Thetan.
Andererseits
sind viele Leute, die angeblich lebendig sind, ziemlich im unteren Teil der Tabelle
angesiedelt, wenn es um das Wissen über ihr eigenes Wissen geht. Sie sind eigentlich
schon mehr als tot."
Ich würde euch diese Daten nicht geben, wenn sie nicht mit Leichtigkeit an jedem Preclear demonstriert werden könnten. Und ich würde sie euch nicht geben, wenn ihr sie nicht nötig hättet. Hier sind sie.L. RON HUBBARD
Die Mitteilungen über die Dianetic waren der Kern des Bulletin-Pakets in unserem
Kurs. Obwohl ein Teil des Materials eher technischer Natur war, konnte man doch erkennen,
daß Dianetic-Auditieren heute einfacher war als 1950. Jetzt besaßen wir den
E-Meter, um Spannungen sofort aufzuspüren und abzubauen. Statt jedes einzelne Engramm
des Preclear zu behandeln, brauchte der Auditor einfach nur die Nadel auf der Skala des
Meters zu beobachten. Es war ein Kinderspiel, den Augenblick der Dianetic-Release zu
erkennen. Es genügte, wenn man eine "schwebende Nadel" erkennen konnte: wenn die
Nadel
auf der größeren der beiden Skalen träge hin und her schwankte, als ob sie
durch nichts gestützt wurde, dann war der Preclear von den Engrammen befreit.
Jetzt gab es als Vorbereitung für die Behandlung der Engramme zwei neue Prozesse:
"Direkter Draht zum ARC" und "Secondarien". Der "direkte Draht" sollte das Gedächtnis
des Preclear schärfen. Er bestand aus drei Kommandos:
"Erinnern Sie sich an eine Kommunikation, worin bestand sie?"
"Erinnern Sie sich an etwas Tatsächliches, was war es?"
"Erinnern Sie sich an ein Gefühl, was war es?"
Diese Fragen wurden so lange wiederholt, bis die Nadel "schwebte". Der PC hatte dann
höchstwahrscheinlich eine Erkenntnis, zum Bei-
61
spiel: "Aha, mein Gedächtnis ist besser, als ich glaubte!" Zur gleichen Zeit hob
sich seine Gemütslage spürbar bis zum Enthusiasmus, Punkt 4.0 auf der
Stimmungsskala, was einen positiven Effekt anzeigt: "Der PC ist fröhlich!" Beim
ersten
Anzeichen einer schwebenden Nadel mußte der Auditor mit ruhiger Stimme sagen:
"Erledigt", und den PC veranlassen, die Konservenbüchsen abzustellen. Ein Aufseher
mußte dann das "Release" auf dem Meter nachprüfen.
"Secondarien" wurden jetzt als notwendige Vorbereitung auf die Engramme (die ziemlich
schrecklich verlaufen konnten) angesehen. Der Auditor gab zunächst einen R-Faktor,
indem er erklärte, einige Verlust-Erlebnisse sollten festgestellt und dann mehrfach
durchgenommen werden. Es sei am besten, mit einem leichten Verlust zu beginnen, zum
Beispiel
einem verlorenen Gegenstand. Sowie sich der PC an etwas Derartiges erinnerte, wurde er vom
Auditor gebeten, an den Anfang des Erlebnisses zurückzugehen und dann alles der Reihe
nach zu berichten. Der Auditor sollte dann "bestätigen", d. h. dem PC danken und ihn
danach auffordern, das ganze Erlebnis nochmals durchzugehen. Nachdem der leichte Verlust
ein, zweimal behandelt war, wurde der PC aufgefordert, zu einem früheren Verlust
zurückzugehen. Früher oder später würde er so bei einem großen
Verlust ankommen, etwa bei dem Tod eines lieben Menschen. Die ganze Prozedur wurde dann
mehrfach wiederholt, bis es wieder zur schwebenden Nadel bei gleichzeitig gutem Ergebnis
auf
der Stimmungsskala kam. Wiederum überprüfte ein Aufseher die Release.
Bei den Engrammen wurde die gleiche Methode angewandt: Augenblicke des Schmerzes, der
Bewußtlosigkeit, des Schocks oder extremen seelischen Unbehagens wurden von dem
Preclear noch einmal durchlebt. Auch hier begann man mit einem einfachen Vorgang, zum
Beispiel einem aufgeschnittenen Finger. Dann ging man zu früheren Vorfällen
zurück, bis das Ende der Kette erreicht war. Das konnte bis zu früheren
Existenzen
des PC gehen. Vielleicht kam es jetzt zur schwebenden Nadel. Falls nicht, wurde eine
weitere
Kette von Vorfällen behandelt, notfalls noch eine und immer noch eine, bis die
schwebende Nadel erreicht war, falls auch die Stimmungslage ein gutes Ergebnis anzeigte,
war
damit die Sitzung beendet. Nach der Überprüfung wurde der Preclear zum Dianetic
Release erklärt.
Beim Studium dieser Bulletins, dem theoretischen Teil des Kurses, mußten die
Teilnehmer "Demos" (Demonstrationsobjekte) anfertigen. Mit Hilfe von Büroklammern,
Bleistiften und anderen kleinen Gegenständen illustrierten sie Begriffe der
Scientology. Aus Radiergummis ließen sich Engramme machen, und die Zeit-Spur
ließ sich gut durch einen Bleistift oder ein Stück Bindfaden darstellen...
62
Dies ist nützliches Wissen. Damit sehen die Blinden wieder, die Lahmen gehen, die Kranken werden gesund, die Unvernünftigen werden vernünftig und die Gesunden werden noch gesünder.L. RON HUBBARD
ARC hat beim Auditieren sehr große Bedeutung. Das A bedeutet Affinität (=
hier: enge Verbindung, Wahlverwandtschaft), das R Realität und das C Kommunikation.
Zusammengenommen bedeutet ARC das aus einer starken und realen inneren Verbindung
erwachsende "Verständnis". Ganz offensichtlich meint dieser Gedanke einfach die
Qualität einer warmen persönlichen Beziehung. Aber für einen Scientologen
ist
ARC mit einem intensiven, geradezu mystischen Sinn ausgestattet. ARC steht in engem
Zusammenhang mit der Auditionssitzung bis hin zum "Bestätigen" (= dem formellen
'Danke'
nach jeder Antwort), wobei man dem Preclear tief in die Augen schaut. Ein Auditor tut
alles
Erdenkliche, um einen ARC-Bruch zu vermeiden, einen plötzlichen Verlust von
Affinität, Realität oder Kommunikation. Die Schüler wenden viel Zeit auf,
um
gewisse Trainingsmethoden - "TRs" - zu erlernen, die beim Auditieren wesentlich sind: wie
man dem Preclear entgegentritt, die Auditionskommandos erteilt und bestätigt, und bei
alledem ARC aufrecht erhält. Die TRs werden für so bedeutsam gehalten, daß
ihre Bezeichnungen - TR l, TR 2 usw. - zu Attributen der Schüler werden. Sie lernen
die
TRs nicht nur, sie haben sie; zum Beispiel: "Er hat einen wundervollen TR 3." Die
TRs machen mehr Spaß als die Tonbänder und Bulletins, da sie den Schüler
zunehmend in Situationen bringen, die dem Auditieren entsprechen.
Wir wurden von den Instruktoren ermutigt, indem sie uns das Gefühl gaben, daß
wir
bei den TRs gute Fortschritte machten. Margo Zumbrich war meine Trainingspartnerin. In der
Abgeschiedenheit von Geralds Schlafzimmer begannen wir mit TR 0. Hier ging es um die
Fähigkeit, einfach dazusitzen, einander aus kurzer Distanz in die Augen zu sehen und
schlicht nur da zu sein. Wenn man das Gesicht verzog, den Körper bewegte, zuviel mit
den Augen blinzelte oder unaufmerksam vor sich hin träumte, sagte der Partner, der
den
Trainer spielte: "Falsch!" Wir mußten lernen, zwei Stunden lang bewegungslos, aber
nicht starr, da zu sitzen.
Schon nach wenigen Minuten tränten unsere Augen. Krampfhaft versuchten wir, nicht zu
blinzeln, und konnten es wenig später doch nicht sein lassen. Der Versuch, uns
ständig in die Augen zu blicken, machte
63
uns todmüde. Das Gefühl, unbedingt schlucken zu müssen, das es zu
unterdrücken galt, ließ unsere Gesichter starr werden, und der Versuch, das zu
ändern, führte erneut zum Kommando: "Fehler - Neu anfangen!"
Margo und ich brauchten lange, bis wir TR 0 lernten. Gerald kam gelegentlich in das Zimmer
und machte uns auf besonders kritische Punkte aufmerksam.
"Sie hat einen Fehler gemacht, Bob. Sehen Sie nicht, daß ihr Hals links steif wird?"
sagte er zum Beispiel; oder: "Margo, er macht einen Fehler. Er macht ein trauriges
Gesicht.
Er hat höchstens noch 0,5 auf der Stimmungsskala!"
Wir brauchten einen ganzen Abend und den größten Teil eines zweiten, um TR 0 zu
lernen, bevor Gerald mit uns zufrieden war. Am zweiten Abend fanden wir es schon angenehm,
uns ständig in die Augen zu schauen.
Als nächstes war der "Stierkampf" an der Reihe. Um meinen schwachen Punkt zu finden,
konzentrierte sich Margo auf die Frage "Warum hat ein netter junger Mann wie du noch keine
Frau gefunden?" Sie spielte mir eine Nymphomanin vor, die mich verführen wollte.
Gerald
kam herein und forderte uns auf, die Rollen zu tauschen. Ich brachte Margo zum Lachen,
indem
ich auf der Bettvorlage herumhüpfte wie ein Affe.
Gerald flüsterte mir ins Ohr: "Es gibt noch viel mehr, als sie nur zum Lachen zu
bringen. Versuchen Sie es mal mit dem Schwächepunkt 'Nicht-Existenz,! Sie werden
schon
sehen. Sagen Sie ihr: 'Du bist nicht da," Ich wiederholte den Satz immer wieder und
schmückte ihn aus: "Margo, du hältst es nicht aus! Heimlich würdest du viel
darum geben, wenn du verschwinden könntest! Du bist nicht da!"
