1. Razzia bei Sekte erbrachte Giftfund
  2. Chemiefabrik im Sektenzentrum
  3. Sekte verspricht mehr Leben Lebenssinn
  4. Wahnsinn. Kommentar von Michael Kaiser
  5. Shinri Kyo. Sekte verspricht mehr Leben Lebenssinn.

Razzia bei Sekte erbrachte Giftfund

Japanische Polizei auf Spur des Gasanschlags von Tokio
Thüringische Landeszeitung vom 23. 3. 1995
Tokio. (dpa/tlz) Die japanische Polizei hat gestern bei einer Großrazzia gegen die Sekte Aum Shinrikyo mehrere chemische Substanzen sichergestellt und vier Sektenmitglieder wegen Verdachts auf Freiheitsberaubung festgenommen. Gefunden wurden das zur Verdünnung des Nervengases Sarin geeignete Methylzyanid, Chloroform, Ethanol, eine bisher nicht identifizierte braune Flüssigkeit und Gasmasken. Der Anschlag auf Tokios U-Bahn am Montag war mit Sarin verübt worden.
Wie gestern aus Ermittlungskreisen verlautete, will die Polizei nach diesem Fund mögliche Verbindungen zu dem Terrorakt in der U-Bahn prüfen. Offiziell begründete die Polizei den Großeinsatz gleichzeitig an drei Orten, an dem 2500 Beamte zum Teil in Kampfanzügen und mit Gasmasken beteiligt waren, mit der Aufklärung des Verschwindens eines 68jährigen Rechtsanwalt in Tokio, der von der Sekte entführt worden sein soll. Die Schwester des Anwalts habe angeblich die Absicht gehabt, aus der Sekte auszutreten, ohne dieser aber das Gebäude mit der Anwaltskanzlei zu übereignen. Gegen einen Sektenführer wurde eine öffentliche Fahndung eingeleitet.
Die Sekte mit dem deutschen Namen "Höchste Wahrheit" bestritt erneut jede Verwicklung in den Terrorakt in der U-Bahn und eine Beteiligung an Entführungen. In einer Erklärung von Sektenführer Shoko Asahara än die ganze Welt", die auch in Deutschland veröffentlicht wurde, hieß es, die Sekte werde von Japans Staatsgewalt heftig und ungerecht verfolgt. Auch der Leiter des "Buddhismus und Yoga Centers" der Aum-Sekte in Bonn, Akira Wakatake, wies jede Beteiligung an dem Tokioter Giftgas-Anschlag von sich.
Hauptziel der Großrazzia war das kleine Dorf Kamikuishiki in Zentraljapan, wo etwa 900 der Sektenmitglieder leben und in dem es im Juli 1994 eine polizeiliche Untersuchung über Giftgas nahe den Einrichtungen der Sekte gab. Die Beamten mußten sich ihren Weg durch Lastwagenbarrieren bahnen. In dem Sektenhauptquartier in der Nähe des Berges Fuji beschlagnahmten sie etwa 400 Millionen Yen (ungefähr sechs Millionen Mark) in bar. Die Beamten trafen auf etwa 50 völlig unterernährte und entkräftete Sektenmitglieder.

Chemiefabrik im Sektenzentrum

Guru Shoko Asahara weiter spurlos verschwunden - Radiobotschaften aus Rußland aufgefangen.
Thüringische Landeszeitung vom 24. 3. 1995.

Tokio. (dpa/tlz) Beim zweiten Großeinsatz gegen die Endzeit-Sekte Aum Shinrikyo (Höchste Wahrheit) hat[B die japanische Polizei am Fuße heiligen Berges Fuji ein riesiges Chemikalienlager entdeckt. Vier Substanzen davon können laut Experten zur Herstellung des tödlichen Nervengases verwendet werden. Damit verdichteten sich immer mehr Vermutungen über eine Verstrickung der Sekte und ihres spurlos verschwundenen Führers Shoko Asahara in die heimtückischen Giftgasanschläge in der U-Bahn von Toki Montag. Dabei waren zehn Menschen getötet worden.
Nach einer Verfolgungsjagd in der Provinz Shiba südlich von Tokio nahm die Polizei ferner einen Mann fest, der einen auf die Sekte zugelassenen Wagen fuhr. In dem Fahrzeug fand die Polizei chemischen Substanzen und eine Gasmaske. 1100 Polizisten durchkämmten im Dorf Kamikuishiki, wo rund 900 Sektenmitglieder leben, zuvor nicht durchsuchte Gebäude.