Sie machte ein ängstliches Gesicht. Gerald fiel ein: "Gut. Weiter so. Sie
vollführt Bocksprünge auf der Stimmungsskala. Jetzt ist sie hellwach. Wenn man
die
TRs macht, verbessert sich die Stimmungslage."
Allmählich arbeiteten wir uns zu TR 4 vor. Das war eine Kombination aller
vorhergehenden TRs und kam fast dem richtigen Auditieren gleich. Der Schüler
mußte versuchen, auf seine Fragen Antworten zu bekommen, obgleich der Trainer
versuchte, ihn aus der Fassung zu bringen. Waren die äußerungen des Trainers
aber
ernst gemeint, mußte der Schüler sie "bestätigen". Auf diese Weise lernte
der Schüler, sicher zu beurteilen, wie die Reaktionen eines Preclear zu bewerten
waren.
Zum Beispiel:
"Können Vögel fliegen?"
"Welche Vögel?" (Der Trainer antwortet ausweichend.)
"Ich wiederhole die Auditionsfrage: .'Können Vögel fliegen?'"
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Der Trainer bewegte seine Arme auf und nieder. Er will den Schüler aus der Fassung
bringen.
"Ich wiederhole die Auditionsfrage: .'Können Vögel fliegen?'"
"Nein." (Immerhin eine Antwort.)
"Danke. Können Vögel fliegen?"
"Gestern abend hatte ich ein interessantes Erlebnis ... usw., usw."
(Der Auditor hört ruhig zu.) Dann: "Fein. Können Vögel fliegen?"
Wenn Frau Honigkuchen zu uns kommt, um zu lernen, dann verwandle den unbestimmten Zweifel in ihrem Auge in eine feste Überzeugung. Dadurch wird sie Gewinn haben - wie wir alle. Aber wenn du ihren Zweifeln nachgibst, dann verlieren wir alle.L. RON HUBBARD
Ron Hubbard behauptete, die Verbreitung der Scientology sei leicht. Alle, die es nicht schafften oder die Bemühungen anderer kritisierten, hatten etwas zu verbergen, vielleicht suppressive Tendenzen. Wenn man sich diesem Thema hinreichend widmete, konnte man sicher gehen, daß der Werber den nötigen Fleiß zeigte. Bei einer korrekten Werbung waren vier Punkte zu beachten:
Kontakt:
1.einen Preclear finden und ihn ansprechen.
2. Beeinflussung: seine Einwände gegen die Scientology entkräften.
3. Ködern: die Schwäche des Preclear herausbekommen, seine Probleme.
4. Einverständnis: ihn überzeugen, daß Scientology seine Probleme
lösen
kann und ihn zum Auditieren überreden.
Ich mußte bei Gerald fast Brachialgewalt anwenden, um von ihm das Werbe-Training als "Bestanden" attestiert zu bekommen. Während ich versuchte, ihn zu "beeinflussen" und zu "ködern", spielte er einen betrunkenen Homosexuellen, der versuchte, mich mit Getränken voll zu schütten und ins Schlafzimmer zu zerren. Zu seiner Zeit hatte sich Gerald als kühner und unwiderstehlicher Werber hervorgetan, nicht wie diese schüchternen Knaben, die auf der Straße Broschüren verteilten, sondern in einer originellen Art, die seinem Stil entsprach. In London hatte er einmal einen Mann mitten auf der Straße am Arm gepackt, ihm ins Ohr gebrüllt: "Du wirst es schaffen", und ihn in die nahegelegene Org geschleppt.
Um deutlich zu sein: Das Auditieren kann ohne einen Elektro-Psycho-Meter nicht optimal sein. Ein Auditor ohne seinen E-Meter erinnert mich an einen Jäger, der in stock-
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dunkler Nacht Enten jagen will, indem er blindlings um sich schießt.L. RON HUBBARD
Eine dünne Glasscheibe bedeckt die Oberfläche des Meters. Am
auffälligsten
ist die leicht gebogene Nadel-Skala, die etwa zwei Drittel der Oberfläche einnimmt.
Der
elektrische Strom, den der Meter ständig in die Hände des Preclear schickt,
bildet
einen Stromkreis. Die Bewegungen der Nadel sind angeblich von der sich ändernden
Energie und Masse der Gedanken des Preclear verursacht, die an der Grenze zwischen dem
Unterbewußtsein und dem Bewußtsein entstehen und elektrische Ladung in den
Meter
zurückleiten.
Die Bedienung des E-Meters ist genau vorgeschrieben und muß bei jedem Gebrauch der
Maschine in immer gleicher Weise ausgeführt werden.
Es gibt Übungen für das Aufstellen des Meters, für das Ein- und Ausschalten
und für das Zentrieren der Nadel. Neben der Skala befindet sich ein runder Knopf, der
Abstimm-Knopf. Mit ihm kann die Nadel zentriert werden. Der Abstimm-Knopf hat eine eigene
kleine Skala, die in sieben gleich große Segmente aufgeteilt ist. Die entsprechenden
sieben Ziffern zeigen an, in welchem Zustand der Preclear während der Sitzung ist.
Sie
entsprechen zwar nicht den Ziffern auf der Stimmungsskala, auf der die
gefühlsmäßigen und geistigen Stimmungslagen tabellisiert sind; dennoch
zeigen extreme Bewegungen auf dieser Skala an, ob der Preclear entspannt oder gespannt
ist.
Es gilt als ideal, wenn der Abstimmknopf auf die Mitte der Skala zeigt; zum Beispiel
muß er zwischen zwei und drei stehen, damit eine "schwebende Nadel" anerkannt werden
kann. Der Auditor hält die Nadel zentriert, indem er den Abstimmknopf leicht mit
seinem
Daumen bewegt; so kann man leicht erkennen, ob die Nadel schweben will. Wenn der Preclear
aufgefordert wird, die Büchsen in die Hand zu nehmen, kann der Auditor auf diese
Weise
feststellen, ob der PC sie zu fest umklammert oder ob er sie zu lose hält; denn das
würde erneutes Zentrieren erforderlich machen. Die Nadel reagiert, je nachdem, wie
fest
der auf die Büchsen ausgeübte Druck ist. Der Preclear darf keine Ringe tragen,
weil sie den Stromkreis beeinflussen.
Die Bulletins enthalten zahlreiche Einzelheiten über die Beurteilung der
verschiedenen
Weisen, wie sich die Nadel bewegt. Zunächst durften wir uns nur mit der "schwebenden
Nadel" befassen. Was im einzelnen die Nadel reagieren läßt und wieso der
Auditor
durch die Beobachtung des Meters so viel erfährt: um diese Fragen beantworten zu
können, mußte der Schüler auf einen Kurs für Fortgeschrittene warten.
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Gewisse Methoden tragen zu raschen Fortschritten im Verlauf der Sitzung bei. Der "R-Faktor", der vor den einzelnen Prozessen vermittelt wird, indem man den nächsten Schritt erklärt, soll dem Preclear jede Nervosität nehmen. Diese Auskünfte verringern den Eindruck des Geheimnisvollen, der den Prozeß und den Meter umgibt, sie tragen auch zum Verständnis der jeweiligen Fachausdrücke bei. Hubbard legt besonderen Nachdruck auf den "Auditor-Kodex", die Maßregeln für das Verhalten des Auditors gegenüber dem Preclear innerhalb und außerhalb der Sitzungen. Ihr Zweck ist es, ARC aufrecht zu erhalten.
Diese und fünfzehn weitere Gebote mußte man auswendig lernen. Gerald verriet
mir andere nützliche Vorbereitungen. Falls der Preclear besorgt wirkte, war
anzunehmen,
daß er ein PTP hatte, ein "Present Time Problem" (= aktuelles Problem). In einem
solchen Falle war es geboten, vor dem Auditieren darüber mit ihm zu sprechen, um im
voraus etwas Spannung abzulassen. Wenn der Preclear verärgert oder wortkarg war,
hatte
er vermutlich einen ARC-Bruch, und bevor der bereinigt war, galt jedes Auditieren als
Zeitverschwendung. Wer die Scientology kritisierte, galt als Querulant. Ein solcher
Preclear
mußte "Considerationen" haben, die im Gespräch auszuräumen waren, indem
der
Auditor alles "bestätigte", was er sagte. Eine andere Störung, die den Preclear
unauditierbar machte, war ein "Overt", d. h. der PC hatte kürzlich etwas getan,
weshalb
er sich schuldig fühlte. Wenn man ihn dazu brachte, darüber zu sprechen und
dabei
alles "bestätigte", konnte man ihn zufriedener stimmen. Gerald erklärte das
alles
so, daß man es für völlig vernünftig hielt.
Zum Thema "unauditierbare PCs" hatte Gerald, der auf seine Fähigkeit stolz war, jede
Nuß zu knacken, eine besondere Geschichte: "Als ich als Interner im Saint Hill
anfing,
mußte ich einen Preclear auditieren, der zu den größten Fanatikern
gehörte, aber gegenüber jeder Kur völlig resistent war. Er war zu keiner
Zusammenarbeit bereit. Er blieb nur dabei, weil er - wie er sagte - L. Ron Hubbard absolut
vertraute. Das Personal zerbrach sich wochenlang den Kopf. Da ich im Hill als ein As galt,
dauerte es gar nicht lange, bis sie den Fall auf mich abwälzten. Ich auditierte ihn
dreißig Stunden lang. Ich muß gestehen, daß ich am Ende meines Lateins
war. Schließlich sagte ich ihm: ,Ich habe gerade eine Botschaft von Ron bekommen.'
Dabei zeigte ich ihm ein leeres Blatt Papier. Ich ,las' es ihm vor: ,Ich, L. Ron Hubbard,
bekenne hiermit, daß die Scientology nur ein Scherz ist. Ich habe diese
67
Posse nur zu meinem Vergnügen aufgezogen. Es ist der größte Betrug des 20. Jahrhunderts.' Gleichzeitig beobachtete ich die Nadel aus den Augenwinkeln. Das erste Anzeichen, daß überhaupt etwas passierte, war, daß die Anzeige der Abstimm-Skala um eineinhalb Punkte abfiel. Plötzlich änderte sich sein Verhalten. 'Ich wußte es', schrie er, 'ich wußte es die ganze Zeit. Deshalb war ich so fanatisch - tief im Innern wußte ich es und ich hatte nicht den Mut zuzugeben, daß alles Quatsch ist. Jetzt bin ich frei!' Während dieser Worte bekam er eine schwebende Nadel, und ich hatte einen weiteren unlösbaren Fall gelöst."