Giftexperten mußten der Polizei helfen
Die dabei entdeckten Stoffe sind so giftig, daß die Aktion zwischenzeitig unterbrochen wurde, um Fachleute zur Hilfe zu rufen. Sichergestellt wurden neun Substanzen, darunter Isopropanal, Phosphorchlorid, Chloroform, Azeton, Ethanol und Methylzyanid, das sich zur Verdünnung von Sarin eignet.
Spuren davon waren in einem U-Bahnwagen in Tokio nach dem Gasanschlag gesichert worden. Die Sekte habe "möglicherweise chemische Experimente im großen Stil durchgeführt", meinte Professor Hidenori Watanabe von de Universität Tokio. Das Lager sehe nach einer Chemiefabrik aus, sagte ein anderer Experte. Asahara hat in Predigten seinen Anhängern im März un 1994 vorausgesagt, er werde wahrscheinlich "durch Giftgas wie zum Beispiel Sarin" sterben. Dies geht aus Publikationen seiner Sekte hervor.

Sie zitieren den 40jährigen auch mit den Worten: "Bei einem Notfall hei&sz das Gesetz, seinen Gegner mit einem Schlag zu töten, zum Beispiel in der Weise, wie Forschungen über Soman und Sarin im Zweiten Weltkrieg gemacht wurden."
Offiziell hat die Polizei keine Zusammenhänge zu der Anschlagsserie hergestellt. Aus Ermittlungskreisen wurde aber berichtet, Asahara und andere Sektenmitglieder sollten wegen des Chemikalienfundes vernommen werden. Asaharas Aufenthaltsort ist unbekannt. Ein Anwalt der Sekte sagte in einem Rundfunkinterview, der Guru sei bereit zu sprechen. Er machte aber keine Angaben über Ort und Zeit einer solchen Aussage.

"Dem Tod ohne Bedauern ins Gesicht sehen"
Asahara meldete sich am Donnerstag in einer in Tokio abgehörten Radiosendung aus dem russischen Wladiwostok mit der Erklärung, die Sekte habe kein Sarin hergestellt. Am Vortag hatte er ebenfalls in einer Radiobotschaft aus Rußland seine Anhänger aufgefordert ihm bei seine Erlösungsplan beizustehen. Dem Tod sollten sie ohne Bedauern ins Gesicht sehen.
Russische Verbindungen der Sekte wurden von dr Nachrichenagentur ITAR-TASS bestätigt. Danach traf Asahara 1992 unter andem den damaligen Parlamentschef Ruslan Chasbulatow.
Die Zeitungen "Yomirui" und "Asahi" berichteten, die Polizei werde möglich Verbindungen der Sekte zu drei ungeklärten Sarin-Giftgasfällen umfass untersuchen. Im Juni 1994 waren in der zentraljapanischen Stadt Matsumoto sieben Menschen durch das Nervengas ums Leben gekommen. Kurz danach kam der Verdacht auf, die Sekte könne im Kamikuishiki mit Sarin hantieren. Die Sekte steht auch weiter unter dem Verdacht, austrittswillige Mitglieder mit Gewalt festzuhalten, ihnen Drogen zu verabreichen und auf vor Entführungen nicht zurückzuschrecken.