Außerhalb der Klassenstunden stellte ich Listen der Leute auf, die bereit waren,
sich zeitweilig als Preclears zur Verfügung zu stellen und sich gratis auditieren zu
lassen. Meine Freunde waren hilfsbereit, obwohl die meisten nichts mit Scientologie im
Sinn
hatten. Sie hatten nichts dagegen, mir zu helfen, damit ich die zwanzig Stunden für
neue PCs zusammenbekam, die ich nötig hatte, um den Kurs attestiert zu bekommen.
Bevor
ich einen von ihnen zur Dianetic-Release auditierte, absolvierte ich, sozusagen als
Testflug, mit Margo eine Secondarie, wobei Gerald mich beaufsichtigte. Während der
TRs
und der E-Meter-Übungen hatte Margo so große Fortschritte gemacht, daß
Gerald mich beiseite nahm und mir sagte, sie habe auf der Stimmungsskala den Weg nach oben
beschritten und sei dabei, sich ihrer Fortschritte bewußt zu werden. Es gab nichts,
was den Fortschritt so beschleunigte, als die Möglichkeit, andere zu auditieren.
Allein
die Aussicht darauf bewirkte Wunder.
Umberto Lancia hatte nicht dieses Glück. Er war immer noch deprimiert und erschien
nicht mehr in der Wohnung von Gerald und Felicia. Ich hielt ihm vor, er solle sich auf die
guten Seiten konzentrieren und seine Sitzungen mit Gerald wieder aufnehmen. Darauf hielt
er
mir einen zornigen Monolog:
"Ich kann ihr ständiges Dankes-Gemurmel nicht mehr aushalten. Es macht mich
verrückt! Auch wenn du ein kümmerlicher Preclear bist, klopfen sie dir lobend
auf
die Schultern. Es ist für sie eine Sünde zu sagen, die Scientologie sei
wirkungslos. Sie wollen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, daß es auf der Welt
Probleme gibt, die sie nicht lösen können. Sie leben in einer Scheinwelt. Erst
glaubte ich, nur in der Org sei es so. Dann hingen Hildegard und Maurice ständig bei
uns zuhause herum. Und Felicia ließ sich von ihnen beeinflussen.
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Das hat unsere Ehe zerstört. Wie konnte sie Achtung vor einem Kerl wie Maurice
haben? Er tut, was ihm gerade einfällt, ganz egal, ob er andere damit beleidigt. Er
ist
in jeder Beziehung pervers. Erst macht er dich fertig, dann mußt du noch mehr Geld
anlegen, damit er den Schaden repariert. Denk an die Sitzungen mit Gerald, die du
brauchtest, weil Maurice illegale Sitzungen mit dir gemacht hat. Es gibt nichts, was er
nicht tun würde. Habe ich dir erzählt, daß er mich eines Tages sogar
telefonisch auditiert hat? Eines Abends rief er mich an. Ich beschwerte mich, weil ich
Kopfschmerzen hatte. Er sagte: '0.k., fangen wir gleich mit der Sitzung an'. Ich wollte
widersprechen. Er brüllte: 'Mund halten. Tu, was ich dir sage! Was hast du schon zu
verlieren. Sag mir als Antwort, was dir als erstes einfällt. Welches Jahr ist es?' -
'1845', schätzte ich. 'In Ordnung. Und was passiert?' 'Eine Hinrichtung. Ich bin es,
-
ich werde aufgehängt...' - Er ging das mehrfach mit mir durch. Mitten drin hing er
auf.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, meinte ich, mein Kopf würde zerspringen."
"Er meint es gut", sagte ich.
"Wirklich? Wie findest du aber das: Du kennst Empress Green vom Kurs. Weißt du, wie
sie mit ihm bekannt wurde? Er beschaffte sich ihre Telefonnummer, rief sie aus heiterem
Himmel an und überredete sie, sich von ihm draußen in Queens auditieren zu
lassen. Als sie bei ihm ankam, machte er seine Tür in einem purpurroten Bademantel
auf.
Ein unglaublicher Gestank stieg ihr in die Nase. Den Grund dafür hörte sie von
Maurice selbst. Er hatte sich die Unterhosen schmutzig gemacht, als er eilig zur U-Bahn
rannte, und hatte es nicht für nötig befunden, sich zu säubern."
Umberto war entmutigt, was seinen eigenen Fall anging: "Ich bin ziemlich sicher, daß
sie mich im Saint Hill nicht richtig auditiert haben. Ich wurde auffällig schnell zum
Release erklärt. Selbst nach den Scientology-Regeln war es zu schnell.
Zusätzlich
zu den 1200 Dollar für Grad V Power mußte ich weitere Hunderter
hinblättern,
um Review-Sitzungen zu absolvieren. Und nun muß ich nach England zurück, wenn
ich
mich in Ordnung bringen lassen will. Gerald sagt, er könnte es auch tun, aber nur im
Saint Hill hätten sie das Recht, die Power-Release zu wiederholen."
Ich sprach mit Gerald darüber und er stimmte mir zu, daß Umbertos
Power-Prozeß durch einen Rückfall aufgehoben war.
"Aber ich glaube nicht, daß er schon wieder nach England reisen kann", sagte ich.
"Gut, Euer Ehren. Ich werde ans Hill schreiben und fragen, ob sie mir erlauben, daß
ich ihm helfe. Ich habe ja selbst dort zwei Jahre
69
lang zum Grad V auditiert. Inzwischen versuchen Sie doch, ihn ein wenig aufzuheitern."
Später vertraute mir Umberto an, was mit seiner Ehe los war. Seine ersten
Review-Sitzungen mit Gerald waren hilfreich gewesen. Aber er ärgerte sich, weil er zu
immer neuen Kursen in die Agentur kommen mußte. Den Ehebruch seiner Frau, der
zweifellos schon in England begonnen hatte, akzeptierte er. Ebenso war er mit der
Scheidung
einverstanden. Aber es störte ihn, daß sie sich Gerald zugewandt hatte. Der
Besucher aus England hatte Umberto nie sehr imponiert. Doch Gerald war da, und
ständig
bot er ihm an, ihn gratis zu auditieren. Umberto wurde immer deutlicher, wie
lächerlich
die Situation war. Er konnte seine Bitterkeit nicht mehr länger verheimlichen.
Umberto war groß und aristokratisch schlank. Der rundliche Auditor Klasse VII war
zwar
auch nicht häßlich, aber neben dem blendenden MEST-Körper von Felicia
wirkte
er irgendwie unpassend.
Ich selbst nahm die kaum verhüllte Affäre zwischen den beiden hin. Vermutlich
war
es unter Scientologen ganz normal. Jedes andere Verhalten wäre eine Consideration
gewesen. Und ich hatte angenommen, daß Umberto ähnlich dachte.
Aber jetzt begann ich, Umberto nicht ohne Mißtrauen anzusehen. Er war ein Grad V
Power
Release, und doch behauptete er, die Scientologie habe ihm nicht geholfen. Er hatte sich
selbst geschadet, nur weil er sich über seine Frau und ihren Liebhaber ärgerte,
obwohl er die ganze Zeit so tat, als sei ihm egal, was sie taten. Und darüber hinaus
hatte er die Gratis-Sitzungen ausgeschlagen. Irgend etwas an ihm mußte von Grund auf
falsch sein.
Vielleicht waren Rons Bulletins doch mehr als nur heiße Luft; vielleicht beschrieben
sie die Tatsachen des Lebens. Gerald hatte mit Umberto schon einen S&D-Prozeß
absolviert (= die Suche nach einer suppressiven Person in seiner Bekanntschaft); er konnte
also keine "mögliche Quelle von Schwierigkeiten" sein. Doch wenn er selbst SP war?
Umberto mochte wohl eine suppressive Person sein. Ich wollte nicht dogmatisch sein, aber
ich
mußte aufpassen - oder er würde mich verführen, ebenso negativ zu denken.
Aber Gerald hatte in seiner Vorlesung doch gesagt, daß die Menschen im Grunde gut
seien. Umberto hatte nie versucht, mir auszureden, zum Saint Hill zu gehen, wie immer er
selbst darüber urteilte. Vielleicht hatte er doch noch einen Rest von Glauben an die
Scientology. Er hatte sich immer mit mir über meine Fortschritte gefreut, und -
seltsamerweise - hatte er mehr als andere dazu beigetragen, daß ich mich der
Bewegung
angeschlossen hatte. Vor meiner ersten Sit-
70
zung hatten seine vernünftigen und zuweilen pointierten äußerungen über die Scientology meinen ersten Eindruck korrigiert, alle Scientologen seien nur beschränkte Anhänger eines verrückten Kultes. Nein, Umberto war im Grunde gut. Er war mein Freund; und ich wollte seine augenblicklichen Schwierigkeiten einem ausgeprägt melancholischen Zug seines Wesens zuschreiben. Es gab immer noch Hoffnung für ihn, wenn er sich überreden ließ, die Vergangenheit zu vergessen und seine Sitzungen mit Gerald wieder aufzunehmen. - Allerdings: für eine vollkommene Heilung würde er wohl doch nach England zurück müssen.
Der Dianetic Clear verhält sich zum gewöhnlichen normalen Individuum, wie der gewöhnliche Normale zum Geisteskranken.L. RON HUBBARD
Mein erster Preclear war ein alter Freund, der in dem Ruf stand, eine glückliche
Ehe
zu führen. Während ich den E-Meter aufstellte und die Formulare für den
Prozeß "Direkter Draht zum ARC" vorbereitete, beichtete er mir, daß er seit
einem Jahr eine Geliebte habe. Gegenwärtig versuche er, unter mehreren komplizierten
Plänen einen auszuwählen, um seine Frau zu einer Scheidung zu überreden.