Sekte verspricht mehr Leben Lebenssinn

Aus: -Westfalen-Blatt-23-03-95-
Die buddhistische japanische Sekte Aum Shinri Kyo (Erhabene Wahrheit) wurde vor neun Jahren gegründet.Sie hat in Japan nach eigenen Angaben 10.000 Mitglieder und unterhält auch Niederlassungen in Bonn und in Rußland, wo sie 30.000 Anhänger zählt. Dort strahlt Aum Shinri Kyo seit 1993 täglich ein dreistünäiges Fernsehprogramm in russischer Sprache aus. Nach Presseberichten ist die Sekte extrem Öffentlichkeitsscheu und gewährt nicht einmal Mitarbeitern der Stadtwerke Zutritt zu ihren Zentren zum Ablesen der Zählerstände für Strom, Gas und Wasser. Die Sekte umwirbt ihre Anhänger mit dem Versprechen, sie fänden mehr Erfüllung und Lebenssinn beim Zusammenleben und gemeinsamen Meditieren in Landkommunen. Der harte Kern der Sekte umfaßt etwa 800 Mitglieder, die diese Lebensform auf abgelegenen Gehöften bereits praktizieren. Die Gemeinschaft betreibt eine Computerfirma sowie Lebensmittelbetriebe und mehrere Restaurants. 1990 kandidierte der bärtige Sektengründer Shoko Asahara mit für das Parlament. Asahara, dem eine guruähnliche Funktion innerhalb der Gruppe zukommt, vertritt eine Endzeitlehre, nach der der Weltuntergang nahe bevorsteht. Er behauptet, er habe die parapsychologische Fähigkeit, im Raum frei schweben zu können. 1993 beklagten sich 100 Nachbarn des Anwesens von Aum Shinri Kyo im Tokioter Stadtteil Koto mehrfach über Augenbrennen und Brechreiz. Diese seien auf schädliche Emissionen zurückzuführen, die auf den Liegenschaften der Sekte freigesetzt würden. Seit dem Gasangriff auf die Tokioter U-Bahn erscheinen dieses Beschwerden in einem anderen Licht. Unmittelbar nach dem Anschlag veröffentlichte die Sekte eine Erklärung, in der sie eine Verwicklung bestritt und die Regierung beschuldigte, hinter der Tat zu stecken. Nun werde der Verdacht auf Aum Shinri Kyo gelenkt, damit man sie besser unterdrücken könne. Japans Polizei stellt Giftstoffe sicher Razzia gegen Sekte: "Haltet euch bereit zum Sterben". Die japanische Polizei hat bei der Suche nach den Giftgasattentätern von Tokio in den Gebäuäen der Sekte Aum Shinri Kyo 34 Behälter des giftigen Lösungsmittels Acetonitril gefunden. Das Mittel mit Rückständen des Nervengases Sarin war nach dem Anschlag auf Tokios U-Bahn-System in den Waggons gefunden worden. Die Zahl der Anschlagopfer stieg auf zehn. Mehrere Sektenmitglieder wurden festgenommen. Die Polizei hat bei der Durchsuchung 50 Menschen in völlig unterernährtem und komaähnlichen Zustand entdeckt. 2.500 Polizeibeamte durchsuchten 25 Gebäude der Sekte in Tokio und in dem Dorf Kamiku-Ishhiki. Unterstützt wurden sie dabei von einer Armee-Einheit für chemische Kampfmittel. Den bärtigen Anführer der Sekte, Shoko Asahara, der von sich behauptet, er könne schweben, fand die Polizei nicht. In ihrem 100 Kilometer westlich von Tokio gelegenen Hauptquartier erklärte die Sekte, die Gründe für die Durchsuchung seien aus den Fingern gesogen und Teil einer Verfolgungskampagne. Die Polizei sei gewaltsam eingedrungen und habe die Forderung von Aum-Shinri-Kyo-Mitgliedern mißachtet, die Durchsuchung überwachen zu dürfen. Aum Shinri Kyo heißt soviel wie "höchste Wahrheit". Dem zeitgleichen Anschlag auf fünf U-Bahnzüge vom Montag fielen bis gestern zehn Menschen zum Opfer. Mehr als 5.500 Passagiere und U-Bahnpersonal wurden verletzt. In 70 Fällen ist die Situation noch kritisch. Die Polizei war im Zusammenhang mit einem Entführungsfall auf die Sekte gestoßen. Der 69jährige Kiyoshi Kariya war am 28. Februar zuletzt gesehen worden, als er in der Nähe seiner Wohnung von vier Männern in einen Lieferwagen gedrängt wurde. Zu der Zeit versuchte seine jüngere Schwester, sich von der Sekte zu lösen, nachdem sie ihr Vermögen gespendet hatte. Shoko Asahara hat sich über Rundfunk an seine Anhänger gewandt und sie aufgefordert, sich auf den Tod vorzubereiten. Die buddhistische Aum-Sekte hat eine Niederlassung in Deutschland. Von dem Haus im Bonner Stadtteil Endenich wurde gestern die Täterschaft an dem Anschlag bestritten. Außerdem wurde dementiert, daß in Japan ein Massenselbstmord von Sektenmitgliedern geplant war. Am Nachmittag war das Haus verlassen.

Wahnsinn. Kommentar von Michael Kaiser

Kommentar Aus: -Westfalen-Blatt-23-03-1995-
Das Schlüsselwort zum Verständnis der Tat von Tokio - sofern es da etwas zu verstehen gibt - ist Wahnsinn. Und zwar auf mehreren Ebenen. Sollte sich bewahrheiten, daß eine Sekte die mörderischen Anschläge verübt hat, so wäre dieser hinterhältige Anschlag auf das Leben Unbeteiligter ein weiterer zweifelhafter Höhepunkt in einer Serie von Massen(selbst)morden und anderen Wahnsinnstaten. Wenn es wirklich die Anhänger der Sekte "AUM Shinri Kyo" waren, die bislang zehn Menschen mit Giftgas getötet und an die 5.000 verletzt haben, so wäre es angebracht, den Namen der Gruppe nicht mit "Erhabene Weisheit", sondern mit "Gipfel des Irrsinns" zu übersetzen. Verblendet, der Welt entrückt, letztlich wohl verrückt - nur aus einer solchen Geisteshaltung heraus läßt sich ein derartiger Anschlag planen, dessen "Sinn" sich Andersdenkenden wohl nie erschliessen wird. Doch etwas ist anders in diesem Fall.