Gerald hatte erwähnt, es könne unter Umständen großer
Überredungskünste bedürfen, um einen PC dazu zu bringen, über gewisse
Dinge zu sprechen. Dieser hier hatte seine Information freiwillig gegeben. Offenbar
versetzte schon die Atmosphäre der Sitzung manche Preclears in Beichtstimmung.
Nachdem mir mein Freund sein Herz ausgeschüttet hatte, ging das Auditieren gut voran,
und schon nach zwei Stunden hatte ich die drei schwebenden Nadeln. Ich bat Gerald herein,
damit er den PC über Direkten Draht, Secondarien und Engramme prüfen konnte, was
er tat, indem er ihn fragte, ob er in allen drei Punkten eine Release gehabt habe, wobei
er
auf den Meter schaute, um die Bestätigung zu erhalten.
Es gab auch weniger dankbare Typen. Ich verlor zwei verheiratete Frauen, weil sie sexuelle
PTPs (aktuelle Probleme) hatten, über die sie sich nicht äußern mochten;
außerdem ein Mädchen, das sich nicht von seinen Tranquillizern trennen wollte
(PCs dürfen 48 Stunden
71
vor einer Sitzung keine Drogen einnehmen, weil sich dadurch die Nadel festsetzt). Ein
junger Mann, der innerhalb von 90 Minuten ein wichtiges Engramm erreicht hatte, sagte mir
später, daß er vom vorhergehenden Abend noch völlig betrunken sei. Aber da
sich seine Nadel völlig frei auf der Skala bewegt hatte, wertete ich ihn als
Glücksfall und Dianetic Release. Ein anderer junger Mann zerbrach eine Lampe in
Geralds
Wohnung, kurz bevor die Sitzung begann; er hatte einen solchen ARC-Bruch entweder mit sich
oder mit der Lampe, daß ich ihn nicht auditieren konnte.
Von diesen Ausnahmen abgesehen, war mein Auditieren erfolgreich, und ich genoß es
sehr. Der letzte PC - eine Frau - war mein Meisterstück. Gerald hatte sie schon
stundenlang bearbeitet. Aber ihre Stimmungslage war nicht gut, sie war deprimiert, sehr
weit
unten auf der Stimmungsskala. Er übergab sie mir, was ich als großes Kompliment
empfand.
Sie war gerade dabei, ihren Mann zu verlassen. Obwohl sie ihre persönlichen Probleme
nicht verschwieg, hatte sie erfolgreich vermieden, die wirkliche Quelle ihrer Sorgen
anzugeben, ihre mit starker Spannung aufgeladenen Secondarien und Engramme. Gerald hatte
vorausgesagt, sie würde eine schwer zu knackende Nuß sein. Ich solle sie nicht
vom Haken lassen, auch wenn sie sich eine ganze Woche lang drehen und wenden würde.
Sie
hatte fast ständig eine nahezu schwebende Nadel, die allerdings schneller schwankte
als
sie sollte. Die Abstimmskala zeigte auf weniger als 2.0. Nach Geralds Worten bedeutete
das,
daß sie an mangelndem Verantwortungsbewußtsein litt. Ich sollte mich von der
schwebenden Nadel nicht täuschen lassen und sie weiter auditieren, bis der
Abstimm-Knopf eine bessere Stimmungslage anzeigte.
Ich behandelte mit ihr eine Kette von ehelichen Secondarien. Sie sprach über weiter
zurückliegende Vorfälle in ihrem Leben, um die gefährliche Spannung auf der
Zeit-Spur ihres gegenwärtigen Lebens nicht berühren zu müssen. Ich brachte
sie dazu, sich mit dem letzten heftigen Streit mit ihrem Mann zu beschäftigen, und
behandelte diesen Vorfall immer wieder von neuem. Sie versicherte mir, sie habe kein
wichtiges sexuelles Detail ausgelassen. Während ich im Verlauf des Prozesses auf sie
einhämmerte, verlief ihre Stimmungskurve in weiten Abständen nach oben und nach
unten. Wenn sie im unteren Bereich der Skala war, weinte sie.
Endlich - ein großer Teil des dritten Abends war schon vorbei - konnten wir ihren
Widerstand brechen. Wir stießen zu einem Grund-Engramm durch. Es handelte sich um
ein
Ereignis, als sie noch ein Säugling war. In einer Klinik lag sie im Bett neben ihrer
72
Mutter, die vor Schmerzen schrie. Nach mehrfachen Wiederholungen hatte sie eine gute
Anzeige und ich eine weitere Dianetic-Release. Gerald überprüfte sie. Innerhalb
der letzten Sitzung war ihre Ablese von unter zwei auf vier angestiegen und verweilte
jetzt
zwischen zwei und drei. Er gratulierte mir und nannte mich einen großen Auditor. Ich
war stolz und froh.
Die Tonbänder, die Bulletins, Geralds Vorlesungen, sogar selbst auditiert zu werden -
das alles war nichts im Vergleich zu der Erfahrung, selbst richtige PCs zu auditieren. Es
hatte mir ein Gefühl der Güte und der Macht gegeben, wenn ich einem Preclear
meine
Fragen stellen durfte, wenn ich seine innersten Geheimnisse anhörte und die
Vorgänge auf dem Meter kontrollierte. Vor allem mein letzter Fall. Das Mädchen
hatte mir zugetraut, daß ich sie über die Klippen ihrer Gefühle
hinwegführen könnte. Dabei hatte ich selbst doch kaum das Nötigste gelernt,
um sie zu auditieren.
Die ganze Situation war einfach unwiderstehlich!
Gerald hatte gesagt, was wirkliches Wissen betreffe, seien die meisten Leute mehr als tot.
Wie wahr! Indem ich andere Menschen auditierte, hatte ich das Leben aus einer neuen
Perspektive kennengelernt. Die Stimmung in der Agentur war fröhlich und pulsierend,
die
Welt draußen voller Hoffnungslosigkeit: Was hatten die meisten Menschen schon, das
ihnen Hoffnung machen konnte?
Auch nachdem ich den Kurs bestanden hatte, war ich bei Felicia und Gerald willkommen.
Abends besuchte ich sie oft, um mit ihnen zu plaudern, und wenn die Kurse stattfanden,
blieb
ich, bis die Schüler gegangen waren. Die beiden schienen sich über meine
Gesellschaft genau so zu freuen, wie über meine Fortschritte im Kurs. Gerald
hörte
mir gern beim Klavierspielen zu, er ließ mich nie aus dem Haus, ohne daß ich
ihm
einige seiner Lieblingsstücke vorgespielt hatte - und zwar zweimal. Ich hatte nie den
Eindruck, daß diese Zuneigung nur auf meiner Mitgliedschaft in der
Scientology-Bewegung beruhte.
Da ich der erste Schüler ihrer Agentur gewesen war, der den Kurs abgeschlossen hatte,
gab Gerald mir zu Ehren eine Party, woran etwa dreißig Leute teilnahmen. Nachdem
alle
mit Essen und Trinken versorgt waren, verkündete Gerald, daß ich bestanden
hatte,
und überreichte mir eine eindrucksvolle blaue Urkunde. Dann wurde -
73
wie man mir vorher gesagt hatte - von mir erwartet, daß ich eine kurze Rede
hielt,
in der ich den Kurs und meine Fortschritte preisen sollte. Es waren auch einige Leute von
der New York Org anwesend, und da gewisse Spannungen zwischen Org und Zweigstelle
bestanden,
hatte ich das Gefühl, unter genauer Beobachtung zu stehen.
Die Scientologen von der Org trugen ihre TRs überall mit sich herum wie Waffen. Das
machte das Gespräch mit ihnen mühsam: Ihre Augen wichen nie von denen ihres
Gesprächspartners, und sie "bestätigten" alles, was man ihnen sagte, mit einem
abrupten "Danke" oder "Fein", das sie einem ins Gesicht klatschten wie eine nasse Makrele.
Einer von ihnen, der eine Lederjacke trug, war mir besonders zuwider. Geradezu strotzend
vor
TRs fragte er mich, wann ich nach England fahren würde. Sobald ich das Geld
hätte,
antwortete ich. "Sie müssen das Geld nur postulieren, und Sie reisen früher als
Sie denken", sagte er, womit er mir eine starke Dosis TR 0 verabreichte; denn nicht genug
Geld für das Auditieren zu haben, galt als besonders schwerwiegender Fehler.
Von der Angewohnheit abgesehen, einem dauernd in die Augen zu starren, fiel an den
Org-Mitgliedern am meisten auf, wie sie sprachen. Genau genommen hatten sie einen eigenen
Dialekt, der immer dann, wenn er für sie besonders bedeutsam klang, auf
Nicht-Eingeweihte wie purer Schwachsinn wirkte. Natürlich würzten sie ihre
Sprache
großzügig mit Hubbards Terminologie, die mit der Ausnahme weniger Begriffe aus
Kunstwörtern bestand. Diese Wörter bezogen sich dann auf das Auditieren, den
reaktiven Geist usw. Andere, nicht technisch gebrauchte Vokabeln waren mit mystischem
Tiefsinn befrachtet: ganz alltägliche Wörter wie "handhaben", "Absicht",
"fließen". Verben wurden zu Substantiven gemacht und umgekehrt, Adjektive in Verben
oder Substantive verwandelt, zum Beispiel "clear", das in jeder dieser drei Wortarten
gebraucht wurde. In diesem Idiom wurde auch den Präpositionen übel mitgespielt,
besonders "in" und "out": die Rangstufen, die Ethik, die Postulate eines Scientologen
waren
entweder "in" oder "out" (= je nachdem, ob sie in Ordnung waren oder nicht). Dieser
Sprachgebrauch, zusammen mit Dutzenden von Abkürzungen (ARC, TR, SP etc) führten
zu einer Hubbardisierung der englischen Sprache. Außerdem gab es gelegentlich Spuren
der Jazz-Musiker-Sprache, der Idiome von der Madison Avenue und aus Gebetsversammlungen,
Armee-Slang und Geschäftsjargon, je nachdem, welchen Hintergrund der Einzelne hatte.