Anders als beim Massenselbstmord Guyanas in Jonestown im Dschungel Guyanas mit 925 Toten, anders als beim Feuertod von mehr als 80 Davidianern, die sich schwer bewaffnet im texanischen Waco verschanzt hatten, anders auch als beim Suizid der "Sonnentempler" in der Schweiz und Kanada. Hier richtete sich der zerstörerische Wahn der Sektierer nicht gegen sich selbst, sondern im vollen Bewußtsein der möglichen Auswirkungen auf Tausende nichtsahnender Menschen in einer Untergrundbahn.

Eine neue "Qualität" des Wahnsinns, eine neue "Qualität" des Terrors - an der auch andere, politisch motivierte Überzeugungstäter Geschmack finden könnten. Wahnsinn hat viele Gesichter. Und die Möglichkeiten, sich vor solchen Irrsinnsakten zu schützen, scheinen gering - es sei denn, man erschüfe eine globalen Überwachungsstaat a la Orwells 1984. Wahnsinn nicht zuletzt ist der Stoff, aus dem der Horror ist: Giftgas, unter allen grausamen Massentötungsmitteln vielleicht das schlimmste, als Ding an sich eine Ausgeburt kranken Denkens. Das Sarin, wie in Tokio "verwendet", nicht so einfach herzustellen ist, stellt keinen Trost dar. Es gibt andere, wenngleich unwesentlich weniger wirksame Stoffe, die in bald jedem Küchenlabor und vergleichsweise billig zu fabrizieren sind. Und es gib t die riesigen Lager chemischer und biologischer Kampfstoffe . im Osten wie im Westen. Alle reden von der Profileration, der unkontrollierten Verbreitung nuklearer, waffenfähiger Stoffe. Wer spricht über die Möglichkeit, daß etwa arme Dritte-Welt-Staaten sich des erpresserischen Potentials bedienen könnten, um sich gegen die tatsächliche oder vermeintliche Vorherrschaft der reichen Länder zu wehren? So hat die Tat von Tokio wenigstens ein Gutes: Sie erinnert an den flüssigen, gasförmigen, krabbelnden und strahlenden Wahnsinn, den es aus der Welt zu schaffen gilt. Aus: -Westfalen-Blatt-23-03-95-

Shinri Kyo. Sekte verspricht mehr Leben Lebenssinn.

Die buddhistische japanische Sekte Aum Shinri Kyo (Erhabene Wahrheit) Aus: -Westfalen-Blatt-24-03-95-
Weitere Giftfunde bei Sekte Mehrere Hundertschaften der Polizei im Einsatz. - Drei Tage nach dem Giftgasanschlag von Tokio hat sich der Verdacht gegen die japanische Sekte Aum Shinri-Kyo (Letzte Wahrheit) erhärtet. Bei der erneuten Durchsuchung eines Gebäudekomplexes in einem Dorf etwas 100 Kilometer westlich von Tokio stellte die Polizei gestern Chemikalien sicher, die nach Ansicht von Experten die wichtigsten Bestandteile des Nervengases Sarin sind. Dieses war bei dem Anschlag in der Tokioter U-Bahn benutzt worden. In Hikone nahm die Polizei ein Sektenmitglied fest, in dessen Auto eine Gasmaske und eine zunächst unbekannte Flüssigkeit sichergestellt wurden. Mehrere Hundertschaften der Polizei durchsuchten am zweiten Tag in Folge das Sekten-Zentrum im Dorf Kamiku Isshiki, wo sie auf Behälter mit Sodiumfluorid und Phosphortrichlorid stießen. Beide Chemikalien sind notwendig, um das tödliche Nervengift Sarin herzustellen. Mit dem Fund sei die Wahrscheinlichkeit erheblich gestiegen, daß die Sekte Sarin produziert oder dies zumindest beabsichtigt habe, sagte der Chemie-Professor Hidenori Watanabe von der Universität Tokio. Shinri Kyo Sekte verspricht mehr Leben Lebenssinn Die buddhistische japanische Sekte Aum Shinri Kyo (Erhabene Wahrheit)