Insgesamt klang Scientologisch wie ein eigener Dialekt. Wie die Papageien plapperten die
Org-Mitglieder nach, was sie von Hubbards Bulletins und Tonbändern gelernt hatten.
74
Die Leute, die ich an jenem Abend in der Agentur traf, waren nicht unbedingt humorlos,
obwohl selbst ihre Scherze einen Hintersinn hatten. Sie zogen sich ständig
gegenseitig
auf, vermutlich, um die überspannte Atmosphäre in der Org auszugleichen.
Zuweilen
war ihr Lachen geradezu hysterisch, vor allem bei Wortspielen mit Scientology-Begriffen.
Nachdem ich sie eine Weile beobachtet hatte, suchte ich in Geralds Gesellschaft Zuflucht.
Während die Party weiterging, standen wir draußen auf der Terrasse und
philosophierten.
"Weißt du, Euer Ehren" - er sagte Du zu mir - "ein Clear und ein OT zu sein ist
nicht
immer leicht. Zuweilen ist mir, als hätte ich kaum Freunde. Dann komme ich mir sehr
einsam vor. Bei meiner Erfahrung im Trainieren und Auditieren durchschaue ich die Menschen
sofort. Ich habe niemanden, mit dem ich die Sublimitäten des wahren Seins oder die
Schönheit ästhetischer Vibrationen diskutieren könnte."
Ich bemitleidete ihn ein wenig. Auch fragte ich mich, ob dies das Wissen und die
Erleuchtung
war, die ich suchte. "Sei unbesorgt", antwortete ich, "wenn ich aus England
zurückkomme, als Clear oder als OT, dann sind wir schon zu zweit!"
Der Entschluß war gefallen.
Um dem Leser das Verständnis zu erleichtern, will ich jetzt versuchen,
möglichst logisch darzustellen, wie unlogisch sich meine Gedanken damals
entwickelten.
Allerdings kann ich nicht mehr rekonstruieren, wann genau ich mich entschlossen habe, nach
England zu gehen, um ein Clear zu werden.
Dieser Entschluß war im Wesentlichen von meiner Überzeugung beeinflußt,
es
gebe eine schnelle und leichte Lösung aller Probleme. Deshalb unterdrückte ich
alle meine Zweifel, sowohl an den Methoden als auch an den Menschen, die diese Methode
anwendeten. Was ich über den Scientology-Kult gesehen und gehört hatte, war mehr
als genug, um meine Zweifel zu wecken. Maurice und die Org-Leute waren das Produkt der
Scientology; ebenso die gescheiterten Freundschaften und Ehen der Scientologen. Hinzu
kamen
Umbertos abschreckende Schilderung vom Saint Hill, die irritierenden Bulletins, die
seltsamen Behauptungen der Scientologen: das alles vermittelte den Eindruck, daß
etwas
Unerklärliches vor sich ging, und ließ
75
Hubbards Ideen-Gebräu als eine unheimliche Mischung aus unheilvollen und
lächerlichen Bestandteilen erscheinen. Doch eine Vielzahl äußerer
Einflüsse führte dazu, daß ich diese negativen Eindrücke
unterdrückte und zu dem Entschluß kam, Tausende von Dollar aufzuwenden - meine
gesamten Ersparnisse -, um den Hauptgewinn zu machen.
Kleinere Zweifelsfragen wurden von Gerald Tiber schnell ausgeräumt. Zu Felicia oder
Gerald konnte ich nie Nein sagen. Wenn ich schon einmal Gegenargumente brachte, hatte
Gerald
meine Ansichten bestätigt, so daß ich bald Auseinandersetzungen vermied; sie
waren doch nur Zeitverschwendung. Ich bewunderte Gerald, und in einem wichtigen Punkt
wollte
ich sein wie er: er machte sich niemals Sorgen. Er hatte mir suggeriert, durch den
Clear-Prozeß könne ich werden wie er. Abgesehen davon, daß er Rons
Auditier-Methoden gut hieß, war Gerald von der Scientology nicht sonderlich
begeistert. Für einen Eingeweihten war seine Haltung ziemlich unkonventionell. Nach
seiner Meinung konnte die Erleuchtung ohne große Mühe erreicht werden. Und ihre
Frucht bestand im wesentlichen darin, daß man die Freuden des Lebens noch mehr
genießen konnte. Außerdem hielt ich ihn für einen mutigen und
entschlußkräftigen Mann. Das mußte er sein, wenn er Jahre im Saint Hill
verbracht hatte, wenn er von der Scientology bekommen hatte, was er wollte, und das alles
unverletzt überstanden hatte. Gerald hatte mich zweifellos am meisten
beeinflußt.
Seit seiner Ankunft in New York hatten sich mir völlig neue Perspektiven
eröffnet.
Doch wenn ich den entscheidenden Augenblick nennen sollte, an dem ich den Entschluß
faßte, ein Clear zu werden, dann wäre das genaueste Datum irgendwann im Jahr
1950. Jeder, der damals das Buch über Dianetic gelesen hatte und von der Idee des
Clearens genügend angetan war, um Engramme zu absolvieren - so wie ich - der durfte
als
leichte Beute für Hubbards neuestes Scientology-Schema gelten. Deshalb muß ich
zugeben, daß ich bei allen äußeren Einflüssen, bei aller
Indoktrination durch Gerald, letzten Endes doch meinen eigenen Entschluß
gefaßt
habe. Zu gegebener Zeit erstickte ich selbst jeden mir verbliebenen Zweifel.
Seltsamerweise war es nicht ein unerschütterlicher Glaube an die Scientology, der
mich
dazu befähigte. Irgendwie war es mir gelungen, eine saubere Trennwand zwischen den
Aspekten zu errichten, die mich anzogen, und denen, die mich abstießen; zwischen den
Auditionsmethoden und den übrigen Dingen, die die Org hervorbrachte. Nicht ein Glaube
an den komplexen Gesamtzusammenhang der Scientology leitete mich, sondern allein die
Überzeugung vom
76
Wert des Auditierens und des Clear-Werdens.
Da ich von der Scientology als ganzem nicht überzeugt war, muß meine Vision des
Clear-Status außerordentlich überzeugend gewesen sein. Sie bedeutete die
Erfüllung aller Hoffnungen und die Befreiung von allem, dem ich abgeneigt war. Der
innere Fortschritt, den ich der Scientology zu verdanken glaubte, beruhte völlig auf
diesen Zukunftshoffnungen. Die Abneigungen waren mir zumeist erst durch die Scientology
vermittelt worden, vor allem die Furcht, den gewonnenen Fortschritt wieder zu verspielen
und
in das alte Leben der mich umgebenden Welt zurückzufallen: in die Welt des reaktiven
Geistes. So glich meine Vision des Clearens und die Art und Weise, wie sie zustande
gekommen
war, dem Verhalten des Rauschgiftsüchtigen, der - bewußt oder unbewußt -
zuweilen daran zurückdenkt, wie beklagenswert sein Leben war, bevor er Drogen nahm.
Ich
sah mein früheres Leben völlig vom reaktiven Geist beherrscht. Meine Stimmungen
waren von allem möglichen beeinflußt worden: vom Wetter, von der Umgebung und
den
Leuten. Ein Mensch mit einem reaktiven Geist war wie eine Feder im Wind.
Wovon ich mich sonst an Störendem zu befreien suchte, hing hauptsächlich mit der
Scientology selbst zusammen: mit dem, was mich an ihr zweifeln ließ. In einer
verqueren Logik wollte ich alles, was mir an ihr widerwärtig war, überwinden,
indem ich sie noch mehr praktizierte: Ich mußte ein Clear werden, um meine
Lebensprobleme zu lösen, um künftigen Entziehungssymptomen zu entgehen und mich
von der Scientology zu befreien. Wenn die unteren Stufen einer Rauschgiftsucht
vergleichbar
waren, dann war der Clear-Prozeß das endgültige Fixen!
Es war tatsächlich nicht Mangel an Geld, was mich dazu brachte, die Reise nach England aufzuschieben, nachdem ich den Dianetic-Kurs Anfang 1968 abgeschlossen hatte. Vielmehr hatte ich sehr viel Geld in Aktien gesteckt, die im April stark steigen sollten, wodurch sich mein investiertes Geld verdoppelt oder verdreifacht hätte. Wenige Wochen später hieß es, die Hausse käme erst im Sommer. Ich beschloß, die Aktien zu behalten. Der letzte Tip lautete, daß sich ihr Wert um das acht- oder neunfache vermehren konnte, während ich in England war. Ich überlegte mir stundenlang, wie ich Bank-Darlehen zurückzahlen konnte, und welche Manöver ich mit meinen
77
anderen Aktien durchführen mußte, von denen viele auf Darlehen gekauft
waren.
Der "Geld-Prozeß" hatte mich zu einem wahren Finanzgenie gemacht. Schließlich
ließ ich meine Investitionen intakt, indem ich mir von meinem Vater Geld borgte.
Eine
Musical-Produktion bot mir für Juli und August eine Japan-Reise an, doch ich lehnte
das
Angebot ab und buchte für den 11. Mai 1968 einen Flug nach London.
In den letzten Wochen vor meiner Abreise sprach ich viele Leute an, damit sie sich in der
Agentur auditieren ließen. Besonders war ich bemüht, diejenigen unter meinen
Freunden zu bekehren, die in psychiatrischer Behandlung waren. Viele ließen sich
schon
seit Jahren analysieren, was mir als große Verschwendung an Zeit und Geld erschien.
Einige, die ich zur Dianetic-Release auditiert hatte, waren interessiert, hatten aber kein
Geld. Gerald war ständig hinter mir her, damit ich sie zur Unterschrift
überredete. Doch sie kamen nicht - ebenso wie keiner meiner Freunde seinen Psychiater
verließ. Das war bedauerlich; denn ich hätte zehn Prozent Kommission auf alle
Zahlungen erhalten, die sie an die Agentur geleistet hätten.
Einer meiner Dianetic-Schüler hielt die Scientology für nicht so bedeutend, wie
die Philosophie des Fernen Ostens. Ich las ihm Passagen aus Rons Schriften vor, in denen
Yoga und andere orientalische Praktiken verdammt wurden. Die Schwäche eines anderen
waren seine bisexuellen Neigungen; er hatte den Wunsch, sich dem anderen Geschlecht
zuzuwenden. Ich versuchte ihn davon zu überzeugen, daß die Scientology ihm
diesen
Dienst erweisen könne. Gerald hatte betont, daß solche Erfolge durchaus
möglich seien. Tatsächlich seien einige Personen nach dem Clear-Prozeß
homosexuell geworden, woran man sehen könne, wie sehr man als Clear zur freien
Selbstbestimmung komme.
"Deine Sexualität ist nur eine Erscheinungsform, wenn du sie nicht als dein wahres
Selbst postulierst", erklärte ich meinem Freund. In seinem Buch "In Fundamentals of
Thought" behandelt Ron die Erscheinungsformen, Bedingungen, die real erscheinen, ohne es
zu
sein. Zum Beispiel glauben die meisten Leute, daß ein Ding geschaffen wird, einige
Zeit besteht und schließlich wieder zerfällt. Das Gegenteil ist wahr! Ron sagt,
du erschaffst es, dann erschaffst, erschaffst du es - das entspricht dem zeitweiligen
Bestehen - und dann erschaffst du etwas Entgegengesetztes. Das ist doch wirklich ein
Gedanke, der sympathischer ist als der Begriff der Zerstörung! "Zerstörung ist
nichts als eine Form des Erschaffens - das Wort, so wie es allgemein gebraucht wird, ist
nichts als eine Erscheinungsform!"
78
Das war einer der wenigen Gedankengänge von Hubbard, die ich noch im Kopf hatte.
Ich
las nur selten in seinen Büchern. Soweit sie empfohlen wurden, weil sie den Samen der
Scientology ausbreiten sollten, gingen sie so weit über meinen Horizont, daß
sie
mir von einem ganz anderen Thema zu handeln schienen. Das Buch "Scientology 8-8088"
enthielt
eine Reihe von Fachausdrücken, die ich vorher nie gehört hatte: Grate,
Pressoren,
Zug-Balken, Implosionen. An einer Stelle wurde eine "Fünfte Invasionsstreitmacht"
erwähnt. Ich blätterte das ganze Buch durch, aber der Ausdruck kam nirgends mehr
vor.
Manche Leute wollten von der Scientology nichts wissen. Trotzdem konnte ich mich nicht
entschließen, sie als suppressiv zu betrachten. Die Streitgespräche mit ihnen
machten mir eher Spaß, und ihr Widerstand diente lediglich dazu, meinen Glauben zu
stärken. Zu dieser Kategorie gehörte Vreymouth Manteag; er war Mitglied im
"Werk-Kreis", einer Gruppe, die in den Lehren von George Gurdjieff, einem
transkaukasischen
Mystiker, geistige Erleuchtung suchte.
"Ich weiß einiges über die Scientology", sagte er. "Letzten Winter sind einige
aus unserem Kreis in ein Haus gegangen, um sich zu informieren; es gehörte einem
Mitglied, und die Gastgeberin hatte vier Leute aus der Org eingeladen. Sie waren ziemlich
fanatisch. Wir haben ihnen einige direkte Fragen gestellt und mußten feststellen,
daß die Leute ständig ausweichen. Sie prahlten mit ihren Fortschritten, konnten
uns aber nicht erklären, was sie davon hatten. Die Gastgeberin behauptete, durch das
Auditieren habe sie jede Streitsucht verloren, sie könne sich einfach nicht mehr
ärgern! Daraufhin ging mein Freund - der die Muskeln eines Kanalarbeiters hat -
schnell
durch den Raum und schlug ihr zu ihrer Verblüffung fachmännisch die Linke voll
ins
Gesicht. 'Sind Sie jetzt wütend?' rief er. Ihr Auge tränte, ihr Gesicht war rot
angelaufen. 'Ja, ich bin wütend. Aber nur weil ich es sein will, da es der Situation
entspricht. In anderen Worten: ich postuliere Wut!'"
Allen Ottoman, einer meiner Freunde, der schon das Dianetic-Training abgelehnt hatte,
antwortete sehr direkt. Er ließ sich gerade analysieren, weshalb er Vorurteile
hatte.
"Könntest du mir bitte erklären, wie du diese Wunder vollbringst", sagte er,
"ehrlich gesagt, ich verstehe kein Wort."
"Es gibt Dinge, die du einfach erleben mußt", antwortete ich. "Die Auditionsprozesse
helfen dir, die überholten Ansichten loszuwerden, die nicht das Produkt deines
eigenen
freien Willens sind: Du hast sie infolge von schrecklichen Vorfällen in deinen
früheren Existenzen erworben."
79
"Frühere Existenzen? Hör mir damit auf. An solchen Kram glaube ich nicht."
"Das macht mir ganz deutlich, daß es in deiner grauen Vergangenheit Dinge gibt, mit
denen du nicht konfrontiert werden willst. Auf deiner Zeit-Spur sind mörderische
Engramme und selbst 20 Jahre Analyse durch Freud selbst könnten sie nicht
ausradieren."
"Radieren? So was gibt es doch nicht!"
"Die Psychiater freuen sich, wenn du so denkst. In Wirklichkeit kann das in wenigen
Stunden
passieren."
"Das ist der größte Witz, den ich je gehört habe. Die spielen
Fußball
mit dem Verstand der Leute."
"Siehst du Allen, du willst alles genau wissen. Ron sagt, es sei ebenso wichtig, daß
man die Fähigkeit hat, nicht zu wissen. Du gehst zu deinem Psychiater und wälzt
dich auf der Couch herum. Dann sind die fünfzig Minuten vorbei und nichts ist
gelöst. Er läßt dich weiter am Angelhaken baumeln. Du kannst nach Hause
gehen und dich noch ein wenig mehr in deinen Problemen suhlen, bis zum nächsten
Besuch
beim Psychiater. Der Kerl restimuliert dich nur; er steckt die Drähte um - jetzt bist
du ganz in sie eingewickelt." Ich bewegte meine Arme, als sei eine gigantische Anakonda um
mich gewickelt.
Es war nicht so, als ob ich Leute wie Allen und Vreymouth nicht verstanden hätte.
Auch
ich selbst hatte einmal die Scientology infrage gestellt.
Umberto Lancia kam nicht in die Agentur zurück. Gerald hatte vom Saint Hill die
Erlaubnis erhalten, den Power-Prozeß zu wiederholen. Das war auch geschehen, wieder
ohne Erfolg. Ich machte einen letzten Rettungsversuch, genau nach Werbe-Vorschrift, und
legte ihm dar, daß die Scientology wie ein Spiel war. Ihre scheinbaren
Schwächen
gehörten notwendigerweise dazu, und auf lange Sicht seien sie eine Wohltat für
den
Spieler - wie im Leben selbst. Seine Antwort bestand in einer wütenden Kritik an
seiner
Frau: Felicias Clear-Status habe sie nicht verändert, sie habe immer noch Probleme,
sie
hänge sich an Gerald, wie an eine Vaterfigur, sie sei unfähig, allein mit der
Welt
fertig zu werden, und verlasse kaum noch die Wohnung.
Dann stürzte er sich in einen neuen Monolog über Gerald, was hinreichend
erklärte, warum die Wiederholungssitzungen ohne Ergebnis geblieben waren. Nach seinen
Worten war Gerald ein unwissender Scientologe. Er spreche Worte falsch aus, obwohl er den
Anschein erwecken wolle, daß er gebildet sei. Er spiele den Engländer aus guter
Familie, dabei sei er aus Dublin, seine Eltern stammten aus
80
Ost-Europa. Er esse zuviel und sei Kettenraucher. Er rede über ästhetik und
geistige Fragen, obwohl er von Kunst und Philosophie nichts verstehe. Seine Manieren seien
zwar ölig und einschmeichelnd, aber damit verschleiere er nur seine wahren Absichten:
soviel Geld wie möglich in die Hände zu bekommen. Zu guter Letzt setze Gerald
gewöhnlich den Doktortitel vor seinen Namen. Wenn er sich als Dr. Tiber vorstelle,
nehme jeder an, er habe an einer richtigen Universität promoviert. In Wirklichkeit
sei
er aber nur ein Doktor der Scientology, und diesen Titel habe er mit einigen
Quacksalber-Kursen im Saint Hill erworben. Das war in Umbertos Augen der Gipfel der
Lächerlichkeit. Der richtige Titel für Gerald laute "Scharlatan". Zu jener Zeit
war ich mir der Rolle kaum bewußt, die Gerald in meinem Leben spielte. Darum
verteidigte ich ihn, wobei ich auf Umbertos besonderen Anklagepunkt einging. Ich
mußte
zugeben, daß er im Prinzip Recht hatte, aber - so hielt ich ihm entgegen - er
übersehe die andere, die positivere Seite. Er suche nach den "Dornen statt nach
Rosenknospen", wie Gerald selbst es genannt hätte. Ich betrachtete Geralds
Maniriertheiten als amüsant und kinderleicht zu durchschauen, deshalb ließ ich
sie mir gefallen. Gerald war, von Felicia abgesehen, isoliert. Er brauchte Freunde. Er
mußte den ganzen Tag über PCs auditieren, Vorlesungen halten, sich ständig
verausgaben. Dadurch hatte er sich eine automatische Etikette zugelegt, ähnlich dem
Verhalten eines Arztes gegenüber dem Patienten am Krankenbett. Unter dieser
Tünche
war er großzügig, angenehm und hilfsbereit. Er hatte viel für mich getan,
vielleicht mehr als sonst jemand vorher. Ich sagte zu Umberto, wenn Gerald ein Scharlatan
sei, dann nur im besten Sinne des Wortes.
Ich wollte Umberto zu der Einsicht bringen, daß er diese Withholds um seiner selbst
willen ausschwitzen müsse. Er müsse die Wiederholungssitzungen wieder aufnehmen,
solange wie Gerald sie anordne. Außerdem müsse er wegen Felicia den
Realitäten Rechnung tragen. In den Dianetic-Vorlesungen hatte ich gelernt, daß
hinter seiner Feindseligkeit seine eigenen Overts lagen. Felicia war nicht allein
schuldig.
Er mußte auch selbst einiges verschuldet haben. Ich suchte nach den Overts, die er
begangen hatte, und denen er sich nicht stellen wollte. Indem er ihr alle Schuld zuschob,
wollte er seinem eigenen Versagen ausweichen. Ich fragte ihn geradeheraus nach seinen
Overts
("Was hast du getan?") und ließ nicht von ihm ab, weil ich sicher war, auf der
richtigen Spur zu sein. Aber er konnte sich nicht überwinden, die Angelegenheit von
beiden Seiten zu sehen. Letzten Endes schob er doch Felicia alle Schuld zu.
81
Ich aß mit Fives Brooks zu Abend, einem Musiker, mit dem ich auf einer
Konzertreise
zusammen gewesen war. Er war kürzlich der New York Org beigetreten und kratzte jetzt
gerade alles Geld zusammen, um irgendwann nach England zu fliegen. Fives hatte
während
seiner Einführung in die Scientology starke Krisen durchgemacht, Auseinandersetzungen
mit der Ethik-Auditorin und tränenreichen Wanderungen durch den Central Park um vier
Uhr in der Nacht unter heftigen Selbstanklagen. Seine Fortschritte hatten die Eigenschaft,
so schnell wieder zu verschwinden, wie sie gekommen waren, und es gab einen SP, von dem er
sich trennen mußte. Irgendwie hatte er seine unteren Grade geschafft, und er war nun
davon überzeugt, daß die Scientology die einzige Hoffnung der Menschheit sei.
Das Abendessen mit Fives war eine ziemlich ungemütliche Affaire. Seine Augen
ließen meine nicht aus dem Blick. Ich hatte Schwierigkeiten, anständig zu
essen,
und spritzte süßsaure Soße auf das Tischtuch. Fives bestätigte jedes
meiner Worte mit großem Nachdruck und erwartete von mir das gleiche Verhalten. Wenn
er
von mir keine Bestätigung erhielt, sagte er: "Ist das O.k.?" oder "Habe ich deine
Zustimmung?" Die ganze Zeit starrte er mir in die Augen, wobei er ständig
lächelte, was ihn ein wenig verängstigt aussehen ließ. Ich konnte es kaum
erwarten, bis wir uns endlich voneinander verabschieden und in entgegengesetzte Richtungen
verschwinden konnten.
Leute wie Fives bestätigten nur, was ich ohnehin wußte: daß mich Welten
von
den Org-Mitgliedern trennten. Sie mußten den Autoritäten folgen und vorgeben,
auch den ausgefallensten Unsinn zu glauben! Ich dagegen konnte das Spiel nach meinen
Regeln
spielen, so wie Gerald. Ich hatte das Geld, das ich brauchte, und notfalls konnte ich
Aktien
verkaufen, wenn ich mehr brauchte. Aber die armen Trottel in der Org mußten sich
immer
weiter versklaven. Ihnen blieb nur die Hoffnung, genug Geld zusammenzusparen, um den
Clear-Prozeß absolvieren zu können.
Wie verlief mein Leben vom April 1967 bis zum Mai 1968, also in der Zeit, als ich an den
Sitzungen teilnahm, den Kurs besuchte, auf Felicias Rückkehr von England wartete, und
in den Wochen vor meiner eigenen Abreise?
Offensichtlich war ich glücklich. Glücklich genug, um mich wünschen zu
lassen, meine Fortschritte mit anderen zu teilen. In geistiger und physischer Hinsicht
fühlte ich mich besser als je zuvor. Ich machte mir nicht die Mühe nach Arbeit
zu
suchen; denn ich hatte genug Vermögen. Nach meinem Konzertabend übte ich kaum
noch
auf
82
dem Klavier. Die wenigen Konzertagenten, die sich um mich gekümmert hatten, schrien nicht gerade nach weiteren Konzerten mit mir. Später dachte ich mir, es wäre Unsinn und ein Zeichen für reaktiven Geist, mich erneut ihren Launen zu unterwerfen, bevor ich ein Clear war. Meine übrigen geistigen Interessen, wie Zen und andere Meditationsübungen, hatte ich nach dem Anhören der ersten Hubbard-Tonbänder als vorsintflutlich aufgegeben. Sport zu treiben war ebenfalls nicht nötig, während man seine seelischen Kräfte erweiterte. Das Schönste war, ich hatte auch nichts mehr mit meinem früheren, ziemlich beschwerlichen Innenleben zu tun: mich ständig zu analysieren und mein Denken zu überprüfen. Ich war überzeugt, daß die Lektion, die ich so gut gelernt hatte - der Trieb zu denken, zu durchdringen und zu verstehen sei nur ein Mechanismus des reaktiven Geistes - daß diese Lektion mich frei machte und meine wahren Fähigkeiten in wunderbarer Weise ans Tageslicht brachte. Ich begann ein Buch über das Lehren und Lernen des Klavierspielens zu schreiben. Einige meiner Vorschläge darin stammten von Ron - so ARG und die Stimmungsskala. Unbewußt äffte ich seinen Stil nach, wenn ich die altmodischen Methoden geißelte. Ich fühlte, daß ich das Buch Ron verdanke, und hatte die Absicht, es ihm zu widmen.
Das ist klar: Ein Thetan kann alles, wie ein Zauberer, der auf der Bühne Gegenstände hin und her bewegt.L. RON HUBBARD
Am Abend vor meiner Abreise unterhielten wir uns stundenlang. Gerald schlug vor, ich
solle in seiner Agentur mitarbeiten, wenn ich von England zurückgekehrt sei. Dazu
brauche ich nur den speziellen Kurs, in dem man lerne, "worum es in der Scientology
insgesamt ging". Der Kurs dauerte sechs Monate und kostete 800 Dollar. Doch dieser Aufwand
lohne sich, meinte Gerald, dadurch habe ich neben der Musik noch einen anderen Beruf, auf
den ich zurückgreifen könne.
Wir kamen immer mehr ins Schwärmen. Die Möglichkeiten schienen unbegrenzt: wir
konnten Zweigstellen in der Schweiz oder im Mittelmeergebiet errichten, oder beides, wir
konnten eine griechische Insel kaufen und dort ein "Internationales Kultur-Zentrum"
aufbauen. Dazu müßten wir aber einen besseren Namen als "Sciento-
83
logy" erfinden.
Wie bei allen Agenturen würde man auch von uns eine zehnprozentige Abgabe an den
Saint
Hill erwarten. Ich fragte Gerald, was damit und mit den übrigen Einnahmen der
Scientology-Bewegung geschehe. Er antwortete, seiner Meinung nach würden mit dem Geld
Forschungen finanziert, ferner neue Orgs sowie das umfangreiche Werbe-Material. Alles was
dann übrig bleibe, gehe vermutlich an L. Ron Hubbard selbst.
Hubbard lebte auf einer großen Jacht, deren Aufenthaltsort streng geheim war. Sie
gehörte zu den beiden Schiffen, die den Anfang einer Scientology-Flotte bildeten. Die
Jacht war das Hauptquartier der "See Org", dem Mittelpunkt der gesamten
Scientology-Bewegung. Der See Org-Stab sandte seine Mitglieder auf Inspektionsreisen zu
den
verschiedenen nachgeordneten Organisationen überall auf der Welt. Abgeschirmt auf
seinem Schiff, und beschützt von den ihm ergebenen Mitgliedern seiner Mannschaft war
Hubbard zu jener Zeit damit beschäftigt, die OT-Stufen VII und VIII zu entwickeln.
Sie
sollten der Gipfelpunkt der Scientology-Bewegung werden. Die neuen Stufen wurden mit
großer Ungeduld erwartet, da sie ihre Inhaber zu totalen OTs machen sollten, denen
nichts mehr unmöglich sein würde, die Erschaffung von Materie eingeschlossen.
Wir spekulierten über die geistige Bedeutung der oberen OT-Stufen, da wir über
ihren Effekt ein wenig im Zweifel waren. Macht hatte nie zu meinen geistigen Zielen
gehört und Gerald sagte, er denke genauso. Felicia warf die Frage auf, ob Ron
vielleicht in besonderer Weise machtbesessen wäre.
"Er ist ein Egozentriker, nicht wahr?" fragte ich.
Gerald lächelte gut gelaunt. "Das kann ich bezeugen. Aber im Hinblick auf das, was er
für die ganze Welt getan hat, kann er sich das auch erlauben. Übrigens, ich habe
schon ein paar Bier mit ihm getrunken, und er ist wirklich ein netter Kerl. Wie auch
immer,
Hoheit, du wirst als erleuchteter Mann zu uns zurückkommen. Wirst du auch deine alten
Freunde nicht vergessen, Sir, wenn du ein Clear bist? Du weißt ja: 'Ein Clear hat
das
Vermögen, sich an alles zu erinnern!'"
"Werde ich mich auch daran erinnern, wie ich in den gegenwärtigen Status des
Nicht-Erleuchtet-Seins verfallen bin?"
"Du wirst erleuchtet sein, was willst du denn sonst noch wissen? Ehe ich zur Scientology
kam, trug ich eine Brille mit zentimeterdicken Gläsern (ein Flugzeugpilot hätte
ihn jetzt um seine Augen beneidet). Während des Grad V-Prozesses ließ ich mir
schwächere verschreiben und zum Schluß konnte ich das blöde Ding weg-
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schmeißen."
"Mir ging es ähnlich", fügte Felicia hinzu. "Die Optiker in East Grinstead sind
froh, das Hubbard-College in ihrer Nachbarschaft zu haben; die Schüler brauchen
ständig schwächere Brillengläser."
Sie bereiteten mich genügend auf Saint Hill in England vor. Wenn ich schon die New
York
Org für einen Affenkäfig halte, solle ich erst einmal warten, bis ich den Hill
sähe! Er sei nicht nur die Brutstätte für Fanatiker, sondern zugleich die
Szene eines Machtkampfes innerhalb der Elite der Scientologen.
Gerald hatte einige bizarre Vorgänge miterlebt. Seine Frau hatte ihn einmal zur
suppressiven Person erklärt, weil er zwei Tage lang Verstopfung gehabt hatte. Und
eines
Tages hatte ihn ihr Liebhaber im Eingang des eigenen Hauses niedergeschlagen. Kurz darauf
und wenige Tage, bevor er Felicia kennenlernte, war er tagelang im Keller des Schlosses
eingesperrt worden. Es war eine Art Behelfsschloß, das Hubbard hatte errichten
lassen,
weil die britischen Baugesetze zu jener Zeit (in den fünfziger Jahren)
Ausländern
nur erlaubten, ein Schloß zu bauen.
"Es geht dort drüben wirklich verrückt zu", fuhr Gerald fort. "Nimm zum Beispiel
diesen Brief hier, den ich heute bekam. Er ist von einem meiner besten Freunde, mußt
du wissen: 'Ich ordne an, daß du diese Statistik sofort zusammenstellst (Statistiken
bedeuten ihnen alles); schick mir einen genauen Bericht über alles, was in dieser
Hinsicht unternommen wurde; fang sofort an; du weißt, ich kann dich zu einer Strafe
verurteilen.' - Sie haben tatsächlich strenge Strafbestimmungen, Bob, und das gibt
ihnen die Möglichkeit, sich aufzuspielen."
Gerald beschwor mich, ich solle mich nicht überreden lassen, Mitglied des Stabes vom
Saint Hill zu werden. Die Organisation sei letzten Endes nichts weiter als ein von Ron
hastig eingerichtetes Instrument, um möglichst schnell mit seinen Methoden arbeiten
zu
können. Ich habe das Geld, um nach England zu gehen und das Goldene Vließ zu
erobern, ohne mich allzu sehr mit der verrückten Organisation einzulassen. Ich solle
dort drüben meine Zunge hüten; der Kampf werde hart aber lohnend sein. Ich solle
nichts weiter tun als ihr Spiel zeitweilig mitmachen.
Das war Geralds Version der Fehler, Schwächen und Absurditäten der Organisation
im
Saint Hill. Er legte mir nahe, daß ich mich zum Schluß "aus der Sache
herausreden" müsse. Pflichtschuldig trug ich für September in meinen
Terminkalender ein: "Laß dich nicht einfangen."
Felicia erzählte uns eine Scientologen-Anekdote: Es gab einmal einen
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Mann, der als Schrecken aller Auditoren galt. Er reiste durchs Land und ließ sich
in den verschiedenen Orgs auditieren. Er machte keinen einzigen Fortschritt. Er war
wohlhabend und verbrachte viel Zeit damit. Es machte ihm geradezu Spaß, jeden
Versuch,
ihn zu heilen zu vereiteln. Schließlich tauchte er auch in der New York Org auf,
nachdem er anderswo entmutigte Auditoren reihenweise zurückgelassen hatte. Er wurde
sofort an den geschicktesten Auditor verwiesen, den sie hatten. Nach drei mühseligen
Tagen stand dieser Auditor auf, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: "Ich gratuliere!
Sie sind nun ein Grad 0 Communication Release. Sie können jetzt mit jedermann zu
jeder
Zeit über alles sprechen!"
Worauf der Mann ihn ruhig ansah und sagte: "Leck mich am Arsch!"
DINGE sind, weil du denkst, daß sie sind.L. RON HUBBARD
Ich verließ das Penthouse im Zustand der Euphorie. Im Dunst vor mir lag der
Broadway wie ein großes freundliches Dampfbad. Die sanfte Schönheit der Gegend
ließ mich daran zurückdenken, wie häßlich sie mir noch vor wenigen
Monaten vorgekommen war. Jetzt konnte ich, meiner selbst sicher, Pläne schmieden und
träumen; bei einem einsamen nächtlichen Spaziergang war die beste Gelegenheit
dazu. Nachdem ich meine inneren Konflikte unterdrückt hatte, sah ich die Welt
rosarot.
Der Clear-Prozeß würde alles in Ordnung bringen, hoffte ich. Bis jetzt hatte
das
Auditieren mich noch nicht von meiner Brille, von kleineren Beschwerden und Schmerzen und
meinem unverständlichen Hang zum ausschweifenden Leben befreit. Ich erwartete,
daß diese weltlichen Schwächen bei Grad V oder VI, spätestens im
Clear-Prozeß verschwinden würden.
Die Vorfreude auf das kommende Abenteuer an sich war schon Lebenszweck genug. Der Begriff
Clear hatte für mich eine klare und helle Qualität, und die glorreichen
Mysterien,
die ich als Vorspiel dazu erwartete - die geheimen Offenbarungen im Verlauf des
Clear-Prozesses - waren von geradezu sinnlicher Natur. Meine letzte Considerationen (=
falsche Meinungen) würden letzten Endes aus meinem Kopf hervorbrechen wie ein
Orgasmus,
und mir vollkommene Erleichterung bringen. Nachdem ich "den Dampf aus meinem
Bewußtsein abgelassen hatte", wie es in den Werbeschriften
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hieß, würde ich nach New York zurückkehren, vollkommen gesund, mit
ungehemmter Willenskraft und Lebensfreude ohne Neurosen, mit der geistigen Beweglichkeit
um
alle Schwierigkeiten zu überwinden. Kurz: ich würde im Besitz aller
Qualitäten sein, deren Fehlen bisher die Ausführung meiner Pläne verhindert
hatte.
Pläne blubberten in meinem Kopf wie Quellwasser. Ich würde eine Konzert-Karriere
beginnen, reich werden, meine Investitionen an der Börse würden mir bis zum
nächsten Winter so viele Mittel verschaffen, daß ich im Großen
spekulieren
könnte. Das und ein System für das Pferdetoto sollten mein Vermögen zu
einer
sechsstelligen Summe steigern.
Oder ich könnte Auditor werden. Wenn ich den Spezialkurs belegte, konnte ich in einer
Woche eine befreundete Familie auditieren und sie zur Release der unteren Grade bringen.
In
die Staaten zurückgekehrt, konnte ich mit Freunden in verschiedenen Städten
ebenso
verfahren. Ich würde reisen. Die ganze Welt, all die nie auditierten Seelen warteten
nur darauf, meine Beute zu werden. Sie auditieren zu können, würde die letzten
offenen Fragen meines Lebens lösen. Dadurch würde mein Wunsch, anderen Menschen
zu
helfen, sie zu belehren und zur Wahrheit zu führen, befriedigt werden können.
Für sie würde ich bald die Autorität sein. Wenn ich bei der
Scientology-Bewegung bleiben würde, dann würde ich in einem Monat mehr
Anerkennung
finden, als in zehn Jahren als Musiker. Ein Clear oder OT war fast gottgleich. Allerdings
würde ich in der Gefahr schweben, meine neue Macht auszunutzen, um andere zu
beherrschen. Deshalb wäre ich verpflichtet, einen mittleren Kurs zu steuern, weder
meinen hohen Rang auszuspielen noch ein falscher Heiliger zu sein - eine angenehme
Aufgabe.
In letzter Zeit hatte ich nicht selten Geralds Schmeicheleien, seine ständigen
Wiederholungen, seine einstudierte Höflichkeit, nachgeahmt. Ich war mir dessen
bewußt; aber es bewirkte, daß sich meine Mitmenschen wohlfühlten, und die
Absicht war altruistisch. Außerdem half es mir. Ein Altruist oder ein Opportunist zu
sein, das lag ohnehin dicht beieinander. Irgendwie glaubte ich, beides sein zu
können.
Mir ging es nur um die Möglichkeit, andere zu clearen und zu auditieren, sonst hatte
ich mit der Scientology nichts im Sinn. Ich hatte mich für sie als Mittel der
Selbstbefreiung nur entschieden, weil das so schnell und leicht zu erreichen war. Ich
wollte
die Scientology ausnützen, so gut es nur ging. Wie ich es von Gerald vermutete,
wollte
ich sie meinen eigenen Zwecken dienstbar machen; andere Scientologen verhielten sich nicht
anders.
Ich nutzte Gerald und Felicia aus. So schmeichelhaft es für mich war,
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daß Gerald mich eingeladen hatte, mit ihm in der Agentur zu arbeiten, sein
Partner
zu werden, so hatte ich ihm doch nie verraten, daß ich dort nur auditieren wollte,
wenn ich damit genug Geld verdienen konnte und wenn mir Zeit genug für andere Dinge
blieb. Ebenso hatte ich verschwiegen, daß ich vielleicht eines Tages
beschließen
würde, die Scientology ganz zu verlassen.
Selbstverständlich wollten auch sie mich ausnutzen. Bei meinem großen
Bekanntenkreis würde ich der Agentur viele Patienten einbringen. Ich war ein Teil
ihres
eigenen Planes, reich zu werden. Angestellte Auditoren mußten für
Kuli-Löhne
arbeiten, für zehn Prozent der Einnahmen. Wer die eigentliche Arbeit tat, war nur ein
Werkzeug der Org oder der Agentur. Bei mir würden es meine Freunde besser haben, aber
um wieviel? Ich wollte zu ihnen nicht unfair sein. "Leute ausnutzen", das war nur falsch,
wenn nur eine Seite den Nutzen davon hatte; aber nicht, wenn alle Beteiligten genau das
taten, was sie wollten, ohne Schuldgefühle und ohne anderen zu schaden. Es
mußte
so etwas wie "erleuchteten Egoismus" geben; es war wie ein Spiel.
Mit diesen Gedanken meinte ich, das innere Wesen der Scientology erfaßt zu haben.
Ich
war zur Vision meiner eigenen Wahrheit durchgestoßen; und in einer blitzartigen
Erleuchtung, einer sogenannten scientologischen Erkenntnis, sah ich ihre ganze
Schönheit: man erschuf seine eigene Wahrheit - mit ein wenig Hilfe von Ron.
Quälend dicht stand ich vor der äußersten Möglichkeit: selbst ein
Schöpfer zu sein. Fast war ich schon soweit, nur wenig fehlte noch. Noch immer hielt
mich etwas zurück, so war es immer gewesen: Es war der reaktive Geist. Sobald er
besiegt sein würde, könnte ich zurückkommen und alle Dinge tun, die ich mir
schon immer gewünscht hatte.
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